„[…] unsere musikalische Schublade gibt es eigentlich gar nicht.“ – SIGMUN im mica-Interview

Musik, in der sich Gegensätze verbinden und die in einem Sound Einklang finden, der sich auf aufregende Weise seinen Weg in die Gehörgänge bahnt. Das aus den beiden Musikern FLORIAN SIGHARTNER (Violine, Gesang) und CARLES MUÑOZ CAMARERO (Violoncello, Gesang) bestehende Duo SIGMUN zeigt wie aus vielen stilistischen Einflüssen etwas ein mitreißendes Ganzes entstehen kann. Im Interview mit Michael Ternai erzählt das Duo über die Quellen ihrer Inspiration, das Schöne an ihrer Zusammenarbeit, und darüber, wie sie es anstellen, ihre Musik so hörbar zu machen. 

Hört man sich durch euer in diesem Jahr erschienenes Album „Hopeful Tears“ fällt einem sofort die große stilistische Vielfalt der Stücke auf. Wenn ihr müsstet, wie würdet ihr eure Musik selber bezeichnen?

Florian Sighartner: Eine schwierige Frage. Ich glaube, unsere musikalische Schublade gibt es eigentlich gar nicht. Was sicher stimmt, ist, dass sich verschiedene Einflüsse in unserer Musik wiederfinden und man schon konkrete Stile und Musikrichtungen benennen kann. Ich würde sagen, dass die Basis unserer Musik die Klassik bildet, was auch kein Wunder ist, da wir beide in dieser Richtung musiklaisch sozialisiert worden sind. Aber wie es dann eben so ist, beginnt man sich irgendwann auch mit ganz anderer Musik zu beschäftigen, mit Folk, Jazz und Pop. Ich selber habe ja einmal in einer Rockband gespielt.

Carles Muñoz Camarero: Ich habe als Cellist natürlich auch in diversen Cover-Bands gespielt. Ich hatte als Jugendlicher sogar eine echte Metal-Phase.

Florian Sighartner: So gesehen, beeinflussen uns natürlich viele verschiedene Sachen. Was Carles und mich eint und warum wir uns auch so gut verstehen, ist, dass wir beide zu allen Richtungen sehr offen sind, gerne kreativ arbeiten, gerne experimentieren und Dinge ausprobieren. Es macht uns einfach Freude, all die Einflüsse zusammenzuführen und etwas Eigenes und Neues daraus zu machen.

Carles Muñoz Camarero: Wenn man unserer Musik unbedingt einen Namen geben will, dann glaube ich, dass man nicht ganz falsch liegt, wenn man sie Kammerjazz bezeichnet. Damit habe ich kein Problem. Es ist ein bißchen von allem irgendwie etwas dabei. Kammermusik, jazzige Harmoniefolgen, erweiterte Spieltechniken usw.

Ihr seid beide in sehr unterschiedlichen Projekten mit verschiedenen musikalischen Ausrichtungen tätig. Was unterscheidet euer Duo von diesen ganzen anderen Projekten? Was macht eure Zusammenarbeit besonders?

Carles Muñoz Camarero: Der größte Unterschied zu anderen Projekten ist, dass wir uns in unserem Duo hauptsächlich auf unsere Eigenkompositionen fokussieren, was in anderen Projekten nicht so häufig der Fall ist. In diesen sind wir meistens der Geiger oder der Cellist der Band. Aber gemeinsam versuchen wir, unsere eigene Kreativität auszudrücken.

„Es gibt einfach sehr vieles, was man mit einem Streichinstrument machen kann.“

Florian Sighartner: Dazu kommt, dass diese reduzierte Besetzung Cello und Geige automatisch eine bestimmte Richtung vorgibt. Es geht einfach woanders hin, als wenn zum Beispiel ein Schlagzeug oder ein Kontrabass dabei wären. Es ist durch unsere Instrumente und durch die uns zur Verfügung stehenden Mittel also schon etwas vorgegeben. Was wir versuchen, ist, das Potential unserer Instrumente auszuschöpfen. Es gibt einfach sehr vieles, was man mit einem Streichinstrument machen kann. Und das lässt sich in diesem Duo hervorragend explorieren. Man kann mit den Instrumenten rhythmisch arbeiten, man kann mehrstimmige Harmonien erklingen lassen, wir können mit unseren Stimmen, die auch zum Einsatz kommen, zusätzliche spannende Harmonien erzeugen usw. Es gibt irrsinnig viele Möglichkeiten. Und die versuchen wir im Rahmen der Kompositionen auszuschöpfen.

Es war also schon von Beginn an klar, dass ihr gemeinsam im Duo bleibt und keine anderen Instrumente zulasst.

Carles Muñoz Camarero: Das hat sich auf ganz natürliche Weise ergeben. Wir sind es einfach gewohnt, gemeinsam mit Geige und Cello zu spielen. Aber das heißt nicht, dass wir uns immer auf nur auf diese beiden Instrumente beschränken müssen. Florian ist ja auch ein wunderbarer Querflötist und ich habe auch mit der Nyckelharpa ein neues Instrument gelernt. Es ist also durchaus möglich, dass bei einem neuen Album auch neue Klänge zu hören sein werden. Aber im Moment beschränken wir uns darauf, die Möglichkeiten unserer Instrumentenkombination stilistisch auszureizen. Es ist ja nicht so, dass es bereits 300 Jahre Literatur für Cello und Geige gibt.

Sigmun (c) Johanna Lehner

Florian Sighartner: Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass wir im Sinne von Kooperationen nicht auch mit anderen Musikerinnen und Musikern etwas machen. Aber wir fokussieren uns jetzt einmal auf das Duo, auch weil Kombination Cello Geige sehr pflegebedürftig ist und man schon schauen muss, dass es funktioniert. Man muss sich zum Beispiel um Intonation oder streicherspezifische Geschichten kümmern, die man pflegen und immer weiterentwickeln muss. Das hat bei uns von vornherein gut funktioniert und es passt einfach gut zusammen. Vom Klangspektrum dieser beiden Instrumente her, kann man einfach sehr homogene Sachen machen. Wir machen ja alles analog und arbeiten ohne Effektgeräte. Alles, was wir machen, und alle Sounds, die wir produzieren, entstehen analog und echt am Instrument oder durch unsere Stimmen.

Was ich bei euch heraushöre, ist, dass ihr dieses Duo schon als längerfristiges Projekt versteht und es in der Wichtigkeit bei euch ganz vorne steht.

Florian Sighartner: Absolut ja. Dieses Projekt ist eines unserer Babies. Und um das muss man sich ständig kümmern.

Wie lässt sich die Zusammenarbeit beschreiben. Kommt ihr schnell auf einen Nenner oder gibt es da und dort auch einmal unterschiedliche Meinungen?

Carles Muñoz Camarero: Ich erinnere mich nicht daran, dass wir irgendwann einmal diskutiert hätten. Es verläuft zwischen uns alles sehr harmonisch. Auch weil wir uns nicht nur als Musiker sehr gut verstehen, sondern auch als Menschen. Wir sind sehr gute Freunde. Unser musikalischer Austausch gestaltet sich sehr natürlich und entwickelt sich sehr organisch.

Florian Sighartner: Das kann ich nur bekräftigen. Natürlich gibt es in der Ausarbeitung von Stücken auch einmal unterschiedliche Ansätze und Vorschläge. Vom Prozess her ist es bei uns immer so, dass einer eine Idee oder Ansätze eines Stückes oder schon etwas sehr weit Gediegenes mitbringt. Das arrangieren wir dann gemeinsam und probieren aus, was am besten zum Klang des Stückes passen könnte. Und da geben wir uns gegenseitig schon den Raum und jeder kann sich gleichermaßen einbringen.

„Wir können also ganz gut auch für den jeweilig anderen schreiben.“

Carles Muñoz Camarero: Man muss vielleicht dazusagen, dass dadurch, dass wir in so vielen unterschiedlichen Konstellationen zusammenspielen und uns dadurch wirklich gut kennengelernt haben, und somit die Zusammenarbeit zwischen uns natürlich auch leichter ist, weil wir einfach um die Stärken der jeweilig anderen Person Bescheid wissen. Ich weiß, was Flo am besten kann und er kennt meine Stärken. Wir können also ganz gut auch für den jeweilig anderen schreiben.

Was dient euch – ganz unabhängig von anderen Stilen und Einflüssen – als Inspirationsquelle für eure Musik? Braucht ihr eine gewisse Stimmung, um Musik zu schreiben?

Carles Muñoz Camarero: Das ist bei mir sehr verschieden. Manchmal gehe ich auf der Straße und mir schießt plötzlich eine Melodie in den Kopf. Die nehme ich dann sofort auf meinem Handy auf und fange dann zu Hause mit den ersten Arrangements an. Bei Flo ist das wahrscheinlich ganz anders. Der setzt sich zum Komponieren wahrscheinlich wirklich hin und denkt viel nach [lacht].

Florian Sighartner: [lacht] Das ist interessant, dass du das so siehst. Bei mir kommen die ersten Ideen für ein Stück auch auf unterschiedliche Art und Weise. Manchmal spiele ich einfach nur so dahin und mir fällt etwas ein. Dann wieder kommen die Ideen während des Übens am Instrument. Es gibt auch diese schönen kreativen Übungsphasen, die dann schließlich in eine Komposition übergehen. Die musikalische Idee kann ein Motiv oder ein Groove sein. Und die nehme ich auch erst einmal auf. Und da kann es schon vorkommen, dass ich sie einmal für einige Zeit auf der Seite liegen lasse. Wenn ich sie dann aber wieder aufgreife, dann setze ich mich tatsächlich hin und begebe mich ganz bewusst in diesen kreativen Akt, das Stück fertigzuschreiben. Das ist die eine Variante. Die andere ist, und das ist eine sehr schöne Variante, dass wir gemeinsam eine Idee hernehmen und gemeinsam ausarbeiten, während wir uns gegenseitig inspirieren.

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Carles Muñoz Camarero: Bei mir kann das auch schon einmal ein Film sein. Zum Beispiel habe ich letztens eine Idee gehabt, die im Duo sehr gut gelungen ist. Ich hatte diese Idee, nachdem ich mir eine sehr schöne Dokumentation aus Israel angeschaut habe, in der es um ein Fotogeschäft in Tel Aviv gegangen ist. Ich war von dieser Doku sofort inspiriert und habe auch gleich angefangen, ein Stück zu schreiben.

Florian Sighartner: Mir fällt gerade die Ursprungsinspiration für ein Stück ein, das auf unserem Album ist. Das ist das Stück „Sound“. Und es ist eigentlich inspiriert durch den norwegischen Jazz-Trompeter Nils Petter Molvær. Ich habe manchmal Phasen, in denen ich sehr viel Musik höre und mich eine bestimmte Platte wahnsinnig fasziniert und mich dazu inspiriert, selbst ein Stück in dieser Stimmung zu schreiben. So entstehen manche meiner Stücke.

Das Schöne an eurer Musik ist auch, dass die Stücke auf diesem richtig fließen, obwohl sie doch sehr anspruchsvoll komponiert sind. Man merkt eigentloch nicht, dass es eigentlich recht komplex zugeht.

Florian Sighartner: Genau das wollen wir auch vermeiden. Auch wenn die Stücke teilweise komplizierte Strukturen haben, sollen sie nicht kompliziert klingen. Dass man das so hinbekommt, erfordert natürlich eine gewisse Übung und die Erarbeitung und Probe von gemeinsamen Strukturen. Man muss sich schon damit beschäftigen.
Außerdem versuchen wir in den Stücken nichts zu spielen, womit wir zu kämpfen haben. Wir wollen unsere Geschichten erzählen, ohne uns mit technischen Problemen auseinandersetzen zu müssen. Wir wollen uns ja keine Fallen stellen, sondern mit unserer Musik intuitiv umgehen. Das erfordert natürlich den vollen Fokus. Aber es geht ja nicht nur um komplexe Strukturen. Auch der einfachste Popsong mit drei Akkorden erfordert den Fokus, damit er intuitiv die Geschichte erzählen kann.

Ihr habt ja auch ein Video produziert.

Carles Muñoz Camarero: Genau genommen werden es zwei sein. Eines, und zwar jenes zu „Hopeful Tears“, ist ja schon veröffentlicht. Ein zweites zum Stück „Cellolamento“ ist gerade im Werden und wird demnächst auch erscheinen. Und das wird sehr experimentell. Da haben wir mit einer venezolanischen Videokünstlerin Adriana Vila Guevara zusammengearbeitet, die sehr wunderschöne analoge Sachen macht und auch in Barcelona lebt, woher ich komme. Sie hat uns vor ein paar Tagen ein erstes Beispiel geschickt und das schaut schon sehr fein aus.

Wie sehen eure nächsten Pläne aus? Ihr spielt ja in den nächsten Wochen ein paar Konzerte? Wie geht es dann weiter?

Florian Sighartner: Im Moment kümmern wir uns darum, Konzerte für das nächste Frühjahr zu organisieren. Für die kommenden Monate ist es etwas schwer, etwas aufzustellen, weil niemand, vor allem auch die Veranstalter, nicht genau wissen, in welche Richtung es gehen wird. Aber für das nächste Jahr sind wir optimistisch, dass da etwas geht. Zudem arbeiten wir mittlerweile auch wieder an neuen Stücken.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Michael Ternai

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Florian Sighartner
Session Work Records