Die Tagung beschäftigt sich mit der Frage, wie mit Hilfe von verschiedenen Musiken und spezifischen Musikformaten gezielt Begegnungen zwischen Menschen mit unterschiedlichen biografischen, sozialen und kulturellen Hintergründen initiiert werden können, um einen Beitrag zu einer gerechteren und inklusiveren Gesellschaft zu leisten. Die zweitägige hybrid ausgerichtete Konferenz richtet sich an Forscher_innen, Künstler_innen, Pädagog_innen und Musikvermittler_innen und umfasst wissenschaftliche Vorträge, Praxisreflexionen, Diskussionen und die Möglichkeit an musikvermittelnden Projekten teilzunehmen. Die Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch, Simultan-Dolmetsch ist verfügbar.
Termin: 15. und 16. Juni 2023
Ort: mdw–Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
Fanny Hansel Saal & Zoom
Musikvermittlung werden unterschiedliche innovative Potentiale zugeschrieben: Aus einer kulturbetrieblichen Logik heraus ist mit ihr die Hoffnung verbunden, im Sinn von audience development neue Publika zu erschließen. Aus der Perspektive der kulturellen Bildung ist Musikvermittlung in der Lage, intensive ästhetische Erfahrungen zu ermöglichen, durch die musikalische (Selbst-)Bildungsprozesse angeregt werden. Kulturpolitisch wird ihr zugetraut, Teilhabe am kulturellen Erbe zu ermöglichen. In gesellschaftspolitischer Perspektivierung schließlich wird in Musikvermittlung das Potential erkannt, sozial-transformative Wirkung im Hinblick auf das Konzertleben, die (universitäre) Musikausbildung und die Gesellschaft als Ganzes zu entfalten.
Um dieses sozial-transformative Potential zu entfalten, machen sich Musikvermittler_innen die große Anziehungskraft zunutze, die Musik auf (viele) Menschen ausübt. Über Musik ist es möglich, Menschen für eine bestimmte Zeit räumlich zu vereinigen, sie an einem Ort – sei dieser physisch oder digital – zusammenzubringen, wobei nach mehr als zwei Jahren physical distancing im Zeichen der Corona-Pandemie vor allem die Initiierung realer Begegnungen von Menschen über Musik für die Praxis der Musikvermittlung von zentraler Bedeutung ist.
Unter dem Eindruck dekolonialen, machtkritischen und diskriminierungskritischen Denkens sowie eines social turns in den Künsten (Claire Bishop) geht es in der Musikvermittlung heute verstärkt darum, unter dem Vorzeichen von „kultureller Demokratie“ (François Matarasso) mit Hilfe von verschiedenen Musiken und spezifischen Musikformaten gezielt Begegnungen zwischen Menschen mit unterschiedlichen biografischen, sozialen und kulturellen Hintergründen zu initiieren, deren Wege sich ansonsten wahrscheinlich nicht kreuzen würden. Genau hierin liegt im Erachten der Veranstaslter_innen ein sozial-transformatives Potential von Musikvermittlung: Als künstlerisch-pädagogische Praxis stiftet sie im besten Fall kulturelle Teilhabe und „Teil-Gabe“ (Mark Terkessidis), bereitet den Boden für neuartige ästhetische Erfahrungen, initiiert Inter-Aktionen zwischen Menschen aus sozial und kulturell heterogenen Bevölkerungsgruppen und regt so Kommunikation an, entwickelt Ambiguitätstoleranz und versichert Menschen ihrer Handlungsfähigkeit. Bestehende Hierarchien, Machtverhältnisse, vermeintliche Deutungshoheiten und internalisierte Ausschlussmechanismen zu identifizieren und gemeinsam künstlerisch-kritisch zu verhandeln, ist ein weiteres wichtiges Anliegen musikvermittelnder Tätigkeiten in diesem Zusammenhang.
Vor diesem Hintergrund wird auf der Konferenz folgenden Fragen gemeinsam nachgegangen:
- Welche (neuen) Aufgaben und Funktionen kann und soll Musikvermittlung angesichts der aktuellen globalen Herausforderungen, Umwälzungen und Krisen übernehmen?
- Was und wie kann Musikvermittlung angesichts ihrer eigenen Verankerung im klassischen bürgerlichen Konzertwesen zu dekolonialen und diversitätssensiblen Prozessen beitragen?
- Wie können Akteur_innen der Musikvermittlung innerhalb der aktuell bestehenden strukturellen Gegebenheiten im Kulturbetrieb, in der universitären Ausbildung und in der Gesellschaft als Ganzes sozial-transformative Wirksamkeit entfalten?
- Auf welche Weise können Formate der Musikvermittlung bestehende Hierarchien und Machtverhältnisse (individuell, strukturell, institutionell) mitsamt ihren Ein- und Ausschlussmechanismen kritisch befragen und zu deren Wandel beitragen?
- Wie könnten Projekte beschaffen sein, die in emanzipatorischer Absicht unhörbare bzw. im öffentlichen Diskurs zum Schweigen gebrachte Stimmen wieder hörbar machen und Menschen so in ihrer gesellschaftlichen Handlungsfähigkeit stärken?
- Welchen Qualitätskriterien muss eine sozial-transformative Musikvermittlung genügen und wie können diese evaluiert werden?
- Wie stellt sich das vergangene und gegenwärtige Selbstverständnis von Akteur_innen der Musikvermittlung dar?
- Was bedeutet der Selbstanspruch einer sozial-transformativen Musikvermittlung für eine qualitätsvolle universitäre Musik(vermittler_innen)-Ausbildung?
Link:
Programm und Anmeldung: https://www.mdw.ac.at/turningsocial/