Neuer Wein in neuen Schläuchen

KalksburgLange Zeit überlebte das Wienerlied gerade noch im Heurigenkontext und beim Wiener Volksliedwerk. Seit einigen Jahren sind vermehrt kräftige Lebenszeichen zu vernehmen, die dem Wiener Volkslied mit unterschiedlichen Zugängen und Brechungen wieder Vitalität einhauchen. Von Stefan Koroschetz.

Ein Auftritt von Kollegium Kalksburg spätabends im ORF-Fernsehen war mein erster Kontakt mit dem neuen Wienerlied. Das muss in den späten 1990er-Jahren gewesen sein, und das Trio spielte dabei artig auf Stühlen sitzend traurige Stücke, die – wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht – noch weit davon entfernt waren von dem, was man heute bei den Shows der Kalksburger an tiefsinnigem und blödelndem Entertainment geboten bekommt. Vinzenz Wizlsperger, Heinz Ditsch und Paul Skrepek wurden mit dem seit 1996 bestehenden Kollegium Kalksburg Geburtshelfer eines Genres, dem Neuen Wienerlied, das aktuell viel Aufmerksamkeit bekommt.Dabei ist es nicht einfach eine allgemein akzeptierte Definition für das Neue Wienerlied zu finden. Für die einen ist es etwa Voraussetzung für die Interpreten in Wien geboren worden zu sein, während das für andere völlig egal ist. Traditionalisten bestehen nach wie vor auf die klassische Duobesetzung mit Knopfharmonika und Kontragitarre, Progressivere halten so gut wie jede Besetzung/Instrumentierung für zulässig. Common Sense ist immerhin der Einsatz des Wiener Dialekts, aber das wars dann schon mit den Verbindlichkeiten.

NeuwirthKatalysatoren für den Status quo waren – schon lange vor Kollegium KalksburgKarl Hodina und Roland Neuwirth mit seinen Extremschrammeln. Hodina, der 1957 mit Fatty George das Vienna Modern Jazzquartett gründete, widmete sich ab den 1970er-Jahren dem Wienerlied und schuf eine originäre, von Elementen des Jazz unterwanderte Spielart. Hodina war damit der erste, der das Wienerlied mit seiner ureigenen Interpretation und der damit einher gehenden Innovation wieder aus der Versenkung abseits der Heurigenmusik holte.

Anders ging Roland Neuwirth vor, der bereits während seines Gitarre-Studiums Mitte der 1970er-Jahre die Neuwirth Schrammeln (die später zu den Extremschrammeln mutierten) gründete. Passenderweise arbeitete Neuwirth bevor er 1985 Berufsmusiker wurde als Schriftsetzer in einer Partezetteldruckerei und hatte damit bereits Erfahrung mit dem Tod gesammelt – neben dem Wein, der Weanastodt, und der Liebe ein zentraler Topos im Wienerlied.

StrotternStilistisch verschnitten die Extremschrammeln das Wienerlied mit Blues und Rock und schockierten damit ihr Publikum in einem heute kaum noch vorstellbaren Ausmaß. Mitglied der extremen Schrammeln war schon seit ca.1983 Walther Soyka an der chromatischen Knopfharmonika, der gegenwärtig in unzähligen Formationen spielt. Willi Resetarits, Ernst Molden und Karl Stirner sind nur einige der künstlerischen Partner. Zusätzlich beeinflusste Soyka als Labelbetreiber (non food factory) die Genese des Neuen Wienerlieds wesentlich. 2001 erschien auf seinem Label Label die CD „neue wiener welle – wienerlied 2001“, zusammengestellt Thomas Hoysa und Helmut Emersberger, die ihrerseits auch ein Wienerlied-Duo bilden. Vertreten sind auf diesem Sampler die Wiener Punks von den The Dead Nittels mit ihrer zerstörerischen Version des Walter Hoysa-Klassikers „Meine Freunderl und Bekannten“, die Wienerliedlegionäre (Label-Info) von den Strottern, der singende Säger Andi Fitzner, der Rock‘n Roller Manfred Chromy und einige weitere. Präsentiert wurden großteils Wienerlieder, wie man sie noch nicht gehört hatte.

Im selben Jahr erschien auch die Koppelung „neue heim.at lieder“ (Intonation), die als ein Ausläufer des Wiener Elektronik-Hypes gesehen werden kann. In einer nicht wirklich stringenten Zusammenstellung finden sich hier Austropop-Stars (Ambros, Danzer&Hojsa/Emersberger, Fendrich, alle mit bereits veröffentlichten Liedern) im Verbund mit Vertretern der Elektronik und Hip-Hop-Szene. Der Terminus Wienerlied wird zwar nicht explizit verwendet (wäre auch nur teilweise zutreffend), aber alle Stücke haben mit Wien zu tun oder tragen den Stadtnamen bereits im Titel. Celia Mara, die Waxolusionists, B. Low, Tini Kainrath, Adi Hirschall, Gerald Votava feat. Functionist und Christopher Just – um nur einen Teil zu nennen – haben mit den Austropop-Größen und sogar miteinander  nicht viel gemeinsam, außer dass sie alle auf dieser CD vertreten sind. Jedenfalls finden sich auf „neue heim.at lieder“  die ersten ambitionierten Versuche einer entschiedenen Dekontextualisierung (Crossover mit Elektronik und Hip-Hop) von Wienerliedern. Einige gelungene Versionen von Neuen Wienerliedern (besonders „Meine Freunderl und Bekannten“ von Votava/Functionist) sind dabei entstanden. An dieser Stelle sei den weiterführend Interessierten der Dokumentarfilm „Herzausreißer“ (Regie: Karin Berger, 2008) ans herausgerissene Herz gelegt, der einen differenzierten Blick auf die Wienerliedentwicklung seit 1945 wirft.

SajdikMit der Organisation von jährlichen Festivals wie Herzton Wien, Wean Hean, Wien im Rosenstolz, der musikalische Adventkalender) ab den späten 1990er-Jahren trug und trägt nach wie vor die Stadt Wien dazu bei, die Dialektmusik (der Begriff wird in weiterer Folge synonym zu ‚das Neue Wienerlied‘ verwendet) lebendig zu halten. Seit Sommer 2012 ist die umtriebige Chansonette Valerie Sajdik Gastgeberin im Wiener Sallettl. Die Plattform wurde gegründet um Wiener Lieder wiederzuentdecken bzw. lebendig zu halten. Dabei legt sie Wert auf die getrennte Schreibweise um damit einen noch breiteren Zugang zu ermöglichen. Das Wiener Lieder Sing Along-findet inzwischen im Wiener Konzerthaus statt. In Litschau im nördlichen Waldviertel etablierte sich das Schrammelklang-Festival, das von manchen als „Woodstock des Wienerlieds“ bezeichnet wird.

Anfang Juli trifft sich um den Herrensee eine nicht geringe Dialektmusik-Anhängerschar. Viele reisen aus der Hauptstadt an, um eine Art musikalisches Pfadfinder-Wochenende am Campingplatz zu verbringen. Die Anlage mit der Hauptbühne im Herrensee-Theater und den vielen kleinen Naturbühnen ist einzigartig. Immerhin ist Litschau die Geburtsstadt der Brüder Schrammel, und dieser Epoche wird in Form einer Wochenend-Zeitreise gerne gehuldigt. Das Setting mag in vielen Punkten nostalgisch anmuten, das Musikprogramm ist das aber nur zum Teil: neben Veteranen wie Kurt Girk, Bäuml&Koschelu, die Wiener Art Schrammeln und Willi Lehner – um nur ein paar wenige zu nennen – werden in Litschau die aktuellen Wienerlied-Metamorphosen präsentiert. Die unscharfen Grenzen des Genres werden mit Klezmer, Blues, Theater etc. in Litschau überhaupt ziemlich ausgereizt. Vor kurzem (28.+29.9.13) ging zum ersten mal das wieder von (nicht nur) Dialektmusik-Impresario Friedl Preisl ins Leben gerufene 25 STD.MUND.ART.WIEN-Festival im Porgy&Bess über die Bühne, das mit Showcase-Charakter bis in den frühen Morgen einen spannenden Panoramablick über die Dialektmusikszene gestattete. Dabei waren neben einigen Newcomern die üblichen Verdächtigen der Szene die hier aber nur gestreift werden sollen: Ernst Molden & Walther Soyka, die Strottern, Kollegium Kalksburg, Karl Hodina & Rudi Koschelu, Trio Lepschi, Agnes Palmisano, Emersberger/Hoysa/Kainrath, Sterzinger/Musser/Mikula feat. Maria Craffonara und noch einige mehr. Mein besonderes Interesse gilt jedoch einer subjektiven Auswahl von erst in den letzten Jahren zur Szene der Dialektmusik Gestoßenen wie Skero & The Müßig Gang, Raphael Sas, Der Nino aus Wien, Trio Lepschi, Phillip Scheiner, und 5/8erl in Ehr’n. Diese Frischlinge im Dialekt-Zoo nähern sich dem Wienerlied aus diversen Richtungen an, auf die in den folgenden Kurzportraits näher eingegangen wird.

Müßig GangDen charismatischen Rapper Skero kennen Hip-Hop-Freunde schon lange als Teil der Linzer Vokalakrobaten-Truppe von Texta, aus der er vor kurzem ausgestiegen ist. Der auch als Street-Art Künstler Aktive veröffentlichte 2009 mit „Memoiren eines Riesen“ sein erstes Soloalbum, einem größeren Publikum bekannt wurde der Großgewachsene 2010 mit dem Hit „Kabinenparty( feat. Joyce Muniz)“. The Müßig Gang besteht aus zwei Dritteln des Trios Wienerglühn (Rudi Gratzl und Jovan Torbica), die live meist von wechselnden Instrumentalisten unterstützt werden. Das Trio Wienerglühn, zu dem noch Heidelinde Gratzl zählt, unterzieht das Wienerlied einer Frischzellenkur, bei der besonders Rampensau Rudi Gratzl mit seinem extrem überzeugenden Wienerisch brilliert (Anspieltip: „Sperrstundendrama“). Als Skero & The Müßig Gang absolvierte das Trio sein Live-Debüt beim Festival Wien im Rosenstolz mit Klassikern aus dem „Viennese Songbook“, gemeinsam erarbeiteten Stücken, und Skero-Solo-Nummern im akustischen Soundkleid. Vor großem Publikum reüssierte die Gang mit ihrer Kreuzung aus Hip-Hop, Soul und Ska beim Wiener Popfest 2013. Das Material für das erste Album dieser ungewöhnlichen Allianz von FM4-Universum und Ö1-Wienerlied-Abteilung soll bereits aufgenommen sein. „…Aber das Schöne am Hip-Hop ist ja, dass er über das Sampeln auf alle möglichen Genres zurückgreift, wodurch immer wieder neue Hybride entstehen….“, erklärt Skero dem Falter. Wichtig ist es Skero & The Müßig Gang wieder vermehrt politisch relevante Inhalte zu transportieren, etwa im Stück „Benzin kann ma ned saufn“.

Ins Licht der Öffentlichkeit getreten ist der Wiener Raphael Sas als Songschreiber und Sänger der Indie-Band mob, danach wurde er Pianist der Begleittruppe von Der Nino aus Wien. Im Herbst letzten Jahres veröffentlicht das auch als Sprecher für Ö1tätige Multitalent mit „Gespenster“ (Problembär, 2012) seine erste CD. An das Wienerlied pirscht sich Sas von der Seite des Singer/Songwriters an, sprachlich ist „Gespenster“ ein Zwitter aus Hochdeutsch und wienerischem Dialekt, oder besser gesagt der Zwischenbereich der Wiener Alltagssprache. Zu den Aufnahmen hat sich Sas jede Menge Gäste (bevorzugt aus dem Umfeld von Problembär-Records) eingeladen, dabei waren unter anderem Ernst Molden, Mitglieder von Das trojanische Pferd, Russkaja und Velojet. Das wechselnde Personal ist „Gespenster“ nicht anzuhören. Was auch damit zu tun hat, dass die Produktion sehr reduziert ausgefallen ist und damit die für ein gutes Songschreiber-Album nötige Unmittelbarkeit immer zu spüren ist. Im Zentrum steht das elementare Instrumentarium Gitarre, Bass und Streicher unterschiedlicher Coleur. Sporadisch werden die Tasten von Klavier und Akkordeon gedrückt. Mit geringen Mitteln und poetischen, knapp gehaltenen Texten und elaboriertem Gitarrenspiel gelingt es Sas feine Schattierungen an Emotionen zu transportieren. Das Spektrum reicht dabei von fetzigeren Songs wie „Wia ma imma sein ham wolln“ bis zum ganz intimen, ja zärtlichen „Sternderl“. Dabei erinnert er immer wieder auch an Georg Danzer, den womöglich begabtesten Songschreiber des Austropop.

ScheinerEinen lakonischeren Tonfall pflegt der Ö1-Radiomacher Philip Scheiner. Wie Raphael Sas veröffentliche Philip Scheiner, der sich als Songwriter schlicht Scheiner nennt, letzten Herbst sein CD-Debüt „de waund“ (Hoanzl). Der Bezug zu Marlen Haushofer ist – wie Scheiner auf seiner Website anmerkt – ein inhaltlicher: „Die dort gewählte Darstellung einer isolierenden Übermacht in Form einer unsichtbaren Wand zeigt nahe Verwandtschaft zur Situation des ordinären Wieners – die Ursachen der eigenen Misere mögen wohl erahnt, können jedoch nicht begriffen und schon gar nicht beseitigt werden.(…)“. Im ersten Song bekundet Scheiner seine unergründliche Abneigung gegen Mozart („mozad“), die er vermutlich auf die eine oder andere Art mit gar nicht Wenigen teilt. Die ersten Zeilen „Des is ka grinsn/ des is mei oat fon hoss“, vermitteln schon eine Ahnung davon, in welche Richtung sich „de waund“ entwickeln wird. In einer Mischung aus Gesang und Rezitativ grantelt sich Scheiner eher traurig gestimmt durch einen Teil der 13 Stücke. Dem gegenüber finden sich auch regelrecht zärtliche Songs wie „fia de feegl“, „bliiatn und bliian“ und „da beag“. Die treibende Kraft hinter der Produktion soll Gerald Votava gewesen sein, der auch Schlagzeug und Bass spielt. Einen außergewöhnlichen Gast hat sich der 36-Jährige für die zweite Gitarre angelacht: den überwältigende Akzente setzenden Karl Ritter, der in der Zeit als Mitglied der Chefpartie von Ostbahn-Kurti in Österreich seine größte Bekanntheit erlangte. Dabei ist der schlichte Rock der Chefpartie für den auch in experimentellen Gefilden beschlagenen Ritter kaum mehr als eine Fingerübung. Poetisch-fatalistisch gerät der Schlusssong „leiamann“ nach einem Text von Walter Müller und nach der Musik von Franz Schubert. „de waund“ wächst mit jedem Hören, dazu bekommt Scheiner vorübergehend den Wanderpokal für die beste wienerische Textzeile für „i schdee wia hiigschlazd auf da gossn“ aus „nowemba“.

AchterlWie fast alle die hier vorgestellt werden, wollen auch 5/8er in Ehr’n nicht in die Schublade Neues Wienerlied gesteckt werden. Anderseits sind sie daran nicht ganz unbeteiligt, bedenkt man das Cover ihres zweiten Albums „Bitteschön“ (Viennese Soulfood Records, 2010). Darauf inszenierte sich die das Quintett im Stil einer alten Schwarzweiß-Fotografie in stilechte Uralt-Anzüge gesteckt mit lächerlichen Bärten. Dazu singt die Band, die auf ein Schlagwerk verzichtet, im Dialekt. Die beiden Hauptsänger der gern kurz als Die Achterl bezeichneten Gruppe sind die studierten Jazzsänger Max Gaier und Bobby Slivovsky, an der Gitarre ist -schon wieder! – eine als Lilly Marshall im Dienst der Ostbahn Kurti-Chefpartie bekannt gewordene Frau, die mit bürgerlichem Namen Miki Liebermann heißt. Komplettiert wird der Fünfer durch Hanibal Scheutz am Kontrabass und Clemens Wenger an den Keyboards, der ansonsten viel mit der Jazzwerkstatt Wien zu tun hat. Bei Konzerten treten die Achterl uniformiert in schwarzen Hosen, weißen Hemden und Hosenträgern auf, angelehnt an die klassische Kellneruniform. 2008 veröffentlichten die Achterl mit „Es muss was Wunderbares sein“ (Alp Fiction) ihr noch eher weniger beachtetes Debüt, mit „Bitteschön“ von 2010 landeten sie mit dem Kiffer-Song „Siasse Tschik“ bereits einen ansehnlichen Hit. Ihr Sound setzt sich dabei aus den Elementen Soul, Chanson, Austropop, Jazz, Deltagroove, Kabarett und eben auch einem Anteil Wienerlied zusammen, dem entsprechend sind sie auch in den unterschiedlichsten Kontexten als Band gefragt. Zu Jazzfestivals werden sie genauso eingeladen wie zu Wienerlied-Veranstaltungen und zum Blockbuster Popfest Wien. Das trifft ihre Haupt-Eigendefinition als Popband – nach allen Seiten hin offen – sowieso am besten. 2012 bringen sie das grandiose „Gut genug für die City“ (Viennese Soulfood Records) heraus, das sich sehr gut verkauft und bald in einer zweiten, um den Bonustrack „Siasse Tschik (Mr. Urbs’ Dolby Thc Mix Feat. Keno)“ erweiterten Auflage erscheint. Für dieses Album erhalten die Achterl auch den Amadeus Music Award 2012 in der Kategorie Jazz/World/Blues. Ihre Shows sind ein Erlebnis auf höchstem musikalischen Niveau, das Herz, Hirn, und den Sinn für Humor gleichermaßen anspricht. Unterhaltung mit Haltung.

NinoDer beeindruckend produktive Nino Mandl alias Der Nino aus Wien hat mit seinen gerade mal 26 Jahren schon vier Alben veröffentlicht, und erzählt auch noch in einem Interview mit der Musikplattform enemy.at, er würde nur fünf Prozent der Musik die er macht veröffentlichen. Es kommt Mandl zugute, dass er als Person ein unverwechselbares Original ist, das einen ganz eigentümlichen Sprech- und Singstil pflegt. Aktiv ist er auch als Literat, dabei wird ihm von den Medien gern die Rolle eines Urban Poet zugeschrieben, die ihm selbst auch nicht unsympathisch ist. Mit Natalie Ofenböck betreibt er das Projekt Krixi, Kraxi und die Kroxn, das bislang ein Album („Die Gegenwart hängt uns schon lange zum Hals heraus“, Problembär 2012) veröffentlicht hat. Zu veröffentlichen begann Mandl via MySpace, 2009 nahm er mit dem „Spinat Song“ beim Protest-Songcontest im Wiener Rabenhof teil. 2010 nahm FM4 den Song „Holidays“ vom bereits zweiten Album „Down in Albern“ (Problembär 2009) in Rotation, dem die Single „Du Oasch“ folgte mit dem das vielversprechende Talent eine gewisse Bekanntheit erlangte. Diverse Medien haben das Album Down in Albern in ihren Jahresbestenlisten und  es folgt ein umjubelter Auftritt beim ersten Wiener Popfest 2010, bei dem Mandl auch mit Anja Plaschg aka Soap&Skin eine berührende Version von Bob Dylans „It ain‘t me Babe“ interpretierte.  Besonders an Nino Mandl ist noch, dass er keine Berührungsängste mit dem Austropop kennt und ihn der inflationär gebrauchte Vergleich seines Gesangsstils mit dem des jungen Andre Heller eher ehrt als stört. So nennt er als Einflüsse neben den Beatles, den Ramones und Syd Barrett auch Helmut Qualtinger und Andre Heller. Qualtinger ist ja –  besonders in Wien – sowieso sakrosankt, bei Heller schaut das allerdings bei jüngeren Musikern schon anders aus. Mit Schwunder (2011) und Bulbureal (2012) veröffentlicht der Austropop-Poet noch zwei ausgezeichnete Alben, die ihm diverse Erfolge in den FM4- und den Austrian Indie Charts einbringen. Für den Amadeus Award wurde Nino mehrmals nominiert, hat diesen aber noch nie gewonnen. Im Wienerlied-Kontext tritt Nino gern mit Ernst Molden auf, eine andere Bühnenallianz bildet er mit Stefan Sterzinger und Raphael Sas.

Als Nachwuchs kann man das Trio Lepschi kaum noch bezeichnen, sind die drei Herren doch vom biologischen Alter her die ältesten der hier Vorgestellen. Martin Zrost ist als Multiinstrumentalist im Jazz- und Improv-Universum seit Jahrzehnten in der Szene präsent (Trio Exklusiv, Klangkombinat Kalksburg, Ohmnibus, Flugfeld, Forellenquintett usw.). Als Musiker und Sänger erst relativ kurz im Geschäft sind der bekannte Krimiautor Stefan Slupetzky und sein Bruder Thomas. Gemeinsam Musik machen die drei schon lange, und so ist auch das Trio Lepschi – bzw. der Erfolg desselben auch eher passiert, am Anfang soll es eine reine Blödelgeschichte gewesen sein. Stefan Slupetzky war zuvor öfter mit den Strottern aufgetreten, allerdings nur als Lesender. Nachdem diese ihn partout nicht mitsingen lassen wollten griff er zur Selbsthilfe. Nicht zuletzt wegen des doch beträchtlichen Unterhaltungswerts avancierte das Trio binnen kurzer Zeit zum gefragten Act und nahm 2010 nebenbei noch in der Rekordzeit von nur wenigen Wochen ihr CD-Debüt „mit links“ (non food factory) auf. Die drei Herren, die stets schwarzweiß gekleidet auftreten (entweder im Kellner-Look oder in Sträflingsanzügen), lieferten  mit dem Album mehr als nur eine Talentprobe ab und brachten mit „z tod gfiacht“ (2012) einen nicht minder gelungenen Nachfolger auf den Markt. Dabei kultivierte das Trio textlastig einen manchmal bösartigen, nicht immer politisch korrekten Humor, dem auch die Niederungen des Allzu-Menschlichen nicht fremd sind. Mit mindestens zwei Gitarren bewaffnet (außerdem: singende Säge, Violine und diverse Tröten von Martin Zrost) gaukeln sich die drei mit sichtlichem Genuss durch ihre Shows, die Erstellung eines Trinkplans soll dabei nicht unwichtig sein. Dass Stefan Slupetzky auch sonst professionell mit Sprache zu tun hat erkennt man an den wortgewaltigen Texten, die ein immenses Gefühl für Rhythmus offenbaren und im Vortrag von Thomas Slupetzky und Zrost effektiv akzentuiert werden. Das klingt oft näher am High-Speed-Performance-Duo Pirron & Knapp (das Trio bezeichnet sich selbst neckisch als „Pirron & Knapp für das dritte Jahrtausend) als an der Schrammel – und Heurigenmusik. Thematisch widmet man sich neben den immer gültigen Topoi (Saufen, Liebe in allen Varianten, Tod s.o.) auch aktuell gesellschaftspolitischen Themen wie etwa der Bankenrettung(en). Einen gehörigen Schuss lautmalerischen Dadaismus enthält das Ortsnamenlied, indem sich durch Aneinanderreihung österreichischer Ortsnamen absurde und durchaus obszöne Lautketten ergeben. Mit „Warz und Schweiß“ (Hoanzl, 2013) geht das Trio noch einen Schritt weiter und produziert ein Album, das praktisch zu Gänze in Schüttelreimen getextet ist. Ein Highlight ist das Stück„Der Fernsehkoch“. In diesem wird mit ausgeprägtem französischem Akzent ein Kochrezept rezitiert, in dem sich „Hirschenkalb“ auf „Kirschen halb“ und „Kalberlschwanz“ auf „Schwalberl ganz“ reimt, und der einem Weisheiten wie „Merke: ist das Fleischerl bockig/wird auch meist das Beischerl flockig!/ Drum gehört auch das Kalb gehackt/ Gut faschiert ist halb gegackt“ zumutet. Eine aberwitzige Parodie auf das nicht nur im TV seuchenartig um sich greifende Gourmetkochen. Im Sound hat „Warz und Schweiß“mit dem klassischen Wienerlied nur noch Spurenelemente gemeinsam. Mit seinen vielen Anleihen aus Jazz, Blues, Country und sogar Tango und Klezmer kann das Trio Lepschi die Klangpalette Neuen Wienerlieds markant bereichern.

Neben den hier Porträtierten tummeln sich noch diverse Neulinge im neuen alten Genre die da wären: A Geh Wirklich?, Birgit Denk, Eva Billisich & die derrische Kapelln, Bohatsch&Skrepek, Martin Spengler & die foischn Wiener, Alex Miksch, Remasuri, Norbert Schneider, Gottfried Gfrerer & Richard Weihs, Alma, Hauk, Birds of Vienna, Boa Boa, Catch Pop String Strong, Gebrüder Marx, Playback Dolls usw.

Fotos:
Kollegium Kalksburg © Peter Kubelka
Roland Neuwirth © Johannes Cizek
Die Strottern © Peter Mayr
Valerie Sajdik © Selina De Maeyer
Müßig Gang © katsey.org
Philip Scheiner © Stephanie Korzonek
5/8er in Ehr’n © Rania Moslam
Nino aus Wien © Pamela Russmann