„MICH FASZINIERT, DASS MAN EIN LIED KOMPLETT NEU ENTDECKEN KANN“ – IRIS T. IM MICA-INTERVIEW

Die Sängerin IRIS TRÄUTNER aka IRIS T. veröffentlicht in Zusammenarbeit mit dem HANS Z. QUINTETT im November 2023 ihr drittes Album, auf dem sie Franz Schuberts „Winterreise“ interpretiert. Jürgen Plank hat mit IRIS T. über den klassischen Schubert-Interpreten Dietrich Fischer-Dieskau genauso gesprochen wie über ihre eigene Annäherung an „Der Lindenbaum“, das wohl bekannteste Lied aus der „Winterreise“, und über einen insgesamt eher respektlosen Zugang zu Schuberts Liedern. Außerdem geht es im Gespräch um die deutsche Teenie-Band Tokio Hotel und um Nancy und Frank Sinatra. Am 19. November 2023 um 14 Uhr, 195 Jahre nach seinem Ableben und exakt zur Todesstunde von Franz Schubert, präsentiert IRIS T. mit ihrer Band das Album im Porgy & Bess.

Franz Schubert hat Wilhelm Müllers Gedichtzyklus „Winterreise“ vor rund 200 Jahren vertont. Was hat dich an diesen Liedern so fasziniert, dass du sie selbst interpretieren wolltest?

Iris T.: „Gute Nacht“, das erste Lied der „Winterreise“, habe ich erst relativ spät, während meines Studiums gehört. Obwohl ich ziemlich viel klassische Musik gehört habe, ist die „Winterreise“ an mir bis zu diesem Moment vorübergegangen. Ich war damals knapp 20 Jahre alt und ein sehr romantisches junges Mädchen und da hat mir diese sentimentale, melancholische Stimmung gut gefallen. Gleichzeitig habe ich gemerkt, dass die Nummern von den Melodien und den Harmonien her recht modern sind. Ich hatte das Gefühl, ich könnte diese Lieder singen und gut in die heutige Zeit bringen, deswegen hat mich dieser Zyklus fasziniert. Manche der 24 Nummern waren natürlich schwieriger zu interpretieren, aber es hat bei jeder Nummer eine Lösung gegeben.

Du wirst am Album vom Multi-Instrumentalisten Hans Zinkl und seinem Quintett begleitet. Hat er freie Hand bei den Arrangements gehabt oder wie seid ihr vorgegangen?

Iris T.: Ich habe mir schon einige Nummern angeschaut, zum Teil transponiert und mir etwas zu den Nummern überlegt. Diese Nummern habe ich Hans so präsentiert, wie ich sie mir vorstelle. Bei anderen hatte ich keine Idee, wie man sie umsetzen könnte, da hat Hans dann freie Hand gehabt. Zum Teil sind wir auch zu zweit gesessen und haben etwas probiert und ein paar Stücke hat Hans auch alleine arrangiert und mir das Ergebnis präsentiert.

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Es gibt Dutzende Einspielungen der „Winterreise“, allein der berühmte Schubert-Lied-Sänger Dietrich Fischer-Dieskau hat den Liederzyklus mehrmals – mit jeweils anderen Pianisten – aufgenommen. Inwiefern hast du dich von solchen Einspielungen inspirieren lassen?

Iris T.: Seit Mitte der 1990er-Jahre habe ich mir dieses Projekt überlegt und damals war es nicht so modern wie jetzt, sich mit der „Winterreise“ zu beschäftigen. Ich habe das Gefühl, dass seitdem viel passiert ist und ich habe mir immer gedacht: jetzt machen schon so viele die „Winterreise“. Es gab eine Version von Hannes Wader, die habe ich mir angehört. Er hat Gitarre gespielt und war recht ähnlich wie das Original. Die anderen Versionen, etwa von Lia Pale, Roland Neuwirth und von Clara Frühstück und Oliver Welter habe ich mir auch angehört, aber ich habe versucht, das auch wieder schnell zu vergessen. Man muss einfach sein eigenes Ding machen. Es gibt die klassischen Versionen und es gibt meine Versionen. Ich glaube, mein Vater liebt die Einspielungen von Fischer-Dieskau sehr.

„ICH HABE MIR VORGESTELLT, DASS „DER LINDENBAUM“ IRGENDEINE POP-NUMMER IST.“

Die wohl bekannteste Nummer der „Winterreise“ ist „Der Lindenbaum“, wie habt ihr euch diesem Lied angenähert?

Iris T.: Die Idee dieses Lied als Reggae zu machen, kam von mir. Wenn man sich so einer Nummer annähert, darf man nicht zu viel Respekt oder Angst haben. Ich habe mir vorgestellt, dass „Der Lindenbaum“ irgendeine Pop-Nummer ist. Man spielt ein bisschen herum und der Reggae hat sich dann angeboten. „Der Lindenbaum“ ist volksliedartig und der Reggae passt gut und gibt der Nummer Bodenständigkeit.

Bild Iris T. & Hans Z. Quintett
Iris T. & Hans Z. Quintett (c) Maria Frodl

Ich habe für den Sampler „Schubert is not dead“ selbst auch mal Lieder von Schubert interpretieren dürfen und beim Durchhören des Materials zur Auswahl sind mir etwa die Motive der Lieder – Krähen, Bächlein, Wald – verstaubt und antiquiert erschienen. Wie war das für dich?

Iris T.: Nein, so habe ich das gar nicht empfunden. Ich habe viele der Lieder als sehr einfach empfunden, wie Pop-Songs. Man muss sagen: englische Texte von Singer-Songwriter:innen sind auch nicht so anders. Die handeln vielleicht auch von einsamen Wanderungen in der Natur. Es gab aber schon kompliziertere Nummern, mit denen ich mir schwergetan habe, „Der Rückblick“ zum Beispiel. Dieses Lied war nicht so einfach wie etwa „Der Lindenbaum“, bei dem es zwei verschiedene Teile gibt und bei dem der Aufbau sehr klar ist. Es kann schon sein, dass die Lieder sperrig sind. Aber mir waren sie nahe.

Nicht nur Lieder von Schubert scheinen dich zu faszinieren, du hast auf dem Album „Leichte Beute“ aus dem Jahr 2017 Andreas Doraus „Fred vom Jupiter“ und mit „Durch den Monsun“ auch ein Lied von Tokio Hotel gecovert.

Iris T.: Es zieht sich bei mir durch, dass ich Lieder nehme und völlig neugestalte. Anfang der 2000er-Jahre hatte ich die Band Iris T. & Billy Rubin Trio und da haben wir etwa Nirvana auf Jazz gemacht. Mich fasziniert, dass man ein Lied komplett neu entdecken kann. Man entdeckt dann neue Seiten an der Melodie, an der Stimmung. Deswegen habe ich immer wieder versucht, andere Nummern zu interpretieren. Das funktioniert nicht mit allen Nummern, aber gerade bei Tokio Hotel ist es lustig, dass es funktioniert hat. „Durch den Monsun“ war damals sehr bekannt und man hat das Lied ständig gehört und ich habe dann mal versucht, das selbst zu singen. Über Tokio Hotel haben sich ja alle immer lustig gemacht, aber ich habe mir gedacht: ich schaue mal, ob die Nummer etwas kann und ich finde sie schon gut. Sie hat aber mit der quietschigen Stimme der Kaulitz-Brüder anders geklungen.

Vom Monsun bis zum Bächlein in Schuberts Liedern ist es vielleicht nur ein kleiner Schritt.

Iris T.: Zum Beispiel, ja. „Der stürmische Morgen“ ist ja auch von Schubert. Möglicherweise mag ich Naturspektakel.

„EINEN FRÖHLICHEN LIEDERZYKLUS WÜRDE ICH NICHT MACHEN WOLLEN.“

Es wird berichtet, Schubert habe die eben vertonte „Winterreise“ Freund:innen und Bekannten vorgetragen. Eine Reaktion darauf: Nur „Der Lindenbaum“ gefalle, die anderen Lieder wären zu düster. Inwiefern spricht dich genau diese Düsterkeit an?

Iris T.: Ja, ich mag auf jeden Fall düstere Nummern. Ich finde, dass wir am Album einige Nummern weniger düster gemacht haben, als sie eigentlich sind. Das war damals natürlich die Zeit des Biedermeier, die sehr romantisch war. Diese Melancholie war damals modern, sage ich mal, und sehr gefragt. Insofern haben die Lieder in die Zeit gepasst. Die Düsterkeit hat mich sicher fasziniert. Ich glaube: einen fröhlichen Liederzyklus würde ich nicht machen wollen. Ich weiß nicht, was das jetzt über mich aussagt, aber ich kann insgesamt sagen, dass ich traurige Lieder lieber mag.

Schubert hat „Die Winterreise“ in seiner letzten Lebensphase geschrieben, in der er schon krank war. Inwiefern hast du diese Umstände in deiner Interpretation reflektiert?

Bild Iris T.
Iris T. (c) Maria Frodl

Iris T.: Gar nicht. Bei uns war kein theoretisches Konzept dahinter, wir haben uns gesagt: so ist die Nummer, was kann man daraus machen. Es war eher so: wir eignen uns die Nummern an und gehen weg vom Original. Das war der Zugang, eher respektlos. Schubert hat uns ja das Werk hinterlassen, wir haben uns konkret an den Liedern orientiert.
Das Einspielen war interessant: wir sind am Freitag im Studio angekommen und schalten das Radio ein und hören, dass ab Montag Lockdown ist. Das war der erste Lockdown und als wir am Sonntag nach Hause gegangen sind, war niemand mehr auf der Straße und es war gespenstisch. Vielleicht hat diese Stimmung den Aufnahmen gutgetan.

Es gibt von dir eine ins Deutsche übertragene Version von „Something Stupid“ von Nancy und Frank Sinatra. Der Song heißt bei dir „Sinatra“.

Iris T.: Während des Studiums habe ich oft auf Hochzeiten gesungen, im Sommer fast jede Woche. Da war „Something Stupid“ ein Fixstarter und irgendwann bin ich auf die Idee gekommen, dass die Zeile „I love you“ und das Wort Sinatra den gleichen Rhythmus haben.

Wer gefällt dir besser: Nancy oder Frank?

Iris T.: Eigentlich taugen mir beide. Ich fand es immer ein bisschen schräg, dass ein Vater mit seiner Tochter diese Liebesnummer singt, andererseits ist das aber auch egal. Nancy Sinatra ist auf jeden Fall sehr cool, aber Frank Sinatra auch.

Die Band New Model Army hat auf ihrem neuen Album mit einem Symphonie-Orchester zusammengearbeitet. Würdest du zustimmen, dass musikalische Grenzen ohnehin fließend sind und es bei einem Musikstück um die Qualität, um die Substanz geht?

Iris T.: Ja, das kann ich voll unterschreiben. Ein Lied besteht aus einer Melodie, aus Harmonien und einer Struktur. Man kann auch immer etwas verändern, aber das Lied muss noch erkennbar sein, das ist klar. Bei unserer Winterreise haben wir die Melodien eins zu eins übernommen. Die Texte habe ich ein bisschen gegendert, aber sie sind wie im Original. Hans Zinkl hat sich immer wieder gewundert, wie modern die Harmonie-Führung bei Schubert war. Wenn eine Nummer gut ist, kann man sie auf alle möglichen Arten singen.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

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Iris T. live
So 19.11.2023, Porgy & Bess, Riemergasse 11, 1010 Wien, 14h

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