„ICH MUSS NICHT MEHR FLEXEN” – KENJI ARAKI IM MICA-INTERVIEW

KENJI ARAKI hockt im Wohnzimmer des 7*Stern und vergräbt sich in seinem gebleachten Hoodie. Er hat kaum geschlafen, dafür ein neues Album draußen. Also erstmal Perlage. Weniger zum Wachwerden. Mehr zum Anstoßen – auf „Hope Chess”, so heißt das Ding – eine „Absage an die Deconstructed-Ästhetik und ein Bekenntnis zur Post-Club-Philosophie” – und es ist sehr gut. Der Vorarlberger Producer hat dafür die Flex eingepackt und sich ausgezogen. Nackt, bis auf die Knochen, muss man sich trauen. Aber KENJI ARAKI sagt: „Ich hab mich emotional weiterentwickelt.” Also stoßen wir an. Und reden noch ein bisschen über das Ausziehen.

Dein erstes Album „Leidenzwang” hast du bei unserem letzten Gespräch als „Haute-Couture” bezeichnet. Was ist „Hope Chess”?

Kenji Araki: Das genaue Gegenteil. Beim ersten Album wollte ich halt ein Statement setzen, es sollte impressen. Ich bin dabei aber viel zu sehr ins Technische gerutscht. Für „Hope Chess” lag der Fokus auf Empathie und Intimität. Ich wollte kommunizieren – deshalb sind viele Features auf dem Album. Das sind keine bezahlten Studio-Features, sondern Friends, mit denen ich Musik mach und plötzlich passiert so ein Lied. Sag, spielst du eigentlich Schach?

Nicht so gut.

Kenji Araki: Das Schlechteste im Schach ist die Hoffnung auf einen gegnerischen Zug. Wer hofft, hat einen Fehler in der Logik. Man muss sich die Optionen offenhalten. Das schließt ein klares Ziel aus. Deshalb sind die beiden Alben so verschieden. Auf „Leidenzwang” habe ich gegen mich Schach gespielt, meine Züge vorausgeahnt und versucht, mich zu überraschen, indem ich nach außen hin flexe. Mit „Hope Chess” ist es umgekehrt. Ich muss nicht mehr flexen. Ich habe mich zugelassen. Und damit auch mein Umfeld. Dieser Prozess macht das Album aus. Nicht die technischen Fähigkeiten, weil sie ohnehin da sind. Und nicht die textlichen Inhalte, die sind eher reduziert. 

Ich sag’s pathetisch: Es sind einfache Emotionen, die zählen.

Kenji Araki: Genau. Ich hab mich auf die simple human emotions konzentriert. Das setzt diesen Prozess der Introspektion voraus.

Eine Introspektionsintention.

Kenji Araki: Wart, lass mich das mal kurz aufschreiben.

Du hast die emotionale Schattenarbeit gemacht, das Materielle, das Album, hat so passieren können.

Kenji Araki: Früher hab ich keine Texte schreiben können, weil ich immer cool klingen wollte und reflektiert, im besten Fall sogar philosophisch rüberkommen sollte. Das ist nie gegangen, es war immer ein Produkt, das so erzwungen geklungen hat. Das war einfach nicht ich.

Ist dir das wichtig – authentisch rüberzukommen?

Kenji Araki: Gar nicht. Mir ist nur wichtig, dass ich authentisch mit mir bin. Das heißt: Ich will ehrlich zu mir sein, mich nicht verstellen. Wer das nicht fühlt: Go listen to something else!

Bild Kenji Araki
Kenji Araki (c) David Prokop

Dich haben die „rhythmischen Verarschungen” interessiert, meintest du damals.

Kenji Araki: Voll, länger als ein paar Sekunden bin ich selten einer Taktart gefolgt, davon war ich eine Zeitlang wirklich begeistert. Mittlerweile hab ich diese Verarschungen aber durchgespielt. Deshalb sollte das neue Album eine Challenge werden. 

Das erste Album war dagegen wie ein Show-Off, oder?

Kenji Araki: Es war ein hübsches Showreel, ja. Dafür habe ich keinen Grund mehr. Ein ehrliches, menschliches Statement zu produzieren war eh viel schwieriger. Ich hab mich nicht mehr hinter Flex-Shit verstecken können. 

Also zuerst Schein, dann Sein.

Kenji Araki: Eine befreundete Person hat mal gemeint: Deine Musik ist zu 99 Prozent perfekt. You are holding back honesty! Das hat mich echt getroffen, ich war einen Monat depressed. Es hat aber nur deshalb so weh getan, weil ich der Aussage unterbewusst zustimme.

„ICH HAB ZWAR MUSIK PRODUZIERT, ABER DAS WAR NUR SCHEISSE.”

Was hast du dann getan?

Kenji Araki: Ich hab mich emotional weiterentwickelt. Das lässt sich genauso forcieren wie eine technische Entwicklung. Während man sich dort Tutorials auf YouTube reinzieht, wie man das oder jenes produzieren kann, macht man sich da Gedanken über sich selbst und übt sich darin. Vieles ist auch der Zusammenarbeit mit Juri [Binder aka Ybsole; Anm.] zu verdanken. Mit ihm schaffe ich sofort eine intime Atmosphäre, in der wir ehrliche Musik machen können. 

Du hast die richtige Person gefunden, um zu dir selbst zu finden?

Kenji Araki: Voll, ich war ja davor immer komplett im Tunnel, wollte alles solo machen. Ich hab diese Zeit des Alleinseins aber gebraucht, weil: Ich hab inzwischen so viel Erfahrung mit der Produktion, dass ich superschnell die basics produzieren kann. Das heißt: Ich muss nicht darüber nachdenken. Das ermöglicht mir schnelles Decision-Making. So bleib ich im Flow und kann den Fokus verlagern.

Worauf?

Kenji Araki: Auf die emotionale Erwartung. Das hat was mit confidence zu tun. Vor dem ersten Album hat mich ja niemand gekannt. Ich musste mich beweisen. Dann war „Leidenzwang” da. Und ich war lost. Ich hab zwar Musik produziert, aber das war nur Scheiße. Irgendwann kam Jamal [Hachem, Labelchef von Affine Records; Anm.] und meinte so: Wie schaut’s aus mit Album 2? Ich hab ihm ein paar Demos geschickt, aber nix davon gefühlt. 

Was hat sich dann geändert?

Kenji Araki: Ich hab einfach gelebt. Und kommuniziert. Plötzlich hat sich der Aspekt meines Schaffens verändert. Die confidence war irrelevant, weil ich gemerkt hab: Ich muss mich jetzt ausziehen, mich nackt machen. Das geht nicht, indem man einfach unendlich viele interesting sonic bits in die Musik bringt. Ich bin inzwischen eher an den Pausen, an den wenigen Elementen dazwischen, interessiert. 

Sorry für den Vergleich: Ich hab bei deinem Album einen Oneothrix-Point-Never-Vibe um circa das Album „Garden of Delete” bekommen. Du schaffst einen ähnlichen Vibe.

Kenji Araki: Ha, ich bin obviously ein riesiger ONP-Fan, „Garden of Delte” war immer mein Favorite. Weißt du: Der Track „Bite My Tongue” heißt unterbewusst wahrscheinlich so, weil ich an seinen Track „I Bite Through It” gedacht habe. 

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Was mich an seiner Musik immer fasziniert hat: Das waren Songs, die man nur ein Stück weiter hätte drehen müssen, damit das richtige Pop-Songs geworden wären. Ich fand diese Zurückhaltung cool. So geht es mir bei deinem Album auch.

Kenji Araki: Deshalb ist „Hope Chess” ein Pop-Album. Ich hab alles reduziert. Das Ding ist: Wenn bei einem Beat auf der 2 und der 4 eine Snare kommt, ist die 2 und die 4 impliziert: Just leave it out und schau was passiert. Ich hab mich dabei also absichtlich zurückgehalten. Wenn ich einen Sound cool finde, verwende ich ihn nicht andauernd – ich verwende ihn nur einmal. OPN ist darin ein Master. Darum hört man sich die Tracks immer wieder an, weil dann an der einen Stelle für drei Sekunden so ein Akustik-Gitarren-Part kommt. Aber dann ist er wieder weg und er kommt nicht wieder.

Es ist einmalig und deshalb speziell – dank der Verknappung.

Kenji Araki: OPN hat mal in einem Interview gesagt, dass früher jedes seiner Alben bahnbrechend neu sein und als Konzept für sich stehen musste. Inzwischen sei dieser Novelty-Anspruch aber zu seinem eigenen Gimmick geworden. Er ist so deep in seinem Katalog, dass ihn dieses forcierte Neue nicht mehr interessant. Also greift er auf Ideen früherer Platten zurück. Ich versteh das. Und ich bin endlos curious, wann ich an diesem Punkt ankomme.

Gut, du hast zwei Alben draußen, er macht seit 20 Jahren Musik.

Kenji Araki: Ich mach mir aber viel Gedanken über Karrierestrukturen – also wie Artists ihre Karriere aufbauen. OPN hat am Anfang Plunderphonics-Stuff für Editions Mego gemacht. Jetzt produziert er The Weeknd. Vielleicht mach ich kind of was Ähnliches. Aber in einem Zeitraffer, weil mir die Geduld fehlt.

Bleiben wir noch kurz bei der Reduzierung. Womit hat die zu tun – mit der emotionalen Entwicklung?

Kenji Araki: Definitiv. Deshalb haben die Sounds einen autobiografischen Charakter. Heute hat mir eine Freundin gesagt: „Das Album klingt so Community-mäßig.” Sie hat recht. Man merkt den Songs an, wie viele Menschen dahinter stehen, wie viele Konversationen eingeflossen sind, wie zerbrechlich ich mich zeigen darf. Das habe ich meinem circle zu verdanken, in dem ich bin. Diese Leute haben mir das beigebracht – dass ich so sein darf, wie ich bin. Es sind übrigens dieselben Leute, von denen man in einem Jahr sagen wird: Wer hat diese geile Musik produziert? 

Das meinst, da entsteht eine Szene?

Kenji Araki: Ja, voll, wir bauen eine Szene, zum Beispiel um das Label Ashida Park. Da sind Acts, die nicht dezidiert Club-Sounds machen, zum Beispiel die Band FUTURA, die komplett underrated ist, also wirklich! Das sind die most-talented Songwriter in Wien gerade – richtig Evergreen Quality! Ganz im Gegenteil zu 90 Prozent von dem, was als Indie-Pop auf FM4 läuft. Das ist Tapetenmusik, perfectly fine, aber eben …

Perfectly fine. 

Kenji Araki: Genau, sie tut niemandem weh, deshalb tut sie weh. 

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Dabei zeigt ein Album wie „Hope Chess”, was möglich ist.

Kenji Araki: In Österreich ist man schnell zufrieden. Deine Band läuft auf FM4, damit glaubst du, dass alles erreicht ist. Das führt zu nichts, es ist nur langweilig. Deshalb will ich gar nicht mit der FM4-Pop-Blase assoziiert werden. Ich habe meine Szene, weil ich weiß: Man kann Shoegaze machen und Elektronik und Rock und trotzdem auf einer Bühne stehen. Das hat dann nichts mit einer Deconstructed-Ästhetik zu tun. Es ist eher eine Post-Club-Philosophie. So hab ich das erst in Wien und im Umfeld von Ashida Park verstanden.

Danke fürs Ausziehen!

Christoph Benkeser

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Links:
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Kenji Araki (Affine Records)
Kenji Araki Interview 2022