Beschränkung auf die vorhandenen Möglichkeiten: mica-Interview mit Billy Roisz und dieb13

Die Wienerin Billy Roisz arbeitet im Bereich Kino, Live-Performance und Installation, dieb13 an der klanglichen Nutzbarmachung diverser (nicht-)elektronischer Gerätschaften. Gemeinsam haben die beiden bereits mehrere aufsehenerregende Projekte auf den Weg gebracht. Das Duo im Gespräch mit Christian Höller.

Christian Höller: Eure erste gemeinsame Videoarbeit ist 1999 entstanden, seither habt ihr an die 15 Single-Channel-Arbeiten produziert, während ihr zugleich auch in vielfach wechselnden Live-Formationen aufgetreten seid. Welche maßgeblichen Veränderungen haben sich für euch in diesem Zeitraum ereignet, und was waren die gleichbleibenden Bedingungen?

Billy Roisz: Es gibt eine Reihe von Arbeiten, die von mir initiiert sind und wo ich vorab eine Idee habe, was das Bild, aber auch den Sound betrifft. Daneben traten wir gemeinsam als NTSC (Not The Same Color) auf – auch daraus sind Arbeiten entstanden, wo es aber meist keine vorgefertigte konzeptuelle Idee gab, sondern wo es mehr um das Einfangen der Live-Situation ging.

dieb13: NTSC war stark von der improvisierten elektronischen Musik geprägt. Zuletzt ging es aber mehr um ein konzeptuelleres Arbeiten, wo entweder ein Video vertont wurde oder wo es bereits Musik gab, wozu dann ein Video entstand, mit einem vorher definierten Ablauf. Meistens bin ich aber einfach der Musiklieferant.

Höller: Halten sich diese beiden Zugänge für euch die Waage?

Roisz: Bei den Single-Screen-Arbeiten hat das konzeptuelle Arbeiten für mich Priorität. Die improvisierten Arbeiten sind eher Nebenprodukte der Live-Set-ups.

Höller: Sind Bild und Ton dabei stets gleichwertige Materien?

Roisz: Prinzipiell sind die Materien gleichwertig, wobei die Musik für mich fast noch wichtiger ist, da ich ohne Musik eigentlich keine Videos machen würde. Das Ausgangsthema sind für mich in vielen Fällen Sounds, Geräusche, oder generell das Hören – ich habe meistens eine Grundvorstellung, mit der ich an Dieter (dieb13) oder andere MusikerInnen herantrete, worin aber eine Menge Freiräumen angelegt sind.

dieb13: Eigentlich tue ich mir gar nicht so leicht, nach Vorgaben zu arbeiten, und ein paar Mal haben wir auch schon den umgekehrten Weg beschritten. Manchmal mache ich das Konzept, vor allem bei den Live-Auftritten, wo ich einmal ein Setting für vier Turntables entworfen habe, wovon einer als Kameratisch verwendet wurde und wobei es eine grafische Komposition gab.

Höller: Was in den frühen Arbeiten sehr markant ist, ist die Arbeit mit analogem Material, auf Bild- wie auf Soundebene, wo etwa gerne mit dem Tonabnehmersignal von Vinylschallplatten gespielt wird. Was ist das Spezielle am Analogen, das digital nicht zu haben ist?

dieb13: Nun, ich verwende ja auch einen Computer auf der Bühne, aber der ist meist sehr unauffällig. Was den Plattenspieler betrifft, so gibt es hundert Gründe für mich, warum ich diesen einsetze. Zunächst ist die Schallplatte als Medium sehr stark aufgeladen mit Assoziationen und Bildern, womit sich sehr gut spielen lässt. Darüber hinaus ist der direkte, haptische Zugriff für mich sehr wichtig, was in Live-Situationen mehr hergibt als ein MIDI-Interface, eine Maus etc. Nicht dass ich Computer nicht mögen würde …

Höller: … aber was die Simulation des Knisterns oder des Hängenbleibens der Nadel angeht …

dieb13: … gegen Simulation bin ich von vornherein allergisch. Sabotieren ist OK, aber Simulieren geht nicht.

Höller:
Wie sieht dies im Visual-Bereich aus? Du arbeitest ja bis heute mit Analogmischern.

Roisz: Ja, aber auch mit Kameras beispielsweise. Als ich angefangen habe, live zu spielen, hatte ich Null Ahnung von Computergrafik, ich habe daher in erster Linie Analoggeräte verwendet. Von der Ästhetik her finde ich das Analoge einfach interessanter, etwa was das „Schmutzige“ daran betrifft oder die Zweidimensionalität. Ich mag das Simulieren von 3-D ebenso wenig, da ein Screen ja immer 2-D ist und ich gerne mit diesem Rahmen als Format spiele. Mit gefällt die Beschränkung auf die vorhandenen Möglichkeiten, so wie auch der haptische, textile Aspekt sehr wichtig ist für mich. Dazu kommt, dass ich gerne verstehen möchte, was ich mache – die Anordnung von Kamera, Mischer, Router etc. Wenn man die Programmierung von Computern beherrscht, ist das sicher eine andere Sache, aber insgesamt finde ich es eher fad, mit Videomischprogrammen Visuals zu produzieren.

Höller: Input-Output-Schaltungen, auch zwischen Sound und Bild, sind sehr wichtig in eurer Arbeit. blinq (2002) zum Beispiel, worin Soundfiles die Ausgangsmaterie bilden, oder i/o (2003) sind diesbezüglich höchst interessante Werke. Sind Sound und Bild einfach eine Art kontinuierliche mediale Materie, oder wie stellt sich das Verhältnis zwischen den beiden für euch dar?

dieb13: Unser Live-Projekt NTSC handelt davon, dass Bild und Ton austauschbar sind. Dass beide analoge, elektrische Signale sind, und dass es eigentlich egal ist, ob sie am Ende beim Lautsprecher oder beim Beamer herauskommen. Für mich sind das zwei gleichwertige Ebenen, die auf vielfältige Weise ineinander übersetzbar sind. Ich arbeite grundsätzlich mit einem Set-up aus Plattenspielern, DJ-Mischpult und Computer, aber der Computer spielt keine Samples, sondern prozessiert, was ich durch den Kopfhörerausgang des Mischpults hinausschicke. Bei NTSC ist es zusätzlich so, dass ich auf einem oder mehreren Kanälen des Mischpults ein Videosignal hereinbekomme. Außerdem habe ich Videosignale auf Platte, direkt in Vinyl geschnitten, von einem eigenen Plattenschneider angefertigt – ich spiele sozusagen ein Bild als Ton von der Platte ab. Umgekehrt verwendet Billy mein Audiosignal als Input für ihre Videomixer und setzt sie als Effekt ein. So können wir verschiedene Arten von Rückkoppelung erzeugen und gleichsam Pingpong spielen. Auf technischer Seite gibt es also keinen Unterschied von Bild und Ton.

Höller: Und wahrnehmungsästhetisch? Welche Kriterien existieren dafür, wie Bild und Ton verfasst sein sollen?

dieb13: Da gibt es verschiedenste Weise um einzugreifen, und es ist klarerweise nicht zufällig, wie beide verfasst sind. Aber prinzipiell geht es darum, die Grenze zwischen Bild und Ton, die eigentlich sehr willkürlich ist, aufzuheben und mit dieser Aufhebung zu arbeiten.

Roisz: Für mich funktioniert das ganze dann am besten, wenn sozusagen reine Sinus- oder Brumm-Töne sichtbar gemacht werden, also gleichsam nur die elektrischen Signale. Die Musik hat insgesamt viel mehr Möglichkeiten, um zu einem gewissen Variantenreichtum zu kommen. Auf Bildebene existiert das nicht, was für mich einen kleinen Schwachpunkt darstellt. Ich nehme in der Live-Situation manchmal entweder das Bild ganz weg, oder lasse nur ein Standbild übrig. Wenn ich Musik höre, die zu variantenreich ist und dann auch noch viele unterschiedliche Bilder dazu kommen, stört das eher meine Konzentration.

dieb13: Die direkte Übersetzung wirkt im jeweils anderen Medium immer ein wenig plump. Wenn ich den Ton unverändert als Bild verwende, so ergibt dies ein recht simples Streifenmuster, das man relativ schnell durchschaut. Und wenn ich nur das Bildsignal in die Musikanlage schicke, so ist dies ein stehender Brumm-Ton mit ganz wenig Variation.

Höller: Wie lassen sich die beiden Komponenten gewichten, sodass nicht eines das andere ständig überschattet oder übertönt?

Roisz: Beide sind im Prinzip gleich dominant oder wichtig – was aber nicht heißt, dass beide immer gleichzeitig da sein müssen. Interessant sind vielmehr die Wechselspiele, weshalb ich etwa blinq gemacht habe, wo dieser ganze Prozess auseinandergenommen wird. Die interessante Frage war, wie der Ton das Sehen beeinflusst, auch wenn die beiden zur Gänze getrennt oder zeitlich zueinander versetzt sind.

Höller: Feedback, allgemein verstanden als das Zurückfüttern eines Signals in den medialen Kreislauf, spielt in euren Arbeiten eine zentrale Rolle. Aber auch Maschinen, die aus sich selbst heraus etwas generieren, ohne extern gefüttert zu werden, sind sehr wichtig. Erscheint euch der Prozess, der auf diesen Prinzipien basiert, als endlos produktiv, oder stößt man diesbezüglich auch an Grenzen?

dieb13: Für mich ist dies eigentlich der ideale Arbeitszustand. Ich versuche stets, ein „Werkel“ herzustellen, in das ich eingreifen kann, das aber auch ein Eigenleben hat und auf mich zurückwirkt. Auf diese Weise bildet sich eine Mensch-Maschine-Interaktion, die im Prinzip ewig laufen kann.

Höller: Interessant scheint mir in ästhetischer Hinsicht auch das Verhältnis von Reduktion zu Intensität. Aus dem Einsatz minimaler Mittel wird sozusagen die größtmögliche Wucht zu erzeugen versucht. Gehen die beiden Aspekte für euch Hand in Hand, etwa indem eine „Wall of Sound“ erzeugt wird?

dieb13: Eine Wall of Sound kann schon mal vorkommen, aber es geht uns eher um einen multiplen Minimalismus, das Schichten von kleinen Elementen.

Roisz:
Ich bin immer wieder überrascht, wenn man mich als Minimalistin bezeichnet. Aber klar verstehe ich, was die Einschränkung auf wenige Mittel bedeutet, wobei es mir mehr um ein möglichst großes Ausreizen der Andockstellen geht. Im möglichst direkten Zugriff auf das, was Auge und Ohr betrifft, liegt für mich das Intensive.

Höller: Intensiv kann es zum Beispiel musikalisch auch dadurch werden, dass ein extrem reduzierter, zerhackter Rhythmus und nichts sonst läuft.

dieb13: Nun, mit drei Plattenspielern und einem Computer hat man ja schon eine kleine Band beisammen. Schlagzeug, Bass, Gitarre und Gesang sind auch nicht mehr als vier.

Höller: Was dem Minimalismus bei euch von Anfang an zuwider lief, war und ist der sehr betonte Einsatz von Farbe. Bereits in oberflach (1999) kommt ein sehr kräftiges Rot vor, zu einer Zeit, als man sich in den einschlägigen Kreisen, in denen ihr euch bewegt, allenfalls ein zartes Grau oder Metallicgrün gestattet hat.

Roisz: Auch die Primärfarben sind für uns ein wichtiger Teil der Maschine, vor allem des Videomixers, den ich verwende und der mit Chroma-keying- und Superimpose-Effekten arbeitet. Mich hat die Farbe zudem stets als Element interessiert, das bei den BetrachterInnen starke emotionale Reaktionen bis hin zur Ablehnung hervorruft.

dieb13: Ich glaube, das hängt auch stark mit dem Aspekt digital–analog zusammen. Nicht nur, dass die Maschine aus den 1980er-Jahren stammt und die Primärfarben sich bei ihr gleichsam aufdrängen, sondern die Spät-90er- und Früh-00er-Jahre-Ästhetik war in ihren vielen Grauabstufungen extrem digital geprägt. All das hatte mehr mit der Techno-Kultur der 90er-Jahre zu tun, während das, was wir machen, andere musikalische Wurzeln hat, wobei es klarerweise auch Überschneidungen gibt.

Höller: Auf Sound-Ebene scheint es kein direktes Äquivalent zu dem zu geben, was die Farbe auf Bildebene ausmacht. Oder lässt sich letztere mit so etwas wie der Harmonie im Klang gleichsetzen?

dieb13: Bestimmte Klangfarben passen sicher ganz gut zur optischen Farbe. Aber auf Tonebene und von der digitalen Ästhetik her war das meiste, was du ansprichst, im Minimal-Techno-Bereich angesiedelt. Im Vergleich dazu war es in der holländischen VJ-Szene vor zehn Jahren schon gängig, mit Farbe und analogem Material zu arbeiten.

Roisz:
Etwas, das sich bei uns nur wenige, etwa reMI, erlaubt haben – die aber auch in Holland gelebt haben.

Höller: Kommen wir noch einmal auf euer Verhältnis zur Vinyl-Schallplatte zu sprechen. Zwei Arbeiten, -2.20 (2003) und Not Still (2008), handeln ja ganz zentral davon. Was ist das Faszinierende an diesem nicht tot zu kriegenden Medium?

dieb13: Für mich war der Ausgangspunkt ein ganz bestimmtes Fetischobjekt, das aus einer Kooperation zwischen dem Charizma-Musiklabel und dem Jimmy-Draht-Comiclabel hervorgegangen ist. Die beiden haben 2002 eine Platte herausgebracht, die Platte hieß. Die Vinylplatte, die besiebdruckt war, enthielt unter anderem den Track „-2.20“ von mir, dazu gab es Siebdrucke auf Karton in Plattenformat, von denen einer von Billy stammte. In der Folge ist auch das Video entstanden, das ausschließlich von Vinyl als Fetisch bzw. Kulturobjekt handelt.

Roisz: Not Still war sozusagen die vertiefende Bearbeitung des Themas, wobei ich wirklich versucht habe, mit mikroskopischen Aufnahmen in die Tiefe der Rille einzudringen. Wichtig war für mich auch die Verlinkung der Aspekte Zelluloid und Vinyl, als zwei Medien, auf deren Oberfläche man Bild und Ton gleichsam noch sieht. Aber auch Techniken, die daran anknüpfen, wie Cut-up oder Sampling, sollten in der Arbeit ineinander verschränkt werden.

dieb13: Wahrscheinlich sind die beiden das, was als Medium historisch übrig bleiben wird. Schließlich haben sie das ganze 20. Jahrhundert dominiert, während heute Bild und Ton vom Datenträger völlig losgelöst sind. Vermutlich wird es kein fassbares Nachfolgesystem zu Vinyl und Zelluloid geben, das jemals wieder so wichtig wird. Vor 1900 hat es keine Ton- und Bildaufzeichnung gegeben, während sie heute an nichts Physisches mehr gebunden ist.

Höller: Die Vinylplatte als Inbegriff analoger Musikrezeption stellt etwas Greifbares, Haptisches, Reales dar. Seit etwa 2008 kommen auch in euren Videoarbeiten mehr und mehr „Realbilder“ zum Einsatz – was gab dafür den Ausschlag?

Roisz: Einerseits lag dies sicher an der Arbeit mit der Mikroskopkamera, die ich bei Not Still einsetzte. Andererseits gab es in der darauffolgenden Arbeiten, nämlich Close Your Eyes (2009), eine ganz reale Inspiration, nämlich das Buch Unselige Wunder von Henri Michaux, worin er seine Meskalinexperimente beschreibt. Michaux spricht darin über ganz abstrakte Regungen, aus denen immer wieder Bilder hervorgehen. Abstraktion ist für mich prinzipiell etwas, das vom Konkreten ausgeht, aber über Michaux begann mich auch die umgekehrte Richtung zu interessieren, wo am Ende auf einmal ein Tierbild auftaucht.

Höller: Gibt es auf Musikebene einen vergleichbaren Prozess? Auf Chiles en Nogada (2011), kommt mir vor, wird stärker als je zuvor mit Samples gearbeitet.

dieb13:
Eigentlich war dies bei mir seit eh und je so. Ich habe, wenn ich live spiele, immer auch Platten mit Sprach-Samples, mit ganz simplen Beats oder anderem konkretem Material dabei. Ich ziehe dieses Material aber meist in eine Richtung, wo man es nicht mehr als solches erkennt. Umgekehrt versuche ich auch, eher abstrakte, flächige Sounds zu rhythmisieren. Das Wechselspiel geht also in beide Richtungen.

Höller: An Close Your Eyes und Chiles en Nogada fällt ein ausgesprochen psychedelischer Zug auf – die Bildfetzen tauchen darin auf geradezu „geisterhafte“ Weise auf und verschwinden wieder. Ist dies der einzige gangbare Weg, um mit Realbildern umzugehen?

Roisz:
Nicht der einzig gangbare, aber als ich Michaux gelesen habe, hat mir das eine Möglichkeit eröffnet, mit konkretem Material umzugehen. Plötzlich gab es einen Kreativitätspool, der so für mich nicht da gewesen war.

dieb13:
Das psychedelische Moment ist meiner Ansicht nach mehr eine Frage der Rezeption, und nicht so sehr eine der Intention dahinter. Es geht uns hier nicht darum, Geister- oder Drogenerlebnisse zu verarbeiten.

Höller: Ich meine auch mehr das Aufblitzen ganz bestimmter Elemente im Strom der Klänge und Bilder, so wie Erinnerungsfetzen, die plötzlich da sind, ohne dass man groß danach gesucht hätte.

dieb13: Unserer Komposition haben wir kurze Textausschnitte von Michaux, angeordnet auf einer Zeitleiste, zugrunde gelegt. Das heißt, es gab gewisse Vorgaben, wodurch automatisch wieder eine Art Geschichte entstand. Wir verwendeten hier also wirklich eine Partitur aus Texten, Zeichnungen etc. Das Rauschhafte liegt also sicher nicht in der Machart.

Höller: Chiles en Nogada wirkt demgegenüber wie ein Reisetagebuch. Wobei die Mittel der Verzerrung und Entzerrung, teils wie auf Postkartenansichten angewandt, eine große Rolle spielen.

Roisz: Tatsächlich ging es dabei um eine Art Reise-Rückerinnerung. Wir waren in Mexiko und versuchten in der Folge, reale Bilder, Erinnerungen und Abstraktes miteinander zu verbinden. Das grenzt schnell einmal ans Psychedelische. Aber das war nicht der primäre Fokus des ganzen.

Foto dieb13: Dieter Kovačič

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