„Jeder Satz „erzählt“ sozusagen eine eigene Geschichte“ – Bernd Richard Deutsch im Interview

BERND RICHARD DEUTSCH, geboren in Niederösterreich und in Wien lebend, zählt seit vielen Jahren zu den musikalischen Weggefährten des TONKÜNSTLER-ORCHESTERs. Schon vor sechs Jahren, anlässlich der Saisoneröffnung 2014, präsentierte das Tonkünstler-Orchester die Uraufführung des ersten Auftragswerks an den Komponisten: ein Tripelkonzert für Blechbläser und Orchester. Für die Entstehung des neuen Cellokonzerts gab dessen Widmungsträger, der Cellist JOHANNES MOSER, wichtige Impulse. Mit ihm gemeinsam wird es von den Tonkünstlern und Chefdirigent YUTAKA SADO am Freitag, 6. März, im WIENER MUSIKVEREIN uraufgeführt. Im Interview mit Ute van der Sanden spricht Bernd Richard Deutsch über sein neues Konzert, die Zusammenarbeit mit Johannes Moser – und darüber, was ihm Kompositionspreise bedeuten.

Wieso ist Ihr jüngstes Werk, das Sie im Auftrag des Hessischen Rundfunks und des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich geschrieben haben, ausgerechnet ein Cellokonzert geworden?

Bernd Richard Deutsch: Die Anregung kam von Johannes Moser. Boosey & Hawkes, mein Verlag, hatte ihm einige Aufnahmen meiner Werke geschickt, und meine Musik gefiel ihm so gut, dass er sich ein Konzert von mir gewünscht hat. Mich hat die Idee sofort sehr angesprochen, denn es ist ungemein inspirierend, mit einem so herausragenden Solisten zusammenzuarbeiten.

Inwieweit hat Johannes Moser, dem Sie das Konzert dann auch widmeten, an der Entstehung mitgewirkt?

Dieses Cellokonzert hat eine sehr lange Entstehungsgeschichte. Ein Teil des Werks, die erste Hälfte des ersten und ein großer Teil des zweiten Satzes, entstanden schon Anfang 2016. Ich musste die Arbeit zugunsten anderer Projekte immer wieder unterbrechen, den dritten und vierten Satz und den Schluss des ersten Satzes konnte ich erst im Sommer 2019 fertigstellen. Skizzen und Ideen dazu gab es aber schon seit langem. Zwischendurch habe ich Johannes Moser immer wieder fertige Teile der Solostimme geschickt. Intensiv zusammengearbeitet haben wir erst nach der Fertigstellung der Partitur. Wir haben uns mehrmals getroffen und sind die Solostimme Ton für Ton durchgegangen im Hinblick auf technische Fragen, Spielbarkeit und Artikulation, und ich habe daraufhin noch einige Details angepasst. Ich denke aber, dass Johannes’ Persönlichkeit unbewusst immer auf die Komposition eingewirkt hat. Ich finde es immer sehr wichtig und anregend, wenn ich für einen Solisten schreibe, mich mit seinem Charakter und seiner Art zu spielen auseinanderzusetzen – das heißt auch, seine Aufnahmen oder ihn live zu hören.

„Dem ,konzertanten’ Prinzip des Dialogs, des Kontrasts etc. scheint meine Musik sehr entgegenzukommen.“

In den vergangenen Jahren haben Sie etliche Solokonzerte geschrieben: 2014 wurde im Musikverein Ihr Tripelkonzert für Trompete, Posaune, Tuba und Orchester vom Tonkünstler-Orchester uraufgeführt, auch die Solopartien wurden von Musikern des Orchesters gespielt. Aus Ihrer Feder stammen außerdem ein Oboen-, ein Violin-, ein Fagott-, ein Orgel- und ein Shengkonzert. Haben Sie ein besonders inniges Verhältnis zu dieser musikalischen Form?

Diese Häufung von Konzertstücken hängt auch mit Aufträgen zusammen, es besteht seitens der Veranstalter, aber auch der Solistinnen und Solisten ein großes Interesse daran. Aber es stimmt, dass mich die Form des Konzerts immer schon sehr beschäftigt hat. Dem „konzertanten“ Prinzip des Dialogs, des Kontrasts etc. scheint meine Musik sehr entgegenzukommen.

Die Nachvollziehbarkeit des Formellen ist Ihnen immer wichtig gewesen. Spiegelt es sich auch in Ihrer jüngsten Komposition wider, sprich, in der traditionellen Struktur mit zwei schnellen Ecksätzen und dem langsamen Mittelsatz? Und in welchen Dingen außerdem?

Die Form des Cellokonzerts entspricht nicht dem klassischen Modell, das Werk ist wie erwähnt viersätzig und ähnelt dadurch formell vielleicht eher einer Symphonie. Die Tempofolge ist: mäßig schnell, schnell, langsam, schnell, die Sätze zwei, drei und vier gehen ineinander über. Es gibt nicht die klassische Kadenz, wobei einige Solomomente als solche gesehen werden könnten: einen kurzen unbegleiteten Moment im zweiten Satz und einen mit Streichertremoli unterlegten längeren Abschnitt im dritten Satz. Jeder Satz „erzählt“ sozusagen eine eigene Geschichte, und einige Elemente kehren im ganzen Stück wieder.

„Es beginnt mit einer Art Urknall“, sagten Sie über Ihr neues Akkordeon-Konzert, einem Auftragswerk der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, das im Oktober 2019 uraufgeführt wurde. Lässt das Cellokonzert ähnlich Eruptives erwarten?

Ganz im Gegenteil: Das Cello beginnt allein mit einem quasi aus dem Nichts kommenden g’ als erstem Ton einer melodischen Gestalt, sozusagen der Grundidee des ersten Satzes und einem wichtigen Element, auf das im gesamten Stück immer wieder Bezug genommen wird.

Von welchen Gedanken ließen Sie sich bei der Instrumentierung leiten?

Das Cello gilt als balancetechnisch heikles Instrument. Nicht umsonst haben Komponisten oft sehr kleine Orchesterbesetzungen gewählt – Schostakowitsch beispielsweise ohne Blech mit nur zwei Hörnern. Bei mir ist das Orchester vergleichsweise riesig besetzt: dreifaches Holz, vier Hörner, je drei Trompeten und Posaunen, Tuba, Pauken, drei Schlagzeuger, Harfe, Klavier und Celesta, Streicher. Es wird jedoch immer sehr differenziert eingesetzt, der Solist wird meist nur von einzelnen Gruppen begleitet.

„Ich denke, dass es für mich sehr wichtig war, diese Preise erhalten zu haben.“

Ihre Arbeiten wurden mit vielen Preisen ausgezeichnet. Stellvertretend seien hier der Paul Lowin Prize, der Musikpreis der Stadt Wien, der Hindemith-Preis des Schleswig-Holstein Musik Festivals, der Erste Bank-Kompositionspreis, der Tōru Takemitsu Award und der Ernst-Krenek-Preis der Stadt Wien genannt. Wie wichtig sind Ihnen solche Ehrungen?

Ich denke, dass es für mich sehr wichtig war, diese Preise erhalten zu haben. Sie haben geholfen, mehr Bekanntheit zu erlangen, und einige dieser Preise haben sicherlich auch Aufträge bewirkt.

Sie gehören zu den meistbeschäftigten und meistgespielten österreichischen Komponisten, erhalten Aufträge von Festivals und Institutionen wie Wien Modern, den Klangspuren Schwaz, dem Staatstheater Stuttgart und dem Schleswig-Holstein Musik Festival, vom Cleveland Orchestra und vom Concertgebouworkest. Müssen Sie angesichts einer solchen Auftragslage auch mal ablehnen?

Mittlerweile muss ich das sehr oft. Ich hatte in den letzten Jahren fast nur noch Aufträge für Werke mit Orchester, und dieser Trend setzt sich weiter fort. Dadurch bleibt mir keine Zeit mehr für kammermusikalische Besetzungen beispielsweise, obwohl es da regelmäßig Anfragen gab und gibt. Orchesterkompositionen brauchen einfach zu viel Zeit, und ich arbeite langsam und gründlich.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Ute van der Sanden

Das vollständige Gespräch mit Bernd Richard Deutsch wird im Programmheft des Tonkünstler-Orchesters zu den Konzerten vom 6. bis 9. März im Wiener Musikverein, in Grafenegg und im Festspielhaus St. Pölten veröffentlicht.

Das Konzertprogramm wird vom ORF aufgezeichnet und am Donnerstag, 19. März 2020, um 19.30 Uhr in der Sendereihe «Das Ö1 Konzert» in Radio Österreich 1 ausgestrahlt.

Links:
Tonkünstler-Orchester
Musikverein Wien
Bernd Richard Deutsch