„Für mich sind Songs Geschichten” – VERENA WAGNER

VERENA WAGNER ist die Queen des Kärntner Dialekt-Pops. Ihr Debutalbum “Nirgendwohin” läuft im Regionalradio und auf Ö3. Die Zeichen stehen also günstig für eine größere Karriere. Trotzdem ist sie selbstkritisch, hat Zweifel. Mit dem mica sprach sie über Trotz, Scheitern und Selbstentblößung.

Dein aktuelles Album heißt “Nirgendwohin”. Wie kam es zu dem Titel?

Verena Wagner: Mein Weg war ein langer und unwegsamer. Meinen ersten Song hab ich erst mit Siebenundzwanzig geschrieben. Ich habe mich zwar immer mit Musik beschäftigt, aber vorher studiert und mich lange nicht getraut, der inneren Stimme zu folgen. Auf diesem Weg haben mich immer wieder Leute gefragt, wohin das denn führen soll. Und irgendwann hab´ ich aus Trotz geantwortet: „Ist doch egal. Selbst wenn es nirgendwohin führt, ich mach das jetzt einfach. Ich gehe diesen Schritt, obwohl ich nicht weiß, wohin das führt.” Das Album vereint dieses Trotzgefühl, weil ich nie den schönen, klassischen Künstlerweg gegangen bin.

Gibt es denn überhaupt noch oder ist das nicht ohnehin nur ein Klischee?

Verena Wagner: Vielleicht, aber ich werde oft damit konfrontiert, und man hat Vorbilder, mit denen man sich vergleicht. Da gibt es dann die, die mit Zwölf ihren ersten Song geschrieben und mit Siebenundzwanzig bereits ihr drittes Album veröffentlich haben. Ich hatte auch keine Vorbilder im Umfeld oder in der Familie. Was ich schon immer hatte, waren kluge Leute, die mir Ratschläge erteilten und sagten: „Wenn du das machen willst, musst du das so oder so tun…” Es gab tatsächlich jemanden, der mir erklärt hat: „Mit dreißig ein Album zu machen, ergibt doch keinen Sinn. Mit dreißig ist eh Schluss.”

Wird nicht gerade das durch Starmania und andere Casting-Shows geschürt, wo es in der Regel ein maximales Alter gibt und der Eindruck vermittelt wird, mit Mitte Zwanzig gehöre man schon zum alten Eisen? Bis dahin müsse man es jedenfalls geschafft haben…

Verena Wagner: Über Castingshows könnten wir uns unterhalten, da bin ich relativ kritisch. Ich wurde vor wenigen Jahren tatsächlich mal gefragt, ob ich bei “The Voice of Germany” mitmachen wolle. Ich wurde von einem Talentscout angeschrieben, habe das aber schnell abgelehnt, auch um mich selbst zu schützen.

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Weshalb?

Verena Wagner: Weil ich zwar glaube, dass dieses Format, wenn du entspannt und selbstreflektiert bist, etwas bringen kann, dass es aber auch etwas zerstören kann. Es kann gefährlich für die eigene Künstlerseele sein.

Ich habe vor einiger Zeit die Starmania-Siegerin Anna Buchegger interviewt. Die wusste zwar ganz genau, worauf sie sich einlässt, aber trotzdem – und das wäre bei dir ähnlich -will sie für etwas anderes gemocht werden als das, wofür ihr letztlich der Preis verliehen wurde. Ihr geht´s halt genau wie dir vorrangig um die eigene Kunst und nicht ums getreue Nachsingen fremder Kunst.

Verena Wagner: Bei der letzten Staffel machte eine Bekannte von mir mit. Sobald jemand halbwegs singt, wird er gefragt: „Weshalb gehst du nicht zu einer Casting-Show? Dann kannst du´s schaffen.” Kunst zu machen, ist ein lebenslanger Prozess. Das ist was, was du dein Leben lang tust. Natürlich träume ich davon, auf einer großen Bühne vor tausenden Leuten zu stehen. Gleichzeitig gibt es so viele, die sich nicht für deine Musik interessieren. Es gibt so viele Absagen. Und irgendwann musst du dir, wenn der Erfolg nicht kommt, die Frage stellen: Was, wenn er nie kommt? Aber auch, wenn dir ein zwei Hits gelingen, taucht die Frage auf. Dann lautet sie halt: Was mach ich nach dem ersten, nach dem zweiten Hit? Welches Leben will ich eigentlich führen? Warum mache ich das? Weil ich etwas erschaffen will oder weil ich nicht anders kann?

„Kunst zu machen, ist ein lebenslanger Prozess.”

Der Podcast “Noch kein Superstar” begleitet dich beim Versuch, den Traum vom Popstar zu verwirklichen. Was waren die Beweggründe dafür?

Verena Wagner: Wir wollen zeigen, wie es ist, wenn du dich auf dem Weg befindest, aber eben noch kein Star bist und vielleicht auch nie einer wirst. Wie geht es dir auf dem Weg? Wir sehen oft Interviews mit Leuten, die es geschafft haben und zurückblicken…

… und dann so belangloses Zeug sagen wie: „Ich würde alles wieder so machen.”

Verena Wagner: (lacht) Genau. Übers Scheitern zu reden, wenn du ein Star bist, ist etwas ganz anderes als übers Scheitern zu reden, wenn du noch keiner bist.

Scheitern ist doch immer relativ. Auch jemand, der noch kein Star ist, findet ein Publikum. Es müssen ja nicht 50.000 im Wembley-Stadion sein. Mitunter reichen fünfzig Zufriedene auf einem kleinen, intimen Konzert auch, oder nicht?

Verena Wagner: Auf jeden Fall. Das Schöne ist ja, dass man sich von einem Publikum überraschen lassen kann. Das Publikum ist immer noch ein Faktor, den man nicht berechnen kann. Viele glauben zwar, dass eine bestimmte Nummer zu tiefsinnig ist und man sie deshalb kommerzieller gestalten müsse, um Erfolg zu haben. Aber die richtigen Leute finden schon zu dir, und das ist etwas total Befriedigendes. Und wenn es nur einer ist, der dir erklärt, er wisse genau, worum es dir in dieser einen Zeile geht, und das Lied, das du geschrieben hast, handle in Wahrheit von ihm… Das zutiefst Persönliche ist zugleich immer auch das zutiefst Universelle.

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Klingt einfacher als es ist. Um jemanden so zu treffen, muss man sich vorher ja erst einmal selbst entblößen, oder?

Verena Wagner: Das stimmt, das ist nicht leicht.

Warum tust Du´s?

Verena Wagner: Ich hab mich lange gefragt, ob ich überhaupt so etwas wie eine Künstlerin bin – man hat ja diverse Bilder im Kopf, was eine Künstlerin ausmacht – und gemerkt, dass ich dieses Entblößen ohnehin mache. Ich tu das sowieso. Ich stelle mir Fragen, die sich andere vielleicht nicht stellen, weil mich z.B. die Abgründe von Beziehungen interessieren. Wie ist das in der Liebe? Wir reden immer über die große Liebe, die große Eifersucht, aber letztlich geht es um Nuancen. Wie ist das, wenn du jemanden liebst, aber hin und wieder doch deine Zweifel hast? Wie sehen die aus? Was passiert, wenn du dir die Fragen stellst? Wie fühlt sich das an? Das ist es, was mich interessiert. Darüber nachzudenken und mir diese Fragen zu stellen.

Ich hab auf deiner Homepage den Satz „Ehre deinen ganz persönlichen Weg, denn das bist du ihm schuldig” gelesen. Was genau meinst du damit?

Verena Wagner: Damit meine ich tatsächlich diesen Vergleich mit dem Weg anderer, weil ich selbst mit meinem Weg, sobald ich ihn mit den Wegen anderer verglich, unzufrieden war. Da fragt man sich: Warum bin ich nicht schon früher auf diesen Weg geschwenkt? Warum dauert es bei mir länger als bei anderen? Die Antwort ist: Vor zehn Jahren hätte ich es einfach noch nicht können. Ich war noch nicht so weit, hatte nicht den Mut und das Selbstvertrauen. Ich wusste zwar, da ist etwas, da ist eine Stimme, aber ich habe es einfach nicht geschafft, warum auch immer. Man geißelt sich sehr oft selbst dafür, dass man gewisse Dinge anders gemacht hat als andere. Mit dem „Ehre deinen Weg” meine ich, zu diesem dreiundzwanzigjährigen Ich zurückzuschauen und zu sagen: „Weißt du was, du gibst eh dein bestes. Mit all den Herausforderungen, die es gibt.” Ich brauch das für mich, manchmal innehalten und zu sagen: Entspann dich. Das war einfach dein Weg. Das war einfach nicht der, schon mit Dreiundzwanzig auf einem Festival zu spielen.

Bild Verena Wagner
Verena Wagner (c) Carina Antl

Vielleicht ist die Dreiundzwanzigjährige ja auch mit Dreiunddreißig schon verheizt und hat keinen Bock mehr.

Verena Wagner: Guter Punkt. Mich stört das, selber in solchen Dimensionen zu denken. Ich weiß ja auch, dass es idiotisch ist, trotzdem falle ich hin und wieder drauf rein.

Du hast auf deiner Homepage auch etwas übers Zweifeln geschrieben. Es gibt da diesen schönen Song von Tocotronic: „Im Zweifel für den Zweifel“. Bist du dem eigenen Schaffen gegenüber überkritisch? Bist du mitunter selbst dein größter Gegner?

Verena Wagner: Ich bin schon sehr kritisch mir selbst gegenüber und wahrscheinlich bin ich auch mein größter Gegner, ja. Schon seit ein paar Jahren laufen meine Songs auf den Regionalradios und seit einem Jahr auch auf Ö3, aber nur in dieser Hoamatsound-Sendung in diesem einstündigen Slot, wo sie Dialektmusik spielen. Vor einem Jahr noch war es trotzdem ein Traum für mich, auf Ö3 gespielt zu werden. Ein paar Monate später ist es dann schon normal und man fängt an zu denken, dass man auch gerne tagsüber gespielt werden würde. Mehrmals. Dieses “trotzdem immer mehr wollen” ist da. Da muss man schon aufpassen. Nicht zu schnell unzufrieden zu werden und zu ungeduldig mit sich selbst zu sein. Ich bin leider sehr fordernd, was mich selbst und meinen Erfolg, meine Leistung betrifft.

Wie bist du zu deinem Produzenten gekommen?

Verena Wagner: Das Lied „Windradl” hab ich noch relativ einfach in Kärnten produziert, hab aber gefühlt, dass ich was brauche, was mehr Druck hat. David Piribauer wurde mir empfohlen, und es hat von Anfang an gepasst. Ich hab zehn Jahre in Wien gelebt, da gibt es super Produzenten, aber ich wusste nicht, ob ich da reinpasse.

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Wieso? Weil Kärtner Dialekt und Wien nicht zueinander passen?

Verena Wagner: Nein, das war es nicht. Es war eher ein Gefühl von mir, dass ich es nicht zu kommerziell machen wollte. Ich wollte mit jemandem Musik machen, der zu mir sagt: „Weißt du was, wir machen jetzt einfach Musik und denken nicht über Formate nach.“

Die ersten zwei, drei Jahre haben wir nur Musik gemeinsam gemacht. Der Dialekt war nie ein Thema. David hat nie gemeint, wir machen jetzt Austropop. Der Song hat sich das Genre ausgesucht. Die ersten Jahre waren wir in einer Blase in Pinkafeld. Erst dann wurde dieses Musikbusiness von außen an uns herangetragen.

Kamen Anfragen von Major-Labels?

Verena Wagner: Nein, das nicht, aber Reaktionen von Radios, Feedback von Radio-Promotoren und PR-Menschen: Das Schlagzeug ist zu laut, den Song werden sie nie auf Ö3 spielen. In dem Song kommt das Wort “scheißegal” vor, was für viele Regionalradios zu hart ist. Et cetera.

Der Schriftsteller Robert Schindel hat einmal gemeint, man brauche im Umgang mit Kritik eine zugleich dünne und dicke Haut. Das sei die Schwierigkeit. Was hast du beherzigt, was verworfen?

Verena Wagner: Das ist nicht einfach. Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich keinen kommerziellen Erfolg will. Aber es gibt natürlich eine Grenze. Ein Song auf dem Album heißt „Moon Story”. Da sind die ersten beiden Strophen auf Englisch, der Refrain auf Englisch, die dritte Strophe aber im Dialekt und dann geht´s wieder englisch weiter. Dieses Lied ist einfach passiert. Wir brauchten eine dritte Strophe, und die ist mir einfach im Dialekt eingefallen. Warum auch nicht. Von einer Promotorin erhielt ich das Feedback, dass man damit nicht auf Ö3 gespielt werde. „Jetzt bist du schon im Dialekt bekannt, kann man das nicht umdrehen, dass du im Dialekt anfängst und man das gleich wiedererkennt?” Da sag ich natürlich ganz klar: „Nein”. Das macht einfach keinen Sinn. Der Inhalt der Strophe ist an der richtigen Stelle platziert. Für mich sind Songs Geschichten. Das wäre ja in etwa so, als würde ich bei einem Buch die Kapitel vertauschen. Es gibt einen Song auf dem Album, der heißt „Bleib am Leben”. Da habe ich mir danach oft gedacht, ob man das nicht kommerzieller machen könnte, weil vom Refrain her viel Potenzial drinsteckt, aber es gibt einen Tempowechsel. Da bekam ich von vielen Musiker*innen das Feedback, dass der Tempowechsel komisch sei. Das bespricht man dann intern, weil einen das verunsichert und man sich fragt, ob man mit dem Song mehr erreichen würde, wenn man ihn verändern würde. David meinte damals, der Tempowechsel genau an dieser Stelle sei wichtig, weil im Song genau da auch etwas kollabiert. Das muss man spüren, fühlen und hören. Als er das sagte, wusste ich, dass er weiß, was ich genau mit dem Song bewirken wollte.

Bild Verena Wagner
Verena Wagner (c) Carina Antl

Die Frage ist doch auch, ob die Änderung dann genau das bewirken würde, was man damit bezwecken will. Ein wenig kommt mir das so vor, als ob man zu den Stranglers gesagt hätte: „Bitte spielt´s Golden Brown doch im Viervierteltakt.” Wäre die Nummer dann erfolgreicher gewesen? Wohl kaum.

Verena Wagner: Wenn du mit Musikern redest, kommst du gar nicht auf die Idee, ein Gitarrensolo rauszunehmen. Auf „Moon Story“ ist ein Gitarrensolo drauf. Spielt heute fast keiner mehr im Radio, weil es nicht funktioniert.

„Tatsächlich ist mir der Dialekt passiert.“

Wie bist Du überhaupt zur Dialektmusik gekommen? Mit welcher Musik bist Du aufgewachsen?

Verena Wagner: Eine gute Frage, weil ich gar nicht mit Dialektmusik aufgewachsen bin. Tatsächlich ist mir der Dialekt passiert. Irgendwann hat ein Musikerkollege, als ich im Dialekt sang, zu mir gesagt: „Hei, der Dialekt steht dir. Wieso schreibst du nicht im Dialekt?” Vorher hatte ich nie drüber nachgedacht. Das war also kein systematisches Ding. Und mit dem Dialekt hatte ich dann sofort ein Bild im Kopf, wer ich sein könnte. Im englischen Pop sah ich mich nie. Was ich schade finde ist, dass wir der Dialektmusik immer dieses Heimat-Label drüberstülpen. Aus Scham, weil wir´s trotzdem ein bisschen ländlich und uncool finden. Warum kann es nicht das sein, was es ist? In Frankreich oder Italien wird nicht groß angekündigt, dass man jetzt eine Stunde Musik im Dialekt spielt. Da wird die Musik einfach gespielt. Einfach Musik in der eigenen Sprache. Punkt.

Wie siehst du die Szene?

Verena Wagner: Es tut sich viel in diesem Bereich. Es ist schon ein Wahnsinn, was sich entwickelt hat. Vor ein paar Monaten hab ich mich mit Birgit Denk getroffen. Sie hat auch gemeint: Vor zwanzig Jahren noch war Dialekt völlig verpönt. Es ist schon toll, was sich da getan hat.

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

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Verena Wagner (geboren in St. Veit) nahm zunächst Theaterunterricht und studierte Publizistik in Wien, bevor sie sich für eine Musikerkarriere entschied. Es war Produzent David Piribauer, der nach vielen Jahren in Los Angeles ihrem Sound den internationalen Touch verlieh, den sie suchte, sagt sie. Als Siegerin des “Rock the Island-Contests” bespielte sie neulich die große Ö-3-Bühne am Donauinselfest in Wien. Sie lebt in Klagenfurt.

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