Ein Raum voller Klang – oder doch ein Klang voller Räume?

Zeit und Ort durchbrechen, neue Ebenen erschaffen – wie entsteht ein noch nie dagewesener Raum? Die 35. Ausgabe des Festivals Wien Modern bietet die Bühne, ja den Raum, für neue Visionen. So auch für Martina Claussen, die 2020 den „Publicity Preis“ des SKE-Fonds (Soziale & kulturelle Einrichtungen der Austromechana) gewann und dadurch ein neues Kunstprojekt initiieren konnte: „Blackboxed Voices – I am Here“. Dystopie, das Hier und Jetzt sowie der Krieg in Europa sind unterschiedliche Einflüsse, die auf die Grundstimmung ihres Werks einwirken, ohne dabei semantische Positionen einzunehmen.

Ursprünglich wurde Claussen als klassische Mezzosopranistin an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien ausgebildet, bevor sie die Ästhetik und Kunst der elektronischen Musik entdeckte und den Lehrgang für elektroakustische und experimentelle Musik an der mdw-Universität für Musik und darstellende Kunst absolvierte. Als Gesangsprofessorin verlor sie ihre Begeisterung für die Stimme nie, wovon selbst der Titel ihres Stücks zeugt. Nun bringt sie alle Gebiete, mit denen sie sich auf künstlerische Weise auseinandersetzt, in ihrer jüngsten Komposition zusammen. Dabei sollen Ebenen durchbrochen, Gegensätze verknüpft und bewusster Freiraum geschaffen werden. Sie selbst beschreibt ihr Werk als „performative Klanginstallation”, die vier Ebenen umfasst: Musik, Lichtarchitektur, Raum und Performance.

Ein Jahr lang sammelte sie im Zuge von Feldaufnahmen oder direkt im Tonstudio bei sich zu Hause Klänge, Geräusche und Stimmen, darunter vor allem nicht im akademischen Umfeld ausgebildete Stimmen. Ihr Ziel ist, das „Pure“ hervorzubringen, mithilfe von Aufnahmen Klänge aus Zeit und Ort zu holen und in neue Kontexte zu setzen. 

Für den Ort der Uraufführung wählte die Künstlerin die Säulenhalle im Semperdepot des Atelierhauses der Akademie der bildenden Künste Wien. Dieser Raum dient als Zentrum des Werks, als zentrales Instrument. Thomas Gorbachs „Akusmonium“, ein Lautsprecherorchester, mit dem neue Klangskulpturen erschaffen werden können, fungiert als wesentliches Medium der Klangübertragung. 32 Lautsprecher, eben jene „Blackboxes“, setzt Claussen im Raum verteilt ein, richtet sie verschieden aus, experimentiert mit unterschiedlichen Frequenzen, eröffnet durch diese technischen Möglichkeiten, klangliche Wellen und Kreise durch Vibrationen unter die Zuhörenden zu schicken, ganz neue Klangwelten. Mit wenig Text, dafür Klang in verschiedensten Facetten, einer regelrechten „Klangdusche“, wie Claussen selbst sagt, die live reguliert beziehungsweise performt wird, wollen die Kunstschaffenden eine dystopische Stimmung hervorrufen. Der „Klangpool“, aus dem die Komponistin schöpft, wird genutzt, um die Wände mittels der Lautsprecher zum Klingen zu bringen.

Die verschiedenen Hörquellen laden dazu ein, sich selbst an unterschiedlichen Orten des Raumes aufzuhalten, da sich je nach Position auch das gesamte Erlebnis verändert. Doch erwähnt die Komponistin, trotz des bewussten Brechens der sonst so typischen Rituale eines Konzerts, während der Aufführung an einem Ort zu verweilen, um den gewollten klanglichen „Overkill“ möglichst intensiv zu erleben.

Vier Performende (Brigitte Wilfing, Tobias Leibetseder, Patric Redl und Alex Franz Zehetbauer) erzählen in der Choreografie von Wilfing eine individuelle Geschichte und verkörpern dabei eine nicht greifbare Traumwelt. Aus der Kombination mit Musik und Licht schaffen die Künstlerinnen und Künstler ein Spiel aus Nähe und Distanz. Mal verhalten sich beide Elemente synchron, mal machen sie etwas komplett Verschiedenes. Bereichert werden diese Lichtspiele nicht nur durch Scheinwerfer, sondern auch durch Projektionen, magnetische und mobile Lichtquellen an den Säulen sowie durch reflektierende Kostüme von Patrizia Ruthensteiner. Die von Conny Zenk inszenierte Lichtinstallation bildet ebenso einen Kontrapunkt wie auch eine Ergänzung zu den Klangerscheinungen. Die Stimme im Raum gilt als zentrales Mittel, das eingebettet ist in die Lichtgestaltung und den durchgetakteten, aber in sich nochmals freigelassenen Ablauf. Die feststehenden Zeitintervalle begünstigen auch die durchdachte Szenerie, welche zudem den Künstlerinnen und Künstlern in den „Timeframes“ Platz für Improvisation lässt. Das Stück lebe vom „Verweben“ der vier Ebenen, so beschreibt Claussen ihren Ansatz, jedoch sollen sie nicht – oder aber auch ganz bewusst – in Konflikt miteinander geraten. Dennoch könnte jede Säule ebenso autark funktionieren. Mit diesem Kollektivkunstwerk eint die Komponistin ihre Vision, Klängen und der Stimme einen Raum zu geben.

Magdalena Mittermayr, Susanna Hoppe, Eva Gesierich