Eine Erwartungshaltung gegenüber zeitgenössischer Musik zu entwickeln, ist gar nicht so leicht, da sie oft mit Konzepten einhergeht, die wir in der klassischen Musik nicht finden. Es geht unter anderem darum, neue Klangfarben statt eingängige Melodien zu entdecken und auf diesem Weg die Wahrnehmungsgrenzen zu erweitern. So ist es auch naheliegend, dass solche Musik sehr schnell sehr komplex wird. Aber ist komplex automatisch besser, weil es anspruchsvoller zu hören und zu spielen ist? Was passiert, wenn bei so viel Kalkül, bei der akribisch genau notierten Spielweise eines Stückes am Ende scheinbar nur Chaos und Willkür als Höreindruck übrig bleibt?
Das Arditti Quartet stellte sich im Rahmen von Wien Modern im Wiener Konzerthaus der Herausforderung, dieser Gefahr zu trotzen. Zu hören waren das Streichquartett Nr. 5 von Brian Ferneyhough (2006), das Streichquartett Nr. 3 von Elliot Carter (1971) und der dreiteilige Zyklus „paramyth“ von Clemens Gadenstätter (2012–2014). Das Programm hatte ein konkretes Ziel: Dem Publikum einen „Simple Guide To Complexity“ zu bieten. Allerdings hörte sich der Einstieg nicht wirklich simpel an. Vielmehr kam der Gedanke auf, man könnte hier ins kalte Wasser geschubst werden. Jedoch sollte sich über den weiteren Verlauf des Abends herausstellen, dass diese Methode vielleicht der einfachste Weg ist, sich mit solch schwierig zu erfassender Musik tiefgreifend auseinanderzusetzen. Das Quartett hat hierbei mit beeindruckender Selbstverständlichkeit ein immer schwieriger zu spielendes Programm immer einfacher klingen lassen. Während zu Beginn des Abends noch klare Konfusionen der Artikulation oder Dynamik erkennbar waren, so zerflossen diese im Laufe der Stücke immer mehr und bildeten eine fragile Klangwelt der Unförmigkeit, der man die Frage nach ihrer Komplexität nicht mehr stellen brauchte, denn die Komplexität erklärte sich nicht mehr selbst, sie existierte einfach.
Jonathan B. Hofmann
Diese Kritik über das Konzert mit dem Titel „A Simple Guide to Complexity 2“ mit dem Arditti Quartet im Rahmen von Wien Modern am 28. November 2022 im Wiener Konzerthaus entstand als Teil einer Lehrveranstaltung von Monika Voithofer am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien. Nähere Informationen dazu finden Sie hier.