Eine Reise durch fünf Jahrzehnte Streichquartett

Im Rahmen von Wien Modern fand im Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses ein Konzert des Arditti Quartets unter dem Titel „A Simple Guide to Complexity 2“ statt. Den Titel kann man als Referenz auf die gespielten Werke sehen. „New complexity“ ist eine Strömung in der Neuen Musik, die sich u. a. durch teilweise vorhandene Mikrotonalität und erweiterte Spieltechniken auszeichnet. Das Konzert wurde mit dem 5. Streichquartett des britischen Komponisten Brian Ferneyhough eröffnet, der als Hauptvertreter dieser Strömung gilt. 

Als zweites Werk des Abends wurde das Streichquartett Nr. 3 des US-amerikanischen Komponisten Elliott Carter zur Aufführung gebracht. Dieses Werk zeichnet sich durch die Besonderheit aus, dass hier das Quartett in zwei Duos unterteilt musizieren, so bilden die erste Violine mit Violoncello und die zweite Violine mit Viola jeweils ein Duo. Im Vorwort der Partitur schreibt der Komponist, dass die zwei Gruppen so weit wie möglich voneinander entfernt positioniert werden sollen. Diese Anweisung wurde vom Arditti Quartet jedoch nicht befolgt. Es wurde nicht einmal die Größe der Bühne des Mozart-Saals zur räumlichen Separierung genützt. Carter schrieb dieses Werk in den 1970er-Jahren des 20. Jahrhunderts, in denen die Gattung Streichquartett bereits an Popularität eingebüßt hatte. Daher kann man Carter auch als Wegbereiter für Ferneyhough betrachten, der bisher sechs Streichquartette komponierte.

Nach der Pause wurde der dreiteilige Werkzyklus „häuten/paramyth 1“, „schlitzen/paramyth 2“, „reißen/paramyth 3“ des österreichischen Komponisten Clemens Gadenstätter gespielt. Das Arditti Quartet spielte Gadenstätters Musik, die der Komponist als Transformation alltäglicher Formen sieht, die an den Spieltechniken der Instrumentalisten sichtbar wurden, mit derartiger Intensität, dass es schwierig wurde, das Raum- und Zeitgefühl zu behalten. Der Komponist wohnte auch persönlich der Aufführung bei. Das Werk war aber anscheinend einigen Zuhörenden zu komplex, da vor allem zwischen dem ersten und zweiten Teil einige den Saal verließen. Irvine Arditti verriet in einem kurzen Gespräch mit Bernhard Günther, dem Intendanten von Wien Modern, dass es für ihn keine Komplexität gäbe, da man alles üben kann. Dieses Gespräch fand im ersten Teil des Konzerts statt, in dem Irvine Arditti sich äußerst sympathisch dem Wiener Publikum präsentierte. 

Die Reihenfolge der Werke vor der Pause hätte getauscht erklingen sollen, da man so die Stücke chronologisch nach ihrer Entstehungszeit gehört hätte. Auch aus dem Grund, da Carter einer der ersten Komponisten seiner Zeit war, der sich wieder der Gattung Streichquartett widmete, wäre es erfreulich gewesen, ihn zu Beginn zu hören, jedoch verlor diese Trübung durch die Perfektion und Intensität der Musiker in ihrer Darbietung an Relevanz.

Maximilian Hassler

Diese Kritik über das Konzert mit dem Titel „A Simple Guide to Complexity 2“ mit dem Arditti Quartet im Rahmen von Wien Modern am 28. November 2022 im Wiener Konzerthaus entstand als Teil einer Lehrveranstaltung von Monika Voithofer am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien. Nähere Informationen dazu finden Sie hier.