GANZ SCHÖN – UNGEDÄMPFTE KOMPLEXITÄT

„I’ll be back“ war das erste, das Irvine Arditti an diesem Abend an die Zuhörerschaft richtete – noch bevor er mit seinem Quartett den Abend eröffnen konnte, musste er noch seinen Dämpfer holen. An diesem Abend sollte das renommierte Arditti Quartet im zweiten Teil der Konzertreihe „A Simple Guide To Complexity“ im Rahmen von Wien Modern dem Publikum im Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses die „New Complexity“ nahebringen. Eine Richtung der Neuen Musik, die sich durch eine hochkomplexe Notation von sich überlagernden Rhythmen, stark erweiterten Spieltechniken, schnellen Spielarten, mikrotonalen Strukturen, anspruchsvollen Aufführungssettings und intentionaler Überforderung auch der Zuhörenden auszeichnet.

Auf die anfängliche Auflockerung folgte ein krasser Gegensatz mit einem Paradebeispiel der New Complexity – dem Streichquartett Nr. 5 ihres bekanntesten Vertreters Brian Ferneyhough. Das bestimmte Spiel der 1. Geige kontrastierte mit dem hitzigen Cello, während die gewollt staksig anmutende 2. Geige und die moderate Bratsche ihre klangliche Kulisse bildeten. Auch in den folgenden Werken Elliot Carters (Streichquartett Nr. 3) und Clemens Gadenstätters („paramyths 1-3“ / „häuten“, „schlitzen“, „reißen“) schafften es die Interpreten, sich gegenseitig abwechselnd von klanglichen Stützen zu monumental-akustischen Säulen werden zu lassen und zeitgleich den semantischen Wert der Werktitel Gadenstättersin Körperhaltung, Klang und Strichart umzusetzen.

Trotz oder sogar wegen dieser exzellenten Interpretation schien das Konzert seinen augenscheinlichen Zweck zu verfehlen und eher für Liebhaber der New Complexity gestaltet worden zu sein. Zwischen den Teilen von Gadenstätterszugegebenermaßen nicht auf Anhieb zugänglichen Triptychons „paramyth“ verließ gut ein Drittel der Gäste den Saal. Von den am Ende noch anwesenden Zuhörer:innen waren sowohl Bravo-Rufe als auch erleichtertes Drauflosklatschen zu vernehmen. Ob dies der Dramaturgie, der Uhrzeit oder den Stücken geschuldet war, lässt sich nicht sagen, ein Simple Guide geht aber anders.

Kolja Porschke

Diese Kritik über das Konzert mit dem Titel „A Simple Guide to Complexity 2“ mit dem Arditti Quartet im Rahmen von Wien Modern am 28. November 2022 im Wiener Konzerthaus entstand als Teil einer Lehrveranstaltung von Monika Voithofer am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien. Nähere Informationen dazu finden Sie hier.