„Hip-Hop lebt unter anderem von der Vielfalt und jeder Stil hat seine Daseinsberechtigung […]“ – RAPTOAR und WINDSHADOW im mica-Interview

Mit dem aktuellen Album „360“ meldet sich einer der wortgewaltigsten Rapper des Landes nach fast zehn Jahren wieder zurück. War schon das 2008er-Debüt mit dem bezeichnenden Titel „Roar“ eine Offenbarung in Sachen Beats, Skills und Wordplay, so gibt sich JOHANNES MANTL (wie RAPTOAR bürgerlich heißt) nun zusammen mit seinem Bruder THOMAS MANTL (WINDSHADOW) auf eine weitere abenteuerliche Reise jenseits altbekannter Klischees und bricht damit erneut mit diversen Erwartungshaltungen. Zu Recht wird auch bei „360“ auf den „vibrierenden Sprachzauber“ und die damit einhergehenden, geradezu hypnotischen Sogwirkungen der einzelnen Tracks verwiesen, deren instrumentale Versiertheit das im Pressetext erwähnte „Tanzen mit Shiva durch den Hyperraum“ mustergültig umsetzt. Didi Neidhart sprach mit JOHANNES und THOMAS MANTL über Hip-Hop im Allgemeinen und Rap in Salzburg im Speziellen.

2008 ist mit „Roar“ auf Tonträger Records das Debüt von Raptoar herausgekommen. Jetzt nach fast einem Jahrzehnt gibt es mit „360“ wieder ein Lebenszeichen. Wieso diese lange Pause? Was ist in der Zwischenzeit passiert?

Raptoar: In erster Linie ist das Leben passiert. Ich war schon immer ein einsamer Wolf und habe mich – obwohl Rap meine erste große Liebe war – bewusst aus der Szene zurückgezogen. Für mich kam es aber nie zum Stillstand. Leben ist wie ein Freestyle, es stellt sich immer nur die Frage, mit wem man es teilt. Jetzt wo mein Bruder Windshadow ein Bollwerk an der MPC-Sampling-Maschine ist und wir ein gemeinsames Ziel haben, wollen wir den Leuten nichts mehr vorenthalten.

Es gab damals eine große Zahl an verschiedenen Produzenten [u. a. Dokta GC, UFO beats, Diggamindz, Stixx, Megga, Kartal, Twang sowie Szenario und Sascha Selke; Anm.], mit denen gearbeitet wurde. Das ist mittlerweile ja auch quer durch fast alle Hip-Hop-Genres die Regel. Wie kam es zu diesen Kooperationen und was sind die Vorteile davon?

Raptoar: Meine Geschichte mit Produzenten war kein Zuckerschlecken und ich erinnere mich immer ungern daran, wie viel Energie und Zeit verschwendet wurde. Das war vielleicht einer der Gründe, warum ich bei „Roar“ mit so vielen unterschiedlichen Musikern zusammenarbeiten wollte. Der Grundgedanke des Hip-Hop „Each One Teach One“, also der Austausch und das wechselseitige Profitieren, stand für mich im Vordergrund – und ich wollte jeden Produzenten vor eine Herausforderung stellen. Danke nochmal an dieser Stelle an alle!

Wurde „Roar“ noch hauptsächlich in Zusammenarbeit mit Twang (Tonträger Records) eingespielt, so ist nun Ihr Bruder aka Windshadow mit von der Partie. Wie kam es dazu und wofür ist er eigentlich verantwortlich? Nur für Beats und Samples, oder mehr?

Raptoar: „Roar“ wurde eigentlich mit Dokta G.C. (Die Antwort) verwirklicht. Er hat mich unglaublich unterstützt, ließ mich eine Woche bei ihm wohnen und verpflegte mich auch noch. Ich stehe nach wie vor in seiner Schuld. Auch Bauxl, Flip, Twang und viele mehr aus dem Linzer Umfeld haben mir sehr geholfen.
Windshadow spielt nochmal in einer eigenen Liga. Er trägt sozusagen die Hälfte der Verantwortung für alles, was wir gemeinsam umsetzen, und ist abgesehen von seinen kreativen Fähigkeiten ein Monster auf der MPC. Bei uns läuft nicht nur der Roboter, fast jeder Track wird live gespielt: Kick, Snare, Highhat, Bass etc.
Bis dato haben wir alles zu zweit umgesetzt – Aufnahme, Mischung, Artwork, Video, Organisation, Konzeption – und wir gedenken, dies so beizubehalten.

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„Wichtig sind für mich nur Authentizität und Können, ob das nun wertgeschätzt wird oder nicht, sei dahingestellt“.

Vielen ist der Name Raptoar erstmals 2007 im Zusammenhang mit dem Track „Soizburga Rap“ aufgefallen, wo auch Leute wie Amenofils, Demolux, Don Leon, Kartal, MSMC, Son Griot, Thaiman, VS, Nasihat Kartal und DJ Zero dabei waren. Damals sorgte die Kombination Hip-Hop und Salzburg ja eher noch für Reaktionen zwischen Kopfschütteln, Verwunderung und vielen Fragezeichen. Mittlerweile gibt es mit Acts wie Dame und Crack Ignaz derart unterschiedliche Styles, dass einen regelrecht der Kopf brummt. Wie sehen Sie die bisherige bzw. aktuelle Entwicklung und wo würden Sie sich dabei selbst verorten?

Raptoar: Mag sein, ja – manche kennen vielleicht noch das DNK-Battle oder das Mixtape „Schmiazettlwiatschoft“ von Wortschatz, manche kennen mich als Meista Joda, manche als Mealin, aber wen interessiert das schon …
Wichtig sind für mich nur Authentizität und Können, ob das nun wertgeschätzt wird oder nicht, sei dahingestellt.
Zur Entwicklung: Hip-Hop lebt unter anderem von der Vielfalt und jeder Stil hat seine Daseinsberechtigung, jede Künstlerin und jeder Künstler ihre bzw. seine Züge, Ideen und Ziele. Ich gönne auch allen einen babylonischen Erfolg, aber das heißt nicht, dass meine Augen geschlossen bleiben. Alle, die die Macht der Worte missbrauchen, wird von den Biestern des Untergrunds in Stücke gerissen [lacht]!

Raptoar hat einen sehr eigenwilligen Style. Mich erinnert die Art zu rappen an gewisse Sachen aus Frankreich, aber auch an von Reggae und Dancehall kommende Styles. Liege ich da richtig?

Raptoar: Alle sind Produkte ihrer Vorlieben und Abneigungen. Man sollte nicht zu viel zerlegen, analysieren und eingrenzen. Am Ende glaubt man es selbst noch [lacht]. Zudem ist das, was man jetzt hört, nur eine Momentaufnahme eines Stadiums der Entwicklung.

Die Raps von Raptoar sind ja durchwegs im Dialekt gehalten, wobei es manchmal nicht gleich klar ist, um welchem Dialekt es sich dabei handelt. Teilweise könnte es auch Patios – also das jamaikanische Sprachenmischmasch aus Kreolisch mit englischen Wurzeln – sein. Mir sind solche Ähnlichkeiten zwischen Patios und Dialekt erstmals bei Attwenger aufgefallen. Spielen solche Aspekte, also Dialekt auch als Klangfarbe bis hin zur babylonischen Sprachverwirrung, auch eine Rolle?

Raptoar: Ich finde es immer wieder amüsant, wie unterschiedlich das verstanden wird, aber Sie sind nicht der Erste, der das so wahrnimmt. Jamaikanische Künstlerinnen und Künstler zählen für mich zu den größten Stimmakrobaten. Mich fasziniert aber ebenso Beatboxing, gutturaler Gesang und seine Adaption im Heavy Metal, also alles, was einzigartige Stimmungen und Klänge hervorbringt.
„Babylon“ bezieht sich für mich nicht nur auf Sprachverwirrung, sondern symbolisiert im weitesten Sinn unsere entfremdete, technisierte, kapitalistische Gesellschaft in ihrer generierten „Wirklichkeit“ und in all ihren Auswüchsen. Das, was im Endeffekt eine Rolle spielt, variiert immer von Rezipienten zu Rezipienten.

Bild Raptoar & Windowshadow
Bild (c) Raptoar & Windshadow

Laut den deutschen Jahrescharts 2017 gibt es zwei Genres, die permanent um die jeweiligen Top-Ten-Platzierungen kämpfen: Schlager und (deutscher) Rap. Wenn jemand sagen würde, Rap sei nichts anders als Schlager mit etwas besseren Beats, was würden Sie antworten?

Raptoar: [lacht] So einem genialen Gedankengang kann man nichts hinzufügen. Tod allen Schubladen!

Der Titel „360“ suggeriert eine Art Rundumblick bzw. Rundumschlag. Andererseits gibt es auch viel Anklänge an Themen, die ich jetzt mal dem erweiterten Wu-Tang-Clan-Themenbereichen fernöstlicher Prägung – Mangas, Anime, Shaolin-, Kung-Fu-, Martial-Arts-Filme etc. – zurechnen würde. Steckt da ein Konzept dahinter? Im Pressetext ist ja auch die Rede von „inneren Pfaden“ und „roten Drachen“. 

Raptoar: Ich bin mit Kampfkünsten, Mangas, Animes, Videospielen und Rap aufgewachsen – alles, was ich bin und war, spiegelt sich in diesem Album wider. Der Kreis bedeutet für jede und jeden etwas anderes. Für mich symbolisiert er „Alles ist eins“ sowie das Streben nach Perfektion und einem leeren Geist.

„Aber mich interessiert das Wertbefreite wenig […]“

Seit 2016 wird Hip-Hop und Rap aus Österreich vor allem in Form von Cloud Rap auch jenseits der Landesgrenzen mitunter sehr heftig debattiert, jedoch auch als gleichsam „punkiger“ – weil auf einfachste Weise produzierter – Gegenpol zu sowohl überproduziertem Mainstream-Hip-Hop wie zum scheinbar ewigen Machismo im Gangsta-Rap geschätzt. Wie sehen Sie diese Entwicklung und wo steht Ihrer Meinung nach Hip-Hop bzw. Rap in Österreich im Jahr 2018?

Raptoar: Hip-Hop hat viele Gesichter und meist ist das, was öffentlich debattiert wird, das gepuderte. Alles wird versucht, manches funktioniert, was auch immer. Man muss nicht jedes Wort auf die Waagschale legen. Aber mich interessiert das Wertbefreite wenig und es gibt auch nur eine Handvoll Künstlerinnen und Künstler in Österreich, die ich wirklich respektiere.

Windshadow: Die Beats funktionieren auf jeden Fall im Club und haben auch einen sehr punkigen Charakter, der sich dem Mainstream widersetzt. Allerdings vermisse ich stark jene Innovationen in Österreich, die man international durchaus findet – z. B. Oddisee oder Kendrick Lamar.

Wie wurde „360“ eigentlich finanziert?

Raptoar: Durch Blut, Schweiß, Tränen und dem wenig Schotter, der entbehrlich war. SKE steht zwar auf der Rückseite der CD, hat aber nichts beigesteuert. Sie hätten reinhören sollen [lacht].

Windshadow: Ja, das Album haben wir komplett aus eigener Tasche finanziert – die Schulden werden wir hoffentlich bald begleichen können. Es entstand im Rahmen der FH Puch Urstein/Salzburg, das heißt, die Produktion und die Mischung machten wir selbst.

Wird es eine Tour geben? 

Raptoar: Wir geben unser Bestes, aber können nichts versprechen. Man möge uns buchen.

Was ist jetzt für die Zukunft geplant?

Raptoar: Nummern produzieren, die den wenigen die unsere Musik fühlen, Kraft geben. Grüße an unsere Brüder und Schwestern – ihr wisst, wer gemeint ist. Eine Liebe.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Didi Neidhart

Links:
Raptoar & Windshadow (Facebook)
Raptoar & Windshadow (bandcamp)