Beeindruckend: Burkhard Stangl, Komponist, Performer, Gitarrist, der in den Bereichen experimentelle Improvisation, elektronische und Neue Musik arbeitet, gestaltete letzten Samstag mit zahlreichen Partnern und Freunden verschiedenster Genres ein gelungenes Portrait mit seinen Arbeiten und zwei Uraufführungen im Auftrag von ORF und Jeunesse. Die Interpreten außer ihm selbst: Berndt Thurner (Vibraphon), Bernd Klug (Kontrabass), Angélica Castello (Flöten), Gunter Schneider (Gitarre), Gabriël Scheib-Dumalin (Trompete),) und das Ensemble “Extended Heritage”.
Zu diesem gehörten – im Kern ins Leben gerufen 2006 für die Berner Konzertreihe tonart als Trio EH -: Billy Roisz (Video und Sound) / dieb 13 (Instrumente: Audiokassetten, Vinylschallplatten, CDs, Harddisks, IP-Protokolle, lebt als “Urheberrechtsverweigerer” in Wien-Fünfhaus) / Burkhard Stangl außer den oben bereits Genannten noch Bernhard Fleischmann (DJ), Eva Reiter (Komponistin, Blockflöte und Viola da gamba), John Butcher (Saxophon) und Jakob Schneidewind (Komponist, Bassist) – also “Extended Extended” für die Uraufführung.
Burkhard Stangl hat bislang über 50 CDs veröffentlicht, Filmmusik geschrieben, und ist neben internationaler Konzert- sowie Veranstalter- und Lehrtätigkeit (u. a. an der Wiener Musikuniversität) auch publizistisch tätig. Stangls von ihm selbst konzipierter Abend beleuchtete gekonnt unterschiedliche Arbeitsfelder seiner musikalisch-künstlerischen Tätigkeit: “Was nicht festgeschrieben ist, ist nichts”. Und: “Was festgeschrieben ist, ist tot” griff Stangl ein Bonmot des französischen Literaten und Philosophen Paul Valéry auf. “Von einer Auswahl meiner “concept pieces” in Form einer Videoinstallation und einer Live-Performance über zwei Werke für Solo-Instrumente und ein rein elektronisches Stück sowie zwei Referenzwerken von Giacinto Scelsi und Fernando Grillo bis hin zu der Uraufführung des Ensemblestücks “Los vestitos blancos de Mérida” (Ensemblemusik für alte und neue Instrumente)” spannte sich der Bogen des Porträts.”
Weiters gab es nach der Pause noch ein Gespräch Susanna Niedermayrs (die in einem zeit-ton Ausschnitte aus dem Konzert präsentieren wird) und die “Finissage” nach dem Konzert im ORF KulturCafe (DJ: Bernhard Fleischmann). Die Installation im Foyer zeigte eine Auswahl von Arbeiten und Projekten aus der Vergangenheit mit Kollegen und Kolleginnen aus Musik, Video, bildender Kunst, Literatur; unter anderem mit Gustav Deutsch, efzeg, ereb-afrik-Kollektiv, Werner Korn & Echoraum, Christof Kurzmann, Michaela Grill, Johann Moser, Corinne Schweizer & Peter Böhm, Oswald Egger, Taku Sugimoto.
Eröffnet wurde das Konzert mit einer Performance mit Video von Stangl/Roisz/dieb13 namens “Rasage II”, in denen Stangl seiner Verwunderung, warum es bei den Bildschirmen von Laptops keine Spiegelfunktion gibt, herrlich Ausdruck gab. Sie bestand aus einer Rasur zu dritt (mit Einseifen, Rasieren, Parfum auflegen und Abtrocknen mit Handtuch). Auch Billy Roisz von der auch das Video auf der Leinwand stammte, rasierte sich. Perfekt organisierten alle Helfer die Umbauten und die Beleuchtung, die daraufhin aufeinander folgenden Auftritte funktionierten dadurch so reibungslos, dass man im ersten Teil am liebsten dazwischen gar nicht applaudieren müssen wollte .
Kätzchen, Engel und eine glissandierende gefiederte Schlange
Berndt Thurner interpretierte auf einem Lieblingsinstrument Stangls, dem Vibraphon, eine Hommage auf “die Hauskätzchen dieser Erde, die mit der (letztlich eher trostlosen) Existenz des Menschengeschlechts schon seit Jahrtausenden ganz gut zu Rande kommen.” Angelicà Castello betätigte solo (und mit Zuspielung und Video) unvergleichlich schön eine Kontrabassblockflöte. Gunter Schneider spielte auf seinem Instrument daraufhin eine Komposition von Fernando Grillo, die dieser für ihn 1978 geschrieben hat und für die Schneider eine auf der Gitarre völlig neue und einzigartige Flageolettspieltechnik entwickelte. Der junge Gabriël Scheib-Dumalin (Stangl: “Neue experimentelle Musik ist kein Problem für junge Leute, wenn sie im selbständigen Tun sich erschließt”) spielte seine Experimentier- und Entdeckungslust neuer Trompetenklänge vor, sodass etwa das Wasser aus einer mitgebrachten Flasche vorne aus dem Schalltrichter wieder heraus rann (UA). Und Stangl interessiert sich nicht nur für Kätzchen, sondern beschäftigte sich bereits 2007 auch mit Engeln (elektro-akustische Komposition): Engel seien nämlich “gut im Verzeihen” und auch “Experten in vornehmer Zurückhaltung, sie beschäftigen sich – was ich besonders schätze – nicht allzu sehr mit irdischen Dingen”.
Die längere Ensemblekomposition nach der Pause, zu deutsch “Die weißen Kleider von Mérida” basiert auf den Erfahrungen eines Mexiko-Besuches, wo Burkhard Stangl die Hauptstadt der Provinz Yucatán besucht hat und die dortigen archäologischen Maya-Kult-Stätten, besonders die 30 m hohe Pyramide in Chitzén Itzá. Aber auch das Lebensgefühl und die Musik in der modernen Stadt Mérida selbst – “ich hatte das Glück, auf dem Stadtplatz eine yucátansche Bigband zu hören” – haben es ihm angetan. Dank der Einbeziehung und Live-Mitwirkung des ad hoc gebildeten Ensembles “Gruppe 16. Mai” (Besetzung siehe unten) konnte er bei dieser aufwändigen Aufführung sogar auf eine Zuspielung verzichten. hr (unter Verwendung der Programmhefttexte)
Hier noch das komplette Programm und alle Interpreten des Abends:
Burkhard Stangl / Billy Roisz / Dieb 13
Rasage II (2005)
Burkhard Stangl
Vibra III / Ronron für Vibraphon-Solo und Zuspielung (2009, Kompositionsauftrag von ORF und Jeunesse, UA)
Giacinto Scelsi
Maknongan
(In Bearbeitung für zwei Kontrabässe)
Burkhard Stangl / Angélico Castelló
Sérénité für Kontrabassblockflöte, Zuspielung und Video (2005)
Fernando Grillo
Das Mädchen und der Zauber
Burkhard Stangl
Gabriël Scheib-Dumalin / Burkhard Stangl
for a young trumpet player (2009, Kompositionsauftrag von ORF und Jeunesse, UA)
Burkhard Stangl
angels touch (2007)
(Pause)
Susanna Niedermayr im Gespräch mit Burkhard Stangl
Burkhard Stangl
Los vestidos blancos de Mérida / Ensemblemusik für alte und neue Instrumente (2009, Kompositionsauftrag von ORF und Jeunesse, UA)
Mitwirkende
Ensemble Extended Heritage Extended
Burkhard Stangl
Gitarre, Vibraphon, Elektronik
Angélica Castelló
Blockflöte, Elektronik
Eva Reiter
Blockflöte, Viola da Gamba
John Butcher
Saxophon
Dieb 13
Turntables
Billy Roisz
Visuals
Gunter Schneider
Gitarre
Bernd Klug
Kontrabass
Jakob Schneidewind
Kontrabass
Berndt Thurner
Schlagwerk
Gruppe 16. Mai
Julia Pallanch
Stimme
Iris Nitzl
Stimme
Bernadette Zeilinger
Blockflöte
Gabriël Scheib-Dumalin
Trompete
Yukari Hagino
Flöte
Lea Bäumler
Perkussion
Olga Schertsova
Perkussion
Reinhard Glätzle
Perkussion
Bernhard Rehn
Perkussion
Silvester Triebnig
Perkussion
Bernhard Fleischmann
Turntables
Alfred Reiter
Klangregie