Weit mehr sein als eine „komponierende Hausfrau“ – GERDA POPPA im Interview

Komponistin sein in Vorarlberg – so etwas geht problemlos, wenn man das Beispiel der in Röthis lebenden GERDA POPPA (53) nimmt. Sie ist, neben der international erfolgreichen JOHANNA DODERER, die einzige professionell ausgebildete  Komponistin Vorarlbergs, ohne dass sie wegen ihres Frauseins gegenüber ihren männlichen Kollegen bei Veranstaltern oder Publikum jemals Nachteile verspürt hätte. Im Juli stehen von der Komponistin drei Werke zur Uraufführung an.

Eine Spätberufene, die nach ihrer umfassenden Ausbildung als Organistin bei Bruno Oberhammer am Konservatorium und in Meisterkursen bei Michael Radulescu, Guy Bovet und Jon Laukvik zunächst vor allem in der Basilika Rankweil gewirkt und erst 2004 richtig mit dem Komponieren begonnen hat. Eine Bescheidene auch, die nicht gern viel Aufhebens um ihre Person macht. Die froh ist, dass die Organisten für das Publikum meist unsichtbar bleiben und dennoch das Selbstbewusstsein besitzt, in ihrer Musik ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Zuhörer ihre klare Linie zu vertreten, auch wenn es schmerzt. Schließlich eine Vielbeschäftigte, die sich die Zeit zum Komponieren neben dem Orgeldienst und der Betreuung einer vierköpfigen Familie oftmals stehlen muss, aber auf gut Vorarlbergerisch „load“ wird, wenn sie nicht ausreichend zum Schreiben kommt.

Die Leidenschaft, mit der Gerda Poppa diese Tätigkeit betreibt, ergibt eine Werkliste, die inzwischen über Orgelmusik hinaus auch Orchesterwerke, Chor- und Kammermusik umfasst. Eine Musik, die in ihrer Professionalität und Eigenständigkeit in keinem Moment den klischeebehafteten Stallgeruch einer „komponierenden Hausfrau“ atmet. Poppa erhält regelmäßig Kompositionsaufträge und wurde relativ rasch auch über Vorarlberg hinaus im übrigen Österreich, der Schweiz und Süddeutschland bekannt und anerkannt.

Musikalische Bilder für die Basilika

Aktueller Anlass für dieses Gespräch ist die Uraufführung ihres Stücks „Colours“ als Auftragswerk für die Einweihung der neuen Fenster im Altarraum der Basilika Rankweil am 3. Juli. Am Beginn der Arbeit vertiefte sich Gerda Poppa in die Computerentwürfe der drei Fenster, die der amerikanische Künstler David Reed gestaltet hat, und machte sich seine dazu formulierten Gedanken für die musikalische Umsetzung zu Eigen. Dabei kam ihr eine besondere Begabung zugute: „Ich bin Synästhetikerin – ich sehe bei Buchstaben, bei Zahlen und Noten bestimmte Farben, damit habe ich hier gearbeitet.“ Bei der Besetzung mit Blechbläserquintett denkt man an kräftige Farben – trifft das zu? „Nein, nicht unbedingt, denn ich wollte auch zeigen: Blech kann sehr leise sein und weich spielen. Es war mir ganz wichtig dabei, auch das Gefühl zu bekommen für Blech.“

Das neue Werk ist dreiteilig, jeder Satz entspricht einem Fensterbild: „Das erste Fenster heißt ‚Von Stein zu Wasser‘, mit der auf Fels gebauten Basilika und dem Fridolinsstein als Hintergrund. Meine Musik dazu ist wie der Stein statisch mit Melodiebögen, die immer wieder zu zentralen Tönen zurückkehren. Das zweite Fenster heißt ‚Von Wasser zu Baum‘ und ist in einer sehr religiösen Sprache mit dem Kreuz, dem Taufwasser, dem Baum und dem Brunnen auf dem Vorplatz verbunden. Wasser ist für mich Leben und Bewegung, darum habe ich einen Tanzsatz daraus gemacht. Das dritte Fenster heißt ‚Von Baum über Feuer zu Heimsuchung‘, das ist bei Reed die Begeisterung, also der Pfingstgedanke, aber auch das Patrozinium der Basilika an Mariä Heimsuchung. Das habe ich musikalisch in einem Choral dargestellt.“

Spätberufen als Komponistin

Wie ist Gerda Poppa als Organistin zum Komponieren gekommen – waren das am Anfang einfach notierte Improvisationen? „Ja. Ich habe ab 2002 zwei Jahre lang einen Kurs für Orgelimprovisation bei Jürg Brunner in St. Gallen belegt. Dort hat man  ‚Standards‘ erarbeitet, auf die man immer wieder zurückgreifen kann. Und ich habe gemerkt, dass mich das unheimlich fesselt, habe aber noch nicht ans Komponieren gedacht. Doch eines Morgens bin ich aufgewacht und hatte ein Stück im Kopf, für vier Posaunen und Orgel. Es wurde ein großer Erfolg. Das hat mich dann ermutigt, als Spätberufene wirklich noch Komposition zu studieren.“ 

Doch es dauerte bis 2008, bis für sie bei Herbert Willi am Konservatorium ein Platz frei war. Bei ihm hat sie 2015 auch mit Auszeichnung abgeschlossen – und voll Begeisterung: „Dieses Studium war einfach außergewöhnlich, ich habe jeden Unterricht bei ihm genossen. Herbert bringt einem viel bei und lässt die Studenten trotzdem sich selber treu bleiben. Jeder muss seinen eigenen Stil finden, er hilft dabei, zeigt umsichtig Wege dorthin auf. Für mich war er der ideale Lehrer.“

Flexibel im Stil

Welchen Vorbildern, welchen Stilen fühlt sich Gerda Poppa heute besonders verpflichtet? „Das kommt darauf an, für welchen Anlass und welche Besetzung ich schreibe. Wenn ich z. B. den Eindruck habe, Zwölftonmusik ist hier am Platz, dann wende ich diese an. Andererseits kann ich fast harmonisch verfahren, wenn ich glaube, eine Stelle braucht das, um zu wirken. Kirchenmusik schreibt man ganz anders als Konzertmusik, bei Chören und Ensembles, die mit neuer Musik nicht so vertraut sind, muss man auch auf den Ausbildungsstand Rücksicht nehmen. Und Bach und generell die Alte Musik sind wohl bei jedem Organisten stets präsent.“

Wie verläuft bei Gerda Poppa der Akt des Komponierens – am PC oder am Instrument? „Beides. Aber zuerst ist es eine Kopfsache. Ich muss mir zunächst ganz genau vorstellen können, wie das Ergebnis klingen soll, und lege dazu in einem Konzept Form, Instrumentierung, Ablauf etc. fest. Erst dann beginne ich mit der Komposition, aber es arbeitet dauernd bei mir im Kopf, zum Beispiel auch während einer Predigt in der Messe, wenn die Orgel Pause hat … (lacht).“

Edgar Allan Poe als Textvorlage

Bei „Colours“ waren es Kirchenfenster – benützt sie auch sonst manchmal außermusikalische Anlässe, also etwa literarische Texte, als Inspirationsquelle? „Ja, das war etwa der Fall für mein aktuelles Holzbläserquintett ‚Annabel Lee‘, das am 29. Juli von Musikern des Wiener Concert-Vereins im vorarlberg museum uraufgeführt wird. Da habe ich ein Gedicht von Edgar Allan Poe als Vorlage genommen. Dieser englische Text hat bei mir eine solche Wirkung erzeugt, die wollte ich unbedingt in Musik umsetzen. Es ist also keine textgetreue Vertonung, sondern die Wiedergabe der Stimmung. Ansonsten sind es auch Ereignisse im täglichen Leben, die mich inspirieren, etwa der schwere Unfall meines Sohnes – ein Ereignis, das ich für mich in einem Klaviertrio verarbeitet habe.“

Noch kein Uraufführungstermin fixiert ist in der kommenden Saison für das dritte neue Werk Poppas, ein Auftrag des Ensemble plus: „Ich habe, obwohl ich absolut nicht daran glaube, erstaunlich positive Erfahrungen mit Heilsteinen gemacht. Und daraus entsteht derzeit in einem spannenden Kompositionsvorgang dieses Werk, das auf englisch ‚Experience‘ heißt, also ‚Erfahrung‘, auf französisch ‚Expériance‘, also auch ‚Experiment‘. Ich experimentiere hier mit Heilsteinen, die ich während des Komponierens trage und lasse mich von ihrer Wirkung inspirieren.“

Fritz Jurmann

Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft im Juni 2016 erschienen.

Uraufführungen von Gerda Poppa:

So, 3. Juli, 17.00 Uhr, Basilika Rankweil: „Colours“ aus Anlass der Präsentation der neuen Fenster (Blechbläserquintett des Landeskonservatoriums, Leitung Herbert Walser-Breuß)

Fr, 29. Juli, 20.00 Uhr, vorarlberg museum Bregenz: „Zeitklang im Museum“ –  „Annabel Lee“ (Holzbläserquintett des Wiener Concert Vereins)