„SICH ZU LIMITIEREN IST NICHT UNSER DING“ – DRAHTHAUS IM MICA-INTERVIEW

Das Kollektiv DRAHTHAUS hat sich 2015 aus dem Wunsch heraus entwickelt, eingefahrene Bahnen zu sprengen und jungen Musiker:innen die Möglichkeit zu geben, sich experimentell auszuprobieren. Die Protagonisten von DRAHTHAUS – SIMON ÖGGL, VALENTIN MARTINS, HANS ZODERER und LUDWIG ASCHER – gehen diesem Ziel mit gutem Beispiel voran und bringen zwischen Pop-Singles und instrumentellem Elektro-Sound, nun auch einen Soundtrack heraus. „Fireworks“ bringt dabei ein Epos-geladenes Element in das Schaffen von DRAHTHAUS, das ab 8. April überall nachgehört werden kann. Inwiefern sich das Pathos von „Fireworks“ dabei perfekt in ihre Philosophie einfügt und warum es oft schwieriger ist, an der Schwelle von Genregrenzen zu arbeiten als nur davon zu reden, erzählen DRAHTHAUS im Gespräch mit Ania Gleich.

Nachdem 2020 euer Debütalbum erschienen ist, habt ihr in letzter Zeit auf Pop-Singles gesetzt. Ihr wolltet aber schon immer auch Film-Musik machen. Jetzt ist es passiert.

Valentin Martins: Und das ist tatsächlich schneller gegangen als gedacht! Vor eineinhalb Jahren haben wir’s gesagt und jetzt ist es wirklich passiert. Und bei dem 35-Minuten Film, sind gefühlte 30 Minuten Musik! Fireworks ist also nicht der typisch österreichische Film, wo am Anfang oder Ende kurz Musik ist und die restliche Zeit Stille. Wir haben viele verschiedene Tracks hereinfließen lassen können …

Simon Öggl: … Und wollen auf jeden Fall auch in dem Bereich weiterarbeiten.

Hat es euren Erwartungen entsprochen?

Valentin Martins: Na! Übertroffen hat’s die! Aber das liegt daran, dass das Team so ein wunderbares ist. Der Film erinnert ein bisschen an Hollywood. Er ist Action-geladen, neonfarben, bisschen Retro, und hat diesen 80er-Flair. Wir sind sehr froh, dass wir über sowas den Sound legen konnten!

Euer Musikvideo zu „Dopamine“ hat von der Ästhetik und vom Feeling genau da abgeholt, wo auch der Soundtrack sich bewegt.

Valentin Martins: Das freut mich zu hören! Ich find’s cool mit Regisseur:innen zusammenzuarbeiten, die sich wirklich reinhängen. Bei „Dopamine“ hat Bruno Kratochvil Regie geführt und auch das Drehbuch geschrieben. Der hat durchgehend Vollgas gehackelt und irrsinnig viel reingesteckt. Und das war bei dem Film mit Sebastian Schmidl jetzt auch so.

Simon Öggl: Das Schöne ist, wenn man merkt: Alle geben Alles, dann ist man auch selbst viel mehr bereit Alles zu geben.

Wie ist es zu der Kooperation mit Sebastian Schmidl gekommen?

Valentin Martins: Wir haben vor drei Jahren schon das Video zu „Unsquare“ mit ihm gemacht. Außerdem habe ich schon mal die Musik zu einem anderen Kurzfilm komponiert, wo er das Drehbuch geschrieben hat. Es war in den letzten Jahren also immer Kontakt da. Relativ bald sprach er auch von einem Soundtrack. Er sagte immer: Am Anfang kommen die Credits und ganz vorne steht Drahthaus in Neongrün. Er hat das auch gut ausgewählt! Wenn das was Ruhiges geworden wäre, hätten wir‘s zwar auch gemacht, aber bei Fireworks konnten wir richtig auf den Putz hauen!

Simon Öggl: Deswegen Hollywood! Der Film ist nicht scheu Sachen anzugreifen, die eben vielleicht bisschen groß oder episch sind. Wir durften die großen Geschütze auffahren!

Ihr habt die Musik geschrieben, ohne noch etwas vom Film gesehen zu haben. Wie war das?

Valentin Martins: Am Anfang haben wir wirklich nur anhand des Drehbuchs drüber gesprochen. Daraufhin haben wir in den kommenden Wochen einmal siebzehn Skizzen gemacht, von denen vierzehn auch gleich angelegt wurden. Das war echt ein Glücksgriff. Beim letzten Mal, wo ich sowas gemacht hab, hat‘s für en einen Track im Film zehn Skizzen gebraucht, bis dann eine gepasst hat.

Simon Öggl: Da haben wir einen Folder angelegt, wo jeder von uns Sketches reinladen konnte, quasi: Einer bringt eine Idee, der andere hört die Idee vom einen und reagiert ein bisschen drauf. So haben wir uns gegenseitig befeuert.

Valentin Martins: Manchmal war’s dann früh am Morgen und Simon hatte mir schon wieder irgendeine Skizze geschickt. Dann dachte ich sofort: Oh, jetzt muss ich auch gleich was machen! Es ist schon cool so im Team zu arbeiten.

Bild Drahthaus
Drahthaus live at Flow of Nature Festival (c) Tobias Singer

Das entspricht eurer Philosophie bei Drahthaus. Das sieht man auch beim Live spielen.

Simon Öggl: Das Kollaborative ist schon unsere Art.

Valentin Martins: Da kann man anteasen, dass vielleicht der eine oder andere Track vom Album es auch ins Live-Set schaffen wird. Also grad die tanzbareren Tracks. Ich steh grad auf so harten Down-Tempo. So langsam aber rollend mit warmen Synth-Lines drüber. Da haben wir zwei uns grad speziell gefunden, Simon und ich.

Wie hat es sich angefühlt nur nach dem Drehbuch zu komponieren?

Simon Öggl: Bei Christopher Nolans Interstellar hat Hans Zimmer zu Beginn weder gewusst, worum’s im Film gehen soll noch, dass es Science-Fiction ist. Nolan hat ihm nur gesagt: Schreib ein Stück darüber, was es bedeutet Vater zu sein. So als Over-all Thema. Es ist ein anderer Weg sich dem thematischen Kern anzunähern, ohne schon zu sehr auf gewisse Dinge fixiert zu sein. Weil wenn man sagen würde “Mach mit einen Science-Fiction Film” dann kommen gleich die Star Trek Fanfaren in den Kopf.

Valentin Martins: Wenn du schon den Schnitt hast, dann machst du‘s halt auf den Schnitt. Dazu neigt man als Musiker:in gern. Bei den Musikvideos habe ich das voll gemerkt. Da war ich sofort irritiert, wenn etwas im Bild mit dem Rhythmus nicht zusammengepasst hat. Ich glaube die Möglichkeit auf das reinzufallen, wurde uns mit Sebastians Methode weggenommen. 

Das Visuelle kann auch störend sein.

Valentin Martins: Deswegen hat das Sebastian auch so toll geleitet. Er hat uns zu etwas hingeführt, aber es auch im Fluss gelassen. Es gab durch den ganzen Prozess immer einen Austausch. Gleichzeitig hatte er aber auch die Entscheidungsgewalt. Manchmal kam schon etwas wie: „Dieser Akkord kommt ein bisschen später“. So gibt man gerne Verantwortung ab und sagt: Passt Sebastian, ist dein Film, du machst das so! Ich mag Arbeitsteilung. Alles immer alleine entscheiden und verantworten zu müssen ist zach.

In jeder Zusammenarbeit ist es wichtig, dass jeder weiß, wo sein Bereich ist. Resonanzräume schaffen ist das eine, zu wissen wo sein Spezialgebiet aufhört, das andere. 

Simon Öggl: Ich fand’s auch einfach cool das Drehbuch zu lesen und dabei schon über Szenen nachzudenken. Der Track „Snow“ ist während dem Lesen so „Bamm – das muss jetzt sein“ gekommen und hat‘s auch hinein geschafft in den Soundtrack.

Wie verknüpfen sich Geschichte mit Klängen, die noch nicht existieren?

Simon Öggl: Es waren natürlich diese groben Gefühle schon da. Rache, etwa. Oder der Look der Autos, der so eine ganz bestimmte Stimmung provoziert. Da hat man schnell eine Palette an Gefühlen zusammen, die man abdecken kann.

Valentin Martins: Gleichzeit war aber auch lustig, dass Tracks, die man für eine Stelle gedacht hat, an komplett einer anderen landeten.

Simon Öggl: Zwei Tracks hat er überhaupt übereinandergelegt.

Was ist grob der Plot des Filmes?

Valentin Martins: Er spielt in diesem „Rape & Revenge“-Genre. Ein Geschwisterpaar, von denen der einen im Jahr davor zu Silvester eine sexuelle Gewalttat widerfahren ist plant mit ihrer Schwester für das nächste Silvester ihre Rache. Ich weiß nicht, wieviel wir da jetzt noch verraten sollen.

Das reicht schon. Ein Bild ist da.

Valentin Martins: Momentan wird es außerhalb der Diagonale nicht so einfach sein, den Film irgendwo zu finden. Der Film wird im kommenden Jahr auf einigen Filmfestivals laufen. Aber es wird sicher ein Wien-Screening geben. Da würde ich mir das Gartenbau- Kino wünschen!

Drahthaus goes Gartenbau. Klingt gut.

Valentin Martins: Ich war noch nicht dort, seit es renoviert wurde.

Es schaut aus wie vorher, nur polierter.

Valentin Martins: Aber die Anlage und Leinwand haben sie glaub ich nicht renoviert, haha.

Das leichte Kratzen und Knacken wurde also bewahrt.

Valentin Martins: Das wird überhaupt arg: In jedem Kinosaal wird der Soundtrack anders klingen! Du schreibst was und hörst es dann dort oder da und immer anders. Die Kurator:innen von Festivals hören es zuerst überhaupt nur am Laptop an. Ich bin also gespannt, wie der Sound bei der Premiere wird.

„ICH STEHE NICHT AUF UND HÖRE IN DER FRÜH DIE GLEICHE MUSIK WIE BEIM KOCHEN ODER ZUM FORTGEHEN“

Eure letzte Single “Rain” gibt einem eher poppige-hüpfige Vibes, also leichte Kost im Kontrast zum epischen „Fireworks“-Soundtrack. Wie ist es in zwei solchen Ebenen zu arbeiten?

Valentin Martins: Ach, ich finde es schön, dass wir über die letzten Jahre so kantig waren. Da dürfen wir mehr. Ich stehe nicht auf und höre in der Früh die gleiche Musik, wie beim Kochen oder zum Fortgehen. Mir taugt so richtig poppige 2000er Musik oder 90er Musik. Genauso wie so arge Sachen, die man eigentlich gar nicht nennen möchte. In einem Moment steh ich voll dazu und im nächsten Moment kann Ichs überhaupt nicht hören. Es ist toll, was wir alles angerissen haben. Wir werden glaub ich aber mehr noch an der Popschraube drehen.

Simon Öggl: Wir mögen einfach die Abwechslung. Also dieses mehrgleisig-zu-fahren ist von Anfang an unser Ding. Wenn wir uns zu viert treffen, dann legt auch jeder irgendwelche Musik auf, die er neu gehört hat. Dabei haben wir doch eine starke Schnittmenge, auch wenn jeder einen Ast in eine spezielle Richtung hat, den die anderen gar nicht mehr cool finden. Aber sich nur auf einen Stil zu limitieren ist nicht unser Ding.

Valentin Martins: Ich glaub auch, dass das mit der Menge der Releases auch klarer wird! Weil wenn du nur zwei oder drei Tracks draußen hast, die alle unterschiedlich sind, dann kennt sich niemand aus. Aber wenn du fünf Alben hast, dann checkt man eher, dass das irgendwie zusammenhängt, auch wenn sie sehr verschieden sind.

Es ist auch „in” zu sagen, man arbeite an Schnittstellen und, dass man sich nicht festlegen will … 

Simon Öggl: Ja genau – „Genre-Grenzen-Sprengen“.

Valentin Martins: Klassischer Promo-Text: „Vier Leute aus verschiedenen Genres kommen auf der Uni zusammen und sprengen die Grenzen des Machbaren“

Man könnte die vier Leute auch in vier verschiedenen Trachten darstellen.

Valentin Martins: … Ja das ist aber auch das geile! Du gehst zu einem hin und dann machst halt einfach einmal nur eine Sache, ohne zu versuchen alles in einen Track reinzupacken. Ein Genre, eine Grenze, ganz straight und das wird dann gebrochen durch den nächsten Track. Ich finde dieses Brechen immer das schönste! Also einen Gabber-Track haben wir jetzt noch nicht, aber das wäre auch eine Tracht wert! Find ich super!

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Fireworks fängt ja mit dem Donauwalzer an …

Valentin Martins: Ok, aber das war ein Wunsch von Sebastian! Das ist tatsächlich im Drehbuch gestanden.

Muss halt sein. Silvester und so.

Valentin Martins: Genau. Es geht um den Countdown um Mitternacht. Es war dann aber auch eine sehr schöne Aufgabenstellung, uns wäre die Idee nicht so gekommen.

Zuerst der Donauwalzer und dann dieses Stranger-Things-Thema am zweiten Track. Zeitreise?

Simon Öggl: Ja, da sind plötzlich die 80er!

Valentin Martins: Es ist lustig, weil wir uns schon während dem Prozess die ganze Zeit gefragt haben, wieso wir es eigentlich als Stranger Things-Riff bezeichnen! Es gibt Unmengen an Musik, die so klingt. Aber Stranger Things hat‘s halt gebranded.

Netflix rules it all.

Simon Öggl: Auch „Bella Ciao“ kennen viele Leute erst durch Haus des Geldes. Es passiert oft, dass Dinge vor allem über Medienphänomene abgefeiert werden, obwohl vielleicht mehr dahintersteckt.

Seien wir mal nicht so kulturpessimistisch.

Valentin Martins: Ich habe Sebastian sofort angerufen als Squid Game rausgekommen ist und es den Donauwalzer gespielt hat! Der ist auch richtig überstrapaziert. Für den Track haben wir eine Cellistin eingeladen. Das ist auch so eine Sparte, die interessant ist: Klassische Orchesterstücke neu vertonen. Das könnte uns auch gut liegen. Das Ganze etwa elektronisch zu machen oder neu zu harmonisieren.

Habt ihr eine klassische Ausbildung?

Simon Öggl: Ich schon.

Valentin Martins: Ich bin durch den Jazz dazugekommen. Aber wir hören halt sehr viel unterschiedliche Musik. Dadurch läuft viel zusammen.

Eine vielschichtige Mischung!

Valentin Martins: Apropos Mischung: Wir hatten bei der Mischung für den Soundtrack voll oft dieses Gefühl, dass wir „Bamm – voll da“ waren, wo bei der schlussendlichen Filmmischung halt vieles zurückgenommen oder anders damit umgegangen wurde, als wir‘s fürs Album gemacht haben.

Simon Öggl: Ein paar Nummern sind im Film ja überhaupt nur angerissen. Am Album sind sie aber ganz!

Was interessiert euch als Musiker am Medium Film?

Simon Öggl: Alles.

Valentin Martins: Ich finde Bilder geil. Und bei Musik finde ich es toll, wenn du einen dramaturgischen Ablauf hast. Dieses zeitliche Voran-Bewegen. Das kombiniert sich halt im Film alles. Vom Ton, über die Geschichte, Dialoge … ständig ist da eine Entwicklung! Und das auch noch mit Bild. Das ist wahnsinnig spannend. Wir drehen ja auch oft unsere Musikvideos selbst beziehungsweise sind sehr stark am Prozess beteiligt.

Simon Öggl: So eine Vielzahl an Medien unter einen Hut zu bringen und eben bei gutem Material alles zielgerichtet zusammenzubringen fasziniert mich am meisten. Und natürlich auch der ganze Story-Telling Aspekt. Zum Transportieren von einer Idee, wird so ein riesiger Aufwand betrieben und wenn du den Film dann als Zuschauer siehst, nimmst du im ersten Moment vielleicht nur 20% dieser Ideen aktiv wahr.

Valentin Martins: Aber das ist eh überall so. Allein wenn ich mir die Architektur hier drinnen anschaue: Das kriegen wir alles passiv mit, während wir reden, aber wenn man sich aktiv damit beschäftigen würde, steckt plötzlich überall ur viel drinnen.

Simon Öggl: Und wenn du einen Film machst, machst du dir irrsinnig viele Gedanken und versuchst möglichst in jedem Bereich kohärente Entscheidungen zu treffen.

Valentin Martins: Wobei ich ergänzen will: Das ist bei unserer Musik ja genauso: Taktwechsel von 17 auf 5 oder hin und her und am Ende geht es entweder durch oder halt nicht. 

„ICH LIEBE DEADLINES.“

Wir verlieren im Laufe unseres Lebens, diesen Aspekt des Sich-Wunderns, weil das Denken in gewissen Strukturen praktikabler ist. Dieses Einlassen auf Aspekte, wo sich dann wieder kleine Universen eröffnen, führt uns zurück zu diesem Wundern.

Simon Öggl: Unsere Zeitwahrnehmung hat mit dem auch ganz viel zu tun. Wenn man älter wird, kommt es einem vor, dass die Zeit schneller vergeht, weil man Routinen entwickelt und schon viele Eindrücke „eingespeichert“ hat. Wenn man dann auch nur drei Tage irgendwo in eine neue Umgebung fährt, fühlt sich das meist länger an als eine Routinen-Woche, einfach weil du neue Eindrücke bekommst. Wenn du aber zwei Wochen nur Alltag hast, kommt es dir vor, als würde die Zeit verfliegen, weil es nichts gibt, woran du dich erinnern müsstest, nachdem alles Routine ist.

Diese verdrehte Zeitwahrnehmung könnte man jetzt auch aufs Musik-Hören übertragen. 

Valentin Martins: Und aufs Musik-Machen! Man kann auch dort in einer Bahn stecken bleiben und es nicht merken. Letzte Woche hat eine Musikerin in einem Interview gesagt, sie mache ihr Zeug, weil sie es machen muss. Dieses „Es passiert einfach“. Wir flashen uns halt ständig in verschiedene Richtungen rein und dadurch kommt zwangsläufig etwas dabei raus. Wenn du immer schreibst und schreibst, entsteht am Ende ganz selbstverständlich auch etwas völlig Neues. Ich meine: Reich sind wir bis jetzt davon auch nicht geworden und trotzdem machen wir es nach sieben Jahren immer noch! Da muss einfach ein Drive dahinter sein, den mehr ausmacht, als nur finanziellen Erfolg haben zu wollen.

Wenn man mit diesem Drive alleine ist, ist es vermutlich schwieriger. Da dringt der Außen mit seinen Zweifeln viel eher in deine Unsicherheit ein. In einer Gruppe kann man sich immer wieder drauf aufmerksam machen, falls man stecken bleibt.

Simon Öggl: Absolut! Es ist auch eine Motivations-Frage. Wir sind vier Leute, die das sehr committed machen. Wenn ich etwas allein mache, kann ich es rauschieben auf wann ich will. Wenn vier Leute dafür arbeiten, hat man auch der Zeit gegenüber einen anderen Respekt.

Valentin Martins: Da wartet schon der eine auf das Projekt des anderen, damit er weiterarbeiten kann. Ich liebe Deadlines!

Simon Öggl: Eine Hass-Liebe.

Der Film läuft auf der Diagonale. Geht’s ihr hin?

Valentin Martins: Nächste Woche Mittwoch sind wir dort! Ich find’s immer schön, wenn man einen Grund hat auf einen Filmfestival zu fahren.

Geht ihr sonst gern ins Kino?

Valentin Martins: Ich habe die letzten drei Jahre in einem Kino gearbeitet. Also der Job, der der mir die Miete saved…  Das war eher ein Programmkino. Also eher Arthouse und Oma-Filme. Ich würde uns alle als Film-affin bezeichnen. Aber in sehr verschiedene Richtungen. Simon ist so der Pompösere.

Simon Öggl: Ich finde vor allem die Technik hinter so großen Sachen geil. Also Christopher Nolan fand ich früher richtig gut. Genauso Sachen wie Herr der Ringe: Diesen Produktionsaufwand finde ich absolut arg und rede dann auch oft drüber.
Aber das alleine macht meiner Meinung nach keinen Film zum guten Film.

Valentin Martins: Christopher Nolan ist ein gutes Thema. Also ich will mich jetzt nicht mit dir streiten, Simon, aber ich denke gerade an unsere Diskussion zu seinem Film Tenet. Meiner Meinung nach, kann ich etwas doch auch scheiße finden, wenn ich‘s nicht verstehe! Simon hatte damals gemeint, ich versteh‘s wohl einfach nicht.

Simon Öggl: Das ist nur was bei dir angekommen ist!

Nur Ich-Botschaften hier, bitte!

Simon Öggl: Ich meine ja nur: Der Film hat einen Wert darin, dass man durch ihn lernen kann, was man nicht so machen sollte. Die Idee einen Protagonisten zu machen, der niemand ist und jeder sein könnte, ist ja eigentlich sehr interessant. Aber genau daran ist der Film kolossal gescheitert. Niemand cared für die Leute in dem Film, weil niemand einen Bezug zu irgendwas hat. Das sind dann nur tolle Visual Effects aber auch die zu kondensiert, sodass niemand checkt, was abgeht. Ich finde den Film auch nicht gut, aber man kann viel davon lernen.

Bild Drahthaus
Drahthaus (c) Mateusz Wiglinzki

Kunst musst sich immer auf der Schwelle zwischen dem Sichtbaren und dem Noch-Nicht-Sichtbaren bewegen. Gänzlich im Noch-Nicht-Sichtbaren bleibt sie unverstanden, weil der Bezug zur Welt fehlt. Zu sehr im Sichtbaren, bei der Technik oder im gesellschaftlichen Diskurs, wird sie entweder politisch oder eine ausgefeilte technische Leistung. Sie weckt aber nicht dieses Interesse für ein „Drüber-hinaus“.

Valentin Martins: Man könnte mit dem Noch-Nicht-Sichtbaren auch das bezeichnen, was man an Erwartungen hat. Als Beispiel: Wenn Gewalt zu brutal gezeigt wird. Durch übertriebene Darstellung wird sie oft in verquerer Weise verherrlicht, wodurch sie ihren Effekt verliert. Wenn man es aber gar nicht zeigen muss, weil man eh weiß, was passiert oder nur ganz subtil andeutet, dann ist das meist viel wirkungsvoller und eröffnet mehr. Explizites Zeigen von Gewalt finde ich nur dann gerechtfertigt, wenn sie genauso unausstehlich dargestellt wird, wie sie in der Realität ist.

Das ist ein gutes Beispiel: So bewegst du dich ja auch auf der Schwelle. Gerade wenn du Dinge zu explizit machst, schießt du oft am Ziel vorbei, weil der Schock darüber entweder erstarrt oder abstumpft.

Valentin Martins: Alleine, wenn du einen Film siehst in dem zehn Leute sterben. Im realen Leben sehe ich im Normalfall auch nicht zehn Leute in eineinhalb Stunden sterben. Das ist so bodenlos in vielen Filmen.

Simon Öggl: Da finde ich auch superspannend: Wie weit kann man eine Sache verzerren und trotzdem den Bezug zur echten Welt herstellen? Wenn man nämlich etwas macht, dass gar nicht an irgendwas Bekanntes anknüpft, dann steht es im luftleeren Raum und niemand wird es verstehen.

Das sind die Kunstwerke mit ganz langem Begleittext.

Simon Öggl: Auch übertragen auf die Sprache: Ich könnte total Gibberish reden, aber dann darf ich mich nicht wundern, dass mich niemand versteht.
Im Gegensatz dazu ist es aber auch uninteressant, wenn ich nur bereits Gesagtes wiederhole, also künstlerisch gesehen, nur bestehende Ideen recycle. Als ich aus der Uni rausgekommen bin und die Musik-Szene außerhalb des akademischen Kontexts kennengelernt habe, waren viele Musiker:innen oft schon gelangweilt von diesen paar Schmähs, die jede:r Student:in gelernt hat.
Dieses „Schul-Denken“ war früher an Universitäten natürlich noch viel stärker präsent: Die lehrende Person hatte eine neue Idee und gab diese an seine Schüler weiter, die diese dann weiterführen sollten.

Das Meisterklassen-Modell.

Simon Öggl: Gerade kommt mir in der zeitgenössischen Musik aber vor, dass viele Komponist:innen einen persönlichen Ideen-Schwerpunkt finden und ihren eigenen Schmäh entwickeln, sich also eher individualistisch wegbewegen von diesem Schul-Denken.

Man sollte eben zu Drahthaus gehen und es dort neu kombinieren.

Simon Öggl: Zum Beispiel!

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Und was passiert als nächstes?

Valentin Martins: Nächste Woche bringen wir jetzt erst mal das Album raus … Überraschung: Es wird Filmmusik! Und wenn alles gut geht, planen wir noch ein Feature vorm Sommer rauszulassen. Im Herbst kommt dann das nächste. Außerdem haben wir diese Woche spontan entschieden, dass wir in die Steiermark fahren und ein Waldstück oder irgendwas aufnehmen wollen, um damit in kurzer Zeit Sounds draus zu machen.

Simon Öggl: Bio-Beats!

Valentin Martins: Und wieder zurück zur Instrumental-Musik, eher in diese Down-Tempo-Richtung. Etwas, das auch tatsächlich im Live-Kontext zu viert besser aufführbar ist.

In einem Wald!

Valentin Martins: Könnte auch sein! Ein Nachteil bei den ganzen Features ist, dass du nicht auf jedes Konzert zehn Vokalist:innen mitnehmen kannst. Im Herbst kommt ein Feature mit einem Rapper raus und das kann einfach echt nur er. Niemand anderem ist zumutbar, genau diesen Vibe zu erzeugen. Man kann also nicht eine Sängerin für mehrere Tracks verwenden und Stimmen mitlaufen zu lassen ist halt auch eher halblustig. Und deswegen werden wir uns jetzt wieder auf die Instrumentalmusik konzentrieren und parallel dazu Features rausbringen. 

Simon Öggl: Ich glaub das passt ganz gut. Die Filmmusik ist auch eher wieder etwas zum Anhören. Das, was wir zum Anhören veröffentlichen und was wir in der Liveshow spielen wird sich auch in Zukunft vermehrt auseinanderentwickeln. Die stompigeren Sachen in den Live-Shows, aber parallel auch immer wieder ruhigere oder experimentellere Sachen.

Um das zusammenzufassen: Egal ob Pop, Wald oder Film: Ihr bleibt auf der Schwelle.

Valentin Martins: Genau! Ich find’s schön, dass wir langsam lernen, dass wir nicht alles in einen Track oder auf ein Album bringen müssen. Wir können größere Bögen spannen! So lassen sich unsere Interessen auch viel besser vereinen.

Simon Öggl: Gut abgeschlossen hast du das!

Danke für eure Einblicke.

Ania Gleich

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