„Unsere Musik soll natürlich den Bauch treffen.“ – PALINDROME im mica Interview

PALINDROME ist eine Band, die sich – wie man auch auf dem eben erschienenen neuen Album „Strange Patterns“ sehr schön hören kann – nicht unbedingt dem klassischen Rockformat entlanghantelt. Der Stil des Sextetts wird oftmals als Progrock beschrieben, wobei auch diese Bezeichnung eine viel zu kurz gegriffene ist. Es ist die immense musikalische und kompakt umgesetzte Stilvielfalt, die PALINDROME zu ihrem klanglichen Markenzeichen gemacht haben. Frontfrau ROSA NENTWICH-BOUCHAL und Bassist JÜRGEN BAUER im Interview mit Michael Ternai.

Ihre Musik zeigt sich als ein recht wildes Gemisch aus vielen unterschiedlichen Stilen. Ein wenig Progrock da, ein Prise Metal dort, dann wieder geht es in Richtung Funk und sogar Bläser kommen zum Einsatz. Wie bezeichnen Sie Ihren sehr vielfältigen Sound eigentlich selbst?

Jürgen Bauer: Angefangen haben wir im Progrock. Mittlerweile würde ich aber sagen, dass wir – besonders auf unserem neuen Album – im Mathrock angekommen sind. Ich finde, dass ist die passendere Bezeichnung für unseren Stil. Progrock zeichnet sich ja eher durch lange, etwas psychedelisch angehauchte Nummern mit langen und detailreich ausgearbeiteten Teilen aus. Und genau solche spielen wir eigentlich überhaupt nicht. Wir versuchen, unsere Stücke zwar auf sehr verspielte und vielleicht auch komplexe Art und Weise, aber doch recht schnell auf den Punkt zu bringen. Hört man sich unsere erste Platte an, sieht man schon eine recht deutliche Entwicklung. Früher war unsere Musik eigentlich noch mehr funk- und weniger gitarrenlastig. Auch sind wir immer auch von einem Stil zum anderen gesprungen. Heute wirkt unser Sound doch viel einheitlicher.

Rosa Nentwich-Bouchal: Man kann schon sagen, dass unser erstes Album noch eine Art Stilfindungsprojekt war. Es gibt sicher noch Elemente aus früheren Tagen, die auch jetzt noch leicht durchklingen, aber ich denke, dass wir heute musikalisch doch etwas zeitgemäßer unterwegs sind. Dahingehend passt der Begriff „progressiv“ auch schon wieder, weil progressiv zu sein ja auch bedeutet, sich weiterzuentwickeln. Und die stete Suche nach etwas Neuem ist natürlich ein Hauptbestandteil unserer Arbeit.

Ihre Musik soll also komplexer aufgebaut sein, aber nicht verkopft klingen?

Jürgen Bauer: Unsere Musik soll natürlich den Bauch treffen und nicht nur den Kopf fordern. Wir wollen einfach nur coole Nummern schreiben, die auch Leute ansprechen, die vielleicht nicht so super musikaffin sind, sondern einfach gern Rockmusik hören.

Rosa Nentwich-Bouchal: Klar ist bei uns vieles vielleicht etwas komplexer. Aber ich denke, die Leute finden spannend, wenn sie auch nach dem fünften und sechsten Mal Anhören einer Nummer, immer noch neue Sachen entdecken.

„Was das Songwriting betrifft, gehen wir auf jeden Fall heute viel bewusster an die Sache heran […]“

An Ihrer Musik wirklich auffallend ist, dass Sie den berühmten roten Faden nie verlieren.

Jürgen Bauer: Beim ersten Album hat dieser durchgehende rote Faden sicher noch gefehlt. Da haben wir zum Beispiel in Nummern am Anfang einen Teil gespielt, der dann nie wieder irgendwo vorgekommen ist. Was das Songwriting betrifft, gehen wir auf jeden Fall heute viel bewusster an die Sache heran und versuchen, uns bezüglich Strophe, Bridge und Refrain doch an bestimmten konventionellen Strukturen zu orientieren. Innerhalb dieser einzelnen Teile spielt sich immer noch alles sehr varianten- und ideenreich ab, nur fügt sich musikalisch alles zu einem runden und logischen Ganzen zusammen. Insofern probieren wir schon, es nicht allzu sehr ausufern zu lassen, damit der Song auch jederzeit fassbar bleibt.

Ist es nicht schwierig, sich dabei Grenzen zu setzen oder sich einzuschränken?

Rosa Nentwich-Bouchal: Ich sehe es ein wenig auch aus der Perspektive der Verfasserin der Texte. Es verhält sich ähnlich wie bei manchen Dingen des Lebens, die schwer zu erklären und zu beschreiben sind. Man muss erst die richtigen Worte und Formulierungen finden, um sie einfach und verständlich ausdrücken zu können. Und so ist es auch bei der Musik. Auf der einen Seite will man eine gewisse Komplexität fassen und transportieren, das aber auf eine Weise, dass sie verständlich ist und einfach rüberkommt. Das ist das Limit, das man sich selbst setzt, die Disziplin, die man sich selbst auferlegt. Es ist wie bei einer guten Rede. Da gibt es viele Sachen, die mitschwingen, aber nicht gesagt werden müssen, weil sie genau den Punkt treffen, der alles anspricht. Und genau diesen Punkt zu treffen ist das Schwierige.

Wie entsteht eine Nummer bei Ihnen?

Jürgen Bauer: In der Art und Weise, wie wir Musik machen, ist es sehr schwierig, die Sachen in einem Proberaum zu entwickeln. Dafür sind unsere Sachen einfach zu komplex. Es muss schon jemand von uns mit einer Idee kommen, die gut ist und die wir in der Folge auch ausarbeiten können. Im Endeffekt sind unsere Stücke ein Gemeinschaftsprodukt, weil eben alle mit ihrem Input etwas zum Entstehen beitragen.

Rosa Nentwich-Bouchal: Es ist bei uns nicht so, dass jemand mit einer fertig komponierten Nummer ankommt und die anderen spielen brav ihre Parts dazu. Eher bringt ein Bandmitglied eine Hookline oder einen bestimmten Rhythmus, die als Basis dienen und aus denen alle gemeinsam etwas entwickeln. Und dann erst stellt sich heraus, ob diese Nummer überhaupt Potential hat oder nicht. Und dann erst stellt sich heraus, ob diese Nummer überhaupt Potenzial hat oder nicht.

Jürgen Bauer: Und es kommt auch nicht selten vor, dass ein Instrumental bereits fertig ist und dann Rosa ihren Teil macht, der das Ganze wieder komplett verändert [lacht].

Rosa Nentwich-Bouchal: Ich finde es immer wieder sehr spannend, wie ein Teil, der mit dem Bestehenden kombiniert wird, dem ganzen Lied eine völlig andere Richtung gibt.

„Ich denke, man soll einfach nur machen. Wenn etwas nicht passt, soll man versuchen, es beim nächsten Mal besser zu machen.“

Inwieweit sind Sie vom Perfektionismus getrieben?

Jürgen Bauer: Das ist natürlich eine Art Gratwanderung. Aber wir versuchen, diesbezüglich schon die Linie zu halten. Ich habe auch schon in Bands gespielt, mit denen ich nie ein Album herausgebracht habe, weil eben zu lange an den Nummern herumgefeilt worden ist. Man muss schon auch schauen, dass man einmal zum Ende kommt. Ich denke, man soll einfach nur machen. Wenn etwas nicht passt, soll man versuchen, es beim nächsten Mal besser zu machen. Das verstehe ich unter Weiterentwicklung.

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Was sind Ihre musikalischen Einflüsse? Oder versuchen Sie, sich solchen komplett zu verschließen?

Jürgen Bauer: Ich denke, ganz frei von Einflüssen ist man nie. Man ist einfach in einer bestimmten Richtung sozialisiert. Was bei uns klarerweise auch der Fall ist. Wir haben alle einen sehr unterschiedlichen Background und finden uns in einer bestimmten musikalischen Schnittmenge wieder. Die Band At the Drive-In ist zum Beispiel eine solche.

Rosa Nentwich-Bouchal: At the Drive-In ist sicher eine Band, der wir alle nahe sind. Aber auch Acts wie Meshuggah, The Mars Volta, Refused oder Mike Pattons Fantômas. Bei mir kommen noch Patti Smith und David Bowie hinzu.

Jürgen Bauer: Unsere musikalische Vielfalt bedingt aber auch, dass wir mit unserem Stil nicht wirklich in ein bestimmtes Line-up hineinpassen. Die Leute wissen oftmals nicht, wo sie uns wirklich einordnen sollen. Manchmal spielen wir auf einem reinen Metal-Festival, dann wieder auf einem Hardcore- oder Punk-Festival.

Rosa Nentwich-Bouchal: Aber das ist auch in gewisser Weise verständlich, weil wir ja wirklich irgendwo dazwischen sind. Wir werden oftmals einfach dem Progrock zugeordnet, was aber auch nicht ganz richtig ist, denn dem typischen klassischen Begriff aus den Sechziger- und Siebzigerjahren entsprechen wir auch nicht.

Aber dennoch, es scheint sich hierzulande ja gerade in den letzten Jahren im Bereich des progressiven Rock einiges getan zu haben. Man denke nur an Mother‘s Cake, Lausch oder an andere Bands – vor allem aus dem Panta-R&E-Umfeld –, die den Kreis der Fans von anspruchsvolleren Rockklängen doch sehr verbreitet haben. Es scheint sich so etwas wie eine Szene entwickelt zu haben.

Rosa Nentwich-Bouchal: Was wir auf alle Fälle merken, ist, dass es jetzt viel mehr Bands gibt, mit denen wir gut zusammenarbeiten und -spielen können. Den Boden dafür bereitet hat mit Sicherheit auch zum Teil unser Label Panta R&E. Joni [Jonathan Gabler; Anm.] von Panta R&E zeigt ja, dass man an der Szene arbeiten kann. Natürlich bedarf es einer intensiven Vernetzungs- und Veranstaltungsarbeit, aber ich denke, dass die Szene durchaus das Potenzial hat, ein breiteres Publikum anzusprechen. Auf jeden Fall stellt sich die Situation heute um vieles besser dar als noch vor etwa zehn Jahren.

Auch Sie haben den Sprung aus den heimischen Konzertsälen geschafft. Sie haben in der Vergangenheit ja auch schon viel im Ausland gespielt. Und auch die aktuelle Tour führt sie raus aus Österreich. Wie hat sich das ergeben?

Jürgen Bauer: Wir haben jetzt einen Booker, der das für uns übernimmt. Davor haben wir unsere Touren selbst auf die Beine gestellt. 2011 zum Beispiel hatten wir eine große Tour, die uns durch Deutschland, Polen, das Baltikum und Skandinavien geführt hat. Damals ist viel über das gegenseitige Einladen von Bands gelaufen. Quasi nach dem Motto: „Wir organisieren hier in Österreich ein Konzert, bei dem ihr auch spielen könnt, dafür ladet ihr uns auch zu einem von euren ein.“

Rosa Nentwich-Bouchal: Mittlerweile haben wir aber wie schon erwähnt einen Booker, der das für uns macht. Zudem wollen wir uns jetzt darauf konzentrieren, regional und in benachbarten Ländern Fuss zu fassen.

Jürgen Bauer: Das macht irgendwie mehr Sinn, weil es leichter ist, öfter dort zu spielen. Dadurch erhoffen wir uns, eine größere Fanbase aufbauen zu können. Wenn man einmal alle heilige Zeiten irgendwo ein Konzert spielt, gestaltet sich das bedeutend schwieriger. Aber natürlich planen wir Konzerte auch in anderen Ländern. Im Moment versuchen wir, in England einige Termine aufzustellen. Es ist einfach supercool, anderswo zu spielen, andere Leute kennenzulernen und mit diesen zusammenzuarbeiten.

Wie sehen Ihre Erwartungen an die Zukunft aus? „Strange Patterns“ ist jetzt draußen und auch eine Tour ist erfolgreich am Laufen. Können Sie Ihre Ziele in wenigen Worten zusammenfassen?

Rosa Nentwich-Bouchal: Wir haben natürlich für dieses Jahr ein paar Ziele definiert. Wir wollen auf dreißig Gigs kommen. Darüber hinaus planen wir auch, am Ende des Jahres bereits neues Material für ein nächstes Album zusammenzuhaben.

Jürgen Bauer: Ein Ziel ist natürlich auch, dass wir uns musikalisch stetig weiterentwickeln, stetig in Bewegung bleiben und jeden Stillstand zu vermeiden versuchen. Tritt man nämlich irgendwann einmal nur noch auf der Stelle, wird es mühsam.

Michael Ternai

Palindrome live
23.04. KAPU, Linz         
25.05. Göllersdorf rockt, Gollersdorf     
23.06. Barba Negra, Budapest (H)     
08.07. ORWOhaus, Berlin (D)

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