„Lediglich Musik aufzuschreiben, die ich schon in mir höre, ist mir zu langweilig.“ – Gerald Futscher im mica-Interview

Der Komponist Gerald Futscher erlebt als Komponist ereignisreiche Zeiten. Er hat das Staatsstipendium 2013 erhalten und seine „Musik für Ensemble“ wurde kürzlich im Rahmen des Medienempfanges des Landes Vorarlberg erfolgreich uraufgeführt. Im Auftrag des Tiroler Ensembles „Windkraft“ entsteht ein Werk, in dem Futschers breites Interesse an den Naturwissenschaften und der Mathematik zum Ausdruck kommt. Weiters geplant ist die Komposition einer „Kurzoper“ für das Festival „Texte und Töne“, das nach langjähriger Pause im ORF Landesstudio wieder belebt werden soll. Im Gespräch mit Silvia Thurner erzählt Gerald Futscher über seine Kompositionsart, die bei vielen nicht von vornherein auf Zustimmung stößt. Er geht auf die Veränderungen seines Kompositionsstils in der letzten Zeit ein, spricht über seine neu entdeckte Faszination für die Mathematik und die naturwissenschaftliche Forschung und verrät etwas über die Pläne zu einem Projekt, das derzeit noch etwas plakativ als ‚Kurzoper’ bezeichnet wird.


Du hast im Auftrag des Landes Vorarlberg eine „Stück für Ensemble“ für die Klasse der Hochbegabten am Vorarlberger Landeskonservatorium komponiert. Wie hast du das Werk angelegt?

Gerald Futscher: Ich habe bei den „Auditions“ jenen Jugendlichen zugehört, die sich für die Aufnahme in der Hochbegabtenklasse beworben haben. Schnell war klar, wer für mein Vorhaben geeignet  ist und aus diesen Instrumenten habe ich die Besetzung zusammen gestellt und damit begonnen, die Stimmen und Klangfarben zu kombinieren. Die Saxophone waren sehr stark, das war auffallend, und die Geigen sehr virtuos, darauf habe ich das Werk angelegt. Das Akkordeon, gekoppelt mit der Celesta soll eine Vermittlungsrolle einnehmen. So entstand die Vorstellung, dass oben ein helles flirrendes Band erklingt, das in den tiefen Registern von Kontrabass und Cello begrenzt wird.

– Gedanken fließen lassen können –

Wenn sich Proben schwierig gestalten und Menschen auf deine Musik mit Unverständnis reagieren, plagen dich dann auch Selbstzweifel?
Gerald Futscher:Ja, ich muss stark gegen verunsichernde Selbstzweifel ankämpfen und verwerfe oft musikalische Ideen, an denen ich stundenlang gearbeitet habe. Ideal ist es, wenn die Gedanken fließen, wenn es ohne lange Überwindung vom Kopf in die Hand geht. Was immer dann dabei heraus kommt sind ja keine heiligen Kühe, musikalische Passagen können nachfolgend überarbeitet werden.

– Melodien, die nicht auf der Straße gepfiffen werden –

Wie möchtest du deine Musik verstanden wissen?

Gerald Futscher: Ein Komponist, der spezielle Stücke schreibt, die oft nur einmal oder wenige Male gespielt werden, muss sich schon mehr überlegen als lediglich gute Unterhaltung zu liefern. Musik aufzuschreiben, die ich eh schon in mir höre, ist mir zu langweilig, das würde ich nie tun. In diesem Fall kann ich das Radio einschalten, dort höre ich auch wunderschöne Musik. Es geht darum, Neues zu schaffen, das muss nicht zwangsläufig immer besser sein, sondern ist völlig wertfrei zu verstehen. Ich schreibe keine Gassenhauer und ich will nicht, dass man meine Melodien auf der Straße pfeift. Es muss etwas Besonderes sein, sonst rechtfertigt es den Aufwand nicht. Das ist mein Anspruch und darum ist es oft mühsam.

– Vierteltöne und harmonische Fortschreitungen –

Deine Musik hat sich meiner Wahrnehmung nach in der letzten Zeit verändert. Für dich waren polyphone Satztechniken stets wichtig, aber seit du mehr mit Vierteltönen arbeitest ist das Denken in harmonischen Fortschreitungen mehr in den Vordergrund getreten. Kann man das so sagen?

Gerald Futscher: Ja, ein konsequenteres Mitdenken der harmonischen Fortschreitungen ist neu. Früher habe ich das anarchisch gehandhabt und auf Harmonie komplett verzichtet. Was ich bisher linear gedacht habe, mache ich nun auch im Zusammenklang. Harmonik ist nichts anderes als Linearität ohne zeitliche Ausdehnung.

In den vergangenen Werken ist das Spiel mit Vierteltönen immer mehr in Erscheinung getreten. Welche Überlegungen leiten dich dabei?

Gerald Futscher: Mit Vierteltönen wird aus der Tradition heraus einfach weiter gebaut. Ich konzipiere Vierteltonreihen und leite daraus dann sowohl die polyphonen Strukturen, als auch harmonische Vorgänge mit kombinatorischen Verfahren ab.

– Komposition für „Windkraft“ –

Du hast dich in der letzten Zeit intensiv mit naturwissenschaftlichen Themen auseinander gesetzt. Was beschäftigt dich?

Gerald Futscher: Zur Zeit faszinieren mich die Molekularbewegungen, die der Botaniker Robert Brown im 19. Jahrhundert entdeckt hat und die daraus folgenden Diffussionsgesetze. Brown hat untersucht, nach welchen Gesetzmäßigkeiten sich ein Teilchen in einer Flüssigkeit bewegt und diese Erkenntnisse übertrage ich in musikalische Prozesse.

Von Kasper de Roo und dem Tiroler Ensemble „Windkraft“  hast du einen Kompositionsauftrag erhalten. Werden in diesem Werk diese Erkenntnisse quasi in Musik transferiert?

Gerald Futscher: Das Werk habe ich nun so konzipiert, dass die Brown’sche Bewegung und andere Diffusionsvorgänge dargestellt werden. Meine momentanen Selbstzweifel bewirkten, dass ich mehrere Varianten eines Werkes schreibe. Darin liegt auch ein Reiz. Immer wenn ich ein Stück fertig habe, denke ich mir, es steht nun so da, aber könnte ich das Ganze nicht auch anders machen und ich fange wieder von vorne an. Diese verschiedenen Varianten sind mir nun ganz wichtig.

– Bauhausatmosphäre –

Vorarlberg hat eine ländlich geprägte Kulturlandschaft. Hast du Ideen, wie man die Szene der zeitgenössischen Musik beleben könnte?

Gerald Futscher: Ja,  man müsste Ensembles gründen, um dann Konzepte zu entwickeln, bei denen das Konzert selbst der Endpunkt eines Prozesses ist. Eine gewisser „Bauhauscharakter“ sollte erzielt werden, bei dem ein Austausch zwischen den Musikern, den Komponisten und den Zuhörenden besteht. Wir müssen weg kommen vom üblichen Schema ‚Aufführung, Applaus und Ende’.

– Musik ist ein Drama –

Für das zweitägige Festival „texte und töne“, das 2013 im ORF Funkhaus wieder belebt werden soll, entsteht eine sogenannte Kurzoper. Hast du schon Pläne?

Gerald Futscher: Ich denke derzeit eher an ein „drama in musica“ wie es der italienische Komponist Salvatore Sciarrino einmal genannt hat. Das heißt, das Dramatische ist in der Musik oder anders ausgedrückt, das Drama ist die Musik oder die Musik ist ein Drama. In diesem Zusammenhang beschäftigt mich der Mund als die Öffnung des Menschen zur Welt.

Danke für das Gespräch.


Dieses Interview ist zuerst in der Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, im Dezember 2012 erschienen.

 

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Gerald Futscher