Interview Michael Strohmann: Mit dem aufblasbaren Computer-Dino ins kalte Wasser springen!

Susanna Niedermayr im Gespräch mit Michael Strohmann. Im Zentrum der musikalischen und künstlerischen Arbeit von Michael Strohmann steht die Frage nach der Wahrnehmung und die Suche nach bislang unbeschrittenen Wegen, ob nun als Komponist und Mitspieler von Fuckhead, als Mitglied der Performance Gruppe Toxic Dreams oder in seiner Solo-Arbeit. Am Donnerstag 15.2.07 sendet Ö1-Zeitton (ab 23.00 Uhr) ein Portrait über Michael Strohmann. Gestaltung: Susanna Niedermayr; aus diesem Anlass nachfolgend ein bereits am 25.8.2006 veröffentlichtes mica-Interview.  

Die Frage nach der Wahrnehmung, insbesondere nach der Selbstwahrnehmung, steht auch im Zentrum des Projektes, das Strohmann gemeinsam mit Didi Bruckmayr und Joreg “Imago” beim MODERNISTMOZART Festival präsentieren wird, für den ein digitaler Avatar entwickelt wurde, “der noch viel schlimmere Grimassen ziehen kann als Didi selber”.

Beim Festival MODERNISTMOZART wirst du gemeinsam mit Didi Bruckmayr und Joreg “Imago” auftreten, was habt ihr dem Festivalmotto “It’s never too late to have a happy childhood” zu entgegnen?

Michael Strohmann: Bei unserem Projekt wird es um dieses Spiel mit Identitäten gehen. Es wird einen digitalen Avatar geben, der noch viel schlimmere Grimassen ziehen kann als Didi selber. Im Endeffekt ist das natürlich alles ein Kinderspiel. Man spielt wen anderen, oder die Erweiterung von sich selbst, die Selbstüberschätzung oder die Selbstüberhöhung. Als Kind hat man ja diese Phantasien ständig, oder? Dass man viel größer und stärker ist und mit Dinosauriern spielt und letztendlich ist der Computer wahrscheinlich nichts Anderes als ein großer Dinosaurier, mit dem man spielen kann, weil er so eine Mächtigkeit verspricht, die er dann aber nicht halten kann. Für mich ist die Arbeit mit dem Computer ein Spiel mit Tools, die einen größer und stärker machen, die einem mehr Transformationsmöglichkeiten bieten.

Mit Didi Bruckmayr arbeitest du ja schon seit vielen Jahren zusammen, unter anderem auch in der Performance-Band Fuckhead. Wie bist du eigentlich zu Fuckhead gekommen?

Michael Strohmann:Die haben eine richtige Audition gehabt im Proberaum vom Posthof und ich hab gleich ein paar Saiten von der Gitarre abgerissen. Meine Performance war recht wild. Also ich hab so ein komisches wahnsinniges Noise-Solo gespielt und Thomas Pichler, der die Audition geleitet hat, hat gesagt: Passt voll in die Band.

Wann war das?

Michael Strohmann:1991

Du hast damals auch bei den ebenfalls sehr Performance orientierten Pest gespielt, gab es Berührungspunkte zwischen den beiden Bands?

Michael Strohmann:Ja, in gewisser Weise haben sich die beiden Bands auch befruchtet. Oft haben wir Ideen, die wir ursprünglich für Pest gehabt haben, dann in Fuckhead übernommen. Bei Fuckhead passiert irrsinnig viel durch Improvisation auf der Bühne, direkt während der Performance. Wir überlegen nicht vorher großartig, was da jetzt rauskommen soll. Wir haben einige grundlegende Konzepte und kleine Ideen, die wir dann ausprobieren und die dann auf der Bühne explodieren. Manchmal funktionieren sie und manchmal halt nicht, manchmal tut man sich weh und macht es nicht mehr, oder es fühlt sich nicht gut an. Eigentlich wird alles auf der Bühne ausprobiert, weil man die Performance ohnehin nicht proben kann.

Und woher kommt dieser Hang zu Grenzerfahrungen bzw. was zieht dich an dem Spiel mit Grenzerfahrungen an?

Michael Strohmann:Das lässt sich nicht wirklich in Worte fassen. Das ist so ein Körpergefühl, das aus dem Bauch und aus den Muskeln heraus kommt. Dieses Gefühl ist da und die Musik verhilft ihm bei der Performance zum Ausbruch. Die kompositorische Kopfarbeit wurde ja schon vorher gemacht. Die Musik ist also da und das Kleinhirn kann übernehmen. Wenn man einen 110 dB lauten Sound hat mit vielen Bässen, dann kann man sich da auch viel leichter hineinversetzen, in so einen anderen Zustand. Ich habe ziemliche Angst davor, das als Ritual zu bezeichnen weil das so ein großer Begriff ist, aber es gibt wohl Verbindungen.

Ende dieses, Anfang nächsten Jahres soll bei Mosz eine Fuckhead DVD erscheinen, was wird darauf zu hören und zu sehen sein?

Michael Strohmann:Einerseits ein ganz neues Programm und zum anderen alles, was wir bis jetzt gemacht haben. Die meisten Sachen sind ja auch schon vergriffen oder ausschließlich auf Vinyl erschienen. Fuckhead hat eine bereits so lange Geschichte, dass es, glaube ich, ganz gut ist, wenn man das mal alles zusammenfasst und auch einen Strich zieht, um zu schauen, wie es nun weitergehen kann.

Und gibt es da schon Ideen?

Michael Strohmann:Was es auf der DVD zu hören und zu sehen geben wird, ist eigentlich eher so ein Ausblick auf verschiedene Richtungen, in die es in weiterer Folge gehen könnte. Es kann durchaus auch sein, dass die nächsten Stücke sehr ruhig werden und dass es auch keine Performance mehr gibt. Vielleicht auch, weil wir halt alle älter geworden sind, weil auch diese jugendliche Energie, die wir mit Mitte 20 gehabt haben und die unbedingt raus musste, sich ihren Weg gebahnt hat und unsere Musik nun offensichtlich intellektueller und kopflastiger wird. Obwohl ich natürlich umgekehrt einen Weg finden möchte, der eine Performance weiterhin zulässt. Weil das einfach ein wichtiger Teil von uns ist. Es ist auch immer wieder befreiend ein Fuckhead Konzert zu spielen. Ich weiß nicht, wie es fürs Publikum ist, aber ich denk mir schon, dass das Publikum mitfühlt, zum Teil ist das sicher so. Jetzt kommt natürlich diese karthatische Wirkung ins Spiel, von der letztendlich alle PerformancekünstlerInnen sprechen, die mit Grenzerfahrungen arbeiten. Aber es gibt ja auch neurologische Untersuchungen, die von Spiegelneuronen sprechen, also dass es, wenn es jemandem weh tut, einem selber auch weh tut, weil unser Gehirn den Schmerz des anderen quasi spiegelt. Oder dass Gähnen ansteckend ist.

Du hast an der TU Wien Informatik studiert.

Michael Strohmann:Ja, aber nicht fertig. Ich habe nur Informatik studiert, damit ich mich besser mit Computern auskenne und dann damit besser Musik machen kann. Weshalb ich auch bald stattdessen eine Ausbildung am ELAK (Institut für Komposition und Elektroakustik an der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien, Anm. der Redaktion) begonnen habe.

Im Vordergrund stand also immer schon der Wunsch Musiker zu werden?

Michael Strohmann:Ja, eigentlich schon.

Als du den Computer für dich als Instrument entdeckt hast, in welche Richtung hast du da begonnen zu arbeiten? Was hat dich konkret interessiert?

Michael Strohmann:Ich bin mit meinen Effektgeräten und Taperecordern einfach nicht weitergekommen, die Mittel hatten sich erschöpft. Und dann steht da der Computer und sagt: Ich kann alles. Und da sagt man halt: Ok, schauen wir mal nach, ob er wirklich alles kann. Es hat sich schnell herausgestellt, dass das natürlich nur Theorie ist. Oft klingt das “alles können” ziemlich mager und dünn. Aber natürlich steht die Versprechung immer noch im Raum, d.h. man denkt sich, ok, man ist selber schuld, man muss halt mehr arbeiten, um herauszufinden, wie es wirklich geht. Und natürlich wird man immer wieder in die Schranken gewiesen. Also mir geht es so, dass ich oft total deprimiert bin, wenn ich mir ein Stück anhöre, dass ich mit Hilfe von Sinusgeneratoren und Klangsynthese gemacht habe und daneben ein Streichquartett. Dann denk ich mir: Verflixt, ich sollte eigentlich alles wegschmeißen und schauen, dass ich für Streichquartett oder großes Orchester komponieren kann, weil das einfach ein so raffinierter Klang ist.

Ich glaube, das Schwierige an der Arbeit mit dem Computer ist, für sich selber herauszufinden in welche Richtung man arbeiten will und dann konzentriert und fokussiert auf diesem Weg zu bleiben, eben weil der Computer eine Universalmaschine ist. Was war dein Weg?

Michael Strohmann:Also für mich hat sich einfach sehr schnell herausgestellt, dass von Null mit Klangsynthese und Sinusoszillatoren anzufangen nicht der richtige Weg ist. Und ich hab mir dann gesagt: OK, man muss mit schon gefundenem Material anfangen, und das dann so weit transformieren, bis man auf einen neuen Klang stößt, der einen in irgendeiner Weise befriedigt. Lange Zeit hat es mich auch sehr interessiert Stimme im Computer zu modulieren, weil Stimme an und für sich natürlich das emotionalste Instrument ist, das man spielen kann. Und durch mein Studium an der ELAK habe ich herausgefunden, dass viele mit dem Computer erzeugten Klänge keine Emotionalität aufweisen, weil Gehör und Gedächtnis – das Gehirn – sie nicht zu Klängen, die man bereits kennt zuordnen können. Deswegen empfinden wir die Klänge aus dem Computer immer als so abstrakt. Deswegen haben sie meistens keine Bedeutung für uns. Oft möchte man aber gerne auf so vorgefertigte Muster zurückgreifen, um irgendetwas in der Musik auszudrücken, wie etwa Traurigkeit. Mit einem Sinuston ist das halt irrsinnig schwierig. Deswegen sucht man nach einer Stimme, einer Melodie oder dergleichen, von der man ausgehen kann.

Wir haben zuerst von deiner Arbeit mit Fuckhead gesprochen, eine weitere Gruppe, mit der Du nun ebenfalls schon seit mehreren Jahren zusammenarbeitest, ist die Performance Gruppe Toxic Dreams. Wo treffen deine und die Interessen von Toxic Dreams aufeinander?

Michael Strohmann:Auch bei Fuckhead gab es ja immer schon diese theatralische Komponente, und warum Theater? Weil ich so wie so immer schon audiovisuell arbeiten wollte und im Theater lässt sich das eben supergut verwirklichen. Insbesondere mit einem so guten Team, mit dem man so gut kommunizieren kann und wo einfach die Chemie stimmt. Es gibt sehr viele gemeinsame Berührungspunkte zwischen meiner akustischen und audiovisuellen Arbeit und den Interessen von Yosi (Yosi Wanunu, Anm. der Redaktion). Und ganz grundsätzlich ist für uns beide diese Frage nach der Wahrnehmung sehr wichtig. Auch ist bei Toxic Dreams die akustische Ebene total hoch angesiedelt.

Stichwort Wahrnehmung. In deiner Abschlussarbeit für das ELAK, die man auf deiner Homepage auch in einer Zusammenfassung nachlesen kann, hast du dich mit den Wahrnehmungsphänomenen rund um das Hören beschäftigt. Dieses Thema scheint generell sehr zentral für dich zu sein.

Michael Strohmann:Ich stehe auf dem Standpunkt dass wir die Realität aus unserer Wahrnehmung erzeugen. Man kann ja aber die Wahrnehmung ziemlich verzerren, zum Beispiel mit Hilfe von Drogen. Und was ist dann noch Realität? Also das geht jetzt sehr ins Philosophische, obwohl ich da überhaupt nicht sattelfest bin. Es interessiert mich nur einfach, was Realität ist, oder was wir uns einbilden, dass Realität ist. Francisco Varela zum Beispiel sagt, dass unsere Realitäten einfach nur in unseren Gehirnen erzeugt wird, Aldous Huxley wiederum meint, dass das Gehirn lediglich eine Filterfunktion hat und überhaupt keine eigenen Ideen produziert. Die Frage ist, ob wir jemals hinter die platonischen Schattenspiele schauen und eine Erkenntnis erlangen können.

Was war deine Forschungsfrage?

Michael Strohmann:Meine Forschungsfrage war, ob es allumfassende Parameter gibt, die die Wahrnehmung von Musik bestimmen und es hat sich herausgestellt, dass diese eher gering sind. Vieles ist Kulturtechnik und vieles Spekulation. Also gerade zum Beispiel diese Annahme, dass es einem Embryo, wenn er Mozart hört supergut geht. Man kann dem Embryo genauso gut Heavy Metal vorspielen, dann steht er vielleicht auf Heavy Metal. Und auch die Versuchsanordnungen haben nicht wirklich viel Aussagekraft. Bei vielen ForscherInnen geht es überhaupt nur um die Frage, ob ein Embryo eine akustische Wahrnehmung und eine Erinnerung daran hat. Aber es gibt keine Langzeitstudien in diesem Bereich, die für die Musikausübung wirklich zu gebrauchen wären, zumindest ist mir noch keine untergekommen. Im Endeffekt läuft es sich darauf hinaus, dass einem das gefällt, was den meisten Menschen gefällt, und das ist dann halt so Easy Listening Popmusik. Und auf diese Erkenntnis wollte man natürlich nicht hinaus und mit der kann man erst recht nichts anfangen, weil man natürlich nach tiefer liegenden Parametern gesucht hat. Das heißt, man steht wieder dort, wo man angefangen hat und hat nichts gefunden, an dem man sich festhalten könnte. Was vielleicht auch ganz positiv ist, weil man dann ganz frei und abstrakt arbeiten kann.

Hat sich diese Erkenntnis auch direkt auf deine musikalische Arbeit ausgewirkt?

Michael Strohmann:Ich habe mich natürlich immer total dagegen gesträubt, zu einfache Musik oder Popmusik zu machen, aber für eine kurze Zeit habe ich dann diese Richtung eingeschlagen. Weil ich mir gedacht habe, man kann sich da nicht wirklich dagegen sträuben, das ist nun mal gerade so. Deswegen war ich wahrscheinlich auch eine Zeit lang in den Popmusikprojekten Nanola und Honolulu tätig. Aber auf jeden Fall vertrete ich jetzt wieder den Standpunkt, dass man doch mehr machen muss, ganz abgehobene Musik oder Klänge, einfach weil man etwas Neues machen muss; einfach nur um zu schauen, wie weit man gehen kann. Weil offensichtlich kann man eben auch dazulernen und ist nicht darauf beschränkt das zu hören, was alle hören. Natürlich ist es einfacher Easy Listening Musik zu hören. Ich mach das natürlich auch ständig zu Hause. Aber trotzdem ist es natürlich interessanter komplexere Musik zu hören. Es kann anspornend sein, Musik zu hören, die man nicht versteht; wo es auch gar nicht darum geht, dass man sie verstehen muss, weil sie einfach nur abstrakt ist und es gar nichts zu verstehen gibt. Das entbindet einen aber nicht unbedingt von der Aufgabe, sich selber als Komponist oder Musiker ein System zu überlegen.

Abgehobene Musik machen, weil man etwas Neues machen muss. Das klingt sehr so, als ob hinter dieser Aussage eine größere vielleicht auch politische Überzeugung steckt.

Michael Strohmann:Meine Reaktion kann nur eine musikalische sein, weil Musik einfach mein Ausdrucksmittel ist. Musik zu machen, die abstrakt ist, ist natürlich keine Antwort auf den derzeit wieder aufgeflammten Nahostkonflikt und auch nicht auf die kritische politische Lage im Kongo, ich bin auch nach wie vor unschlüssig, ob man sich so ausklinken darf, denn natürlich ist es eine Ausklinkung. Es ist jetzt eigentlich vorrangig einfach nur eine musikalische Utopie, die mit Strukturen und Klängen experimentiert die möglichst frisch und neu sind. Das ist die einzige Möglichkeit die ich gerade sehe, um irgendwo anders hinzukommen und nicht immer in dieser Tretmühle zu stecken, frei nach dem Motto: Haust du mich, dann hau ich dich. Vielleicht muss man einfach nur ein neues Bewusstsein entwickeln oder zu finden versuchen, das dann als Funke auf andere gesellschaftliche Bereiche überspringen kann.

Dieser Gedanke erscheint mir als gar nicht so weit hergeholt. Experimentelle Kunstformen waren in autoritären oder totalitären Systemen immer schon ein Hort des Widerstands.

Michael Strohmann:Es ist einfach nur ein künstlerischer Gedanke, der dann zum Wachsen anfängt und der unter Umständen aus einer musikalischen Beschäftigung kommt und sich dann vielleicht auf andere gesellschaftliche Bereiche überträgt. Wahrscheinlich passiert es nicht könnte man sagen, aber vielleicht eben doch. Vielleicht muss man nur mutig genug sein, zu hoffen. Ich glaube man muss einen Sprung ins kalte Wasser machen, in eine neue Richtung gehen. Aber ich habe das alles noch nicht wirklich ausformuliert für mich. Das ist eher das, was gerade in meinem Kopf braut. Also ich habe überhaupt noch nicht abgeschlossen damit. Ich habe noch nicht mal ansatzweise genug nachgedacht darüber. Aber da steh ich eben gerade.