Gehirnströme, die Musik generieren

Im Rahmen seines Artists in Residence-Programms stellt das BUNDESKANZLERAMT in Kooperation mit KULTURKONTAKT AUSTRIA ausländischen Kulturschaffenden Stipendien zur Verfügung. Von Oktober bis Dezember 2016 ist der polnische Komponist FRANCISZEK ARASZKIEWICZ zu Gast in Österreich. Marie-Therese Rudolph sprach mit ihm über seine installativen Werke, in denen mentale Zustände ebenso wie Infrarotstrahlen zur Klangerzeugung verwendet werden, seinen Zugang zur Visualisierung von Musik und seine Zeit in Wien.

Sie sind jetzt seit knapp drei Wochen hier in Wien. Was erwarten Sie sich von Ihrem Aufenthalt?

Franciszek Araszkiewicz: Ich hatte bereits vier Konzerte in dieser Zeit. Daher sind meine Erwartungen eigentlich bereits erfüllt worden. Ich wollte Gelegenheiten bekommen, aufzutreten, Lectures zu geben, Menschen aus der Musikszene und aus anderen Bereichen kennenzulernen – und das alles ist schon in den ersten Wochen passiert. Ja, und es geht weiter: demnächst habe ich schon wieder ein Konzert, in den Amann Studios.

Was steht beim diesem Konzert am 29.10.2016 auf dem Programm?

Franciszek Araszkiewicz: Elektroakustische Musik. Ich werde drei Kompositionen aufführen. Die erste heißt „Aleph and Continuum“ und zählt zur „traditionellen“ elektroakustischen Musik für fixed media – und zwei weitere mit Live-Elektronik. Davon basiert eine auf den Aktivitäten von Gehirnströmen in Echtzeit – zu diesem Thema habe ich bereits in Graz an der Musikuniversität eine Lecture gegeben. Besonders freut es mich, dass ich hier mit Michael Fischer kooperiere, der Saxophon spielen wird während seine Gehirnströme auf die elektronische Klangerzeugung wirken.

Die andere Komposition bezieht sich auf die elektromagnetischen Felder in den Amann Studios. Dabei verwende ich „Electroslutch“, mit dem ich die dort existierenden elektromagnetischen Felder in Klänge verwandle.

Unterschiedliche Intensitäten mentaler Zustände

Wie funktioniert das, wenn aus Gehirnströmen Musik generiert wird?

Franciszek Araszkiewicz: Man bringt ein Gerät mit Sensoren am Kopf an und misst so die Gehirnströme, ihre Intensität sowie die Frequenzen. Die unterschiedlichen Frequenzpegel entstehen durch die mentalen Zustände. So geht der Pegel zum Beispiel hinauf, wenn man konzentriert ist, und wenn man längere Zeit auf einen Punkt starrt, dann steigt die Konzentration, der Pegel steigt weiter.

Diese Technik verwende ich seit etwa zwei Jahren, habe mehrere Werke damit komponiert, auch unter Einbindung von Publikum und mit improvisatorischen Elementen, Jazz-Improvisationen und interaktiven stochastischen Prozessen.

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Inwieweit kann man über Gefühle und mentale Zustände die Musik beeinflussen? Ist das Ergebnis immer so, wie Sie sich das vorgestellt haben?

Franciszek Araszkiewicz: Nicht wirklich. Die Gehirnströme beeinflussen den Klang und man kann lernen, sich bewusst in unterschiedliche mentale Zustände zu versetzen. Die Klänge sind allerdings nicht immer denselben Zuständen zugeordnet, insofern repräsentieren sie nicht eins zu eins den Zustand. Die Musik stellt also nicht den mentalen Zustand dar, sondern reagiert darauf.

Die Klangerzeugung mittels Gehirnströmen hat bereits eine fünfzigjährige Geschichte: Alvin Lucier arbeitete erstmals 1965 an diesem – nennen wir es Subgenre der experimentellen Musik. Seit damals wurde sehr viel daran geforscht. Für mich ist es sehr wichtig, dass das Publikum sehen kann, dass eine Interaktion stattfindet, dass hier etwas übersetzt wird. Daher verwende ich auch manchmal Visuals.

Erzählen Sie bitte etwas über das Projekt „Harp of elements“.

Franciszek Araszkiewicz: Das habe ich für die Biennale für Kunst für Kinder in Poznań entwickelt. Es ist eine Infrarot-Harfe, die mir gehört und von Peter Sych konstruiert wurde. Dieses Instrument ist mit 36 Infrarotstrahlen quasi bespannt. Wenn ich mit der Hand oder einem Gegenstand einen Strahl kreuze, dann wird ein Klang ausgelöst, der im Vorfeld natürlich komponiert werden musste. Ich habe dieses Instrument schon mehrfach für Installationen und Performances eingesetzt.

Infrarot-Schranken als Quasi-Saiten

In diesem Fall war es eine recht einfache Idee: Der Rahmen der Harfe ist ein Quadrat mit 1,24 Metern Länge, für Kinder also ganz schön groß. Sie bewegten sich darin und die Klänge entsprachen Naturelementen wie Wasser, Feuer, Luft. Zusätzlich waren ein paar „Saiten“ so programmiert, dass die Klänge neu zugeordnet wurden. Das veränderte das gesamte Klangbild und die Klangfarben.

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Sie sind sehr vielseitig tätig. In welcher Tradition sehen Sie sich? Wer hat Sie künstlerisch beeinflusst?

Franciszek Araszkiewicz: Wenn ich an die Klassiker des 20. Jahrhunderts denke, dann hatten sicher Pierre Boulez, Iannis Xenakis und Karlheinz Stockhausen – alle aus unterschiedlichen Gründen – Einfluss auf mich. Und natürlich haben mich auch meine Lehrer in Polen beeinflusst: Derzeit mache ich mein Doktorat bei Marcel Marcel Chyrzyński in Krakau, davor war ich lange bei Marek Chołoniewski und Krzysztof Knittel. Alle drei arbeiten sowohl mit neuen Medien, als auch mit traditionellen akustischen Instrumenten oder relativ traditioneller Notation.

Welches musikalische Gebiet ist das wichtigste für Sie?

Franciszek Araszkiewicz: Da möchte ich mich nicht festlegen. Vielleicht irgendwo dazwischen. Ich möchte akustische mit elektroakustischer Musik und interaktiven Installationen mischen. So, wie es das jeweilige Projekt gerade erfordert.

Konzert mit dem ensemble reconsil

Zum Beispiel das Stück, das vom ensemble reconsil kürzlich in Wien uraufgeführt worden ist: Die Art, wie die Klänge organisiert sind, geht auf meine Erfahrungen mit elektroakustischen Live-Performances wie etwa die Transformation der Gehirnströme zurück und ist auf eine gewisse Weise zurücktransferiert. Durch diese Experimente entdecke ich Klänge, die ich mir vorher gar nicht vorstellen konnte. Jetzt kann ich sie als Komponist für herkömmliche Instrumente einsetzen.

Wo haben Sie Ihre Erfahrungen mit Elektroakustik und Technik gesammelt?

Franciszek Araszkiewicz: Derzeit mache ich ja mein Doktorat in Krakau und dort gibt es ein sehr gutes Studio, das von Marek Chołoniewski geleitet wird. Heutzutage ist es nicht mehr zwingend notwendig an einem renommierten Studio zu arbeiten, da ja die Verfügbarkeit der Programme mittlerweile eine ganz andere ist. Und jetzt werde ich die Amann Studios kennenlernen.

Wie beginnen Sie eine neue Komposition?

Franciszek Araszkiewicz: Das ist unterschiedlich. Zuerst kommt das Strukturelle, dann das Emotionale.

Spielen Sie ein Instrument?

Franciszek Araszkiewicz: Ja, Klavier. Aber nur in seltenen Situationen in der Öffentlichkeit. Und natürlich regelmäßig meine eigenen Instrumente wie etwa die Infrarotharfe.

Wie stehen Sie zur Visualisierung von Musik in Form von Videos?

Franciszek Araszkiewicz: Es hängt von meiner jeweiligen Arbeit ab. Meistens arbeite ich nur auf der akustischen Ebene, wenn es mir aber notwendig erscheint, dann gestalte ich dazu auch ein Video. In Ausnahmefällen wie etwa für „Minutes“ für acht Celli, Elektronik und Video hat Anna Petelenz das Video beigesteuert. Da fand die Uraufführung in einem großen Kinosaal statt.

Wie entstand das Video zu „First World Virus“?

Franciszek Araszkiewicz: Ein enigmatisches Werk. Man glaubt unheimliche Dinge, wie etwa Viren durch ein Mikroskop oder Objekte aus dem Weltall zu sehen. Aber in Wirklichkeit sieht man eine bearbeitete Aufnahme einer Straße hier in Wien. Das war die Idee.

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Wie es mit dem KulturKontakte Austria-Stipendium weitergeht

Was haben Sie in den nächsten Monaten geplant?

Franciszek Araszkiewicz: Nach meinem Konzert in den Amann Studios gebe ich eine Lecture an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, eingeladen von Karlheinz Essl, zum Thema „Organization of sound material derived from mathematical formulae“. Hauptsächlich arbeite ich aber an meinem neuen Werk für Orchester und interaktive Installationen, das mein Doktorats-Abschlussstück wird. Die Elektronik wird durch Gehirnströme und den globalen Markt, also Mikroskalen und Makroskalen gesteuert.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Marie-Therese Rudolph

Zur Person Franciszek Araszkiewicz:

Franciszek Araszkiewicz studierte Komposition an der Musikakademie in Krakau bei Krzysztof Knittel und Marcel Chyrzyński. Er komponiert Vokal-, Instrumental- und elektroakustische Musik, und erarbeitet audiovisuelle und interaktive Installationen. Seine Kompositionen wurden bei zahlreichen polnischen und internationalen Festivals aufgeführt. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. erhielt er 2014 den Avenir Foundation Research Grant des Arnold Schönberg Centers Wien und das Stipendium für Musik der Stadt Krakau, war 2015 Artist in Residence in der Villa Waldberta in München und wurde im selben Jahr vom polnischen Ministerium für Kultur und Nationalerbe für seine außergewöhnlichen Leistungen als Student einer Kunstakademie ausgezeichnet. Von Oktober bis Dezember 2016 ist er Artist in Residence in Wien auf Einladung des Bundeskanzleramts und KulturKontakt Austria.

Links:

Website des Künstlers: www.araszkiewicz.fr/

Das Artist in Residency-Programm bei KulturKontakt Austria: www.kulturkontakt.or.at/html/D/wp.asp?pass=x&p_title=6126&rn=160317

Konzert Amann Studios, am 29.10.2016 um 20:00: http://www.amannstudios.com/news/studio-concert-collaboration-kulturkontakt-austria

Live Stream des Konzerts: http://www.amannstudios.com/live-stream