Blickt man auf die verschiedenen musikalischen Projekte von Anna Sophia Defant, wird eines sofort klar: Die aus Saalfelden stammende Pianistin, Improvisatorin und Komponistin bewegt sich mit bemerkenswerter Leichtigkeit in unterschiedlichsten musikalischen Kontexten. Das Verharren in einer festen Position ist für sie keine Option – musikalische Ungebundenheit ist ihr kreatives Leitmotiv. Auch ihr neues Projekt s:e ist abseits gewöhnlicher musikalischer Parameter angesiedelt. Gemeinsam mit dem Gitarristen Kenji Herbert, dem Saxofonisten Jakob Gnigler und dem Schlagzeuger Michael Prowaznik formt sie ein Quartett, das auf einem tiefen musikalischen Verständnis und einer offenen Herangehensweise basiert. Anstatt festen Strukturen zu folgen, entsteht die Musik im Zusammenspiel, geprägt von einer intensiven gegenseitigen Wahrnehmung. Alle bringen ihre eigene künstlerische Handschrift mit, doch anstatt sich auf festgelegte Rollen zu beschränken, wechseln die Aufgaben fließend. So bleibt die Musik stets im Wandel – sie greift unterschiedliche Stilrichtungen auf, löst sich von ihnen und entwickelt sich organisch weiter, mal verdichtend, mal öffnend, immer in Bewegung. Das Debütalbum des Quartetts erscheint im Juni bei Unit Records. Im Interview mit Michael Ternai erläutert Anna Sophia Defant ihr Verständnis von Improvisation und wie ihr Quartett dieses auf aufregende Weise mit musikalischem Leben erfüllt.
Du bist ja schon länger im Geschäft und hast bereits viele Projekte in unterschiedlichen Richtungen mit einigen sehr namhaften Leuten realisiert. Interessanterweise stammen deine bisherigen Partner:innen alle aus ganz verschiedenen musikalischen Ecken. Inwieweit ist es ein Leitmotiv deines Schaffens, deine Fäden in so viele Richtungen zu spannen?
Anna Sophia Defant: Ich finde es immer besonders spannend, mit welcher Person man es gerade zu tun hat. Das ist mir auch in meiner jetzigen Band sehr wichtig. Ich arbeite und spiele generell gerne mit Leuten zusammen, die gut zuhören und aufeinander eingehen können. Solche Menschen gibt es in den unterschiedlichsten Genres. Besonders spannend ist es, wenn diese musikalischen Welten aufeinandertreffen und man durch gute musikalische Kommunikation etwas Neues entstehen lässt. So entwickeln sich neuartige Sounds.
Es geht also sehr viel um die Person, mit der man es zu tun hat. Meistens sind es Musiker:innen, mit denen ich bereits in Sessions improvisiert habe. Diese Sessions sind ein wichtiger Bestandteil der Szene, ein Ort, an dem unterschiedlichste Menschen aus verschiedenen Richtungen zusammenkommen.
Ich selbst komme ursprünglich aus einer ganz anderen Richtung – ich habe Klassik studiert. Deshalb finde ich es total spannend, wenn alle etwas mitbringen, von dort, wo sie herkommen und trotzdem total offen damit umgehen und aufeinander eingehen.
Die Klassik war deinen musikalischen Vorstellungen dann doch etwas zu eng gefasst.
Anna Sophia Defant: Ja, so kann man es sagen. Ich mag die Klassik jetzt aber auch nicht schmälern, sie war immerhin mein Eintrittsticket und auch der Ansporn, Musik auch nach der Schule weiterzumachen. Sie hat mir auch extrem viel eröffnet. Ich habe immer auch Interesse an zeitgenössischer Musik gehabt. Und da trifft es sich wieder. ich bin über die zeitgenössische Musik und über das, was da innerhalb von Kompositionen teilweise passiert und welche Freiräume da eröffnet werden, zu der Musik gekommen, die ich jetzt mache, zur frei improvisierten Musik.
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Du hast das Wort „gegenseitig Zuhören“ verwendet. Wann hast du bemerkt, dass dieser Aspekt beim Musizieren für dich im Vordergrund steht?
Anna Sophia Defant: Für mich ist das gegenseitige Zuhören die einzige Möglichkeit, im Moment zu sein und eigene Musik zu machen. Es klingt jetzt lustig, wenn ich sage, ich höre erst einmal zu und mache dann eigene Musik. Aber ich finde, das ist für mich das Um und Auf, um zu erkennen, wo es musikalische Freiräume gibt, wo gibt es Platz. Es ist so wie bei einem Gespräch, wenn man sich mit Leuten unterhält, wo sind die Momente, in denen man etwas zu sagen hat, wann hört man zu. Dieses Spiel damit und es auch zu erkennen, wo der Raum ist, finde ich extrem wichtig. Und das „Im -Moment-Sein“ funktioniert für mich dann gut, wenn nicht genau vorgegeben ist, was jetzt wann passiert.
Kompositionen sind manchmal natürlich auch sehr gut, weil, man kann ja auch sehr frei gestaltete Kompositionen machen. Aber gerade in meinem Klassik-Studium war es für mich schwierig, den Moment des Musizierens irgendwie auch zu genießen, weil so viel an Gedanken rundherum mitschwingt. Was war jetzt bei dieser Stelle? Wie war es bei der? Das ist in der Musik, die ich jetzt mache, ganz anders, weil ich mich der Situation widmen kann und mich auf sie einstellen kann.
Improvisierte Musik ist eine, mit der man sich auseinandersetzen muss und die von manchen schon auch als verkopft und sperrig empfunden wird. Dieses Gefühl habe ich bei der Musik von s:e nicht. Sie hat einen sehr fließenden Charakter, obwohl sie frei und stilistisch sehr breit ist.Es wirkt so, als würdet ihr euch sehr vom Gefühl leiten lassen, weniger vom Kopf.
Anna Sophia Defant: Jein.Ich sehe es immer gerne so, dass man aus den Sachen, mit denen man sich auf intellektueller Ebene auseinandersetzt, immer auch etwas mitnimmt. Wenn man diese Basis nicht hätte, dann wäre es ja schnell einmal beliebig. Aber die Leute, mit denen ich Musik mache, bringen alle ihre Herkunft, ihr individuelles Paket an Fähigkeiten und ihre Erfahrungen mit und auch ein. Daher würde ich meine Musik nicht nur als eine betrachten, die rein aus Gefühlen entsteht, sondern als eine, die ein Denken in musikalischen Strukturen voraussetzt. In diesen Strukturen bewegt man sich und erkennt, wo bestimmte Momente und Räume entstehen.
Dieses Verständnis habe ich aus einem Workshop mit dem Musiker Christian Lillinger mitgenommen. Dieser Workshop hat mir eröffnet, was diese Musik sein kann – dass frei improvisierte Musik eben nichts Esoterisches ist, bei dem man sich nur fallen lässt und dann irgendetwas passiert, das man nicht in der Hand hat. Sie hat durchaus ihre Strukturen und kann sehr intellektuell sein. Das ist ein Bild, das ich immer mitnehme.
Du spielst in mehreren Projekten, die stilistisch alle sehr unterschiedlich sind. Bei s:e habe ich das Gefühl, dass die Band musikalisch eine Art Zusammenfassung all dieser Projekte ist. Täuscht mich mein Eindruck?
Anna Sophia Defant: Ja, ich sehe das ähnlich. Ich habe die Musiker dieser Band ganz bewusst ausgewählt – allesamt Menschen, mit denen ich bereits zusammengearbeitet habe und die ich gut kenne. Mit Kenji [Herbert; Anm.] zum Beispiel habe ich immer wieder im Rahmen der Monday Improvisers Sessions im Celeste in verschiedenen Konstellationen gespielt. Bei ihm hatte ich schnell das Gefühl, dass wir uns auf musikalischer Ebene gut verstehen. Wenn wir zusammenspielten, gab es immer wieder Momente, die einfach wirklich gut funktioniert haben. Ganz ähnlich war es bei Jakob [Gnigler; Anm.]. Auch Michael [Prowaznik; Anm.] hat Kenji und Jakob über die Monday Improvisers Sessions kennengelernt und machte eine ähnliche Erfahrung. Deshalb war die Besetzung eigentlich recht schnell klar.
Sowohl Kenji als auch Jakob bringen etwas ganz Eigenständiges mit, das teilweise völlig unterschiedlich ist. Gerade das macht es spannend, all diese Elemente in eine Band einzubringen. Michael am Schlagzeug fügt zudem eine weitere Facette hinzu.
Gleichzeitig gibt es innerhalb der Band auch musikalische Verbindungen: Man merkt zum Beispiel, dass Michael und Kenji eine ähnliche musikalische Herkunft oder Sozialisation haben. Auf der anderen Seite teilen Jakob und ich vielleicht eine Linie, die sich auf eine ähnliche Weise entwickelt hat. In der Summe entsteht daraus aber wieder eine ganz eigene Vernetzung – und genau das finde ich an diesem Projekt so spannend.
Als was kann man s:e eigentlich verstehen? Als eine Solo-Band von dir, in der du die Richtung vorgibst, oder als ein gemeinschaftliches Projekt?
Anna Sophia Defant: Es ist tatsächlich so, dass dieses Projekt gemeinsam entstanden ist. Ich wusste von Anfang an genau, dass ich mit diesen drei Musikern arbeiten möchte, weil sie einfach großartige Zuhörer sind – und das ist für mich essenziell. Besonders bei Michael wusste ich schon im Vorhinein, dass er ein extrem sensibler Musiker ist, der hervorragend auf andere eingehen kann. Er versteht, wie man eine Basis schafft, von der aus alle mitgehen können.
Bei s:e entsteht die Musik aus dem gemeinsamen Spiel heraus – und das auf eine sehr freie Art. Wir sind ins Westbahnstudio gegangen und haben einfach gespielt. Aufgenommen hat das Ganze Alexander Yannilos, der ebenfalls eine entscheidende Rolle gespielt hat. Da er selbst aus der Szene kommt und die Musik gut kennt, mussten wir ihm nichts erklären oder darauf hinweisen, worauf er achten sollte. Er war ein wichtiger Faktor in diesem Prozess.
Was besonders spannend ist: Wir vier haben bereits mehrmals an unterschiedlichen Orten zusammengespielt und dabei eine gemeinsame musikalische Sprache gefunden. Beim letzten Konzert im Porgy & Bess war es schön zu erleben, wie wir einfach zu spielen begannen und jederzeit wussten, wo wir uns musikalisch befinden. Wir haben diese Orte, die sich im Aufnahmeprozess und auch in der Gestaltung vom Album herauskristallisiert haben, zu denen wir immer wieder zurückfinden. Und das auf eine natürliche und mühelose Art.
Was bedeutet s:e eigentlich?
Anna Sophia Defant: Der Name „s:e“ bezieht sich übrigens auf das Wort „See“, da mir diese Allegorie für unsere Musik passend erschien. Ein See vermittelt für mich eine gewisse – manchmal überraschend große – Tiefe und zugleich eine Geborgenheit, die unsere Musik für mich auch innehat.
Hattest du bei diesem Projekt eigentlich eine ganz bestimmte instrumentale Besetzung im Kopf?
Anna Sophia Defant: Die Instrumentalbesetzung war anfangs gar nicht so festgelegt. Mir geht es vielmehr um die Musik, die jemand macht oder im Kopf hat. Trotzdem finde ich es sehr spannend, mit einer Gitarre und gleichzeitig ohne Bass zu spielen, weil die Kombination aus Klavier und Gitarre in dieser Form eher selten ist – eben weil beide harmonische Instrumente sind. Gerade deshalb finde ich es umso faszinierender, dass diese Kombination bei uns auch ohne vorherige Absprachen so gut funktioniert.
Wie sieht es eigentlich mit Inspirationsquellen aus?
Anna Sophia Defant: Spannende Frage! Ich glaube, das ist in dieser Band sehr individuell – da kann ich nicht wirklich für die anderen sprechen. Aber es kommt durchaus vor, dass man beim Spielen etwas hört, das einen an etwas erinnert, und diesen Impuls dann weiterentwickelt. Manchmal entstehen plötzlich sehr rockige Momente, zu denen sich dann ein Drone hinzugesellt, oder es geht in eine sehr frickelige Richtung, die wiederum musikalisch etwas auslöst. Konkrete Inspirationsquellen zu benennen, ist dabei allerdings schwierig. Zumindest, was die Band betrifft.
Persönlich gibt es natürlich Künstlerinnen und Künstler, die mich inspiriert haben. Im Jazz sind es Musiker wie Thelonious Monk oder John Coltrane. Aber auch aus der zeitgenössischen Musik schöpfe ich Inspiration. Ein Stück, an das ich immer wieder denken muss, wenn ich improvisiere, ist eine Etüde von Toshio Hosokawa, die an die Shakuhachi-Flöte angelehnt ist. Ich habe sie bei meiner Abschlussprüfung gespielt, und sie hat mich geprägt. In der Klassikhabe ich mich besonders intensiv mit Debussy beschäftigt und seine Musik oft gespielt. Ich bin auch ein Fan von sehr feinen Singer-Songwriter-Momenten, in denen harmonisch etwas Besonderes passiert. Eine große Inspiration ist für mich außerdem die gesamte Szene um Elias Stemeseder und Christian Lillinger, ebenso wie die nordische Jazz-Impro-Szene und die Avantgarde, die ich total spannend finde.
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Wichtig war und ist für mich immer das Internationale Jazzfestival Saalfelden, wo ich einige Künstlerinnen und Künstler live erleben durfte, die mich nachhaltig geprägt haben. So habe ich mit 12 Jahren die Pianistin Carla Bley gesehen – ein prägendes Erlebnis. Auch die Pianistin Sylvie Courvoisier, mit deren Trio-Album „D’Agala“ ich mich in den letzten beiden Jahren intensiv auseinandergesetzt habe, sah ich dort erstmals. Ebenso Marta Warelis, die ich vor zwei Jahren dort hörte, als sie mit Dave Douglas’ New Quintet spielte.
Nicht unerwähnt lassen darf ich Kaja Draksler, die ich auf der Intertonale in Scheibbs kennengelernt habe. Ihre Projekte – ganz besonders Punkt.Vrt.Plastik mit Christian Lillinger – gehören zu meinen absoluten Favoriten. Ebenso fasziniert mich Franz Hautzinger, dessen Zugang zur Musik sowie seine unglaublich feinfühlige, einzigartige und vielleicht auch etwas kompromisslose Spielart mich seit vielen Jahren begeistern.
Essentiell für meine musikalische Sozialisation in Wien war die JazzWerkstatt Wien. Durch dieses Musiker:innen-Kollektiv habe ich letztendlich – wenn auch über Umwege – zu der Musik gefunden, die ich heute mache. Dafür bin ich sehr dankbar. Meine Inspirationsquellen sind also breit gefächert.
Wie schon erwähnt, hast du mehrere Projekte am Laufen. Wo lässt sich s:e von der persönlichen Bedeutung her einordnen. Was macht diese Band vielleicht etwas besonderer?
Anna Sophia Defant: Die Band ist für mich schon etwas Besonderes – zum einen wegen der Musiker selbst, zum anderen aufgrund ihrer Entwicklung. Eigentlich entstand die Band dadurch, dass Michael einen Gig vereinbarte und wir dann darüber sprachen, wer mitspielen könnte. Ich machte ein paar Vorschläge – darunter Kenji und Jakob, mit denen ich zuvor schon mehrfach zusammengespielt hatte. Ich dachte mir, das könnte gut passen. Und so war es auch. Das Konzert war großartig, die Band hat einfach super funktioniert. In der Folge spielten wir weitere Konzerte, und je öfter wir auf der Bühne standen, desto besser fühlte es sich an.
s:e ist aktuell das Projekt, bei dem ich mich am meisten zuhause fühle. Die Musik des Quartetts hat sich über die letzten Monate hinweg stetig zu etwas sehr Eigenständigem und Rundem entwickelt – ein Prozess, der mit unseren Konzerten begann und schließlich in der Entscheidung mündete, ein Album aufzunehmen. Dieses Gefühl von musikalischer Heimat und gewachsener Identität möchte ich nun – in Form unseres Albums – mit der Welt teilen.
Herzlichen Dank für das Interview.
Michael Ternai
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Links:
Anna Sophia Defant
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Unit Records