Festivals der Neuen Musik

„Nur, was man besonders liebt, kann man auch besonders mitteilen“, verrät Markus Hinterhäuser in einem mica-Interview über die Gestaltung des Konzertprogramms der Salzburger Festspiele, die als die ältesten des Landes gelten und denen der Pianist und Kulturmanager einen neuen Anstrich verpasst hat. Mit der thematischen Verbindung von traditionellem Konzertrepertoire und neuen Werken wurde das als konservativ deklarierte Publikum mit Komponisten wie Salvatore Sciarrino, Wolfgang Rihm und anderen Zeitgenossen in Kontakt gebracht – und anstatt sich über die Unzugänglichkeit des Neuen zu beschweren, wurde die aus der Musik abgeleitete Zusammenstellung vom Publikum wie auch von den Medien äußerst positiv aufgenommen.

Ein Sonderfall in der österreichischen Festivallandschaft, spezialisieren sich etliche Veranstaltungsreihen dezidiert auf Neue Musik, oder aber das Zeitgenössische wird im Rahmen einer eigenen Programmschiene präsentiert. Vom Alltäglichen heben sich Festspiele oder Festivals per definitionem ab, und so schmücken sich die Veranstaltungen zu alter wie auch neuer Musik mit oft aufwändigen Produktionen. Während die Neue Musik im gängigen Konzertbetrieb nur eine untergeordnete Rolle spielt, bieten sich bei Festivals über das gesamte Jahr hinweg und über das ganze Land verteilt Gelegenheiten, sich intensiv mit zeitgenössischem Musikschaffen auseinanderzusetzen.

Zunächst zu den großen Playern der Szene: Eine Intensivkur in Sachen Neuer Musik bietet seit 1988 das von Claudio Abbado ins Leben gerufene Festival Wien Modern, bei dem vier (und später) drei Wochen mit diversen Schwerpunkten zu einzelnen Komponisten fast ausschließlich im Zeichen der Neuen Musik stehen. Aber nicht nur in puncto Quantität hat das in der Bundehauptstadt angesiedelte Festival einiges aufzubieten; unter der Leitung von Berno Odo Polzer, der Wien Modern im ersten Jahrzehnt des neuen Millenniums maßgeblich geprägt hat, wurden das Konzerthaus und der Musikverein um Aufführungsorte wie das Schömer-Haus, das Semper-Depot wie auch um Clubs und Kinos erweitert – damit einher ging auch eine Öffnung hin zu Grenzbereichen wie Improvisation und populäreren Formen. Beim alljährlich vergebenen Erste Bank Kompositionspreis wird jeweils einE KomponistIn mit der Aufführung eines neuen Werkes durch das Klangforum Wien bedacht, dieses auf einer bei dem Label Kairos erscheinenden Aufnahme auch einem größeren Publikum zugänglich gemacht und weitere Aufführungen des Werks in Aussicht gestellt – eine auf Nachhaltigkeit angelegte Unterstützung für überwiegend junge KomponistInnen, die sich unter dem Kurator Lothar Knessl in etlichen Fällen als zukunftsweisend herausgestellt hat.

Dem Neuen zugetan ist aber auch der Westen des Landes, in dem seit 1994 die Klangspuren im Tiroler Schwaz das Publikum mit Neuer Musik versorgen und dabei den Rahmen traditioneller Konzertformen sprengen. Auf Pilgerwanderungen begibt man sich von einer Hörstation zu nächsten, kann in Kirchen oder an anderen Orten dem Neuen lauschen und sich dabei mit KomponistInnen beim Pilzesammeln über ihren Zugang zur Musik unterhalten. Länderschwerpunkte bildeten in der Ära von Peter Paul Kainrath, die mit der Saison 2012 zu Ende ging, einen wesentlichen Bezugspunkt, ebenso versteht sich das Festival als Plattform für junge KomponistInnen und mutige Projekte, denen auch die vielfältigen Vermittlungsprojekte angehören. Bei der Internationalen Ensemble Modern Akademie erhalten MusikerInnen die Möglichkeit, sich mit dem jeweiligen Composer in Residence, zu denen Größen wie György Ligeti und Helmut Lachenmann zählten, Schlüsselwerke des 20. und 21. Jahrhunderts zu erarbeiten. Um auch junges Publikum auf die Neue Musik in ihrer Bandbreite aufmerksam zu machen, bringt das Projekt Klangspuren Mobil Instrumente aller Art in Schulen und lässt Kinder selbst die unterschiedlichen Möglichkeiten der Klangerzeugung austesten und bei Klangspuren Barfuss wird darauf aufmerksam gemacht, wie musikalisch die Klänge des Alltags sind und die ganze Aufmerksamkeit auf das Hören gelenkt.

Aber auch mit weiteren Festivals haben sich die zentralen Alpen einen festen Platz in der heimischen Festivallandschaft erobert: Kunstsparten und -stile übergreifend bewegt sich das Osterfestival Tirol von der Renaissance bis in die Gegenwart und bringt Musik, Tanz und auch Film von internationalem Rang nach Innsbruck und in die umliegenden Kleinstädte. Und auch die Aufführungssituationen reichen von klassischen Konzerten bis hin zu Veranstaltungen im öffentlichen Raum. Auf einen Aufführungsort wie auch auf die Neue Musik in ihren unterschiedlichen Spielformen konzentriert sich das Festival Musik im Riesen in den Swarovski-Kristallwelten in Wattens, bei dem der Komponist und Pianist Thomas Larcher auch als Festivalleiter in Erscheinung tritt. Mit der Avantgarde Tirol und den Bludenzer Tagen zeitgemäßer Musik bietet der Westen des Landes abseits des Neuen-Musik-Mainstreams eine Öffentlichkeit. Neben den einträglichen Opernaufführungen auf der Seebühne der Bregenzer Festspiele haben diese mit der Reihe „Kunst aus der Zeit“ auch der Neuen Musik eine Heimstadt geboten und sich immer wieder dem Schaffen junger KomponistInnen hierzulande wie auch eines kompositorischen Gastlandes gewidmet, wobei auch spartenübergreifende Produktionen das Programm bereicherten. Im Mittelpunkt der Tiroler Festspiele Erl stehen ebenfalls Opernaufführungen – mit besonderer Konzentration auf das Werk von Richard Wagner –, die aber davon ausgehend in der gebirgigen Idylle zudem Zeitgenössisches wie auch Weltmusik einbinden.

Auf halber Strecke zwischen West und Ost hat sich neben den Festspielen in der Mozartstadt auch eine auf Neue Musik spezialisierte Festivallandschaft herausgebildet: Die 1977 gegründeten Aspekte Salzburg setzen auf wenig gespieltes Repertoire des 20. und 21. Jahrhunderts und bieten Aufführungsmöglichkeiten für junge KomponistInnen und InterpretInnen. Wichtige PartnerInnen stellen außerdem die heimischen KünstlerInnen wie das oesterreichische ensemble für neue musik dar, aber auch dem internationalen Schaffen wird Tribut gezollt. Zusätzlich zu den Aspekten wurde 2009 auch die Biennale Salzburg ins Leben gerufen – weltumspannend gab sich das erste Programm mit der Präsentation von vier Komponisten, die von drei unterschiedlichen Kontinenten stammten. Dass aber Neue Musik auch in Kombination mit Klassischem funktioniert, zeigt die im Jänner veranstaltete Mozartwoche Salzburg, bei der neben zahlreichen Werken des Salzburger Komponisten auch Zeitgenössisches Eingang findet. Eine ebenso ungewöhnliche wie intime Möglichkeit, mit KomponistInnen und MusikerInnen bot das KomponistInnenforum Mittersill: Geladen wurden Gäste unterschiedlicher Stilrichtungen meist abseits des Gängigen, die in den Salzburger Bergen nächst der letzten Ruhestätte von Anton Webern Quartier bezogen und gemeinsam mit einem Ensemble in Residence während des etwas zehntägigen Aufenthalts neue Werke, oft auch gemeinsam mit KollegInnen, erarbeiteten. Der künstlerische Part in Kombination mit Veranstaltungen an der Schule des Ortes wurde außerdem mit der theoretischen Auseinandersetzung bei einem Symposion ergänzt.

Dass Kärnten neben Sonne und Seen auch weitere gute Gründe für einen Aufenthalt bieten, zeigt etwa der Carinthische Sommer. Bekannt ist das Festival abseits großer Städte für seine Kirchenopern, die der Leiter Thomas Daniel Schlee stets in Auftrag gibt und die in religiösem Ambiente zur Uraufführung gebracht werden – das prägende Alleinstellungsmerkmal des im Juli und August stattfindenden Festivals. Programm für die Kleinen wird auch hier groß geschrieben, so finden in Ossiach stets Konzerte für junges Publikum statt.

Weiter führt die Reise durch die österreichische Festivallandschaft in die Steiermark, wo bereits seit mehr als vier Dekaden das musikprotokoll den Herbst zum Fixpunkt für Neue-Musik-LiebhaberInnen macht. Von groß angelegten Aufführungen mit dem ORF-Radiosymphonieorchester oder dem Klangforum Wien in traditionellem Rahmen reicht die Bandbreite des vom ORF ausgetragenen Festivals über kleinere Ensemblekonzerte bis hin zu Aufführungssituationen in unüblichen Settings und spannt damit an einem verlängerten Wochenende im Rahmen des steirischen herbsts ein musikalisches Netz über die zweitgrößte Stadt des Landes. Den experimentellen Bereichen des Zeitgenössischen widmet sich jedes zweite Jahr das V:NM-Festival, das vom gleichnamigen Verein für Neue Musik ausgetragen wird – speziell im Bereich der Improvisation und oft auch in Kombination mit elektronischen Mitteln werden die Aufführungen zu einem einmaligen Erlebnis. Das an der Südbahn gelegene Mürzzuschlag ist im Bereich der Neuen Musik wohl nur Eingeschworenen ein Name. In der Stadt an der Südbahn hat sich mit dem kunsthaus mürz eine Institution etabliert, die seit den 1970er Jahren abseits der großen Landeshauptstädte für zeitgenössische Kunst aller Sparten einsteht und schon damals etwa Hans Werner Henze gewinnen konnte, junge Interessierte an die Neue Musik heranzuführen. Bis heute bringen dort beim brückenfestival renommierte MusikerInnen Neue Musik zu Gehör.

Der Kreis schließt sich mit einigen Festivals in Niederösterreich. Im Klangraum Krems etwa bei Imago Dei rund um die Osterzeit unterschiedliche Kulturen und Stilrichtungen zusammen. Damit wird in Krems an der Donau dem gängigen Konzertalltag durch Aufführungen in Kirchen und Schiffen Paroli geboten. Anders als bei anderen Festivals ist hier nicht nur ein über mehrere Jahre künstlerische Leiter prägend, sondern Jo Aichinger hat es sich als solcher zur Devise gemacht, jährlich einen Artist in Residence zu küren, der für einen eigenen Programmschwerpunkt verantwortlich zeichnet. Dass mit diesen zahlreichen traditionsreichen wie auch jüngeren Festivals das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist, stellt etwa das von Rudolf Buchbinder 2007 gegründete Musik-Festival Grafenegg (inklusive Musik-Sommer) unter Beweis. Im herrschaftlichen Ambiente des gleichnamigen Schlosses werden überwiegend Highlights des klassischen Kanons mit den Werken eines Composers in Residence kombiniert, wobei dieser auch als Leiter eines Kompositionsworkshops für junge KollegInnen fungiert.

So finden sich bei den zahlreichen Festivals des Landes nicht nur über die Jahreszeiten hinweg stets Möglichkeiten, sich der Neuen Musik in unterschiedlichsten Kontexten zu widmet – sei es rein musikalisch, in Kombination mit anderen Stilen und Kunstformen, in der Stadt oder am Land, für Alt und Jung, in traditionellen Konzerten oder unüblichen Locations. Abseits des Alltäglichen weisen die diversen Festivals einen je eigenen Zugang auf, womit die Heterogenität der der Neuen Musik und ihren unterschiedlichen Ausprägungen immer näher zu kommen vermag.

Doris Weberberger