„Wir befinden uns praktisch in unserer eigenen Abseitsfalle“ – PETER CORNELIUS im mica-Interview

PETER CORNELIUS ist einer der erfolgreichsten österreichischen Musiker: Er hatte Hits wie „Du entschuldige, i kenn di“, „Reif für die Insel“, „Der Kaffee ist fertig“, „Segel im Wind“ und „Streicheleinheiten“. Sein zweiundzwanzigstes Album „Unverwüstlich“ ist zum Teil in New York entstanden. Im Interview mit Jürgen Plank sprach PETER CORNELIUS über die Produktion des neuen Albums und zeigte sich sozialkritisch. 

Erzählen Sie uns bitte etwas über den Produktionsprozess des neuen Albums „Unverwüstlich“.

Peter Cornelius: Einen wichtigen Anteil hat New York. Das ist für mich seit etlicher Zeit ein wichtiger Aufenthaltsort, weil mir dort ein zusätzlicher Akku zur Verfügung steht, denn ich so im sogenannten normalen Routineleben nicht habe. Dort werde ich angespornt, etwas zu schreiben. Es gibt dort einen selbstverständlichen Umgang mit Musikproduktion. Ich sage in letzter Zeit immer: „Musikproduzieren in New York ist wie Skifahren in Tirol, da gibt es eine vollkommen natürliche Übereinstimmung.“ 

Wieso zieht es Sie nach New York?

Peter Cornelius: Dieser Lebensumstand war zunächst als Routinebrecher gedacht. So wie mir die Aufenthalte auf Ibiza in den 1990er-Jahren bei meinem Freund Michael Cretu sehr wichtig waren, um die Routine zu brechen. Zwei Wochen hier, zwei Wochen dort, insgesamt haben wir fast ein Jahr auf Ibiza verbracht. Zum Beispiel die Erfahrung, dass es nicht schade um einen schönen Tag ist. Wenn bei uns einmal eine kurze Phase eintritt und das Wetter herrlich ist, will ja niemand im Studio sitzen. Das gibt es dort nicht. Und in New York gibt es nicht, dass wir uns furchtbar genau auf manche Vorgänge festlegen.

Was ist noch ein Unterschied?

Peter Cornelius: In New York wollen nicht alle wissen, sobald ich den Raum betrete, was sie genau zu tun haben. Dort wird an Ort und Stelle und aus dem Moment heraus manches zur Welt gebracht. Das ist überhaupt kein Problem, die Stadt hat dieses ununterbrochene Improvisieren als Selbstverständlichkeit und diese intensive Schaffensenergie. Davon kann ich so viel mitnehmen in mein Studio am Rand von Wien, wo ich alles in Ruhe fertigstellen kann. Das ist ein gutes Verhältnis zwischen der Drehzahl in New York und dem Überblick, den ich zu Hause darüber habe. Das ist ein ganz bestimmtes Liebesverhältnis zu New York. Ich habe manche Stücke dort gelassen, die höre ich mir erst wieder an, wenn wir das nächste Mal dort sind. Diese Stücke, obwohl sie von mir selbst sind, sind mir dann fremd. 

„Im Grunde genommen ist unsere Zivilisation wahnsinnig krank gemacht worden.“

Ein Stück auf der CD heißt „Vergessenland“, was ist ein Vergessenland?

Peter Cornelius: Das ist ein imaginäres Land, das zulässt, dass dort wirkliches Vergessen stattfindet. Dass man dort praktisch wie neu zur Welt gekommen am Strand wandeln kann, und zwar „am weißen Strand von Vergessenland“. Mit einem geliebten Menschen, mit dem man dort sonst nichts tut, als Zeit zu verbringen und diese zu genießen, Minute für Minute. Das haben wir alle in einem erschreckenden Maße verloren. Wir können alle auch positive Sequenzen in unserem Leben nicht mehr genießen. Im Grunde genommen ist unsere Zivilisation wahnsinnig krank gemacht worden. Zeitabschnitte genießen zu können ist den Menschen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wahrscheinlich wieder leichter gefallen, weil dann endlich wieder Friede war. Den haben wir jetzt nicht mehr, wir haben keinen Frieden: Wir befinden uns in einem dumpf vor sich hin wabernden Krieg. Und „Vergessenland“ ist ein Traumgebilde von einem Ort, an dem man nur ist. Als Kind und als Jugendlicher war ich einfach davon erfüllt, einfach nur zu sein. Das wird uns allen genommen. Wer hat uns das genommen? Die Zu- und Umstände? Aber wer hat die Zu- und Umstände so gestaltet? Würden wir uns erinnern, wie uns das genommen wurde, würde das auf direktem Wege zu einer sich nicht ganz genau gegen etwas und jemanden gerichteten Revolution führen. 

Mir scheint, dass diese Zivilisationskritik ein Subtext Ihrer CD ist.

Peter Cornelius: Ja, das kommt in allen Stücken vor, ununterbrochen. Das hat seinen Ursprung bei „Reif für die Insel“ Anfang der 1980er-Jahre. Wir befinden uns praktisch in unserer eigenen Abseitsfalle. Mittlerweile befindet sich die Gesellschaft an der Wand der Gummizelle und es sieht nach no way out aus. Die ganze CD hat eigentlich damit zu tun, beginnend mit „Raue Händ“: „Des Leben hat raue Händ, lass dir ja ned ins G’sicht greifen.“ Das ist schon der Aufruf. In der zweiten Strophe dann: „widerstandsfähig“. Bist du widerstandsfähig? Bist du zum Widerstand fähig? Die Antwort lautet: Nein, eigentlich nicht. Die Leute taumeln dahin, unsere ganze Gesellschaft taumelt dahin, wie betäubt, wie nicht wirklich ganz aufgewacht aus was auch immer. Wir erleben ein dramatisches, verrücktes, dumpf vor sich hin waberndes Zeitalter und damit hat so gut wie alles auf diesem Album zu tun.

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Befassen Sie sich auch mit Themen wie den sozialen Entwicklungszielen der UNO, die eine positive Entwicklung für alle Menschen wollen? Dabei soll nicht nur auf die ärmeren Länder geschaut werden, sondern auch der reiche Norden ist eingebunden.

Peter Cornelius: Ja, aber mit einem Gefühl der Nichtbewältigbarkeit unserer Zivilisation. Wenn man an Afrika denkt: Was diesem Kontinent und den Strukturen dort weiterhelfen könnte – und das klingt jetzt ein bisschen abartig –, wäre eine altruistische Rekolonialisierung. Wir sind völlig damit gescheitert, Milliardenbeträge irgendwelchen Familienclans in den Rachen zu werfen, die sich dann in der Schweiz oder auf den Bahamas wiederfinden, oder eben nicht finden. Das hätte man viel früher wissen müssen, dass hätten Organisationen wie die UNO oder Hilfsorganisationen aber sehen müssen. Aber die können das nicht, sie können nicht antizipatorisch denken! Sie geben vor, dass sie das können, denn damit stecken sie sich Riesengehälter ein. Sie können das nicht oder sie wollen es nicht. Im Grunde genommen ist die Menschheit mit sich selbst und mit ihren charakterlichen Eigenschaften gestraft und damit haben wir jeden Tag zu kämpfen. Für manche wird das grauenvoll klingen, aber wir könnten es mit einer dem Menschen zugewandten Rekolonialisierung versuchen.

Auf Ihrer CD folgt auf das Eröffnungsstück „Raue Händ“ das Lied „Kinder spüren“.

Peter Cornelius: Bei „Kinder spüren“ geht es darum, wie Eltern, die gelernt haben, einander zu hassen, mit ihren Kindern umgehen. Ich bin so jemand: Meine ganze Kindheit und Jugend war geprägt von diesem grauenhaften Verhältnis meiner Eltern. Aber ich hatte dann Gott sei Dank die Widerstandsfähigkeit des Ignorierens rechtzeitig zur Hand.

„Ich wurde oft gebogen, aber nie gebrochen, das kann man mit mir nicht machen.“

Das heißt Sie waren widerstandsfähig?

Peter Cornelius: Oh, ich war in meinem Leben gegen sehr viele Einflüsse und Zu- und Umstände widerstandsfähig! Ich wurde oft gebogen, aber nie gebrochen, das kann man mit mir nicht machen.

Wilfried hat mir in einem Interview kurz vor seinem Tod erzählt, dass er im Laufe seiner Karriere auch Durststrecken gehabt hat. Wie ist das bei Ihnen: Gab es auch Durchhänger? Was haben Sie in so einer Situation gemacht?

Peter Cornelius: Ja, natürlich gibt es diese Durststrecken. Ich hatte schon auch eine Durststrecke in den 1980er-Jahren, bis in die 90er-Jahre hinein, als mir die Plattenfirmen in Deutschland jedes Jahr einen Haufen Geld hineingeschoben haben. Ich muss dazu sagen, dass ich in der Sendung „Ultimative Chartshow“ darüber aufgeklärt wurde, dass ich in Deutschland der erfolgreichste österreichische Singer-Songwriter aller Zeiten bin. Das wusste ich schon mal nicht, weil ich nie Daten über mich gesammelt habe. Ich habe hinter mir immer abgeschnitten. In den erfolgreichen 1980er-Jahren war es schon ein Problem, wie das weitergehen soll. Nächstes Album, Tournee, nächstes Album, Tournee. Das war wie ein Slalomhang, bei dem nie die Zielfahne in Sicht kam. Eine Durststrecke kann auch stattfinden, wenn man einen immensen materiellen Erfolg hat.

Peter Cornelius (c) Pressefoto

Sie waren mit einzelnen Titeln auch die Nummer eins in der Hitparade. Falco hat, als er die Nummer eins war, gewusst, dass es von nun an nur bergabgehen kann. Können Sie das nachvollziehen und haben Sie auch dieses Gefühl gehabt?

Peter Cornelius: Falco hat ganz genau gewusst, dass sich das jetzt nicht wiederholen kann. Da ging es, glaube ich, um „Amadeus“ in Amerika. Falco war nicht blöd, wir haben uns nur alle heiligen Zeiten kurz getroffen. Ich habe mir gesagt: „So, jetzt bist du in diesem Abfahrtslauf und den fährst du jetzt. Und wenn die Hausbergkante auf der Streif kommt, dann schauen wir, was passiert.“ Da gibt es ein interessantes Statement von Keith Richards, der gesagt hat: „And then we had ‚Satisfaction‘ and then we were a monster and were in the grind.“ Bei mir gab es nicht einen Peak, sondern es gab viele Titel.

Ihr Erfolg ist langfristig.

Peter Cornelius: Ich bin nicht das Strohfeuer, das in wenigen Sekunden abgebrannt werden kann, ich bin die Holzkohle, die länger und konstanter glüht. Ich wurde einmal von der Plattenfirma verständigt, dass ich mit zwei LPs und mit zwei Singles in den deutschen Charts bin. Ich habe mich dafür nicht wahnsinnig interessiert, ich habe etwas anderes zu tun gehabt: Ich hatte einen Text, den ich in Musik umsetzen wollte.

Eines Ihrer neuen Lieder heißt „Selbstverwirklichung“, da thematisieren Sie, dass es Selbstverwirklichung geben kann, wenn alle mit dem Nötigsten versorgt sind. Wie gut haben Sie diese Selbstverwirklichung in Ihrem Leben umsetzen können?

Peter Cornelius: Ich habe in meinem Leben das Privileg, das immer wieder durchgeführt zu haben. Selbstverwirklichung ist die höchste Stufe der Bedürfnispyramide: Wenn der Mensch alles hat und seinen Lebensweg geht, dann fehlt da noch etwas. Dann kommen bei den Leuten alte Bedürfnisse hoch: Eigentlich wollte ich auch Musiker oder Schriftsteller werden. Viele beginnen dann im Alter zu malen, das ist wunderbar, das ist eine Erlösung. Das wurde davor nicht ausgelebt.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Jürgen Plank

Peter Cornelius live
27.10. Eventhall Airport, Regensburg-Obertraubling (D)
09.11. FZP Micheldorf, Micheldorf
17.11. Republic, Salzburg
18.11. Festspielhaus, Bregenz
19.11. Congress Saal, Innsbruck
21.11. Helmut List Halle, Graz
22.11. Brucknerhaus, Linz
27.11. Arena Nova, Wr. Neustadt
29.11.VAZ, St. Pölten
30.11. Stadthalle, Wien
06.12. Halle 17 Messegelände, Ried im Innkreis
07.12. K1, Traunreut (D)

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