Wie fair ist Streaming?

Im Jahr 2016 hat Streaming in Deutschland und Österreich zum ersten Mal den Download abgehängt. Doch wer verdient eigentlich am neuen Geschäftsmodell? Und ist die Entlohnung für urheberrechtliche Leistungen fair? 

Der aktuelle „Music Consumer Report 2016“ der International Federation of the Phonographic Industry (IFPI) fällt so positiv aus wie schon lange nicht mehr. In Summe wurden im Vorjahr in Österreich bereits mehr als zwei Milliarden Songs gestreamt. Mit einer Umsatzsteigerung von 56 Prozent auf 17,5 Millionen Euro sorgt Streaming bereits für mehr als die Hälfte der Umsätze am digitalen Musikmarkt. Die Umsätze mit Streaming-Abos im ersten Halbjahr 2016 sind sogar um 70 Prozent auf 8,4 Millionen Euro gestiegen. Und satte 71 Prozent der InternetnutzerInnen im Alter von 16 bis 64 Jahren beziehen Musik aus lizenzierten Quellen – eine Zahl, die man noch vor Jahren für unmöglich gehalten hätte.

Beim Branchenriesen Universal sei das Streaming erstmals sogar weltweit vor der CD gelegen, verriet Frank Briegmann, Zentraleuropa-Chef, dem deutschen Handelsblatt. „Weltweit verdienen Universal Music und seine Künstler mittlerweile mehr durchs Streaming als durch den Verkauf von Tonträgern”, betonte der Manager.

Zurück zum Report der IFPI: Der zeigt nicht nur, dass der globale Trend zu Musik-Streaming weiterhin anhält. Er zeigt auch, dass vor allem die Jungen wieder mehr Geld für Musik ausgeben. Der Katzenjammer jener Jahre, als man seitens der Industrie Jahr für Jahr Umsatzeinbrüche zu vermelden hatte und die Generation Download dafür verantwortlich machte, scheint damit erst einmal gebannt.

Wer profitiert?

Der Siegeszug des Streaming scheint demnach unaufhaltsam. In Österreich, aber auch in Deutschland – zuletzt etwa vom Bundes­verband der Musik­industrie – werden Streaming­dienste immer wieder auch als Wachs­tums­motor für die Branche dargestellt. Aber wem nützt das Wachstum? Wer profitiert?

Nimmt man die Aussage von Frank Briegmann (siehe oben) wörtlich, sind es aus seiner Sicht Label und KünstlerInnen. Tatsächlich? Die mediale Berichterstattung der letzten Jahre legt doch erst einmal die Vermutung nahe, dass es nicht die MusikerInnen sind. Zu viele MusikerInnen meldeten sich zu Wort und kritisierten die zu vernachlässigenden Einnahmen, die sie durch die Musik-Flatrates erzielen. mica berichtete ausführlich.

Die Streamingdienste ihrerseits verweisen regelmäßig darauf, dass sie den Großteil ihrer Einnahmen an Plattenfirmen und Verwertungs­gesell­schaften ausschütten. Was bedeutet das? Dass die KünstlerInnen auf hohem Niveau sudern? Oder versandet das Geld auf dem Weg von der Nutzerin bzw. vom Nutzer zu den Urheberinnen und Urhebern? Schenkt man Florian Drücke, dem Geschäfts­führer des Bundes­verbands Musik­industrie, Glauben, ist es Ersteres. „Musikstreamingdienste sorgen für kontinuierliche Einnahmen bei Plattenfirmen und Künst­lern“, sagt er und fordert die KünstlerInnen gleichzeitig zum Umdenken auf. Im Klartext heißt das, dass KünstlerInnen aus seiner Sicht ausreichend verdienen und es daher wenig Grund zum Raunzen gibt.

Ähnlich auch das Nachrichtenmagazin Spiegel: „2013 hat Spotify einmal echte Zahlen, wenn auch anonymisiert, veröffentlicht. Für die Streams eines globalen Hitalbums, so von Lady Gaga oder Taylor Swift, wurden 425.000 Dollar im Monat an die Rechteinhaber gezahlt, für ein Top-Ten-Album immer noch 145.000 Dollar, für ein gehyptes Indie-Album 76.000 Dollar monatlich, für ein zeitloses Rockalbum 17.000 Dollar und für ein Indie-Nischenalbum immerhin noch 3.300 Dollar.“ Das klinge doch ganz in Ordnung, so der Spiegel. Denn: „Wo sonst verdient ein Indie-Nischenkünstler mehr als 3.000 Dollar im Monat? Im untergegangenen Plattengeschäft des analogen Zeitalters sicher nicht.”

Schenkt man Tim Renner, dem ehemaligen Chef von Universal und Ex-Staatssekretär Glauben, dann versandet das Geld. Es kommt einfach nicht bei den Urheberinnen und Urhebern an. „Der Musikmarkt ist wegen der Streamingdienste im vergangenen Jahr in Deutschland um 4,2 Prozent gewachsen”, so Renner unlängst in einem Interview. „Dieses Wachstum wird auf Basis der Umsätze der Labels ermittelt. Wenn zeitgleich die Einnahmen der Künstler sinken, dann bleibt beim Middleman mehr hängen.“ Klingt erst einmal logisch. Die Konsequenz laut Renner ist daher: „Der Profiteur, der zwischen den Streamingdiensten und den Künstlern agiert, sind damit die Plattenfirmen.” Ein Problem sei auch, so Renner weiter, dass KünstlerInnen von ihren Plattenfirmen oft noch nach den Parametern abgerechnet werden, die auch für CD und LP galten. Im Preis eines Tonträgers seien aber die Kosten der Plattenfirmen enthalten, wie zum Beispiel Herstellung, Lagerhaltung, Shopping, Billing, Retourenabwicklung – aber auch die AKM-Gebühr, die beim Streaming die Plattform übernehmen müsse. „Beim Streamen entfallen all diese Kosten – und das Label ist doppelter Gewinner, der Künstler der Benachteiligte.”

Der Verteilungsschlüssel

Wie viel bekommt die Komponistin bzw. der Komponist eines Stückes nach Verteilungsschlüssel? Wie viel bleibt ihr bzw. ihm nach Abzug der Kosten für Streaming, Technik und Wartung der Plattform, Marketing und Labelarbeit? In etwa 70 Prozent ihrer Umsätze zahlen Streamingplattformen an die InhaberInnen der Leistungsschutzrechte. Nach Zahlungen an die AKM oder GEMA verbleiben knapp 20 Prozent, mit denen die Anbieter Dinge wie Server, Aufbereitung und Zahlungsabwicklung begleichen müssen. Der französische Verband der Musikindustrie Syndicat National de l’édition Phonographique (SNEP) hat ausgerechnet, dass von 10 Euro Monats­gebühr, die eine Nutzerin bzw. ein Nutzer zahlt, rund 68 Cent bei den Interpretinnen und Interpreten landen. Ein weiterer Euro kommt über Verwertungs­gesell­schaften hinzu – allerdings nur dann, wenn die KünstlerInnen auch den Song­text und die Musik geschrieben haben.

Insgesamt ist das nicht gerade viel. Das sehen auch viele MusikerInnen so. Der deutsche Musiker Daniel Wirtz etwa, der durch das TV-Format „Sing meinen Song“ veritable Popularität erlangt hat, hält den Verteil­schlüssel schlichtweg für unfair. „Die Künstler schaffen mit ihrer Musik die Grund­lage, verdienen am Ende aber am wenigsten. Wieso soll ich als Künstler mit meinem Können dafür sorgen, dass andere das große Geld verdienen?“ Ähnlich die Band Erdmöbel: Unsere letzte Platte Geschenk +3 hatte bei Spotify 100.000 Klicks. Dafür bekamen wir rund 600 Euro. […] Wenn wir das noch mit einer Plattenfirma hätten teilen müssen, wären es nur noch 200 Euro gewesen. Das ist ein totaler Witz. Gleichzeitig hatten wir Einbußen bei den CD- und Download-Verkäufen. 1000 verkaufte CDs weniger machen sich bei uns im Geldbeutel wirklich bemerkbar. Das sind immerhin 7500 Euro.“ (Quelle: heise.de)

Nun ist es aber so, dass sich eine Musikerin bzw. ein Musiker mit eigenem Label (wie Wirtz und die Band Erdmöbel) in einer vergleichs­weise güns­tigen Position befindet, weil sie bzw. er a) selbst mitreden kann, wie ihre bzw. seine Musik vertrieben wird, und b) stärker an den Einnahmen beteiligt wird als eine Musikerin bzw. ein Musiker, die bzw. der bei einer großen Plattenfirma unter Vertrag steht. Der Nachteil ist natürlich: Sie bzw. er muss die Labelarbeit selbst erledigen oder erledigen lassen. Für alle anderen – jene also, die bei einem Label unter Vertrag sind – gilt: Sie bekommen das, was der jeweilige Vertrag vorsieht. „Und das ist sehr individuell”, sagt Musikökonomie-Experte Peter Tschmuck vom Institut für Kulturmanagement und Gender Studies (IKM) an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. „Superstars haben gute Deals, Newcomer müssen in der Regel das akzeptieren, was früher auch üblich war. In Bandübernahmen sind das zwischen 15 und 25%, in der Regel also durchschnittlich etwa 20 %. Davon werden aber noch einige Prozente mehr abgezogen, etwa für Auslandsverkäufe, bei Bewerbung oder Sondervertriebswegen. Zusätzlich gibt es dann noch Technik- beziehungsweise Verpackungsabzüge, beim Streaming sind das meist 20%. Und die Ausgaben des Labels für die Produktion eines Videos oder für die PR werden dem Künstler zumeist zu 50% gegenverrechnet.“

Bei den Indie-Labels gäbe es zwar durchaus Deals, wonach Einnahmen aus dem digitalen Geschäft 50:50 geteilt werden, so Tschmuck. Aber da bestünde das Problem darin, dass die 50% erst ab Break Even ausgezahlt werden, der sich nur aus den Kosten des Labels errechnet, die Kosten der Künstler zum Beispiel für das Studio, das Mastering oder für Studiomusiker aber nicht berücksichtigt. Im Endeffekt kämen die Künstler auch da niemals zu den 50% der Einnahmen.

„Für die Künstler ist das Streaming-Business eher ein Zusatzgeschäft, wenn überhaupt”, so Tschmuck. „Und für die Streaming-Services ist es bis dato ein herbes Minusgeschäft, wie man aus den Medien weiß. Spotify, aber auch Deezer schreiben rote Zahlen.“ Der Grund dafür liegt laut Tschmuck auf der Hand: „Wenn man sich den Costs of Revenue, also die Höhe des Anteils der Kosten am Umsatz, bei Spotify anschaut, liegt der bei 80 %.“ Warum? „Weil die Lizenzkosten so hoch sind.“

Alexander Hirschenhauser, der Sprecher des Verbandes unabhängiger Tonträgerunternehmen, Musikverlage und MusikproduzentInnen Österreich (VTMÖ), glaubt, dass bei den Streamingdiensten auch viel Geld in die Expansion und Erhaltung fließt, das durch sehr hohe Marketingbudgets erkauft werden muss. „Der permanente Ausbau der technischen Infrastruktur ist ein wichtiger Punkt, damit der gewünschte Zuwachs stattfindet. Auch die Software, die Datenbanken und Algorithmen veralten schneller, als wir zuschauen können.“

Faktum des derzeitigen Verteilungsschlüssels ist: Zu den Plattenfirmen fließt der größte Teil des Geldes vom Streaming, etwa 50 Prozent. Aus Sicht des Bundes­verbands Musik­industrie ist das auch legitim. „Die großen Labels sind ja häufig genug auch die Risikokapital­geber der Künstler und investieren erst­mal Geld“, so Geschäftsführer Florian Drücke. Das mag vielleicht für jenen verschwindend geringen Teil an Künstlerinnen und Künstlern zutreffen, die tatsächlich noch aufgebaut werden, in die also, wie es Drücke formuliert, investiert wird. Für den weitaus überwiegenden Teil angebotener Musik ist das jedoch schlichtweg unzutreffend. Was KünstlerInnen häufig verschwiegen, so Drücke, sei auch die Tatsache, dass sie nicht selten Vorschüsse von den Plattenfirmen bekommen. Auch das trifft wohl selbst bei Universal nicht auf die Mehrheit der hauseigenen Produktionen zu. Insgesamt reflektiert Drückes Zitat allerdings ganz gut, wie sich dieses alte Denken auch in den neuen Systemen festgesetzt hat und zum bestimmenden Geschäftsmodell geworden ist.

Tatsache ist: Vom Streaming allein dürften die wenigsten MusikerInnen leben können. Auch wenn die Cent­beträge, die ausgeschüttet werden, immer noch höher sind als das, was sie etwa beim Radio pro Song und HörerIn bekommen, macht es nur die Menge. Zu entsprechender Rotation kommt man nur über einen entsprechenden Marketingaufwand. Gerade für neue KünstlerInnen ist es aber bekanntermaßen enorm schwer, diese Reich­weite zu erlangen, denn sie verfügen über keine bis kleine Marketingbudgets.

Die Abhängigkeit der Streamingdienste

Der Musiksoziologe Michael Huber sprach unlängst in einem mica-Interview vom geglückten Versuch der Major-Labels, die durch Aufkommen des Internet und der damit verbundenen Nutzungsmöglichkeiten, sprich Download, verloren gegangene Hegemonie wieder herzustellen: „Wenn man sich den geleakten Vertrag zwischen Spotify und Sony, also zwischen der aktuell größten Streamingplattform und einem der größten Rechtehalter ansieht“, so Huber, „hat die Tonträgerindustrie insofern aus dem Desaster mit den Downloads und Napster gelernt, als sie bei Streaming von vorneherein darauf geachtet hat, wie man zentrale Machtpositionen besetzen kann und was man tun muss, damit man nicht überbleibt. Und das haben sie sehr gut gemacht, indem sie sich bei den Streaming-Firmen eingekauft haben. Man weiß es natürlich nur von Spotify, aber sehr wahrscheinlich ist es bei anderen Anbietern nicht unähnlich. Da Spotify unter dem Strich immer noch rote Zahlen macht, sind die einzigen, die von den steigenden Umsätzen profitiert haben, die Tonträgerfirmen. Indem sie die Musik zu ihren Bedingungen lizenzieren, gibt es für die Streamingplattformen nur zwei Möglichkeiten: Entweder man gibt die hohen Preise, die man zahlt, an die Konsumenten weiter. Aber dann kauft kein Mensch mehr ein Abo, weil das einfach zu teuer wird. Oder man bleibt bei den billigen Preisen und steigt deshalb mit Verlust aus. Pest oder Cholera also.“ In Hinblick auf die KünstlerInnen ergänzt Huber: „Man kann nur hoffen, dass diese Verträge irgendwann auslaufen und neu verhandelt werden müssen.“ Peter Tschmuck bestätigt: „Speziell die Major-Labels und bis zu einem gewissen Grad auch die Indies, die ja neuerdings über den Lizenzverbund Merlin organisiert sind, haben sich ganz gut in der Streaming-Ökonomie eingerichtet.“

Im Interview mit mica beschreibt Peter Tschmuck das Geschäftsverhältnis zwischen Labels und Streamingdiensten so: „Wenn ein Streaming-Service seine Leistung anbieten möchte, sagt das Major-Label zuerst einmal: Ja, aber ich bekomme vorher einen Vorschuss.‘ Wie hoch der ist, bleibt in aller Regel geheim. Es gibt allerdings einen geleakten Vertrag aus dem Jahr 2008 zwischen Sony und Spotify, wo über mehrere Jahre hinweg sehr hohe Vorschüsse verlangt wurden. Das ging bis in die zweistelligen Millionenbeträge. Jetzt kann man sich vorstellen, dass sich ein Streaming-Service Vorschüsse in dieser Höhe nicht leisten kann. Keines der Services. Man stelle sich vor: Diese Beträge pro Major, und dann kommt noch Merlin dazu. Das heißt, dass das Streaming-Service eine finanzielle Unterstützung braucht, um das überhaupt stemmen zu können. Und da erwiesen sich die Labels als sehr großzügig und beteiligen sich an den Services gegen Überschreibung von Firmenanteilen. An Spotify sind die Majors etwa zu 20 % beteiligt. Bei Simfy waren die Vorschüsse zwar niedriger, aber die Beteiligung ähnlich. Die Vorteile für die großen Labels liegen auf der Hand: Erst einmal ergibt sich daraus ein Abhängigkeitsverhältnis. Die Streaming-Services sind auf den Backkatalog der Majors angewiesen. Zweitens muss das Geld nicht mit den Künstlern geteilt werden.“

Indie-Labels und Mainstream-KünstlerInnen gegen das Marktdiktat

Seit es Merlin, den globalen Zusammenschluss der Indie-Labels, der u. a. als Verhandlungspartner von Spotify auftrat, gibt, ist man seitens der Indie-Labels einigermaßen sicher, dass man ähnliche Verträge wie die Major-Labels bekommt.  Seit es Merlin gibt, gibt es auch kein Indie-Repertoire mehr ohne Vorauszahlung.

„Die Verhandlungsposition hat sich dadurch massiv verbessert“, sagt Tschmuck. „Vielleicht ist man noch nicht ganz auf gleicher Augenhöhe mit den Majors, aber bei Merlin kann man schon einige wichtige Player identifizieren. Da ist etwa die Beggars Group dabei, bei der die Adele mit vielen Aufnahmen dabei ist.“ Unter anderem ist auch der österreichische Indie-Verband dabei. Der Hintergrund: Ein Streaming-Service braucht nicht nur den Backkatalog der Majors, sondern auch der Indies – ein Marktanteil von 20 bis 25 Prozent. „Den lässt man nicht einfach so liegen”, so Tschmuck.

Wie sieht man das bei den österreichischen Indie-Labels? Im eingangs zitierten „Consumer Report“ der IFPI steht, Abo-Dienste wie SpotifyDeezer und Apple Music schlössen „faire Lizenzdeals” ab. Alexander Hirschenhauser ist anderer Auffassung: „Ich kann diese Einschätzung nicht teilen. Das sind keine fairen Deals. Das sind Deals, die vom Markt diktiert sind. Marktgetrieben. Fair sind sie schlicht und ergreifend deshalb nicht, weil das Preisniveau nicht stimmt.“

Peter Tschmuck schätzt das ähnlich ein: „Aus Sicht der Künstler wird das System derzeit sicher nicht als fair empfunden, weil es in gewisser Weise die Marktmacht widerspiegelt. Derjenige, der ein entsprechendes Repertoire und darauf basierend Marktmacht hat, wird sie auch ausspielen. Es gibt Künstler, die das mitspielen können. Taylor Swift etwa. Die kann sich sogar leisten zu sagen: Meine Songs sind nicht auf Spotify‘.“ Der Hintergrund ist die Entscheidung von Swift, ihr Album „1989“ nicht auf Apple Music und Spotify zu veröffentlichen und gegenüber Apple den markigen Spruch „Wir bitten sie auch nicht um kostenlose iPhones“ loszuwerden. Allerdings ist schon dieser Spruch im Kontext zu sehen. Wenig später nämlich wurde mit dem gescholtenen Multi ein hoch dotierter Exklusivdeal ausverhandelt. Auch sind an die 500.000 Euro monatlich vielleicht für jemanden wie Swift, die mit einer Tour zweistellige Millionenbeträge lukrieren kann, wenig. Im Vergleich zur großen Masse an Musikschaffenden und deren Verdienstmöglichkeiten ist das aber immer noch eine riesige Summe Geld. Peter Tschmuck erblickt darin eine geschickte Strategie: „Man bringt sich abseits von Releases ins Gespräch, steht als Vorkämpferin von Künstlerinnenrechten da. Letztlich aber ist es nur Show. Showbusiness. Wenn Sie mich fragen, ist das eine geschickte Marketingstrategie, um einen besseren Deal zu bekommen. Die anderen können das nicht so umsetzen, weil sie in Verträgen sind, aus denen man nicht so leicht rauskommt.“ Tschmucks These wird durch den Umstand untermauert, dass Swift ihr Material zwar kurzzeitig von Spotify und iTunes nahm, aber auf YouTube beließ, wo man bekanntermaßen noch wesentlich weniger Geld pro Play bekommt.

Abrechnungspraxis und alternative Angebote

Die heute vorherrschende Abrechnungspraxis führt also dazu, dass Mainstream-KünstlerInnen gegenüber Nischen-KünstlerInnen bevorzugt werden. Derzeit gibt es für einen bestimmten Musikkatalog eine Pauschale. Auf Basis dieses Pauschalbetrages wird durch die RechteinhaberInnen dividiert. Abrechnungstechnisch ist das simpel, führt aber genau zu den Problemen, die Mark Mulligan in einer Analyse 2017 aufgezeigt hat. So bekommt ein Superstar wie Katy Perry z. B. zehn Prozent aller Einnahmen von der Ausschüttung an Universal, wenn ihr Streaminganteil am Gesamtkatalog von Universal ebenfalls zehn Prozent beträgt. Das heißt, Katy Perry bekommt auch von jenen Spotify-Nutzerinnen und -Nutzern Geld, die Katy Perrys Songs überhaupt nicht streamen.

Eine weitere Ungerechtigkeit. Was dagegen tun? Die MacherInnen von Resonate, einer neuen Plattform, wollen als Streaming­dienst mit einem alternativen Verteil­schlüssel KünstlerInnen besser entlohnen. Bei Resonate hat man im Gegensatz zu Tidal oder Spotify keine Flatrate, sondern bezahlt pro Stream. Beim ersten Hören eines Songs sind es 0,2 Cent. Mit jedem weiteren Hören verdoppelt sich der Preis – bis zum neunten Stream: Dann gehört einem der Song und man muss nie wieder für ihn zahlen. Gekostet hat der Song dann circa einen Euro. Dieses Modell soll den Künstlerinnen und Künstlern zweieinhalb Mal so viele Einnahmen bringen wie bei Spotify. (Quelle: www.groove.de) Die zweite Idee hinter Resonate: Das Unternehmen ist genossenschaftlich organisiert. Das heißt: Jede und jeder Beteiligte, ob Label, NutzerIn oder MusikerIn, ist gleichzeitig EigentümerIn, hat Mitspracherecht und wird an möglichen Gewinnen beteiligt. Es wird also gemeinsam bestimmt, welches Feature als Nächstes entwickelt wird, was mit Gewinnen passieren soll und wer die Firma leitet.

Momentan befindet sich Resonate in einer ersten, geschlossenen Testphase.

Und man sucht UnterstützerInnen. Bis zum richtigen Start wird es daher noch dauern. Ob sich Resonate gegen die große Konkurrenz behaupten kann? Es wird auf jeden Fall schwierig, auf einem Markt zu bestehen, der unter mehreren großen Playern aufgeteilt ist – zumal bei denen alle großen Acts vertreten sind und Resonate zwar schon einige, aber bisher vor allem unbekannte Labels und KünstlerInnen an Bord hat. Wahrscheinlicher ist, dass Resonate ein Nischenpublikum bedienen wird. Ähnlich wie Bandcamp werden MusikliebhaberInnen auf der Suche nach neuen Künstlerinnen und Künstlern die Plattform nutzen. Falls natürlich StreamingkritikerInnen wie Thom Yorke, Taylor Swift und die Black Keys ihre Musik exklusiv auf Resonate veröffentlichen würden, wäre natürlich mehr drin.

Auch Peter Tschmuck gibt sich skeptisch gegenüber dieser nicht branchenüblichen Berechnungsmethode. Die Diskussion, ob Streaming nicht titelbezogen abgerechnet werden sollte, gebe es immer schon. Natürlich sei es sich tendenziell fairer, „wenn pro Usage abgerechnet würde, was nicht kompliziert ist, weil die Streaming-Services das sowieso erfassen müssen. Wenn man nur kurz in einen Song hineinhört, muss er nicht abgerechnet werden. Und um das jetzt genau darstellen zu können, müssen sowieso alle Daten erfasst werden. Möglich ist alles. Aber die Majors wollen daran sicher nichts ändern wollen“. Warum? „Weil es ein Vorteil für sie ist. Die großen Künstler? Auch nicht, weil sie mehr bekommen als Nischenkünstler.“

Das Skurrile an der derzeitigen Situation ist nun, dass 9,90 Euro pro Monat für ein durchschnittliches Streaming-Abo statistisch wesentlich mehr sind, als die durchschnittliche Hörerin bzw. der durchschnittliche Hörer seinerzeit für CD-Käufe ausgab, und auch wesentlich mehr, als die Durchschnittsuserin bzw. der Durchschnittsuser für Downloads ausgab, dass am Ende aber weniger übrig bleibt für die UrheberInnen und die Nischenkunst gegenüber dem Mainstream eindeutig benachteiligt ist. 

Was für Konsequenzen gibt es?

Zuerst einmal könnte man die Preise erhöhen. Der Durchschnittskonsumentin bzw. dem Durchschnittskonsumenten dürfte das nur schwer kommunizierbar sein. Sie bzw. er gibt ja ohnedies schon mehr aus als vorher. Und jetzt soll sie bzw. er noch mehr zur Kasse gebeten werden?

Alexander Hirschenhauser gibt allerdings zu bedenken, dass das Konsumieren von Musik noch nie so einfach gewesen ist wie heute. „Nicht einmal einen Mausklick, sondern einen Touchscreen-Wisch entfernt wartet nicht nur eine begrenzte Anzahl von Tracks, sondern alles. Das ist schon ein Mehrwert an Convenience, an Optionen.“ Er selbst verlangt keine Teuerung. Aber: „Wir sind an einem Punkt, wo wir definitiv wissen, dass bei den Indie-Labels und den Urheberinnen und Urhebern viel zu wenig ankommt. So geht es nicht weiter. Das ist nicht fair.“

Zweite Möglichkeit: Man könnte den Verteilungsschlüssel ändern. Aber wie soll das gehen, wenn die Plattformen jetzt schon Miese schreiben? Weniger Investitionen in Expansion und Maintenance kann man ihnen von außen kaum vorschreiben. Das könnte nur durch Wettbewerb erzielt werden. Das hält Hirschenhauser aber für unrealistisch, denn: „Wie wir alle wissen, gibt es in der digitalen Welt nur schwachen Wettbewerb, denn wenn sich der Marktführer durchgesetzt hat, dann ist er es, der die Bedingungen diktiert.“

Aus seiner Sicht gibt es noch eine dritte Möglichkeit, wie man das Ding aus Sicht der kleinen Labels angehen müsste: „Wenn ein Markt versagt, und dieser Markt versagt gerade eben, denn alle erbringen Leistung und können nicht davon leben, dann braucht es eben Regulierung. Auch in anderen Gebieten braucht es ab und an Regulierung. Eine Regulierung des Marktes auf dem Gebiet des Streaming könnte bedeuten, dass die Verwaltung der Rechte, das Administrieren der Deals, das Abschließen der Verträge zwingend den Verwertungsgesellschaften übertragen werden.“ Das, so Hirschenhauser, sei allerdings einstweilen nur eine Idee, die in der Indie-Szene alles andere als Konsens ist. „Es gibt genug Leute, die ihre Rechte selbst verhandeln wollen. Die gibt es auch in der Indie-Szene. Noch also ist das keine konsolidierte Position. Aber ich persönlich glaube, dass das eine gute Idee ist.“

Ob solch eine Idee in einem Europa, das zunehmend mit sich selbst beschäftigt zu sein scheint, auch tatsächlich ankommt? „Ich bin immer dafür, Ideen auf ihre Realisierbarkeit abzuklopfen. Es wäre fatal, sich von vorneherein davon abzuhalten, gute Ideen weiterzuverfolgen, nur weil etwas vermeintlich unrealistisch ist oder man in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht hat. Ich will nicht resignieren. Natürlich sind das dicke Bretter, die man bohren muss.“

Peter Tschmuck hält das „eher für nicht realistisch, weil das Sagen bei den Leistungsschutzgesellschaften ja auch eher die Majors haben. Und wie Sie richtig sagen: Warum sollten die freiwillig etwas aus der Hand geben?“ Auch dass von EU-Seite eine marktregulierende Gesetzgebungsinitiative kommt, glaubt er nicht. „Es geht ja eher in die andere Richtung. Die wollen die Quasimonopole der Verwertungsgesellschaften ja eher schwächen. Gerade im Verlagsbereich sind neue Unternehmen in Kooperation zwischen Verwertungsgesellschaften und Majors auf den Plan getreten.“ Tschmuck meint damit Joint Ventures, die im Bereich der Verlagsrechte anglo-amerikanisches Repertoire direkt an die Streamingdienste lizenzieren. Durch diesen One-Stop-Shop, den die EU unterstützt, wurde Repertoire von der österreichischen Verwertungsgesellschaft abgezogen.

Beteiligung und Börsengang von Spotify

Wie geht es weiter? Wir riskieren einen kurzen Blick in die nahe Zukunft: Spotify hat sich unlängst mit Tencent Music einen starken chinesischen Partner gesucht. Resultat der Zusammenarbeit ist eine gegenseitige Beteiligung: Spotify hält zehn Prozent an Tencent, umgekehrt hält Tencent Music zehn Prozent an Spotify.

Die Verschränkung wird laut Tschmuck, „weil die Valuation von Spotify höher ist, dazu führen, dass, so wird geschätzt, eine Milliarde frisch in die Kassen von Spotify gespült wird“. Dass Spotify an die Börse geht, ist laut Tschmuck definitiv. „Sie wollen nicht, sie müssen. Denn es gibt Investoren, die viel Geld reingesteckt haben und ihr Geld wiederhaben wollen. Die wollen unbedingt, dass Spotify an die Börse geht.”

Die Frage ist, was an der Börse passiert. Das hänge einmal vom Börsenumfeld ab, das Spotify nicht beeinflussen kann, „aber auch davon, wie man sich für die Börse aufgemascherlt hat“. Deshalb auch die Tencent-Beteiligung. „Wenn man die entsprechende Performance nicht liefert, bekommt man an der Börse beinhart die Rechnung dafür präsentiert. Nun ist es aber so, dass jeder weiß: Streaming ist ein Verlustgeschäft. Da wird man dann dafür runtergeprügelt. Bei Pandora konnte man das sehr gut beobachten. Da hat man anfangs noch einigermaßen performt, dann ist man aber ziemlich schnell abgesackt und hat nie wieder den Wert erreicht, mit dem man eingestiegen ist. Das will Spotify natürlich verhindern.“

Doch auch Tschmuck kann eine gewisse allgemeine Beunruhigung nicht verhehlen, wenn es um Investments in Streamingdienste und deren Realisierung geht.

„Wenn man sich die digitale Ökonomie in ihrer Gesamtheit anschaut“, so der Ökonom, „ist auffällig, dass viele dieser Start Ups Verluste schreiben. Ob das Uber oder Zalando ist – die sind alle in den roten Zahlen. Die leben vom Glauben, dass irgendwann die große Kohle komme. Da kann es also durchaus wie bei der Dotcom-Blase Ende der 1990er Jahre passieren, dass sehr viele Leute investiert haben, die irgendwann ihr Investment realisiert haben wollen. Das mögen Leute sein, die derzeit noch an das große Wachstum glauben, aber es braucht nur irgendeine unvorhergesehene Situation eintreten, und die Blase platzt.“ Das große Problem Spotifys sei es, dass man Geld bei Investoren aufgenommen hat und dafür Konditionen akzeptieren musste, die nicht gerade günstig waren. „Das heißt, bei denen tickt die Bombe.“ Die Hoffnung sei nun, mit dem Geld von Tencent die Altlasten zu tilgen. Das wiederum heißt: Spotify war einmal gezwungen, an die Börse zu gehen. Ob sich die Spielregeln so geändert haben, dass es kein unbedingter Druck mehr ist, sei ungewiss. „Um das zu beurteilen, kenne man noch zu wenige Details“, so Tschmuck.

Wie dem auch sei: Der Börsengang ist für die KünstlerInnen eine besonders bittere Variante. Denn für die Erlaubnis, ihre Rechte zu nutzen, halten die Plattenfirmen bekanntermaßen 30 Prozent der Anteile an Spotify. Momentan wird der Wert von Spotify auf 14 Milliarden Euro geschätzt. 4,2 Milliarden Euro würden beim Börsengang also in Richtung Plattenfirmen fließen. Davon bekämen die KünstlerInnen mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Cent. 

Konvergenz und Blockchain

Peter Tschmuck ist sich sicher, dass Streaming weiterwachsen wird, „gerade in Märkten wie Österreich und Deutschland, wo der Anteil im Vergleich zu UK, USA und Skandinavien immer noch vergleichsweise gering ist“. Die CD werde aller Wahrscheinlichkeit nach zum Nischenprodukt und der Download werde wahrscheinlich kannibalisiert. Bei den Streaming-Services werde sich einiges tun. „Diejenigen, die keinen starken Partner im Rücken haben, werden große Probleme bekommen. SoundCloud hatte dieses Jahr große Probleme. Denen steht das Wasser bis zum Hals. Bei Tidal wird auch schon spekuliert, dass ihnen das Geld ausgeht. Diese Stand-Alone-Services werden entweder verschwinden oder aufgekauft werden – je nachdem, ob es einen Interessenten gibt oder noch.“ Um Google, Amazon Prime, Apple etc. brauche man sich keine Sorgen zu machen. „Diese Konzerne verfolgen ein anderes Geschäftsmodell und leisten sich den Verlustbringer, weil sie sich über die Umwegrentabilität zusätzliches Geschäft erhoffen.“

Bei Deezer schaue es auch nicht so schlecht aus, weil Access Industries dahintersteht. Auch Spotify habe sich jetzt einen Partner gesucht. „Da fragt sich, ob das mit Tencent nachhaltig funktionieren wird, weil die Chinesen auch Eigeninteressen verfolgen. Spannend wird, wer die Marktbereinigung überlebt. Ich sehe auch einen starken Trend in Richtung Konvergenz. Dass es also nicht mehr reines Musikstreaming sein wird, sondern andere Services dazu kommen. Nicht nur Musik, sondern auch Videos, Filme, TV-Serien. Dass also mehr Pakete geschnürt werden, und man für sein Geld mehr bekommt. Das kann bedeuten, dass es zu Eigentümerwechseln kommen wird. D.h. dass Akteure, die bis jetzt nichts mit dem Musik-Biz zu tun haben, in den Markt reindrängen, weil sie da etwas für sich sehen.“ Spannend werde auch, ob die Blockchain eine gewisse Änderung der Spielregeln bewirken wird, da „direkte Deals möglich werden“. Kombiniert mit einer Krypto-Währung könnten Abrechnungen sofort gemacht werden. „Ich brauche kein dazwischen geschaltetes Clearing mehr. Das kann durchaus reizvoll sein. Man weiß ja, dass Spotify bereits einen Blockchain-Anwender gekauft hat und in diesem Bereich experimentiert. Das könnte die Spielregeln sehr schnell und nachhaltig ändern, weil Spotify mit einem Mal in der Lage wäre, direkt mit den Rechteinhabern abzurechnen.“ Dann würde sich, so Tschmuck, die Frage stellen, wo Verwertungsgesellschaften oder digitale Vertriebe bleiben.

Markus Deisenberger

Links:
Interview Peter Tschmuck
Interview Alexander Hirschenhauser