„[…] von diesem ‘sich auf ein Genre festlegen müssen’ einmal abweichen“ – SOPHIE TROBOS und ANNA REISIGL (inn.wien + Drehwerk) im mica-Interview

Ein Crossover-Projekt der besonderen Art: Mit dem klassischen Streichorchester INN.WIEN und dem Jazztrio DREHWERK haben sich Vertreter zweier ganz unterschiedlicher Genres zusammengetan, um das musikalische Terrain zwischen ihren angestammten Positionen zu erkunden – mit dem Ziel, etwas Neuartiges zu erschaffen. Wie exzellent ihnen das gelungen ist, zeigt ihr Debütalbum „LOST INSIDE“. Im Interview mit Michael Ternai erzählen SOPHIE TROBOS (INN.WIEN) und ANNA RESIGL (DREHWERK), die beiden Initiatorinnen des Projekts, wie es zur Zusammenarbeit kam, welche musikalische Idee hinter INN.WIEN + DREHWERK steckt und was sie voneinander gelernt haben.

Euer Projekt liest sich sehr interessant. Unter anderem auch weil inn.wien und Drehwerk eigentlich in zwei ganz unterschiedlichen Welten zu Hause sind. Wie ist es zur Zusammenarbeit gekommen?

Sophie Trobos: Anna und ich kennen uns schon sehr lange. Wir waren in Innsbruck gemeinsam im Musikgymnasium. Ungefähr genauso lang kenne ich Drehwerk, eigentlich seit ihrer Gründung, ich habe die drei auch schon oft live erlebt!
inn.wien funktioniert als Kollektiv und realisiert drei bis vier Projekte im Jahr. Vor etwa 2 Jahren erhielten wir eine Anfrage für ein Projekt, in dessen Rahmen wir mit einer anderen Gruppe zusammenarbeiten sollten. Da habe ich sofort an Drehwerk gedacht – und Anna war zum Glück gleich “on board”. Wir kennen uns sehr gut (wir haben damals sogar zusammen gewohnt), kommen beruflich aber aus sehr unterschiedlichen Welten. Den Austausch empfanden wir schon immer als sehr bereichernd. Umso schöner war die Möglichkeit, unsere Zusammenarbeit auszuweiten, gemeinsame Visionen zu realisieren. Ursprünglich war die Kooperation zwischen inn.wien und Drehwerk nur für ein Konzert geplant, aber das Ganze entwickelte sich schnell zu etwas Langfristigerem. Wir haben gemerkt, dass wir einfach mehr gemeinsam machen wollen.

Für uns (inn.wien) war es auch das erste Projekt, bei dem wir mit eigener Musik auf der Bühne standen. Zuvor hatten wir als klassisch ausgebildete Musiker:innen hauptsächlich klassische Musik interpretiert. Wir waren zwar immer schon offen für andere Dinge, haben uns bemüht, divers zu programmieren, aber es ist etwas völlig anderes, wenn es sich um eigene Musik handelt bzw. um Musik, die speziell für uns geschrieben wurde. In diesem Fall hat Drehwerk die Musik für uns und unsere Besetzung komponiert. Mit unserem Konzertprojekt ging es recht schnell voran. Hinzu kam die Möglichkeit, ein Album aufzunehmen, was wir auch getan haben. Darüber bin ich unglaublich froh und wir freuen uns sehr darauf, das Album veröffentlichen zu dürfen. Das ist für uns etwas ganz Besonderes.

Das heißt, es hat musikalisch schnell zwischen euch gefunkt.

Anna Reisigl: Sophia und ich sind miteinander befreundet und fühlen uns sehr verbunden, aber ich denke, einer der Gründe, warum wir in diesem Projekt zueinandergefunden haben, war unser Wunsch, von diesem „sich auf ein Genre festlegen müssen“ einmal abzuweichen. inn.wien ist eine Formation, die sich stark im alternativen Bereich der klassischen Szene bewegt, und ich bin jemand, der zwischen verschiedenen Welten steht. Ich habe lange Zeit Klassik studiert, dann Jazz, und fühle mich zu vielen verschiedenen Musikrichtungen hingezogen. Ich wollte mich nie auf ein bestimmtes Genre festlegen. An diesem Projekt liebe ich besonders, dass es so frei ist und sehr vieles sein kann.

Sophie Trobos: Das ist bei unserem Ensemble ganz ähnlich. Auch wenn wir bei inn.wien alle einen klassischen Hintergrund haben, waren wir immer offen für verschiedenste andere Genres und Musikstile. Wir wollten uns nie nur auf ein Genre oder einen Stil beschränken, auch wenn wir eine Zeit lang dachten, dass wir das vielleicht müssen. Daher bin ich sehr dankbar über die Entwicklung der letzten Jahre, die dazu geführt hat, dass wir Musik machen, die sich nicht wirklich einordnen lässt. Das macht es spannend. Und es kommt auch beim Publikum gut an – glaube ich.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Wie einfach bzw. schwer war es für euch diese unterschiedlichen musikalischen Welten, die wirklich weit auseinanderliegen, tatsächlich zusammenzuführen? Hattet ihr schon von Beginn an eine konkrete Idee, in welche Richtung es gehen soll oder hat sich diese erst allmählich entwickelt?

Anna Reisigl: Beim ersten Projekt im letzten Jahr begann alles eigentlich mit einer sehr simplen Idee: Wir wollten bereits vorhandene Drehwerk-Kompositionen nehmen und das Streichorchester dazu arrangieren. Das war im Grunde die Basisidee. Während wir jedoch am Arrangieren waren, kamen meinen Kollegen bei Drehwerk und mir die Lust, etwas Neues auszuprobieren. So begannen wir, Stücke für Trio und Streichorchester zu komponieren, mit dem Gedanken, dass es nicht unbedingt ausschließlich in Richtung Jazz gehen muss, sondern einfach Musik ist, die aus uns herauskommt und eigens für dieses Ensemble geschrieben wurde.

Die erste Probenarbeit war sehr interessant, weil – wie bereits erwähnt – tatsächlich sehr unterschiedliche musikalische Welten aufeinandergetroffen sind. Auf der einen Seite stand die des Jazz, in der Rhythmus, Harmonie und Improvisation eine große Rolle spielen; auf der anderen Seite die der Klassik, in der Phrasierung, dynamische Gestaltung, Klang und auch Virtuosität im Vordergrund stehen. Anfangs war uns nicht ganz klar, was wir voneinander erwarten konnten. Wir haben viel Zeit darauf verwendet, einen Weg zu finden, diese beiden Welten miteinander zu verbinden, und uns so gut wie möglich abgestimmt, damit beide Parteien, die sich zu einem Kollektiv vereinen, mit dem Ergebnis möglichst zufrieden sind. Im Laufe des Jahres hat sich dann gezeigt, dass sich diese investierte Zeit und das Absprechen gelohnt haben. Wir merken jetzt, dass wir mittlerweile ein sehr eingespieltes Team sind und inzwischen genau wissen, was wir voneinander erwarten können – und vor allem, was wir selbst wollen.

Ich denke, die neuen Kompositionen, die wir im Sommer unter anderem bei dem Festival wellenklaenge aufgeführt haben und jetzt im Herbst im Rahmen unserer Tour präsentieren werden, verdeutlichen diesen Kollektivgedanken: In unserer Musik verschwimmen die Genregrenzen hörbar.

Sophie Trobos: Dieser Prozess zu Beginn hat eine sehr wichtige Rolle gespielt. Anfangs war es schwer für mich, mir die Musik vorzustellen, wie es am Ende tatsächlich klingt. Vielleicht geht das auch gar nicht, ich musste mich jedenfalls darauf einlassen. Der Sound der MIDI Streichinstrumente hilft ehrlich gesagt auch nicht.

Bild inn wien + Drehwerk
inn wien + Drehwerk (c) Viktoria Hofmarcher

Umso schöner war es dann aber, das Ergebnis zu hören und wie schön alles miteinander verschmolzen ist. Wir von inn.wien konzentrieren uns stark darauf, keine klassischen Konventionen in das Projekt einzubringen. Wir versuchen, offen zu sein, und ich glaube, dass wir – im Vergleich zu vielen anderen klassischen Orchestern und Ensembles – auch wirklich offen sind. Aber im ersten Moment bleibt man dennoch in seiner eigenen Welt und an seinen Gewohnheiten hängen. Die Art, wie man sein Instrument in den letzten 20 Jahren gespielt hat oder wie man die Dinge im Studium gelernt hat, verschwindet nicht von heute auf morgen. Man muss sich selbst im Spiegel betrachten und sich fragen, wo man steht: Was sind die Dinge, die ich aus Überzeugung in ein solches Projekt einbringe, und welche übernehme ich nur, weil ich sie gewohnt bin? Das war für mich und sicher viele von uns ein extrem spannender Prozess.

Was ist der besondere Reiz für eine klassische Musikerin, in den Jazz einzutauchen, und umgekehrt, für eine Jazzmusikerin in jene der Klassik?

Sophie Trobos: Für mich war alles, was mit Rhythmus und Rhythmik zu tun hatte, extrem bereichernd. Sobald ein Schlagzeug mitspielt wird mit offenen Karten gespielt. Ich dachte mit Metronom üben reicht. Das Tempo wirklich zu spüren ist nochmal was ganz anderes. Es war spannend, sich einmal darauf zu fokussieren und zu sagen: Okay, diese rhythmische Komponente ist eine musikalische Basis des Trios, da machen wir mit, das wollen wir auch.

Wir haben auch viel gelernt. Wenn wir jetzt klassisches Repertoire spielen, spüren wir uns und den Rhythmus besser und gehen freier und offener an die Sache heran. Das hilft! Generell ist es spannend, Musik zu interpretieren, die zuvor noch niemand gespielt hat. Das ist in der Klassik anders – dort gibt es immer Interpretationen, mit denen man sich vergleichen kann/muss, oder Erwartungen, die erfüllt werden sollen. Wir reproduzieren. Bei eigener Musik hat man hingegen die Möglichkeit, ein leeres Blatt zu füllen. Etwas ganz Eigenes zu gestalten. Diese Arbeit ist für uns etwas ganz Besonderes. Ich spüre schon jetzt, dass ich diese Freiheit unbedingt als Teil meines musikalischen Lebens beibehalten möchte.

Anna Reisigl: Aus der Sicht des Jazz ist eine solche Zusammenarbeit vor allem kompositorisch eine absolute Bereicherung. Es ist einfach aufregend, mit so vielen Streicher:innen zu arbeiten. Im Trio gibt es Harmonie, Melodie, Rhythmus und Basslinie. Wenn dann plötzlich, wie im ersten Projekt, 14 Streicher:innen hinzukommen, eröffnen sich ganz neue kompositorische Möglichkeiten. Man kann viele Einflüsse aus der Klassik, wie Polyphonie, fugale Elemente oder Mehrstimmigkeit, in die Musik einfließen lassen. Auch die Arbeit an den Kompositionen, insbesondere die feine Abstimmung der Dynamik, spielt eine große Rolle – dass nicht alles gleich laut ist oder dass in verschiedenen Passagen unterschiedliche Elemente im Vordergrund stehen. Für mich tut sich hier eine ganz neue Welt auf, die ich ausschöpfen kann. Da sind wir definitiv noch nicht am Ende angelangt, es gibt noch so viele Dinge, die wir nicht berührt haben.

Die Musik, die ihr durch die Verbindung der verschiedenen musikalischen Welten erschafft, ist sehr vielfältig und hat einen sehr bildhaften Charakter, fast etwas Filmmusikalisches. Könnt ihr mit diesem, meinem Eindruck etwas anfangen?

Anna Reisigl: Ich glaube, das liegt auch daran, dass die Kompositionen von drei verschiedenen Personen stammen und meine beiden Kollegen und ich jeweils unterschiedliche Ansätze haben. Unser Pianist Felix Heiß ist stark im filmmusikalischen Bereich unterwegs und hat einen Hang zur Romantik. Im Kontrast dazu steht unser Schlagzeuger Max Schrott, der viele groovende Elemente in die Musik einbringt. Seine Musik ist eher rudimentär und befindet sich in einem fließenden Rhythmus. Ich selbst bin wahrscheinlich irgendwo dazwischen und versuche, mehr klassische Elemente einzubauen und die Musik etwas weiter zu öffnen. Deshalb haben unsere Stücke wohl auch ihren ganz eigenen Charakter und ein starkes Eigenleben. Was wir gemeinsam haben ist, dass wir beim Komponieren der Stücke immer ein spezifisches Bild im Kopf oder ein spezifisches Bild haben, das ausgedrückt werden soll. Daher kann, mit deiner Beschreibung, ganz gut etwas anfangen.

Sophie Trobos: Da stimme ich Anna voll zu. Die Stücke wurden von drei Personen komponiert und werden nun von unserem Kollektiv, bestehend aus elf Personen, die jeweils ihren eigenen Stil und ihre eigene Musikalität einbringen, interpretiert. Ich allein sehe und spüre ganz viele Bilder, Stimmungen und Emotionen, wenn ich unsere Stücke spiele. Insgesamt sind es dann ganz viele verschiedene Bilder und verschiedene Vorstellungen von dem, was es sein kann, die auf der Bühne herumschweben. Es sind viele Menschen, die das alles gemeinsam gestalten.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Wie kann man sich dieses gemeinsame Gestalten vorstellen. Bei so vielen beteiligten Personen stelle ich mir das nicht immer leicht vor? Inwieweit wird bei euch auch um Ideen gekämpft? Oder hat Harmonie regiert?

Sophie Trobos: Ein respektvoller Umgang miteinander ist die Grundvoraussetzung. Wir verstehen uns alle gut und schätzen einander sehr, selbst wenn es mal einen Moment der Spannung gibt und jemand nicht genau das bekommt, was man sich vorgestellt hat. Aber am Ende finden wir uns eigentlich immer. Spätestens auf der Bühne.

Anna Reisigl: Neben dem respektvollen Umgang und der guten Diskussionsbasis ist das Ausprobieren eine weitere wichtige Grundlage. Oft gibt es drei verschiedene Ideen von drei verschiedenen Personen, die alle ausprobiert werden, um herauszufinden, welche am besten passt. In der Musik ist es häufig so, dass man eine bestimmte Vorstellung hat, wie etwas klingen soll, dann aber merkt, dass es an dieser Stelle vielleicht doch nicht passt, und sich auf andere Inputs einlässt. Dieses ständige Ausprobieren und Herantasten bringen einen letztlich weiter.

Ihr beide seid auch in anderen Projekten involviert. Was macht dieses Projekt, inn.wien x Drehwerk, so besonders für euch? Und ist es als langfristiges Projekt gedacht?

Anna Reisigl: Es ist definitiv unser Ziel, dieses Projekt langfristig am Leben zu erhalten. Allerdings muss man sagen, dass eine Release-Tour, wie sie jetzt bevorsteht, oder eine Albumproduktion mit einem so großen Ensemble ein enormer organisatorischer und finanzieller Aufwand ist. All das auf die Beine zu stellen, ist sowohl für Sophie als auch für mich eine große Herausforderung. Das Projekt wird auf jeden Fall weiterlaufen, aber vielleicht in unterschiedlichen Formen – möglicherweise nicht immer als große Formation, sondern vielleicht in einer Art “inn.wien x Drehwerk light”. Aber wir sind beide voll motiviert, dieses Großprojekt am Leben zu erhalten. Schon beim ersten Projekt im letzten Jahr haben wir viel positives Feedback bekommen und gesehen, wie gut es bei den Leuten ankam. Und wenn man so viel Positives zurückbekommt, motiviert das natürlich, weiterzumachen.

Sophie Trobos: Für mich ist es auch ein großer Wunsch, dass es weitergeht, vor allem weil es einfach aufregend ist und eine echte Chance, mit so vielen Leuten zusammenzuarbeiten. Aber ich muss Anna zustimmen, so ein Projekt ist mit einem großen finanziellen Aufwand verbunden, besonders wenn man auch faire Gagen zahlen will. Das ist uns ein großes Anliegen. Aber es ist ein wirklich besonderer Zusammenschluss, da zahlt sich die Arbeit und Energie, die reingesteckt werden, aus. Man entwickelt ein starkes Gemeinschaftsgefühl, wenn man gemeinsam auf der Bühne steht. Es macht Spaß! Auf der Bühne und auch im Publikum, da bin ich mir sicher.

Ich freue mich besonders über ein Special Feature auf dieser Tour, weil wir erstmals ein Stück spielen werden, das von einer Musikerin aus inn.wien komponiert wurde, von der Geigerin Marlene Penninger. Darauf bin ich schon sehr gespannt. Das ist für uns etwas sehr Besonderes, und ich glaube, dass es auch Potenzial gibt, dass vielleicht andere von uns einmal Lust haben, etwas zu komponieren.

Herzlichen dank für Interview.

Michael Ternai

++++

Termine
23.9.2024, 20:00 | Kosmos-Theater, Bregenz

24.9.2024, 20:30 | Treibhaus, Innsbruck
25.9.2024, 19:30 | Stadtbühne, Imst
26.9.2024, 20:30 | Porgy&Bess, Wien

++++

Links:
inn.wien
inn.wien (Instagram)
inn.wien (Facebook)
Drehwerk
Drehwerk (Instagram)
Drehwerk (Facebook)