Up in the Air: Über die Wichtigkeit der Radiopräsenz für österreichische Musik

Wie viel man in Österreich mit Radio-Ariplay verdienen kann und wie wahrscheinlich es für heimische Bands und MusikerInnen ist, dort überhaupt gespielt zu werden.

Der Blick in Richtung Mutterland des Pop beweist: Radio Airplay ist immer noch eine der wichtigsten Säulen, um mit Musik kommerziellen Erfolg zu erzielen. Laut einem Artikel der englischen Musikzeitschrift NME bringt das Abspielen nur eines Songs bei den Radiostationen des Landes im Schnitt 125 britische Pfund für den Komponisten und Texter ein, das sind umgerechnet etwa 145 Euro. Im Laufe von zwei Monaten Airplay schaffen solche Hits schnell mal mehr als 4.000 Radioeinsätze. Die Einnahmen allein aus diesen zwei Monaten Airplay können sich somit leicht auf 500.000 Pfund, respektive 580.000 Euro, belaufen. Eine hübsche Summe. Während man also seit Jahren von einbrechenden CD-Verkaufszahlen und fehlender Kompensation durch die gleichzeitig nur sanft steigenden Downloadraten spricht, kann man mit Musik – so sie nur oft genug im kommerziellen Radio gespielt wird- noch richtig gutes Geld verdienen, wie diese Zahlen eindrucksvoll belegen.

Millionär durch Radio-Airplay?

Am Beispiel des Hits „Hallelujah“ von Alexandra Burke (X-Factor England Siegertitel 2008) rechnet der NME-Artikel die erzielten Einnahmen vor:
Während mit etwa 4.400 Radioplays um die 550.000 Pfund aus Abspielvergütungen (des englischen Pendants zur heimischen AKM) lukriert wurden (wobei der NME-Artikel nicht weiter zwischen den Einnahmen aus der Komposition und jenen aus der Leistung, d.h. also zwischen Urheberrecht und Leistungsschutz differenziert. Erstere stünden, weil der Titel „Hallelujah“ im Original von Leonard Cohen ist, dem Altmeister bzw. dem von ihm beauftragten Verlag zu, während wohl nur die auf Grundlage des Leistungsschutzes ausgeschütteten Tantiemen an Alexandra Burke gingen), erreichte der im selben Zeitraum erzielte Umsatz mit Musikdonwloads dieses Titels bei ca. 1 Million (!) verkauften Downloads zu den damaligen Preisen nur etwa 840.000 Pfund. Das ist zwar nominell mehr, aber das Verhältnis zwischen den Werten beweist, wie viel leichter es ist, mit Radio-Airplay Geld zu machen als mit dem Verkauf von Musik via Datenträger (freilich vorausgesetzt, dass es sich dabei auch um eine Originalkomposition handelt).
Noch einmal zum Vergleich: 4.400 Airplays bringen 550.000 Pfund. Eine Million Downloads bringen 840.000 Pfund.

Hinzu kommen noch ca. 100.000 verkaufte CD-Singles mit einem Umsatzwert von knappen 400.000 Pfund. Knapp ein Drittel der Gesamteinnahmen stammt somit aus Vergütungen für den Radioeinsatz des Titels. Für das Jahr 2014 darf man diesbezüglich wohl davon ausgehen, dass der Radio-Anteil noch größer geworden ist, da der Verkauf von Singles-CDs in England (aber genauso auch in Österreich) beinahe bedeutungslos geworden ist.

Bei normalen Nummer 1 Hits kann man heute davon ausgehen, dass Radio-Airplay manchmal sogar höhere Einnahmen einbringt als der kommerzielle Musikverkauf, und das, obwohl der Preis für Musikdownloads in England seit 2008 um durchschnittlich 20% angestiegen ist.

Ähnliches gilt auch für Deutschland. Die aktuellen Zahlen der GEMA gehen von ca. 100 bis 150 Euro pro abgespieltem Titel für Texter und Komponisten aus, wobei Top Hits in Deutschland ohne weiteres auf über 1.000 Abspielungen pro Woche kommen können. Allerdings ist die Anzahl maximal möglicher Abspielungen in unserem Nachbarland gedeckelt. Trotzdem kann man von wirklich guten Verdienstmöglichkeiten ausgehen.

Ö3 vs. fm4 – die Frage lautet: Format oder Vielfalt?

Im Vergleich dazu nehmen sich die österreichischen Zahlen marktbedingt bescheiden aus. Nach einer aktuellen Medienbeobachtung (Hannes Tschürtz in BLÖG; http://ink-vicious.blogspot.co.at/2014/07/wieviel-o-musik-o3-wirklich-spielt.html) war der meistgespielte Titel auf Ö3 (als jenem Sender, der aufgrund seiner Formatradio-Programmierung naturgemäß über die höchsten Rotationen ein und desselben Titels verfügt) im Jahr 2014 One Republic´s „Counting Stars“ mit 976 Plays, gefolgt von Avici´s „Wake me Up“ mit 935 Einsätzen. Im Gegensatz dazu kommen Sender wie fm4 durch ihr weit mehr auf Vielfalt ausgerichtetes Programm auf erheblich niedrigere Zahlen. Bilderbuchs „Maschin“ etwa kam 2014 auf gezählte 174 Einsätze. Abhängig von der Tageszeit werden pro Titel für Urheber und Produzenten über mehrere Verwertungsgesellschaften (AKM, LSG) im Schnitt gut 10 Euro pro Einsatz ausgeschüttet.

Noch einmal zum Vergleich: Während man im englischen Radio mit 4.000 Einsätzen 580.000 Euro verdienen kann, wären es in Österreich für die letzte Nummer 1 (One Republic´s „Counting Stars“) nur knappe 10.000 Euro für knappe 1.000 Einsätze gewesen. Das auf fm4 in der Rotation gespielte „Maschin“ von Bilderbuch hätte gar nur ca. 1.740 Euro für 174 Einsätze eingespielt.

Weniger Geld für jeden Einsatz in Österreich

Stootsie von the Seesaw berichtete in einem mica-Interview, dass sein Nummer 1-Hit „All the same“ auf Nachfrage angeblich (im Jahr 2004) 260 Mal in der Rotation gelaufen sei. Der finanzielle Erfolg solch einer Rotation an sich hält sich daher trotzdem in Grenzen. Stootsie selbst bezifferte ihn mit etwa einem Monatsgehalt eines mittleren Angestellten, was auch mit den veranschlagten 10 Euro pro Einsatz ca. hinkommen dürfte. Das sei besser als nichts, so der Salzburger Komponist und Sänger, aber natürlich – rechnet man Mühe, Investitionen, und vor allem die Wahrscheinlichkeit gegen, es überhaupt zu schaffen – auch sehr bescheiden. (Würde man wie in England 145 Euro pro gespieltem Song veranschlagen, wären das immerhin Euro 37.700 gewesen – eine doch beträchtliche Summe)

Aber was man dabei auch nicht übersehen darf, ist der Sog, den solch eine Nummer 1 entwickelt. Auch die CD-Verkäufe und die Downloads steigen. Man wird live gebucht, und unter Umständen sogar in die eine oder andere Talkshow geladen. Ja, vielleicht springt sogar jemand aus Werbung oder Funk und Fernsehen auf und will die Nummer in einer Serie oder einem Werbe-Spot verwenden, was wirklich gutes Geld (durch ein entsprechend hohes Buy Out und/oder Tantiemen) bedeuten kann.

Nicht zu unterschätzen: die Sogwirkung des Radioerfolgs

Zur vertiefenden Info: Derzeit wird Gold für 7.500 verkaufte CD-Einheiten verliehen. Bei einem Händlerabgabepreis von ca. zwischen 10 und 11 Euro, sind das nur etwa 80.000 Euro. Abzüglich der Produktionskosten und abhängig vom Anteil, den der/die Interpreten vertraglich vom HAP bekommen (zwischen 8 und 50% je nach Label und Deal) wird auch deutlich, dass es heute, will man musikalisch erfolgreich sein, immer mehr um das Gesamtpaket aus mehreren funktionierenden Verwertungszweigen (Live-Geschäft, Radio, Tonträger, Downloads, Merch, Verlagsrechte, d.h. Werbung, Film & Fernsehen etc.) geht.

Täglich 5,1 Millionen Radiohörer, das Gros bei Ö3

Wie wahrscheinlich aber ist es nun aber überhaupt in österreichischen Radios gespielt zu werden? Und welche Öffentlichkeit kann man durch solch ein Airplay erreichen?

Die Zahlen des Radiotest für das erste Halbjahr 2014 belegen einmal mehr die anhaltende Marktführerschaft des ORF, der derzeit über ca. 74% Marktanteil verfügt. Und Ö3 weist der Radiotest weiterhin als Nummer Eins am österreichischen Radiomarkt aus. Während sich rund 5,1 Millionen Österreicherinnen und Österreicher täglich für eines der ORF-Radios entscheiden, sind es allein bei Ö3 rund 2,8 Millionen Österreicherinnen und Österreicher. Damit ist Ö3 klar das reichweitenstärkste Radio. Umgekehrt bedeutet das aber auch, dass ich mit meinem gespielten Track theoretisch 2,8 Mio. Leute erreichen kann, die vielleicht meinen Track/mein Album kaufen wollen oder zu einem meiner Konzerte kommen. Im Gegensatz dazu verfügt fm4 über eine Tagesreichweite von rund 3,5% bzw. 265.000 Personen. Das ist eine schöne Zahl, im Vergleich zu Ö3 aber weniger als ein Zehntel.

Die auf fm4 mit ihrer aktuellen Single in Rotation befindliche Singer-Songwriterin Mel Mayr beschreibt das plastisch so: „Es läuft bei mir schon ziemlich lange auf einem Level“, sagt sie. „Ich habe zwar immer Airplay auf fm4, wofür ich sehr dankbar bin. Aber fm4 hat eben nur 4% Reichweite in Österreich. Und Österreich ist klein, auch live-spiel-technisch…“

Ergo: Um kommerziell wirklich Erfolg zu haben, führt in Österreich kein weg an Ö3 vorbei. Ein weiteres Beispiel, das diese These untermauert: Die Wiener Band Wanda. In einer neu aufkeimenden deutschsprachigen Pop-Szene, die keinerlei Berührungsängste mit dem vielzitierten Austropop kennt und vielleicht gerade deshalb so wunderbar unverkrampft ist, war neulich sogar dem deutschen Spiegel eine Lobeshymne wert. Im Ergebnis aber läuft man zwar auf fm4 in der Rotation, auf Ö3 allerdings nicht – mit dem oben beschriebenen Ergebnis. Und auch Bilderbuchs „Maschin“ etwa hätte aufgrund seiner kommerziellen Qualitäten durchaus nicht nur auf fm4, sondern auch auf Ö3 laufen können. Dass es nicht bzw. nicht ausreichend passierte, erzürnte bei einer anlässlich des Popfestes geführten Podiumsdiskussion den Label-Betreiber Walter Gröbchen, der den Druck von der Straße einforderte. Letztlich sei der es, der darüber entscheidet, ob Bilderbuch irgendwann auch auf Ö3 laufen würden.

Bei eben dieser Diskussion waren sich alle TeilnehmerInnen (auch von Ö3) einig darüber, dass Pop, wie es Kurator Wolfgang Schlögl in einem emotionalen Schlusswort formulierte, über die Grenzen eines Genres und eines Senders hinausgehen muss. Die Realität sieht leider oft anders aus: Was bei den Red Hot Chili Peppers und Massive Attack funktioniert, dass sie nämlich auf fm4 und Ö3 gleichzeitig laufen, ist Bands wie Wanda und Bilderbuch bislang noch nicht geglückt. Will man aber einem Act tatsächlich zu gesteigerter Popularität verhelfen, wären weniger Punzierung (z.B. als „fm4-Musik“) und mehr Schulterschluss zwingend notwendig.

Forderung: Keine Brandmarkung der Popmusik

Doch wie viel österreichische Musik spielt Ö3? Wie hoch ist der Österreicher-Anteil derzeit? Signifikant ist zunächst einmal der sprunghafte Anstieg an gespielten heimischen Titeln nach der Causa Lichtenegger (April 2014). Die unbedacht abfällige Aussage der Ö3-Mitarbeiterin über heimische Musik und der daraus resultierende öffentliche Druck haben die Zahlen ganz klar steigen lassen.

So ist die Ö-Quote bei Ö3 im Verlauf des (getesteten) ersten Halbjahres 2014 dezent gestiegen. Nicht zuletzt durch den Gewinn des Song Contests und mannigfaltiger Erfolgsbeispiele im Pop-Segment liegt der Anteil derzeit stabil über 10% gegenüber 3-5% im Vergleichszeitraum 2013.

Das – in Zusammenspiel mit den Zahlen des Radiotests, wonach die Reichweite gleichzeitig ausgebaut werden konnte – widerlegt aber ein in der Vergangenheit gern gebrachtes Argument der Ö3-Führung, mehr österreichische Musik schade der Quote. Das genaue Gegenteil war 2014 der Fall.

Aber auch der häufig geäußerte Einwand, österreichische Musik wurde auf Ö3 das letzte Mal in den 1980ern , als der Austropop seinen Höhenflug hatte, stark gespielt, ist eindeutig falsch. Noch 1994 betrug der Anteil 22,19% – ein Rekord. (Quelle: Kurier-Artikel). Im Vergleich dazu betrug 1982, in einem der stärksten Austropop-Jahre also, der Österreich-Anteil nur vergleichsweise bescheidene 14,67%.

Das heißt: Die Ö-Quote ist zuletzt zwar gestiegen, liegt aber deutlich unter den Werten, die man vor zwanzig Jahren einmal verzeichnen konnte. Vorbildlich: fm4 mit konstant über 20% liegenden Ö-Quoten. Offenbar unbeeindruckt von der Causa Lichtenegger zeigte sich auch Radio Wien. Die Quote liegt konstant unter 8%.

Nur sanft gestiegener Ö-Anteil nach der Causa Lichtenegger: Kommt die Quote?

Nicht zuletzt deshalb wird derzeit wieder laut über die Einführung einer Radioquote nachgedacht.

So diskutierten diesen Sommer auf Einladung von SPÖ Kunst- und Kultursprecherin Elisabeth Hakel Musikschaffende und Vertreter der Musikwirtschaft im Parlament nicht öffentlich über die Zukunft österreichischer Musik. Auf der anschließenden Pressekonferenz wurde u.a. eine verbindliche Quotenregelung von 40% heimischer Produktionen gefordert. Deren Umsetzung sei ein Gebot der Stunde, so Elisabeth Hakel, denn „der Hut brennt.“ Die Nicht-Repräsentanz österreichischer Musik vor allem in Ö3, Radio Wien und im Fernsehen, heißt es in diesem Forderungskatalog, gefährde einen ganzen Wirtschaftszweig. Der ORF aber habe aufgrund seiner Gebührenfinanzierung die Aufgabe, österreichische Musik angemessen zu präsentieren.

Tatsächlich zeige die ORF-interne Auswertung (abgesehen von dem erwähnten Anstieg nach dem April) deutlich, dass die freiwillige Selbstverpflichtung des ORF und der erreichte Wert an heimischer Musik immer weiter auseinander klaffen (Quelle: SOS-Musikland). Der Österreicher-Anteil habe sich im Gegenteil seit Inkrafttreten der Charta halbiert und sei so niedrig wie noch nie, erklärt Hannes Eder von Universal Music.

Unabhängig von der Meinung, die man über Sinnhaftigkeit einer Quote haben kann, und ob es in naher Zukunft einen entsprechenden politischen Willen zur Festschreibung einer solchen geben wird, sollte man in jedem Fall laut und öffentlich darüber nachdenken, wie es gelingen kann – ob nun durch Quote oder Selbstverpflichtung – den Anteil qualitativ hochwertiger österreichischer Musik im österreichischen Radio, insbesondere auf den marktführenden Sendern zu erhöhen.

Markus Deisenberger

Die Diskussions- und Vortragsreihe mica focus wird unterstützt durch die Abteilung für Wissenschafts- und Forschungsförderung der MA7 Wien.