ROSA ANSCHÜTZ folgt dem Goldenen Strom. Mit einer auratischen Video-Quadrologie bereitet die transmediale Künstlerin ihr zweites Album vor, das sich ganz deutlich von anderen Techno-Releases abhebt.
Du hättest am 3. März in Moskau spielen sollen.
Rosa Anschütz: Mir war klar, dass ich einen Post dazu machen muss, auch wenn ich mich nicht danach fühle. Denn für mich war klar, dass ich nicht spiele. Ich kannte den Club nicht, ich weiß nicht, welche Gelder hineinfließen, wer Geschäftsführer ist, oder ob es eine Geschäftsführerin gibt. Es gibt so wahnsinnig viele Aspekte. Von einer Künstlerin dann gewisse Statements zu erwarten, ist ein bisschen zu einfach, eben weil vieles nicht so klar ist.
Was verlangst du von Veranstalter:innen?
Rosa Anschütz: Am wichtigsten ist mein Tech Rider. „Peak” schildert beispielsweise eine Situation, in der etwas vom Tech Rider fehlt, man aber schnell die Schuld bekommt, obwohl er nicht richtig gelesen wurde. Dieses Anzweifeln der Professionalität einer Musikerin ist ein Problem. Wie auch, dass man zwar in Strukturen kommt, wo ein Lineup vielleicht diverser ist, aber die Organisatoren und Entscheidungsträger trotzdem oft noch Männer sind. Da muss sich noch was ändern.
Wie machst du Musik?
Rosa Anschütz: Manchmal weiß ich im Moment genau, ich habe zum Beispiel Lust auf Gitarre. Wenn ich dann eine Picking-Line schön finde, mache ich einen Loop daraus und schaue weiter. Manchmal mache ich dann Drums, manchmal kommt mir eine Gesangsstimme in den Kopf geflogen, die ich direkt aufnehme. Im Berliner Studio haben wir dann eine lange Liste an Tracks, die wir abarbeiten. Wir nehmen immer die Stimme auf, die Performance der Stimme. Ich mache einen Jam über einer ziemlich festen Struktur mit Instrumenten und Arrangement. Wenn er mir nicht gefällt, gehe ich sofort aus dem Projekt raus und fange mit dem nächsten an, weil mich das unglaublich frustriert. Ich bin bei vielen Entscheidungen leider sehr impulsiv.
Wie erarbeitest du dir deinen Soundvorrat?
Rosa Anschütz: Wenn ich unterwegs bin, sammle ich immer wieder Samples. Später erkennt man die nicht mehr unbedingt. Ich arbeite oft mit Ableton, gebe wahnsinnig viele Effekte dazu oder verändere das Tempo bis ich mit dem Sound zufrieden bin. Aus einer Gitarre oder einem Bass kann eine Drum-Spur werden oder ein modularer Synthesizer. Daraus wird eher eine Soundkulisse, ein Klicken oder eine Kickdrum. Ich habe mittlerweile auch viele Effektpedale, die es mir ersparen, Computermodule zu programmieren.
Kennst du Nico?
Rosa Anschütz: Ja. Mag ich. (lacht) Als „Rigid” rauskam, ist der Vergleich auf jeden Fall gefallen. Er lag nicht so fern, auf dem Song habe ich eine sehr tiefe Gesangsstimme. Sonst variiere ich mit meiner Stimme sehr. Ich kenne Nico schon lange, mag ihr Solo-Material eigentlich lieber, als das Material mit Velvet Underground. Und tatsächlich habe ich ein Instrument schon sehr oft benutzt, das auch Nico verwendet, ein kleines Harmonium mit so einem Blasbalg. Mich beeinflussen viele Musiker:innen. Ich gehöre keiner Musikszene richtig an und bin Einzelgängerin. Das ist ein Problem und aber auch meine Freiheit. Ich will offenbleiben. Mein Sound kann an sehr unterschiedlichen Orten stattfinden, im Club bis hin zu Orten für klassische Musik.
Wie gehst du damit um, dass der Remix von „Rigid” so viele Streams hat?
Rosa Anschütz: Kontrovers. Ich mag ihn unglaublich gerne. Nüchtern betrachtet ist er so stark, dass ich dadurch automatisch mit Techno assoziiert werde, alleine nur durch diese blöden Algorithmen, das ist leider die Realität dieser Plattformen. Ich assoziiere mich mit Techno, aber nicht ausschließlich. Der Remix war eine Art Sommerhit noch vor der Pandemie, dadurch hatte er wohl ein großes Nostalgie Potenzial.
Ist dein erstes Album „Votive“ deshalb ruhiger ausgefallen?
Rosa Anschütz: Ich wollte mich nicht distanzieren, aber meine musikalische Grundlage zeigen. Es hat in der Form auch gut in die Zeit gepasst.
„Das war ein schwieriger Tag. Den Anschlag haben wir sofort mitbekommen“
Den Release hast du am 3. November 2020 mit einer Freundin in der Nähe des Schwedenplatz gefeiert.
Rosa Anschütz: Das war ein schwieriger Tag. Den Anschlag haben wir sofort mitbekommen, aber die Nachrichten erst einmal nicht verstanden, weil wir in einer anderen Stimmung waren, fröhlich mit großen Eisbechern. Wir haben an einigen Orten Schutz gesucht und sind bei Freunden gelandet. Ich habe Zeit gebraucht, um zu wissen, wie ich mit der Öffentlichkeit rund um den Release umgehe.
Du hast kleine Votivfiguren aus Keramik auf der alternativen Kunstmesse Parallel ausgestellt.
Rosa Anschütz: Genau. Für jeden Track gibt es eine Figur, die assoziativ zum repetitiven Hören des Albums entstanden sind. Sie sind teilweise auf den Single Covers zu sehen. Ein einheitliches Konzept dazu gab es dazu aber nicht.
Du hast transmediale Kunst bei Brigitte Kowanz abgeschlossen. Wie beeinflusst Kunst deine Musik?
Rosa Anschütz: Das Visuelle hat mich schon immer sehr interessiert. Ich finde Künstler:innen dann spannend, wenn sie einen eigenen Stil haben und nicht nur auf Ströme eingehen. Dafür habe ich selbst gekämpft, um mir diese Freiheit zu behalten, etwa mir für die Videos zum “Goldenen Strom” Leute zu suchen, mit denen man arbeiten will, um sich in dieser Welt gegenseitig zu unterstützen. Im Cover Design fallen ebenfalls viele szenenbildnerische Entscheidungen.
Du drückst dich mit Keramik aus, mit Comics, Lyrik, Textilien oder auch Tanz.
Rosa Anschütz: Meine Comics hatte ich lange verschmäht, weil ich mich damit an der Kunstuni beworben hatte. Das hat zum Glück nicht geklappt. Gerade arbeite ich an einem Projekt mit gestickten Bildern aus Pailletten. Da sind Musik und Bilder wirklich gemeinsam entstanden. Ich hinterfrage das auch auf meinem Album, was bedeutet dieser Release für mich? Denn mit einem Release werde ich ja etwas los, kann etwas abschließen. Die vier Singles und die Videos, die sich zum Album hin aufbauen, thematisieren das.
Inwiefern?
Rosa Anschütz: Der goldene Strom ist mit einer Video-Quadrologie mein künstlerischer Rahmen. Man fährt in jedem Video durch einen Raum hindurch, bekommt die Vorstellung eines Weges oder eines Stroms. Durch großen Zufall haben wir im belgischen Gent das Tintenpott Theater gefunden. Dort haben wir fast alles gedreht. Der Raum ist nicht ganz klar definiert und löst sich auf. Bei “Sold Out” war mir früh klar, dass ich mich an den Lyrics orientieren will und habe einen klaren, hellen Raum gesucht, der auf einen Mittelpunkt zuläuft. Und in dem Theaterraum steht dieser Pott, der einfach wahnsinnig schön ist. Er war der Protagonist. Bei “Their Blood“ ist das Licht der Protagonist. Das Video ist sehr buchstäblich, ich habe überlegt, ob ich das Video wirklich rot gestalten möchte, fand aber die Farbkomposition und den Kontrast von Rot und Blau sehr schön. Ich bin nur im letzten Video wirklich zu sehen und tanze dort diese Choreografie zum goldenen Strom.
Dem Titeltrack.
Rosa Anschütz: Der Text will sich einer Strömung widersetzen, einem Außen, vielleicht der Strömung der Kunst. Jens Balzer hat einen schönen Text über die stromlinienförmige Kunst geschrieben. Meine Sprache ist die Musik und meine Sprache ist das Visuelle. Das ist der Raum, in dem ich kommuniziere und kommunizieren will. Den Ort im Theater fand ich wahnsinnig passend. Im Techno gibt es immer noch diese Ästhetik von Warehouses und Fabriken, in denen einmal gearbeitet wurde. Und ich habe mich gefragt, ob das wirklich noch eine Ästhetik von Techno sein kann, weil diese Fabriken schon sehr lange leer sind. Durch Pandemie oder durch Globalisierung hindurch betrachtet sind Orte wie das Tintenpott Theater eigentlich Orte des Widerstands. Wenn es diese überhaupt noch gibt.
„Unsere Zeit ist davon geprägt, Geschichte noch einmal neu zu lernen, Geschichte neu zu erfahren.“
Dieses große blaue Kleid sieht man auch auf dem Albumcover.
Rosa Anschütz: Das Foto wurde analog geschossen. Ich war dafür mit einem Stuhl in den Neusiedlersee gegangen. Ich mochte den Stuhl, weil er fast aussieht wie ein 3D-Rendering. Unsere Zeit ist davon geprägt, Geschichte noch einmal neu zu lernen, Geschichte neu zu erfahren. Und wie kann ich mich in diese Geschichte einschreiben? Kann ich ein Album produzieren, das ein Klassiker wird? Oder für sich steht? Bei vielen Künstler:innen sehe ich derzeit eine Verbindung mit dem Skulpturalen oder Monumentalen. Ich bin auf dem Cover eine Insel. Ich wollte eine eigene Sprache oder eine eigene Übersetzung finden.
Wie kam es zum Label Bpitch Control?
Rosa Anschütz: Wir haben die Labelgründerin Ellen Allien ins Studio in Berlin eingeladen, um sich Tracks anzuhören. So sind wir ins Gespräch gekommen. Das Album wurde lange vorbereitet. Es ist schon länger fertig. Ich wollte vorher noch mein Diplom abschließen. Und “Votive” hat gut in einen Spätherbst gepasst. Zum “Goldenen Strom“ passt eine klare, lockere Stimmung.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Stefan Niederwieser
„Goldener Strom“ via Bpitch Control, Album-Release beim Hyperreality, Wien, 20. Mai 2022
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