„ICH MAG NICHT NUR EIN AKTIVER TEIL EINER GRUPPE SEIN, SONDERN PFLEGE IMMER AUCH DAS BEOBACHTEN DER PROZESSE.“ ‒ MARGARETHE MAIERHOFER-LISCHKA IM MICA-INTERVIEW

MARGARETHE MAIERHOFER-LISCHKA bespielt als freiberufliche Musikerin, Theoretikerin, Klang- und Medienkünstlerin, Performerin und Dozentin den poetischen Zwischenraum von realen und virtuellen Settings. Als Vorständin von mur.at und des Ensemble Schallfeld kollaboriert sie mit Künstler:innen verschiedenster Sparten und arbeitet meist im Kontext von Kollektiven. Als Kontrabassistin schätzt MARGARETHE MAIERHOFER-LISCHKA improvisierte Kammermusik und nennt wichtige weibliche Vorbilder wie Elisabeth Harnik oder Joëlle Léandre. Im Gespräch mit Michael Franz Woels thematisierte sie den oft immer noch fehlenden Respekt von Männern gegenüber den Leistungen von Frauen, ihre Leidenschaft für kollektive Radiokunst und zwergenhaft-subversive Protestformen.

Warum hast du begonnen Kontrabass zu spielen? Wie waren deine ersten Erfahrungen mit diesem Instrument?

Margarethe Maierhofer-Lischka: Musik ist für mich etwas, das man gemeinsam macht. Als Kind hatte ich den Wunsch, in einem Orchester zu spielen. Ich war schon zu alt, um zum Beispiel mit dem Geigenspiel anzufangen und dann hat es sich ergeben, dass im Schulorchester jemand gesucht wurde, der den Kontrabass übernimmt. Es hat dann eine Weile gedauert, bis ich mich mit dem Instrument anfreunden konnte, denn es war damals ein sehr stereotypes Männerinstrument. Es hieß einfach: „Nimm die Kiste und mach …”

Und ich musste mich auf einen Stapel Telefonbücher stellen, um überhaupt bis zum oberen Ende des Griffbretts des Instrumentes raufzukommen. Auch der erste Professor, nachdem ich mir einen Studienplatz erspielt hatte, hat mich nicht sehr ernst genommen. Ich hatte eine schwere Zeit, bis ich dann jemanden gefunden hatte, der mich fördert und unterstützt. Aufgrund meiner Erfahrungen als Musikerin habe ich angefangen, mich für Feminismus und Gleichstellung zu engagieren. Es ist leider immer noch in vielen Berufen so, dass die Leistung von Frauen in männlich dominierten Bereichen schlechter bewertet wird als die ihrer männlichen Kollegen. Mittlerweile wird mehr auf Gleichberechtigung geachtet, aber damals gab es an meiner Hochschule nicht wirklich die Möglichkeit, sich zu beschweren oder beispielsweise sexistische Übergriffe zu melden.

„DAS NACHDENKEN ÜBER MUSIK FINDE ICH GENAUSO WICHTIG WIE DAS MUSIKMACHEN.”

Um von den negativen Erfahrungen mit deinem ersten Professor wegzukommen – wo hast du dann fertig studiert?

Margarethe Maierhofer-Lischka: In Rostock. Ich habe dann auch noch ein Masterstudium in Musikwissenschaft gemacht, denn das Nachdenken über Musik finde ich genauso wichtig wie das Musikmachen. Das Studium war sehr historisch ausgerichtet, wir haben alte Quellen ausgegraben und Archiv-Materialien aufgearbeitet. Damals habe ich Uli Fussenegger, der Bassist beim Klangforum Wien war, kennengelernt. Er hat mir von einem neuen Studium für Neue Musik in Graz erzählt und so bin ich ‒ ein Bein nach dem anderen sozusagen ‒ von Deutschland nach Österreich übersiedelt. Gemeinsam mit Studienkolleg:innen haben wir dann auch das Ensemble Schallfeld gegründet, das dieses Jahr sein zehnjähriges Bestehen feiert. Die Arbeit im Ensemble war eine Motivation für mich, in Graz zu bleiben. Graz hat eine sehr nette und unglaublich lebendige Kulturszene, man kommt schnell mit Leuten in Kontakt. Und es gibt sehr viel interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Ist der Kontrabass bei all deinen Projekten der Dreh- und Angelpunkt?

Margarethe Maierhofer-Lischka: Das Instrument prägt schon mein Leben. Du siehst es an meinen Händen, es ist eine sehr körperliche Tätigkeit. Und auch die musikalische und die soziale Funktion vom Instrument hat mich sehr geprägt. Der Kontrabass ist ja selten ein Solo-Instrument. Im Orchester bin ich die tiefste Stimme und höre daher Musik oft vertikal. So denke ich immer in einem größeren Kontext. Und ich habe einen körperlichen Bezug zu Musik. Musikstücke sind nicht abstrakte Strukturen und Materialien, sondern ich höre und empfinde es, vor allem auch mit den Händen. Der Kontrabass ist für mich ein Werkzeug, ein Geräusche-Generator, ein analoger Synthesizer. Über die Beschäftigung mit Radio bin ich auch auf Film und Foley gekommen. Foley ist die Praxis, dass man mit Alltagsgegenständen Geräusche imitiert. Es ist sehr nah an der zeitgenössischen Musik, denn da werden ganz viele Folie-Techniken verwendet. Und diese ‒ die erweiterten Spieltechniken, auch die Vieldeutigkeit von Geräuschen ‒ das finde ich faszinierend.

Du bewegst dich gerne zwischen unterschiedlichen Szenen, machst auch Medien-, Radio- und Klangkunst …

Margarethe Maierhofer-Lischka: Ich arbeite gerne in Kollektiven und Gruppen ‒ das kommt vielleicht daher, dass ich durchs Orchester geprägt bin. Es geht mir nicht darum, eine Frontfrau zu sein. Ich finde es immer wieder faszinierend, was aus einer Gruppe entsteht und welche eigene Dynamik das erzeugen kann ‒ wozu ein einzelner Mensch nicht in der Lage wäre. Aber ich mag nicht nur ein aktiver Teil einer Gruppe sein, sondern pflege immer auch das Beobachten des Prozesses. Systemisches Denken und die Theorie dahinter finde ich spannend. Das ist auch ein Link zu technischen Themen und komplexen Systemen, mich faszinieren Computer und die Technologien. Wir wachsen ja auch immer durch den Kontext, in dem wir eingebettet sind. Ein weiterer Grundimpuls für meine Arbeit ist das Verstehen-Wollen und Forschen. Ich muss nicht immer alles perfektionieren.

„DER GRUNDGEDANKE VON WISSENSCHAFT ODER FORSCHUNG IST DER PROFESSIONELLE UMGANG MIT NICHTWISSEN.”

So bleibt man auch Neuem gegenüber aufgeschlossen und veränderungsfähig?

Margarethe Maierhofer-Lischka: Der Grundgedanke von Wissenschaft oder Forschung ist der professionelle Umgang mit Nichtwissen, die Annäherung an neue Dinge auf Basis von bekannten Fakten und möglichen Hypothesen. Es geht um Diskussion und Austausch, auch um das ehrliche Zugeben, was man nicht weiß, auch um das Abgleichen von möglichen Zugängen und Argumenten. Gerade in der Geisteswissenschaft und in der Philosophie gibt es kein absolutes “richtig“ oder „falsch“. Wissenschaftlich zu arbeiten bedeutet auch, dass du Probleme strukturierst und in Teilschritte zerlegst, um an eine Lösung zu kommen. Und natürlich muss man manchmal auch die Systematik über Bord werfen.

Wie medienaffin bist du aufgewachsen?

Margarethe Maierhofer-Lischka: Es gab einen Fernseher in der Familie, der aber fast nie in Betrieb war. Das Internet und ein Computer kamen ganz spät in mein Leben. Aber als Kind habe ich immer gerne Hörspiele und Musiksender im Radio gehört. Und die Idee, als Radiojournalistin zu arbeiten gab es schon lange. Stück für Stück habe ich die freie Radioszene kennengelernt. So konnte ich immer wieder mal bei Sendungen und Hörspielproduktionen mitmachen. Und während der Pandemie bin ich total reingetappt. Ich wurde von Radio Helsinki eingeladen und seither betreue ich eine eigene Sendereihe. Knapp vor der Pandemie habe ich mit einer Handvoll anderer Leute ein Radiomusik-Kollektiv gegründet, das Radio Ironie Orchester. Es ist ein anarchisches und improvisierendes Experimental-Kollektiv. Wir experimentieren mit Übertragungstechnologien und probieren musikalisch-performative Ideen aus. Wir wollen weder Geld damit verdienen, noch jahresfüllende Aktivitäten aufbauen, aber es ist ein spannendes Lernfeld. Auf Radia.fm gibt es Hörperformances von uns, oder auch auf dem freien Medienarchiv CBA.

Ist das Klangkunstradio-Machen mittlerweile eine konstante Aktivität von dir?

Margarethe Maierhofer-Lischka: Als Sendungsmacherin bin ich schrittweise in die Radiokunst hineingewachsen und fühle mich da sehr wohl, weil es eine ganz vielfältige Community ist. Die Radiokunst-Szene ist sehr international, da ich über dieses Medium sehr gut auch über große Distanzen hinweg arbeiten kann. Das Radio spielt für mich in vielen Projekten auch eine Rolle als Experimentierfeld, wo ich Ideen ausprobiere, die ich dann anderweitig ausarbeiten kann. Gerade arbeite ich gemeinsam mit zwei Kolleginnen an einer Installations-Performance, und eine unserer Experimental-Sessions war eine Live-Radiosendung. Letztes Jahr habe von der Stadt Graz das Medienkunst-Stipendium bekommen. Ich war sehr überrascht, dass ich auf einmal offiziell im Zusammenhang von Medienkunst und bildender Kunst betitelt wurde. Aber das hat vermutlich damit zu tun, dass ich in so vielen Kontexten in Graz unterwegs bin.

Margarethe Maierhofer-Lischka liest laut den Yogi-Tee-Spruch vor, der am Teebeutel baumelt: „Weisheit stellt sich ein, wenn du zuhörst. Sprechen führt zu Dummheit” [lacht]

Womöglich habe ich die beiden Tassen vertauscht …

Margarethe Maierhofer-Lischka: Das erinnert mich an ein Gespräch nach einem Konzert, das ich neulich mit Jakob Gnigler, Katharina Klement und Michala Østergaard-Nielsen hatte. Wir sind auf den wunderbaren Satz gekommen: “Listening should overrule everything”. Das ist eine Maxime, die gerade in der Improvisation total stimmt, aber auch für viele andere Bereiche gelten kann. Und auch bei meiner Dissertation habe ich darüber geforscht. Offiziell heißt meine Arbeit: „Hörinszenierung im zeitgenössischen Musiktheater“. Ich habe mich mit der Frage beschäftigt, wie Komponist:innen im Musiktheater mit Hörerfahrungen arbeiten und diese aktiv in ihre Konzepte einbeziehen. Dabei habe mich ich mit Stücken beschäftigt, die sich rein aufs Akustische konzentrieren, also quasi Hörtheater sind. 2005 hatte ich die Uraufführung von Beat Furrers Fama gehört. Das hat mich sehr beeindruckt.

War das der Beginn deiner Beschäftigung mit Neuer Musik?

Margarethe Maierhofer-Lischka: Ich habe damals selber gerade angefangen, Neue Musik zu machen und dieses Stück war dann auch der Ausgangspunkt für meine Dissertation. Und die Fragestellung: „Wann entstehen Bilder im Kopf, wenn du Musik hörst?” Musik steht ja meist nicht mit realen Erfahrungen in Bezug, und Theater ist oft wiederum sehr gegenständlich ‒ Geräusche sind für Handlungen und Aktionen von Bedeutung. Es gibt auch Stücke, die in einem Zwischenbereich agieren, und diese Stücke mit Kipp- und Transformations-Momenten habe ich mir näher ansehen. Eine weitere Frage war: „Was bestimmt unsere Hörerfahrung?” Sowohl die Publikumsseite, als auch die Kompositionsperspektive habe ich versucht hineinzubringen. Das Spiel mit Andeutungen ist in Bezug auf Hörinszenierungen gang wichtig, denn die Aufmerksamkeit und die Erwartungen lassen sich dadurch lenken. Konkrete Klänge wie das Türöffnen oder das Tropfen von einem Wasserhahn zum Beispiel verankern eine:m in einem bestimmten Raum und einer bestimmten Zeit. Und dann gibt es völlig offene Klänge und Geräusche. Eine Art Chamäleon-Prozess macht Hörtheater-Stücke durch die Wandelbarkeit so spannend. Ich bin gegen das Idealbild der gebildeten, perfekten Hörer:in, die mit möglichst viel musikalischem Wissen die Struktur des Werkes entschlüsseln soll. Denn es gibt nicht das perfekte Hören. Jede Form von Musik und Klangkunst hat ihre eigene Form von Hörkultur, und auch bei zeitgenössischer Musik ist das sehr heterogen.

Kürzlich habe ich begonnen, für ein interdisziplinäres Forschungsprojekt im Bereich “Music, Sleep and the Brain” zu arbeiten. Wir beschäftigen uns mit der Frage, wie Sound und Hören auf Schlafzustände einwirken, ob man das empirisch messen kann und wie man sich dieser Frage musik- und kulturwissenschaftlich annähert. Neurowissenschaftler:innen, Psycholog:innen und Musikwissenschaftler:innen und Informatiker:innen arbeiten im Projekt „Lullabyte“ zusammen. Seit ich in diesem Projekt bin, erzählen mir Menschen ihre Einschlafgewohnheiten und Träume. Ich finde allein das sollte ich einmal sammeln und in das Projekt einbringen [lacht].

Ja, ein (Ein)Schlaf-Journal wäre sicher spannend, es würde vermutlich auch Einblicke in die Ängste unserer Zeit geben. Wie gehst du persönlich mit diesen vielzitierten, in den Medien ständig thematisierten Multi-Krisen um?

Margarethe Maierhofer-Lischka: Was mich schockiert und ängstigt ist dieses Immer-weiter-Eskalieren von Zuständen ‒ und die Perspektivenlosigkeit darin. Gerade in der zeitgenössischen Kunst wird gern so getan, als ob die Kunst Lösungen und Antworten hätte, aber sie ist doch genauso machtlos.

Bild Margarethe Maierhofer-Lischka
Margarethe Maierhofer-Lischka (c) Margarethe Maierhofer-Lischka

Das kritische Hinterfragen und Fragenstellen ist aber auch eine sehr wichtige gesellschaftliche Funktion, meinst du nicht?

Margarethe Maierhofer-Lischka: Alleine das In-Frage-Stellen reicht halt auch nicht aus. Das ist das Schöne am Medium Radio: es vereint das Künstlerische mit dem Politischen. Radio „ist auf der Straße“, es gehört den Menschen, es ist überall und ziemlich low-level. Trotzdem gibt es die Möglichkeit, sehr kreativ damit umzugehen. Radio ist so etwas wie Sonic Streetwork. Die Anfänge der Radioszene in Österreich kommen aus der Arbeiterbewegung, in Deutschland wurden sie eher vom Militär und vom Staat gesteuert. Deshalb ist die Freie Radioszene in Österreich auch stärker als in allen anderen Ländern, das darf man nicht vergessen. Ich finde es wichtig, sich mit der Geschichte verschiedener Medien zu beschäftigen, weil das unseren Blick auf das, was heute ist, verändert.

Gab es eigentlich auch ein sogenanntes “Corona-Projekt”, mit dem du die Nicht-Livemusik-Phase überbrücken konntest?

Margarethe Maierhofer-Lischka: Eines der größeren Projekte der letzten Jahre war ein Corona-Projekt. Adina Camhy, die Filmemacherin und auch Musikerin ist, hatte mich gefragt, ob ich die Filmmusik für einen Essayfilm, eine Mischung aus Dokumentation und Fiktion, machen möchte. Das war das erste Mal, das mir jemand sozusagen einen Kompositionsauftrag gegeben hat. Die Gestaltung der Musik und der Schnitt des Films sind parallel gelaufen. Es war ein sehr schöner und intensiver Austausch. Der Titel und das Thema des Films ist „CRATER“ ‒ als geologisches, aber auch als politisches Phänomen für den Menschen. Der Soundtrack ist eine Mischung aus Foley-artigen Sounds und Klangflächen geworden, die als Kontinuum die Stimme und die Bildstory tragen.

2021 war ich außerdem Teil eines größeren Klanginstallations-Projekts, in dem es um Soundscapes im ländlichen öffentlichen Raum ging. Das Projekt hieß „Klangnetze” und fand in der Steiermark in Städten und Dörfern statt. Uns beschäftige die Frage, wie man das Bewusstsein für unsere Umwelt mit Klanginstallationen hervorheben oder fördern kann. Das Projekt ist komplett Open Source, das heißt, die dafür nötige Hard- und Software haben wir selber entwickelt und frei verfügbar gemacht. Fünf unabhängige Devices konnten Klang aufnehmen, verändern und wieder zuspielen. Per Netzwerk konnten diese Klangquellen auch miteinander kommunizieren, und der Audiostream war remote über eine Website hörbar. Wir wurden beauftragt, eine Arbeit zu entwickeln, die sich mit örtlichen Gegebenheiten auseinandersetzt und trotzdem offen genug ist, um an verschiedenen Orten zu funktionieren. Ich habe mich inhaltlich mit steirischem Sagengut beschäftigt und Ausschnitte aus einer Sagenerzählung verwendet. Ein responsives System wurde von mir entwickelt, das abhängig von der Umgebung unterschiedliche Ausschnitte der Erzählung freilegt.

Kannst du zu deinem aktuellen Stipendiums-Projekt schon näheres erzählen?

Margarethe Maierhofer-Lischka: Das Stipendium muss für ein laufendes Projekt ausgegeben werden. Ich arbeite mit zwei Kolleginnen zusammen. Sophie Lenglachner ist Bühnenbildner und Szenografphin aus Wien und Eva Esmann Behrens ist Performerin und Tänzerin und lebt in Dänemark. Wir besuchen uns gegenseitig und entwickeln Stück für Stück eine gemeinsame Arbeit. Das Schöne an Stipendien ist ja, dass man relativ frei arbeiten kann. Uns verbindet das Interesse an Körper und Bewegung, das Arbeiten mit multimedialen Settings und DIY-Technologien. Die Ausgangsfragestellung für uns war: „Wie findet Kommunikation über Körperlichkeit statt, wenn die Sprache weggelassen wird?” Letztes Jahr kam dann auch ganz stark das Thema des Ukraine-Krieges hinzu und wir haben uns gefragt: „Wie kann Diplomatie oder Friedensstiftung stattfinden, wenn wir keine Sprache verwenden? Wie kann das auf einer körperlichen, sinnlichen Ebene geschehen?“ Wir entwerfen dazu unterschiedliche künstlerische Settings und arbeiten mit Projektionen, Klang, Objekten und choreografierten Bewegungen. Es wird eine Mischung aus Installation und Performance entstehen.

Wo kann man das Ergebnis dann sehen?

Margarethe Maierhofer-Lischka: Im Juni 2022 hatten wir eine Arbeitsphase in Aarhus, und im Juli-August treffen wir uns erneut in Graz. Wir haben uns bewusst dazu entschieden, uns Zeit für den Erarbeitungsprozess zu nehmen und dem Thema nachzuforschen. Unser Arbeitstitel momentan lautet: pieces for peace(s). Das spiegelt nicht nur unsere „stückweise“ Arbeitsweise wider, sondern auch den Gedanken, dass wir uns aus mehreren Sichtweisen dieser Thematik nähern. Wenn dich jemand fragt: „Was ist Frieden?” denkst du doch zuerst, du weißt es. Aber es ist sehr schwer zu beschreiben.

Eine mögliche Antwort basierend auf einer Ausschließung: Ist es zum Beispiel bloß die Abwesenheit von Gewalt?

Margarethe Maierhofer-Lischka: Genau. Aber die einfache Antwort ist dann manchmal auch die unzulängliche. Doch wenn man wirklich anfängt, darüber nachzudenken, dann öffnen sich viele mögliche Antworten. Frieden kann zum Beispiel ein gegenseitiger Austausch ohne Angst sein. Frieden ist aber auch: Bewegung, die Suche nach Gleichgewicht. Also nie etwas Statisches, kein fixer Zustand, sondern etwas, das verhandelt und abgegrenzt werden muss, sich also immer auch aus seinem Negativ definiert.  Frieden heißt auch: wir lassen uns darauf ein, dass wir gegenseitig Grenzen setzen dürfen, Grenzen spüren und das ohne Eskalation verhandeln können.

Hörst du dir zu diesem Thema auch Podcasts an?

Margarethe Maierhofer-Lischka: Einer meiner Lieblings-Podcasts heißt 99% invisible und ist kuratiert vom Amerikaner Roman Mars. Er beschäftigt sich mit Phänomenen des Alltags und findet spannende Fragestellungen. Es gab da eine Folge über gewaltfreien, subversiven Widerstand gegen Krieg. Die Menschen in Tschechien haben zum Beispiel als Symbol des Protests gegen den Kalten Krieg kleine Wichtelzwerge gemalt. Ein Künstler hat das als Gag angefangen, doch es wurde so populär, dass dieser Zwerg auf allen möglichen Hauswänden aufgetaucht ist. Dann gab es Zwergenproteste, bei den sich die Menschen als Zwerge verkleidet und Zwergenparties veranstaltet haben. Ich finde das eine herrliche Geste! Es gibt so frappierende Parallelen zu dem, was heute in Russland passiert. Aktuell ist es ja dort so, dass auch nur die Nennung des Wortes Krieg verboten ist. Das Poetische an so einer Geste, einer subversiven, lächerlichen, kindlichen oder absurden Aktion ist es, der Gegenseite die Möglichkeit zu nehmen, überhaupt mit Gewalt zu reagieren. Ich würde mir wünschen, dass wir auch heute wieder solche Möglichkeiten finden.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Michael Franz Woels

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Termine:

10.9. Liste künstlicher Objekte auf dem Mond – Lesung & Soundinstallation (Text: Stefan Schmitzer, Installation: MML) @ Stadtwerkstatt Linz

28.9.-2.10. Das Erdbeben in Chili – neue Volksoper @ steirischer herbst, Dom im Berg, Graz

6.10. Ensemble Schallfeld @ musikprotokoll, Helmut-List-Halle, Graz

16.10. Pink Void @ shut up & listen Festival Wien

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Link:
suonoreale
institut for controlled uncertainties
Schallfeld Ensemble
bassomobile