„Viel gut essen” – FRANZ ADRIAN WENZL (KREISKY) im mica-Interview

Fast ist man versucht, schon jetzt von einer Sensation zu sprechen, treffen mit der deutsch-schweizerischen Schriftstellerin SIBYLLE BERG und der österreichischen Band KREISKY doch zwei Positionen aufeinander, die in ihren sehr genauen Beobachtungen gesellschaftlicher Vorgänge immer wieder sowohl mehrere Perspektiven einnehmen können wie auch die eigenen inneren Widersprüche sprachlich gekonnt und mehrdeutig zu thematisieren verstehen. Im hochaktuellen Stück „Viel gut essen“ geht es, wie vom SPIEGEL einmal beschrieben, um einen „Mittelschichtsmann Mitte 40“, der eigentlich „ziemlich zufrieden […] mit sich selbst“ ist, jedoch „ungeheuer unzufrieden mit allen und allem um sich herum“ und dessen Zukunftsängste (vor dem Versagen und dem gesellschaftlichen Abstieg) sich in dem Moment in Fremdenhass, Homophobie und Sexismus verwandeln, als er plötzlich ohne Ehefrau, Kind und Job dasteht.

Es geht also um die Genese von „Wutbürgern“ und darum, dass immer die, die auf der gesellschaftlichen Leiter noch tiefer unter einem selbst stehen, für das eigene Elend verantwortlich gemacht werden. Das der Typus „Mittelschichtsmann Mitte 40“ dabei auch immer schon Thema einiger der besten KREISKY-Songs war, ist da nur naheliegend. Darüber, über das Schauspielern, das Thema „Rockoper“ und Noise-Rock versus Post-Punk unterhielt sich Didi Neidhart mit KREISKY-Sänger und -Keyboarder FRANZ ADRIAN WENZL.

Sibylle Bergs Stück „Viel gut essen“ wurde 2014 in Köln uraufgeführt. Wie und wann kam es zur Idee, das Ganze jetzt neu zu adaptieren und mit Kreisky quasi als Rockoper aufzuführen?

Franz Adrian Wenzl: Sibylle Berg hatte vor Jahren mal eine Lesung im Rabenhof Theater, und da ist wohl die Rede auf dieses Stück gekommen und darauf, dass man da noch etwas mehr daraus machen könnte. Die Leute vom Rabenhof sind ja sehr gute Vernetzer. Vernetzer im Sinne von „unter den Tisch saufen“.

Als ich zum ersten Mal von der Kombination Sibylle Berg/Kreisky hörte, empfand ich das ähnlich naheliegend wie Thomas Bernhard/Tocotronic. Wie sehen Sie das? Gibt es auch in Ihrem Fall eine Art Verwandtschaftsverhältnis?

Franz Adrian Wenzl: Ja, doch. Ich habe es ja bislang immer abgelehnt, Texte von anderen zu singen. Ich bin da recht heikel, störe mich an einzelnen Wörtern. Letztes Jahr haben wir dann eine Nummer für ein Die-Sterne-Coveralbum aufgenommen. Das sind ja nun durchwegs astreine Nummern und sogar da war es gar nicht so einfach, etwas zu finden, bei dem ich mir gedacht habe: „Okay, das bring ich rüber, das kann ich glaubwürdig singen.“ Und mit den Texten von Sibylle Berg ging das dann ganz einfach. Das hat mir sofort gelegen – ihre Mischung aus Übertreibung und Zuspitzung auf der einen Seite und viel Mitgefühl auf der anderen. In unseren Liedern ist ja auch das vorherrschende Gefühl: Die Menschen sind scheiße, aber jede und jeder für sich eigentlich eh ganz okay, wenn man weiß, was sie bzw. ihn antreibt.

Der Spiegel nannte „Viel gut essen“ ein „Troll-Theater“ voller Hass über „missmutige Männer Mitte 40“, denen die Lebensplanung aus den Händen gleitet und die daraufhin „über Ausländer und Schwule schimpfen, über Feministinnen und Künstler“. Wie geht man dramaturgisch an solch einen Themenkomplex heran? Die Kombination Rockband/Rockmusik und Theater birgt ja auch immens viele Fallstricke, oder?

Franz Adrian Wenzl: Was die Musik anbelangt, haben wir schon einmal den Vorteil, dass wir eine Rockband sind und nicht Schauspieler, die das spielen müssen, was sich ein schwindeliger Regisseur unter einer Band vorstellt, weil das ist ja meistens ganz grässlich. Und beim Text ist es ähnlich: Ich versuche einfach, die Geschichte gut zu erzählen, irgendwelche Schauspielvirtuositäten würde mir eh keiner abnehmen. Es gibt auch artifizielle und distanzierende Elemente, etwa einen quasi-griechischen Chor. Aber im Prinzip wollen wir das relativ unmittelbar erzählen. Das passiert ja auch im Theaterrahmen und dort ist ja alles sicher.

„Politrock im engeren Sinn interessiert mich ja gar nicht.“

Viele Protagonisten von Kreisky-Songs fallen ja auch mehr oder weniger in die Kategorie „missmutige Männer Mitte 40“, die grantig ihre Weltsicht vortragen. Dabei sprechen sie durchaus gesellschaftliche Widersprüche an, erkennen diese jedoch nur selten als strukturelle Probleme. Von daher entwickeln sie auch weniger ein politisches Bewusstsein und Flüchten, sondern Ressentiments. Geht es bei diesen Ich-Perspektiven eher darum, Ängste ernst zu nehmen, oder um den Versuch, etwas zu verstehen, was einem selbst unverständlich ist?

Franz Adrian Wenzl: Wobei es bei Kreisky ja eher um Detailaufreger geht oder um eine allgemeine Stimmung. Ins Politische wollte ich das eigentlich nie drehen. Mich hat schon eher einfach das Gefühl des unvermittelten verbalen Gewaltausbruches interessiert. Oder einfach die Form der Tirade. Was staut sich da auf, was spült es da hoch? Und natürlich die Komik daran. So ein Schimpfausbruch hat ja auch oft etwas von Louis de Funès.

2017 machten wir unsere erste Platte und in der Zwischenzeit hat sich einiges getan. 2007 hat der Wutbürger noch an der Supermarktkassa „Frechheit!“ geschrien, 2016 hat er Trump gewählt und die Briten aus der EU gehaut. Ich selbst hätte aber keine Idee gehabt, wie man das mit unserem Style verbindet, weil Politrock im engeren Sinn interessiert mich ja gar nicht. Und ich habe auch einfach zu wenig Faktenwissen und Intelligenz dafür. Das Stück ist uns da genau recht gekommen.

Auf der Kreisky-Homepage schreiben Sie, dass der Originaltext gemeinsam aus dem Hochdeutschen in die österreichische „Zulu-Sprache“ (Berg) übersetzt worden ist. Nach Karl Kraus gehört ja die „gemeinsame Sprache“ zu den Elementen, die Deutschland und Österreich erst recht voneinander trennen. Welche Erfahrungen haben Sie diesbezüglich im Rahmen von „Viel gut essen“ gemacht?

Franz Adrian Wenzl: Da gibt’s nichts Großartiges zu erzählen. Ich habe da nicht „Viel gut essen auf Wienerisch“ daraus gemacht, sondern einfach den Text für mich glaubwürdiger sprechbar, d. h., ich habe großteils die Mitvergangenheit gekillt, die man bei uns umgangssprachlich ja kaum verwendet. Und dann noch ein paar Vokabeln geändert. Spezifisch österreichisch wird’s an wenigen Stellen. Es soll ja weder „So tickt Österreich“ oder „Guck mal, ein AfD-Wähler!“ sein, sondern irgendwo in Europa spielen.

Im Rahmen des Stücks werden Sie „einem substanziellen Monolog“ halten, der gleichsam als Ihr „offizielles Schauspiel-Debüt“ angesehen werden kann. Jetzt kennt man Sie ja nicht nur als Sänger von Kreisky, sondern auch als Austrofred, wo Sie im Grunde genommen ja nur monologisieren. Was ist diesmal der Unterschied im Rollenverständnis? Immerhin gibt es da ja auch noch den Kreisky-Song „Scheiße, Schauspieler“.

Franz Adrian Wenzl: Für die Zuschauerinnen und Zuschauer ist der Unterschied womöglich nicht so groß – für mich ist er enorm. Austrofred ist ja quasi eine Stand-up-Figur: Alles richtet sich nach mir bzw. ihm. Wenn mir live ein guter Witz einfällt, dann kann ich alles so umschmeißen, wie ich will. Hier bei dem Stück ist hingegen alles exakt abgestimmt. Und wenn es streckenweise dann hoffentlich doch locker daherkommt, dann deshalb, weil ich zwei Monate lang Text gelernt habe. Und der zweite Riesenunterschied ist, dass wir das alles kollektiv bei den Proben erarbeitet haben. Das hat eigentlich ziemlichen Spaß gemacht … Ich glaube, Theater ist gar nicht so schlecht.

„Eine gute Platte, eine gute Show, das ist schwer genug.“

Im Stück wird es sechs neue Kreisky-Songs geben, die derzeit noch – vielversprechende – Arbeitstitel wie „Mutter backend“, „Angst in billigen Halbschuhen“, „Ein kleiner Mensch wie ich“, „Hallo Bagger!“ tragen. Wie sind Sie musikalisch an die Sache bzw. das durchaus auch ironisch zu verstehende Thema „Rockoper“ herangegangen? Gab es da Vorbilder oder sogar No-Gos? 

Franz Adrian Wenzl: Die Lieder sind uns eigentlich sehr leicht von der Hand gegangen. Die Texte waren ja da und wir haben gewusst, dass sie auch das Stück mittragen müssen, eine Energie erzeugen, narrativ sein … Ja, eigentlich war das ziemlich easy. Wir haben den Ball auch recht flach gehalten. Da war nicht die Gefahr, dass das „The Wall“ von Pink Floyd wird. Wobei es bei der Opener-Nummer schon eine leichte Verneigung vor den Who gibt – als quasi Marker fürs Publikum: „Aha, das ist schon auch als Musiktheater gedacht und nicht nur als Nummernrevue.“

Kreisky hatten ja schon immer eine Affinität zu Noise-Rock, nun scheint sich das aber eher in Richtung dystopischer Post-Punk verschoben zu haben, blitzen doch solche Momente bei einzelnen Gitarren- und Keyboards-Sounds doch immer wieder auf, wie bei „Angst in billigen Halbschuhen“ und „Hallo Bagger!“. Ist das eher dem Stück geschuldet oder den eigenen Bandüberlegungen?

Franz Adrian Wenzl: In dem Fall haben wir einfach die Anteile in unserem Vokabular verstärkt, die das Stück unserer Meinung nach gebraucht hat. Unser nächstes Studioalbum, auf dem zukünftige Soundüberlegungen sicher eine stärkere Rolle spielen, geht in eine andere Richtung. Leichter und manchmal auch doofer als unsere bisherigen Platten.

Würden Sie Kreisky eigentlich als politische Band bezeichnen oder erscheint Ihnen diese Etikettierung als zu einschränkend? 

Franz Adrian Wenzl: Ich würde uns ja eigentlich gar nicht als politische Band bezeichnen, denn, wie gesagt, dafür fehlt es mir einfach an Wissen. Oder auch an der Überzeugung, jemanden überzeugen zu müssen. Mir geht’s wirklich rein um Entertainment. Eine gute Platte, eine gute Show, das ist schwer genug. Aber damit ich mich unterhalten fühle, muss es halt schon um Menschen gehen, die in einem relativ aktuellen Zusammenhang psychologisch interessante Dinge machen. Und das kann man dann schon öfter politisch sehen, zwangsweise. Aber es wäre mir richtiggehend peinlich, wenn da wer einen Zeigefinger sieht, weil das fände ich vermessen. Ich persönlich habe ja null Ahnung, was los ist auf der Welt.

Wie wird es mit „Viel gut essen” nach der Premiere am 17. Oktober 2017 weitergehen? 

Franz Adrian Wenzl: Jetzt schauen wir mal, dass wir die Premiere gut rüberbringen, und dann wird das Stück wohl noch das ganze nächste Jahr laufen. Zwei, drei Gastspiele sind auch geplant. Salzburg im März ist bereits fixiert. Ob und wie wir die Lieder des Stücks auch mal veröffentlichen, da haben wir noch keinen Plan. Ach ja, und es gab mal eine Anfrage vom SWR wegen einer Hörspielfassung, aber da weiß ich jetzt nicht, wie da der Stand ist.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Didi Neidhart

 

Termine:

17. Oktober 2017, 20:00 Uhr

20. Oktober 2017, 20:00 Uhr

21. Oktober 2017, 20:00 Uhr

11. November 2017, 20:00 Uhr

02. Dezember 2017, 20:00 Uhr

19. Dezember 2017, 20:00 Uhr

20. Dezember 2017, 20:00 Uhr

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Kreisky