„Das Forschen nach der eigenen Musik kennt kein Ende“ – SIXTUS PREISS im mica-Interview

Seit 2011 ist der studierte Schlagzeuger und Produzent SIXTUS PREISS in der Wiener Jazz-Szene ebenso umtriebig wie in geläufigerer Club-Elektronik bis zum Noise. Mit der vierköpfigen Formation KOMPOST 3 verbindet ihn eine langjährige Freundschaft und Zusammenarbeit, ebenso mit der JAZZWERKSTATT WIEN oder dem etwas anderen Techno-Trio ELEKTRO GUZZI.

2012 gründete Sixtus Preiss gemeinsam mit Bernhard Hammer und Bernd Klug das Band-Projekt „T-Shit“ und stellte 2013 einmal mehr im Rahmen von Club Moozak unter Beweis, dass experimentelle Soundästhetik genau so zu seinem Repertoire gehört, wie das Remixen vom – an den Pop anstreifenden – Track „Brace“ des dänischen Musikers Sekuoia Anfang 2017. Aber auch sein Solo-Projekt wächst kontinuierlich, denn gegen Ende des vergangenen Jahres veröffentlichte Sixtus Preiss mit der EP „Rare Earth“ seine vierte Platte bei Affine Records, die fünfte ist bereits im Entstehen. Wie Lukas König zu seinem längsten Wegbegleiter wurde, Radioaktivität und philiströse Fremdenpolizei als musikalische Leitmotive dienten und sich die Ruhe als Antriebsfeder für das neue Werk entpuppte, erläutert der Musiker im Gespräch mit Julia Philomena.

Seit Ihrem 7“ Debüt „Ahh…!“ (The Loud Minority) 2011 haben Sie diverse Stationen der Musiklandschaft passiert. Welche Veränderungen waren wichtig?

Sixtus Preiss: Die Veränderung an sich gehört zu meinen größten Interessen in der Musik, aber meine grundsätzliche Herangehensweise hat sich nicht stark verändert. Was ich schon merke ist, dass der Club-Kontext immer weniger in meinem Fokus liegt und meine Arbeit verhältnismäßig ruhiger wird. Früher bin ich oft von Beats ausgegangen, während ich jetzt gerne fürs Klavier schreibe. Fusion versuche ich bei meinen eigenen Stücken immer öfter wegzulassen, auch wenn sie live mit Band nach wie vor Spaß macht.

Gerade die Fusion funktioniert für Sixtus Preiss sehr gut. „Lololo – Band Version“ wurde vor zwei Jahren veröffentlich und gehört auf Spotify zu Ihren meist gehörten Tracks.

Sixtus Preiss: Warum das gut funktioniert, frage ich mich auch. Mir sagen die Leute, dass man meine Musik sofort erkennt, es dürfte also auf jeden Fall immer einen gemeinsamen Nenner geben. Aus meiner Perspektive ist von Beginn an die Rhythmik der Antrieb fürs Komponieren gewesen. „Lololo“ ist einfach ein wahnsinnig guter Song, muss man sagen. [lacht] Jeder Mensch hat eine Hörgewohnheit und mit der Nummer sind wir in viele hineingeschlittert. Es gibt eine Melodie, es gibt eine klare Baseline, eine klassische Rhythmik. Damit ist Musik sofort leichter zugänglich.

Wenn Sie meinen, sich vom Club-Kontext distanzieren zu wollen, war es Ihre ursprüngliche Intention, so einen Sound zu produzieren?

Sixtus Preiss: Da ich selber ein sehr schlechter Tänzer bin: nein, überhaupt nicht. [lacht] Ich komme aus einer Generation, in der man für ein Live-Set in den Club gegangen ist. In meinem Verständnis hat es so eine Art von performativen Nacht-Konzerten davor nicht gegeben. Flying Lotus hat damals gerade begonnen, Hudson Mohawke, oder in Wien Dorian Concept. Die waren damals alle noch viel undefinierter als heute, das war spannend zu beobachten, besonders weil ich zu dem Zeitpunkt selbst begonnen habe, Musik zu machen.

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In Ihrer Kindheit haben Sie über viele Jahre hinweg einmal pro Woche – aus heutiger Sicht sehr konservativen – Klavierunterricht bekommen. Verbinden Sie damit freudvolle, oder eher traumatische Erinnerungen?

Sixtus Preiss: Meine Klavierlehrerin hat mich sehr gepusht, aber ihr pädagogischer Umgang – sofern sie einen besaß – lag unter der Gürtellinie. Ich hätte mir gewünscht, dass im Unterricht die individuelle Entwicklung im Vordergrund steht und nicht das Aufdrücken ihrer Norm.

Wie wurden Sie musikalisch sozialisiert?

Sixtus Preiss: Von meinen Eltern kam wenig Input, mehr von den Geschwistern. Am meisten geprägt hat mich mein Bruder, der mir mein erstes Schlagzeug geschenkt hat. Und dann Lukas König. Wir haben uns als Teenager im Sommer bei einem Jazzworkshop kennengelernt, bei der Intertonale in Scheibbs. Heute unterrichtet der Luki dort.

Ähnlich zufällig wie Sie zum Schlagzeug gekommen sind, hat Sie auch das Label Affine Records unter die Fittiche genommen. Fühlen Sie sich dort nach wie vor gut aufgehoben?

Sixtus Preiss: Ich fühle mich sehr gut aufgehoben, weil es keinen Druck vom Label gibt. Ich darf der bunte Hund sein, der ich bin. Außerdem arbeitet und denkt der Label-Chef Jamal Hachem sehr gut und clever. Er hat sich gute Kanäle zu Berühmtheiten verschafft, die nicht zuletzt auch mir zugute kommen.

Können Sie Ihre Arbeitsweise schildern? Steht das Experiment für Sixtus Preiss im Vordergrund? Welchen Stellenwert hat eine Probe etc.?

Sixtus Preiss: Das Forschen nach der eigenen Musik kennt kein Ende und in diesem Sinn ist das Experiment sehr wichtig, vor allem mit der Band. Auf der Bühne selbst hat unsere Performance dann aber eher was mit Improvisations-Räumen zu tun.

„Auch wenn Sixtus Preiss sehr langsam weiter geht, wird es nicht zum Stillstand kommen […]

Sie teilen sich ein Studio mit Kompost 3, Sie spielen gemeinsame Konzerte, mit den meisten Musikern – wie beispielsweise Manu Mayr oder Peter Rom – arbeiten Sie seit Jahren zusammen. Wie kann man sich auch nach so langer Kollaboration die Frische und Originalität bewahren?

Sixtus Preiss: Es wird nicht langweilig, weil wir uns gegenseitig inspirieren. Es bleibt nicht stehen, weil jeder an seiner eigenen Musik arbeitet, seinen Solo-Projekten und persönlichen Auseinandersetzungen. Auch wenn Sixtus Preiss sehr langsam weiter geht, wird es nicht zum Stillstand kommen, weil bei uns noch nie etwas zum Stillstand gekommen ist.

Verlangt dieses langsame Weitergehen in Ihrer Musik eine neue Form der Aufmerksamkeit?

Sixtus Preiss (c) Astrid Knie

Sixtus Preiss: Ich wünsche mir Musik zu machen, die Konzentration verlangt und die man ganz bewusst rezipiert. Das ist mein Anspruch bei der neuen Platte. Am liebsten wäre mir, wenn mein Publikum gemütlich im Fauteuil sitzend meiner Platte lauscht und dabei genüsslich einen Whiskey schlürft. Aber auch wenn das vermutlich nicht der Fall ist, bin ich deswegen nicht beleidigt, im Gegenteil, ich freue mich sehr, wenn meine Musik auf Partys gespielt wird oder im Radio ihren Platz findet. „Lololo“ hat Jamal in die ganze Welt hinaus geschickt. In Japan, Australien oder England hat die Nummer bei öffentlich-rechtlichen Sendern sehr gut funktioniert und ich habe mich wahnsinnig gefreut, dass meine Musik quer durch die Kulturlandschaft fliegt. In Deutschland finde ich es zum Beispiel schön, dass ich nur im Kontext mit Jazz-Formaten auftauche und aus einer anderen Perspektive wahrgenommen werde als in Österreich. Jede Form der Konsumation ist legitim.

Spielt für Sie als studierten Schlagzeuger der klassische Jazz – als Musiker oder auch als Hörer – noch eine Rolle?

Sixtus Preiss: Im Laufe meines Studiums hat mich alles, was mit Jazz zu tun gehabt hat, sehr interessiert, aber mittlerweile befasse ich mich nicht mehr damit. Was nicht heißen soll, dass ich eine Ablehnung entwickelt habe, ich finde jede Musik, die gemacht wird, gut. Es gibt sicher Gründe, Musik zu machen, die mir fragwürdig erscheinen, aber dazu wird der Jazz sicher nie gehören. [lacht] Sobald Musik ein Lebensgefühl vermittelt, hat sie ihre Berechtigung. Mit dem Älterwerden berührt mich aber einfach weniger. Das ist eine Empfindung, an die ich mich selbst nicht gewöhnen kann.

Was Sie bei Ihrer letzten Album-Veröffentlichung „Rare Earth“ sehr wohl berührt hat, ist Radioaktivität, die im Zuge der Herstellung von elektronischem Equipment freigesetzt wird. Dem österreichischen Musikmagazin „The Message“ haben Sie vergangenes Jahr den Wunsch anvertraut, ein virtuelles Mikrophon erfinden zu wollen.

Sixtus Preiss: Leider stecken wir alle in einem Rad drinnen, aus dem es, wie ich befürchte, auch in den nächsten Jahrhunderten keinen Ausweg geben wird. Ich habe zumindest noch keine Alternative zu Neodym gefunden und somit zur Hersteller-Dynastie China. Mich beschäftigt das, weil ich ja selbst seit zwei Jahren Mikrophone baue und mir dadurch die prekären Zustände bewusst geworden sind. An der virtuellen Technik arbeite ich also noch…

Weswegen haben Sie mit der Eigen-Fabrikation begonnen?

Sixtus Preiss: Aus einem sehr eigennützigem Gedanken heraus: Die Mikrophone, die mich ansprechen, sind für Menschen wie mich nicht erschwinglich gewesen. [lacht] Es ist mir einfacher gefallen, diese Mikrophone selbst zu bauen, als das Geld zu verdienen, um diese Raritäten zu kaufen.

„Wenn man nichts zu sagen hat, dann wünsche ich mir von mir selbst wie auch von anderen Musikern, künstlerisch eben lieber nichts zu sagen“

Wird Sie die Thematik der „Rare Earth“ auch beim nächsten Album begleiten, oder gibt es schon einen neuen Leitfaden?

Sixtus Preiss: Die Auseinandersetzung ist aus meiner konkreten Lebenssituation entstanden. Das war kein thematisches Kalkül. Wenn man nichts zu sagen hat, dann wünsche ich mir von mir selbst wie auch von anderen Musikern, künstlerisch eben lieber nichts zu sagen. Vielleicht kommt deswegen auch nicht viel raus von mir, weil der Filter, den ich mir selbst übergestülpt habe, sehr engmaschig ist.

Hat Ihr Debüt aus dem Jahr 2011 „Ahh…!“ damals auch eine Lebenssituation gespiegelt? 

Sixtus Preiss: Das war auf jeden Fall eine politische Stellungnahme unter dem Einfluss eines konkreten Ereignisses. Damals wurde eine Flüchtlings-Familie aus dem Amerlinghaus abgeschoben, die zu dem Zeitpunkt seit Jahren in Österreich gelebt hat. Ich war dabei, wie die Fremdenpolizei von einer großen Menschenmasse aufgehalten wurde. Dem Wahnsinn ist vorausgegangen, dass immer wieder ein Gespräch gesucht wurde, das allerdings nie möglich war. In dem Kontext bin ich so aggressiv geworden, dass ich kein anderes oder besseres Ventil hätte finden können, als die Musik. So klar habe ich mich danach eigentlich nicht mehr geäußert. Vielleicht, weil es in der Regel niemanden interessiert. Ich habe für „Ahh…!“  einen sehr langen Pressetext geschrieben, auf den ich nie angesprochen wurde.

Sind Sie schon einmal in die Verlegenheit gekommen, vor einem Publikum aufzutreten, das eine gänzlich konträre Haltung zu Ihrer eigenen einnimmt?

Sixtus Preiss: Als linker Hund muss man zum Glück eh nicht sehr oft „Linker Hund“ untertiteln. Aber ich habe einmal auf einem Jazz-Brunch gespielt, vor vielen Jahren, der von einer katholischen Burschenschaft veranstaltet wurde. Ich bin am Rathhausplatz gestanden, habe mein Schlagzeug aus dem Auto geladen und erst in dem Moment realisiert, wo ich bin und was das ist. Ich weiß nicht, ob ich dort gespielt hätte, wenn ich im Vorfeld gewusst hätte für wen. Aber es war rückblickend sehr spannend, weil man diese merkwürdigen Strukturen kennenlernt. Als erstes wurde uns gesagt, dass viele Leute kommen werden, weil ihre Leute kommen müssen, sonst werden sie bestraft. Es sind dann tatsächlich viele Männer gekommen, die vom Vortag restalkoholisiert angetorkelt sind und sich bei Weißwurst und Bier weiter betrunken haben. Gleichzeitig haben die künftigen Akademiker aber natürlich das grundsätzliche Bedürfnis nach Intellekt und Hochkultur. Aus deren Sicht haben wir sicher schrägen Jazz gespielt, aber generell am Sonntag Jazz zu hören, hat ihnen gefallen.

Spielen Sie mittlerweile nicht mehr so häufig „nur“ als Solo-Act, weil der Rahmen zu oft unpassend war?

Sixtus Preiss: Ich wurde oft von VeranstalterInnen gebucht, die meine Musik zwar sehr schätzen, aber nicht darauf geachtet haben, dass sie in das restliche Programm passt. Ich kann mich an ein Konzert in Südtirol erinnern, bei dem vor und nach mir jeweils ein Drum and Bass-Act gespielt hat. [lacht] Die Leute haben bei mir fluchtartig den Dancefloor verlassen.

Aber der Rahmen Wien an sich liegt mir sehr am Herzen. Ich bin immer wieder überrascht, welche Diskurse entstehen, wie sie musikalisch verarbeitet und aufgenommen werden. Ich schätze die große Community, den herrlichen Grant der Stadt und die Absurdität, die für mich eine Motivation ist. Die Stadt ist groß genug, um neue MusikerInnen zu entdecken, und klein genug, um ihnen wieder zu begegnen.

Vielen Dank für das Gespräch! 

Julia Philomena

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