„Über den eigenen Tellerrand blicken“ – Marie-Therese Rudolph im mica-Interview

Eine sinkende Bereitschaft des Publikums, sich mit Unbekanntem auseinanderzusetzen, beobachtet Marie-Therese Rudolph in ihren langjährigen, vielseitigen Engagements in der Musikszene. Dabei wäre gerade die Nachfrage essentiell für die Umsetzung qualitativ hochwertiger (Vermittlungs-)Angebote. Ein Interview von Barbara Semmler.

 Liebe Frau Rudolph, warum vermitteln Sie Musik?

Die Vielfalt der Musik ist so groß, dass eigentlich für jeden etwas dabei sein sollte. Musik, die Stimmungen verstärkt, oder einen herausholt. Oder ganz einfach gefällt oder intellektuell anspricht. Das kann man aber nur wissen, wenn man vieles kennengelernt und sich damit auseinandergesetzt hat. Das möchte ich jeder und jedem ermöglichen.

Was sind Eckpunkte Ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn?

Die Grundlage meiner Nähe zur Musik wurde bereits in der Kindheit gelegt und von meinen Eltern auch unterstützt. Daher hatte ich bereits früh Instrumentalunterricht und besuchte Schulen mit Musikschwerpunkt, der sich sowohl in Praxis als auch in Theorie niederschlug. Das Studium der Musikwissenschaft war eine logische Folge, nebenbei arbeitete ich seit meinem 16. Lebensjahr.

Wichtige Stationen waren sicherlich die redaktionelle Arbeit für das Festival Wien Modern und die Wiener Festwochen, PR-Betreuung von Festivals sowie die Projektleitung unterschiedlichster Veranstaltungen. Dabei war mir immer wichtig sowohl in der Off-Szene als auch im Hochkulturbereich zu arbeiten. Da verliert man nie den Überblick und die Bodenhaftung und bleibt an aktuellen Entwicklungen und Strömungen dran.

Herausforderungen der Musikvermittlung

Mit welchen Herausforderungen sind Sie als Musikvermittlerin und Kulturarbeiterin in der österreichischen Kulturlandschaft konfrontiert? Wenn Sie einen Wunsch an die Fee, die für Kulturpolitik zuständig ist, frei hätten, was würden Sie sich wünschen?

Eine Herausforderung ist die sinkende Bereitschaft des Publikums, sich mit Themen oder Unbekanntem auseinanderzusetzen und der immer größer werdende Druck der VeranstalterInnen, kostendeckend zu agieren. Das kann in den meisten Fällen nur mit Zugeständnissen an die Qualität und die Inhalte funktionieren.

Mein Wunsch wäre, den qualitativen Anspruch an VeranstalterInnen durch die Nachfrage des Publikums zu erhöhen. Das Gefühl für künstlerische Qualität haben Kinder bereits, nur geht das dann oft verloren.

Etwas ganz anderes, das in keinem Bereich so eklatant wie im Kulturbereich ist, ist die Gehaltsschere zwischen den Intendanzen/DirektorInnen und den MitarbeiterInnen. Das ist nicht zu rechtfertigen, hier müsste man umgehend für ein vernünftiges Verhältnis zwischen den Gehältern sorgen.

Sie sind seit einigen Jahren als Mitarbeiterin bei KulturKontakt Austria u.a. beratend für musikvermittelnde Projekte im schulischen Kontext tätig. Welche Bandbreite an Projekten wird dabei an Sie herangetragen? Gibt es darunter Projekte, die Sie inhaltlich besonders spannend finden und was zeichnet diese aus?

Ich berate seit über zehn Jahren MusikerInnen, KomponistInnen, LehrerInnen aller Schularten sowie MusikvermittlerInnen, letztere sowohl von Institutionen als auch freiberuflich tätige. Die Bandbreite ist sehr groß und reicht von aufwändigen Kompositionsprojekten, über Musicalproduktionen bis hin zu ein- oder mehrstündigen Trommelworkshops oder Workshops zu Themen wie „Musik im Mittelalter“, Instrumentenkunde oder vorbereitend auf einen Konzert- oder Opernbesuch.

Persönlich finde ich es sehr schade, dass relativ wenig im Bereich Pop und zeitgenössische Musik passiert. Da gäbe es so viele Anknüpfungspunkte. Mir scheint, dass viele LehrerInnen davor zurückscheuen, weil sie sich selbst in diesen Feldern nicht kompetent genug fühlen. Aber das macht ja eigentlich gar nichts, weil von einem Workshop nicht nur die SchülerInnen, sondern auch LehrerInnen profitieren. Das sind maßgeschneiderte Weiterbildungen.

Haben Sie ein eigenes “Lieblingsprojekt” bei KulturKontakt Austria, das Sie gerne erneut durchführen möchten? Was zeichnet es aus und was wären optimale Voraussetzungen, um das Projekt wieder aus der Schublade zu holen?

Vor vielen Jahren gab es ein Programm, das unter dem Titel „tanz{raum}musik“ jeweils einen Künstler/eine Künstlerin aus dem Bereich Musik oder Komposition und einen/eine aus Tanz oder Architektur zusammenspannte. Diese Tandems entwickelten mit Schulklassen in einem mehrwöchigen Prozess Performances, Installationen, Parcours, Aufführungen usw. Alle Ergebnisse wurden bei einer gemeinsamen Veranstaltung präsentiert. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit war extrem kreativ und inspirierend für die Kinder und Jugendlichen und natürlich auch für LehrerInnen und KünstlerInnen. Später haben wir das auch auf Literatur und Theater ausgeweitet.

Zur Umsetzung benötigt es Schulen, an denen zeitintensive Projektarbeit möglich ist. Das ist mit den derzeitigen Umstellungen im Schulsystem momentan leider schwer vereinbar. Und natürlich braucht es auch ein gesichertes Budget, wobei sich das in absolut überschaubaren Dimensionen bewegen würde.

Ständig an der eigenen Haltung arbeiten

Gibt es etwas, das Sie jungen MusikvermittlerInnen, die gerade eine Ausbildung in diesem Bereich absolvieren oder am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn stehen, mit auf den Weg geben könnten?

Ich halte es für essentiell, über den eigenen Tellerrand zu blicken, sich Neugier und Mut zu bewahren und ständig an seiner eigenen Haltung mit ihren Vorurteilen und Klischees zu arbeiten. Musikvermittlung reicht zumeist in andere Gebiete oder Disziplinen hinein, und bekommt damit eine besondere Relevanz und Verankerung in unseren Leben. Geniert euch nicht, Fragen zu stellen!

Und zum Schluss eine persönliche Frage: Welches Stück/Song begeistert/berührt Sie gerade und was tut es mit Ihnen?

Ich höre sehr unterschiedliche Musik, kann mich aber auch für Geräusche und Klänge, die es im Alltag, an der Straßenecke oder in der Natur gibt, begeistern – da kann ich mich entspannen. Bei Musik bin ich meist zu konzentriert beim Zuhören, um meinen Gedanken freien Lauf zu lassen.

Vielen Dank!

Das Interview führte Barbara Semmler

 

Zur Person:

Marie-Therese Rudolph (*1974 in Linz) ist eine österreichische Musikwissenschaftlerin, Autorin, Kulturarbeiterin und Musikvermittlerin und studierte Musikwissenschaft in Wien, Brüssel und Paris. Sie lebt und arbeitet freiberuflich in Wien sowie als Teilzeit-Mitarbeiterin von KulturKontakt Austria.

Sie ist Jurorin des Pasticcio-Preises von Ö1 und war Mitglied der Jurys des Junge Ohren Preises sowie des “Austrian World Music Awards”. Seit 2003 ist sie Produktionsleiterin des Festivals 4020 in Linz und mittlerweile auch künstlerische Leiterin gemeinsam mit Peter Leisch. Langjährige Mitarbeit am Ernst Krenek Institut in Krems, bei Wiener Festwochen, Into the City, WIENER WORTSTAETTEN u.v.a.
Marie-Therese Rudolph ist Mitglied im Beirat der Plattform Musikvermittlung Österreich (PMÖ).

LINKS:

KulturKontakt Austria
http://www.festival4020.at