In einem “Positionspapier für eine progressive Netzpolitik der SPÖ-Parlamentsfraktion” beschäftigt sich Sonja Ablinger auch mit Urheberrecht und Leistungsschutzrechten im digitalen Zeitalter. In diesem ist von “zu stark ausgestalteten Schutzrechten” die Rede, die “bisweilen als Innovationsbarriere in künstlerischer wie auch in ökonomischer Hinsicht wirken”.
Welche Schutzrechte sind in dem Positionspapier konkret gemeint?
Sonja Ablinger: Damit ist beispielsweise gemeint, dass es im europäischen Urheberrecht keine allgemeine Fair-Use-Schranke wie in den USA gibt. In der EU-Copyright-Direktive und im österreichischen Urheberrecht gibt es nur eine abschließende Liste mit Ausnahmen, den sogenannten „freien Werknutzungen“. Das ist aber auf Grund der schnellen technischen Entwicklungen nicht mehr praktikabel.
Und welche Innovationen in künstlerischer wie auch in ökonomischer Hinsicht meinen Sie konkret?
Sonja Ablinger: In künstlerischer Hinsicht sind damit jeglicher Form von Remix-Kunst und Appropriation-Art, die gerade durch digitale Technik viel einfacher möglich sind, extrem enge Grenzen gesetzt. Und zwar sowohl für professionell Kunst- und Kulturschaffende als auch im Bereich von Amateurkunst. In ökonomischer Hinsicht bedeutet das Fehlen einer Fair-Use-Regelung, dass Startups wie beispielsweise YouTube in Europa gar nicht oder nur viel schwieriger möglich gewesen wären. Jegliche Innovation im Bereich nutzergenerierter Inhalte – user-generated content –, die naturgemäß immer auch auf Teile bestehender Werke zurückgreifen, wird durch ein zu restriktives Urheberrecht erschwert.
Sie konstatieren, dass “wegen aufwändiger Rechteabklärung viele Projekte erst gar nicht entstehen”. Welche Änderungen des Urheberrechts sollen diese Problemstellung verbessern?
Sonja Ablinger: Das Problem ist, dass hier kurzfristig auf nationalstaatlicher Ebene nicht viel möglich ist. Denn die beste Lösung wären eine Verkürzung von Schutzfristen und die Einführung einer Registrierungspflicht, wie es sie im Copyright-Bereich ja lange gab. Das würde die Abklärung von Rechten wirklich vereinfachen. Bis das erreicht ist, würde jedenfalls eine starke Fair-Use-Ausnahme zumindest im Bereich der Remix-Kunst und verwandten Bereichen helfen.
Ist hier (auch) eine Änderung der Urheberpersönlichkeitsrechte angedacht?
Sonja Ablinger: Urheberpersönlichkeitsrechte stehen für uns nicht im Vordergrund – wobei natürlich klar ist, dass auch diese Grenzen haben. Klar ist beispielsweise, dass Plagiate oder fälschliche Zuschreibung von Urheberschaft weiterhin verboten sein müssen. Umgekehrt ist es aber auch problematisch, wenn mit Verweis auf das Urheberpersönlichkeitsrecht eine kreative Weiterverarbeitung von Werken in Remixes verhindert werden könnte.
Sind Ihrer Meinung nach der große Aufwand bei der Rechteabklärung und die jetzige Lizensierungspraxis aus den Paragraphen des Urheberrechts abzuleiten?
Sonja Ablinger: Ganz klares ja. Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, aber ohne Fair-Use-Ausnahme müsste heute bei jedem YouTube-Video, bei dem im Hintergrund ein Radio läuft, eine Rechteabklärung erfolgen. Das ist nicht nur völlig lebensfremd, es ist auch falsch.
“Veränderungen am Urheberrecht” sollen sich “auch zu Gunsten der Kreativen auswirken”. In welchen Passagen wirkt sich das momentane Urheberrecht Ihrer Meinung nach ungünstig auf die Verteilungsgerechtigkeit aus?
Sonja Ablinger: Hier zeigen Studien wie beispielsweise jene des Urheberrechtsforschers Martin Kretschmer, dass die Ungleichverteilung von Einkünften mit der Bedeutung des Urheberrechts zunimmt. Das betrifft dann aber teilweise nicht das Urheberrecht, sondern die Verteilungsschlüssel der Verwertungsgesellschaften. Was konkrete Passagen betrifft, so geht es vor allem um ein starkes Urhebervertragsrecht, das Urheber als schwächere Vertragspartner vor zu weitgehendem Abtreten von Verwertungsrechten schützen sollte. Hier geht es aber darum, konkrete Vorschläge gemeinsam mit Vertretern der Kunstschaffenden auszuarbeiten.
Welche Änderungen sind konkret angedacht?
Sonja Ablinger: Konkret soll es beispielsweise im Wissenschaftsbereich ein unabdingbares Zweitveröffentlichungsrecht geben, das Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erlaubt, ihre Aufsätze auf ihrer privaten Homepage und in institutionellen Repositorien einzustellen. Was das Urhebervertragsrecht betrifft so gilt es aus den Erfahrungen Deutschlands im Bereich des Bestsellerparagraphen zu lernen und diesbezüglich weitergehende Regelungen anzudenken.
Als Möglichkeit für einen besseren Zugang zu verwaisten Werken skizzieren Sie eine „Use it or loose it -Regelung, die vorsieht, dass Rechte an Inhalten, die nicht verwendet oder verwertet werden und auch in keiner zeitgemäßen Technologie angeboten werden, zuerst zu den UrheberInnen zurückfallen”. Demnach würde wohl schon eine Verwertung vorliegen, sobald ein Werk online verfügbar gemacht wird, was mit geringstem Aufwand zu bewerkstelligen ist. Wäre das wirklich eine praktikable Verbesserung?
Sonja Ablinger: Die „Use it or loose it“-Regelung kann sicherlich nur ein Teil eines Maßnahmenpakets sein. So gering ist der Aufwand aber gar nicht, wenn es beispielsweise um vergriffene Bücher oder Tonträger geht. Hier würde diese Regelung schon eine Verbesserung bedeuten. Wichtig wären aber auch in diesem Kontext eine Verkürzung von Schutzfristen: je länger die Schutzfristen, desto mehr verwaiste Werke gibt es.
Angedacht wird eine “transformative Werknutzung”, welche “die normale Auswertung des oder der aufgenommenen Werke nicht beeinträchtigt und die berechtigten Interessen des Urhebers oder Rechteinhabers unter Berücksichtigung der Interessen Dritter und der Allgemeinheit nicht ungebührlich verletzt”. Wie könnte so eine “transformative Werknutzung” im Bereich der Musik aussehen?
Sonja Ablinger: Im Bereich der Musik fallen darunter die bereits mehrfach erwähnten Beispiele Remix sowie die Musik in Amateurvideos. Es muss möglich sein, sich beim Tanzen zu filmen und die Videos mit Freundinnen in einem sozialen Netzwerk zu teilen.
Und wie bzw. woher sollen die neuen Nutzer eines Werkes wissen, welcher Art die Interessen des Urhebers sind?
Sonja Ablinger: Das müssen sie nicht. Wo genau die Grenzen von Fair-Use liegen wird auch in den USA von Gerichten festgestellt. Ein Rest von Unsicherheit bleibt damit natürlich – aber vieles wird dadurch überhaupt möglich. Mit der Zeit werden sich aber mehr oder weniger klare Grenzen herauskristallisieren.
Sie halten die “Einführung von Pauschalvergütungsmodellen” als alternative Vergütungsform für die “kostenlose Verbreitung digitaler Inhalte über das Internet” für überlegenswert. Für welche im Internet verfügbaren Inhalte soll diese Flatrate eingehoben werden?
Sonja Ablinger: Klar ist, dass eine Regelung die unter „Leerkassettenvergütung“ firmiert nicht mehr zeitgemäß ist. Umgekehrt stellt sich die Frage, welche Rechte mit einer Neuregelung des Pauschalvergütungssystem verbunden sind. Was ist das Pendant zur Privatkopie im Internet? Tauschbörsen? Wie kann ein durchsetzbares Recht auf Privatkopie angesichts von Kopierschutztechnologien geschaffen werden? Diese Fragen gilt es noch zu klären, da sind sich auch die Juristinnen und Juristen nicht einig. Denn eines kann nicht sein: dass neue Pauschalvergütungsansprüche geschaffen werden, gleichzeitig aber immer noch der Schulhof kriminalisiert wird.
Wie realistisch sehen sie die Einführung eines solchen Modells?
Sonja Ablinger: Kurzfristig jedenfalls realistischer als eine Schutzfristverkürzung. Eine Neuregelung der Pauschalvergütung muss über kurz oder lang ohnehin kommen. Warum dabei nicht mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen und einen größeren Wurf wagen?
Wäre es für eine gerechte Verteilung dieser Einnahmen nicht notwendig, das Verhalten sämtlicher Internetuser bzw. deren IP-Adressen zu erfassen und gibt es diesbezüglich keinerlei datenschutzrechtliche Bedenken?
Sonja Ablinger: Das sehe ich nicht so. Schon heute begnügen sich Verwertungsgesellschaft ja bei der Verteilung ihrer Einnahmen mit Schätzungen des Nutzungsverhaltens. Dass hier auch Verbesserungen bzw. Änderungen angebracht wären, gilt aber unabhängig von der Reform der Pauschalvergütung.
Haben Sie eine konkrete Vorstellung, wie die Verwertungsgesellschaften (oder wer sonst diese Gelder verteilen soll) mit Millionen zu erwartenden Beträgen im Null-Komma-Cent-Bereich für einmalige oder seltene Nutzungen umgehen soll?
Sonja Ablinger: Diese Frage verstehe ich nicht. Eine derartige Erhebung halte ich weder für machbar noch für sinnvoll noch für notwendig.
In den Passagen zum geforderten Urhebervertragsrecht werden “große Verlage, Filmverleihe, Musiklabels und andere multinationale Konzerne” genannt, welche “die Vertragsfreiheit bestmöglich zu ihren Gunsten” nutzen. Veröffentlichen in Österreich nicht die meisten Musikschaffenden eher bei kleinen Independent Labels?
Sonja Ablinger: Ja, das stimmt. In diesen Fällen ist es aber ohnehin so, dass keine der beiden Vertragsparteien besonders viel mit den Verkäufen verdient.
Glauben Sie, dass die Vertragsverhältnisse dort bereits ausgeglichen und fair sind?
Sonja Ablinger: Das hängt sicher sehr stark vom Einzelfall ab, wie fair diese Vertragsverhältnisse sind. Das Machtungleichgewicht ist aber sicher nicht so stark ausgeprägt.
Sie wollen die Kreativen in ihren Rechten stärken. Wie gedenken sie das umzusetzen? Ist es etwa wünschenswert, dass Verlagsverträge, die als Geltungsdauer das gesetzliche Schutzrecht (70 Jahre nach Tod der Urheberin) beinhalten nicht mehr möglich sein sollen und ein Wechsel der Urheber zu einem anderen Verwerter jederzeit möglich sein soll?
Sonja Ablinger: Vorab: Schutzdauern, die weit über den Tod des Urhebers hinausreichen nutzen keinem Urheber selbst und sind ein Anachronismus. Eine Beschränkung der Dauer der möglichen Rechtsübertragung bzw. die Einräumung eines unabdingbar-einseitigen Kündigungsrechts könnten aber durchaus sinnvolle Maßnahmen darstellen.
Welche Lösungen schweben Ihnen in Zeiten von 360 Grad-Verträgen vor, um die Urheberinnen vor dem Ausverkauf ihrer künstlerischen Arbeit zu schützen?
Sonja Ablinger: Ein erster Schritt wären hier Transparenzverpflichtungen in Kombination mit Nachverhandlungsklauseln im Erfolgsfall sowie eine Beschränkung von Vertragsdauern. Prinzipiell sollten aber alle diese Regelungen in Absprache mit Künstlerverbänden ausverhandelt werden.
Sollen Urheberinnen für ihre Werke eine größere Bandbreite von Schutzformen erhalten, die es ihnen ermöglicht Verträge mit den Verwertern leichter zu lösen? Und wenn ja, welche?
Sonja Ablinger: Wie oben erwähnt kämen hier beispielsweise ein unabdingbar-einseitiges Kündigungsrecht nach einer bestimmten Frist, beispielsweise 5 Jahre, in Betracht.
In den letzten Jahren war zu beobachten, dass die europäische Kommission in Sachen rechtspolitischer Motor ausgefallen ist. Konkret gab es schon relativ lange keine Richtlinienvorschläge – ausgenommen die Schutzdauer-Richtlinie – mehr. Denken Sie, dass der nationale Gesetzgeber wieder mehr gefordert ist? Und wenn ja, inwiefern?
Sonja Ablinger: Das Problem ist, dass auf Grund von internationalen Verträgen der Handlungsspielraum des nationalen Gesetzgebers mittlerweile ein sehr beschränkter ist. Aber zumindest die bestehenden Spielräume sollten besser ausgenutzt werden. Ansonsten sehe ich in Sachen Fair-Use Bewegung. In Deutschland haben sich kürzlich sogar Teile der CDU für eine entsprechende Reform ausgesprochen.
Foto Sonja Ablinger © Parlamentsdirektion/WILKE