Die 1970 in Graz geborene Komponistin und Improvisatorin Elisabeth Harnik ist österreichische Staatsstipendiatin für Komposition 2007. Anlässlich eines Zeitton-Portraits, das am Montag, 23.4. um 23.00 Uhr auf Ö1 zu hören ist und in dem u. a. Ausschnitte ihrer neuen Komposition „superstructure“ zu hören sind (uraufgeführt in einem Konzert im RadioKulturhaus am 11.April) hat die Gestalterin der Sendung Ursula Strubinsky mit ihr das folgende Gespräch geführt.
Pianistin, Improvisatorin, Komponistin
Sie sind seit Jahren als aktive Musikerin tätig. Sie improvisieren als Solistin, aber auch in diversen Ensembles, wie z. B. “soundog”, im Duo mit Alberto de Campo, dem “plasmic trio” oder auch dem “plasmic quintett”. Sie haben sich einige Jahre nach dem Abschluss ihres Klavierstudiums entschlossen, ein sechsjähriges Kompositionsstudium zu beginnen. Da waren Sie Anfang dreißig. Was hat Sie in diese Richtung geführt.
Ich habe Klavier studiert und unter anderem auch Free-Jazz gemacht. Die ersten Personen, die für mich wichtig waren, sind ImprovisatorInnen, wie Joëlle Léandre, Peter Kowald oder David Moss. Ich habe sie alle auch persönlich kennen gelernt. Mein Ausdrucks- und Schöpfungswille war schließlich dermaßen stark, dass ich das Bedürfnis hatte, Komposition zu studieren. Ich wollte das lernen und mir auch einen Input holen.
Weil ich in der Nähe von Graz lebe, habe ich mich entschlossen, an der Grazer Musikuniversität zu studieren. Ich war in der Klasse von Beat Furrer. Ich bin aber auch Georg Friedrich Haas begegnet und Bernhard Lang. Graz war für mich eine sehr gute Umgebung. Ich habe das wirklich aufgesogen. Ich bin erst im Nachhinein draufgekommen, was für ein gutes Umfeld ich da habe.
Was schätzen Sie an der Improvisation, was an der Komposition?
An der Improvisation, wo ich ja Instrumentalistin bin, schätze ich das Allumfassende des Augenblicks. Ich habe jederzeit, also in jedem Augenblick die Möglichkeit eine Entscheidung zu treffen und z. B. auf den Raum oder auf die MitmusikerInnen oder das, was vorher erklungen ist zu reagieren.
Und das macht für mich den Kick beim Improvisieren aus: ich empfinde es so, als ob man rückwärts in die Zukunft gehen würde. Ich weiß zwar nicht, was nachher kommen wird. Ich habe aber das gehört, was gerade gespielt wurde und gebe dem nun nachträglich einen Sinn.
Im Vergleich dazu: Beim Komponieren schätze ich, dass ich in der Zeit zurückgehen kann, und dass es möglich ist, Dinge im Nachhinein zu verändern. Das kann ich beim Improvisieren nicht.
Beim Komponieren fange ich auch nicht mit dem Anfang eines Stücks an, sondern ich arbeite sehr sprunghaft. Das bekommt dann so eine Beweglichkeit in der Zeitebene. Ich kann z. B. im Nachhinein den Beginn verändern oder einen ursprünglichen Mittelteil ganz wo anders hin verschieben. Es ist also diese Beweglichkeit, die mich beim Komponieren fasziniert. Und beim Improvisieren ist es dieser Augenblick, der mir einen riesigen Horizont erweitert. Prinzipiell ist für mich beides gleichwertig.
Wenn Sie von dem sich in den Augenblick fallen lassen beim Improvisieren sprechen, bedeutet das, dass Sie sich ohne etwas vorzunehmen ans Klavier setzen und zu spielen beginnen?
Es gibt MusikerInnen, die sich gerne innerhalb von Konzepten bewegen. Aber weil eben für mich dieses Agieren im Augenblick so ein spannendes Erlebnis ist, gehe ich am liebsten auf die Bühne, ohne mir vorher eine Struktur überlegt zu haben. Ich habe allerdings mein “Gepäck” mit dabei: also meine Spielerfahrung, mein Repertoire an bestimmten Klängen. Ich habe auch diverse Gegenstände bei mir, die ich beim Improvisieren am Klavier zur Klangerzeugung verwenden kann, wenn ich das möchte. Das entscheide ich dann im Moment.
Wichtig ist mir aber – gleich, ob ich jetzt komponiere oder improvisiere – stets die Suche nach Neuem; etwas, das mir selber noch fremd ist. Ich versuche auch immer über meine eigenen Grenzen hinauszukommen. D. h. unter dem Spielen kann sich plötzlich etwas spontan ereignen, das neu ist in dem bisherigen Kontext. Ich greife das dann auf und folge dem nach.
Auch beim Komponieren ist es so, dass ich mir bestimmte Arbeitsweisen wähle, die mich dazu bringen, spontan bestimmte musikalische Ereignisse zu verfolgen. Auch wenn ich nicht weiß, welches Resultat das ergibt.
Das macht aber für mich bei beiden Disziplinen den Reiz aus. Es sind nur unterschiedliche Wege, diesen zu erreichen.
In Ihrem Ensemblestück “superstructure” haben Sie erstmals in eine Komposition auch Improvisation einfließen lassen.
Richtig. Prinzipiell bin ich ein Mensch, der äußert präzise notiert, ja mitunter übernotiert. In “superstructure” ist das anders. Hier wird den InterpretInnen bei bestimmten Passagen die Möglichkeit geboten, ihre Qualitäten als ImprovisatorInnen einzubringen. Dieses Stück ist ja speziell für MusikerInnen entstanden, die auch Erfahrung mit Improvisation haben. Vorgegeben sind die klangliche Ausrichtung und ein bestimmtes Tonmaterial. Das Stück ist auch zeitlich völlig durchstrukturiert. Dennoch ist für mich als Komponistin bei einer Aufführung von “superstructure” das klangliche Ergebnis nicht zu 100% kalkulierbar.
Der Titel des Stücks ist übrigens ein Begriff, der im Brückenbau verwendet wird. Ich habe beim Komponieren oft Bilder. Und während ich an dem Stück gearbeitet habe, habe ich immer wieder von Hängebrücken geträumt. Diese waren am Anfang recht filigran. Sie wurden aber im Laufe der Zeit immer massiver. Es war schließlich eine gewaltige Brücke. Mir ist da klar geworden, dass ich keine sensiblen Verbindungen zwischen Komponiertem und Improvisiertem legen muss. Denn diese zwei Bereiche existieren real nebeneinander. Ich bin ja selber so eine Person, die sich in beidem bewegt. Daher musste ich in “superstructure” die zwei Bereiche nicht verbinden, da sie ja gar nicht getrennt sind. Ich musste lediglich über die bereits existierende Brücke einen Überbau – also eine “superstructure” – in Form einer Komposition schaffen.