„EIGENTLICH LANGWEILEN MICH HEUTE DIE MIT EFFEKTEN ZUGEKLEISTERTEN PRODUKTIONEN ZU TODE.“ – STOOTSIE IM MICA-INTERVIEW

Mit „Never A Straight Line“ veröffentlicht die Salzburger Pop-Koryphäe STOOTSIE (bürgerlich Michael Steinitz) erneut eine Sammlung äusserst lässiger Pop-Perlen zwischen grossen Gefühlen und kleinen Alltagsbeobachtungen. Dabei wurde diesmal u.a. auch auf vermeintliche „lost tracks“ auf alten Harddisc-Recordern zurückgegriffen, aber auch die Magie von „First Takes“ neu erkundet. Was nun aber die ROLLING STONES und die PET SHOP BOYS mit all dem zu tun haben, versuchte Didi Neidhart für MICA mit STOOTSIE beim einem Interview herauszubekommen.

Du verwendest auf diesem Album, laut eigner Aussage, erstmals Effekte auf der Stimme. Wieso hast du bisher darauf verzichtet. Zumindest ein klein wenig Hall und Echo gehört doch schon seit Elvis zu fast jeder Pop-Produktion.

Stootsie: Eigentlich langweilen mich heute die mit Effekten zugekleisterten Produktionen zu Tode. Auch weil die ja heutzutage fast ausschließlich von PlugIns generiert werden. Wenn der erzeugte Effekt zumindest mit ein bisschen Aufwand verbunden ist, find ich es schon ok. Zumindest selber ein Pedal anstecken sollte da schon sein. Ein General-Hall auf fast allen Spuren oder Echos waren seit den ersten The Seesaw-Alben immer dabei.

Bleiben wir noch bei den Effekten. Diesmal gibt es für deine Verhältnisse auch viel Chorus-Effekte. Z.B. beim Keyboard von „Running Out Of Time“ oder eben bei „Top of the World“. Wie kam es dazu, bzw. wieso erst jetzt? Das sind ja durchaus Effekte die für eine Zeit in der Pop-Historie stehen, auf die du dich ja auch immer wieder beziehst?

Stootsie: Was da wie ein Keyboard klingt ist eine 12-saitige Rickenbacker bei „Running..“, die in ein Korg Leslie-Simulator Pedal aus den 90ern geht, welches wir bei The Seesaw live für die Stimme verwendet habe. Die 12-Saitige kommt ziemlich oft zum Einsatz. Die Gitarrensounds sind auch alle relativ clean, bis auf das neilyoungige Solo mit der Gretsch bei „Come Back“ – sonst wäre mir der Song zu auch zu faserschmeichlerisch geraten. Aber ich hab für meine Verhältnisse wirklich viele Effekt verwendet. Obwohl ich so viele Pedale herumliegen habe, bin ich meistens zu bequem und ungeduldig. Da wird auch nicht groß herumexperimentiert. Meist arbeite ich ja so: Einstecken – Record – Done!

„Ich hab so eine Riesenfreude an den unterschiedlichen Gitarrensounds.“

Manchmal kommt mir der bissl „wässrige“-Chorus-Effekt bei den Keyboards auch als eine Art (melancholisch) gegenläufige Stimmung zur „fröhlichen“ Gitarre vor. Geht es da eher um einen Sound-Effekt, was ja klassische Pop-Songs immer schon ausgezeichnet hat, oder um einen Gegenpol zur Gitarre?

Stootsie: Da ich kein Keith Jarrett, Billy Joel, schon gar nicht Fats Domino bin, schadet ein gscheit verwässerter Keyboard-Sound gar nicht. Der federt dann das relative lose Timing ein bissl ab. Die Gitarren sind dagegen ja fast Nile Rodgers-tight…Ich hab so eine Riesenfreude an den unterschiedlichen Gitarrensounds, wie sich die durch Zufall alle mischen und diesen subtilen Wall of Guitars-Sound kreieren.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Bei „The Wall“ gibts dann auch sehr viel Flanger und Chorus auf der Stimme. Das generiert dabei jedoch auch eine gewisse morgendliche Magical Mystery-Stimmung? Bist du jetzt in einer Art „Psychedelischer Phase“, oder steckt dahinter immer noch eher Nick Lowe, Wreckless Eric oder The Kinks?

Stootsie: Ja voll! Auf jeden Fall Lowe/Costello und die späten 70er, wo der Roland Chorus/Flanger dann fashionable wurde. Bei „The Wall“ habe ich sogar den Bass mit Flanger aufgenommen und die Stimme hat einen Chorus-Effekt drüber, der mich erst nach Ian’s (Button) Mastering so wirklich aus dem Lautsprechen angesprungen ist… 
Ich wollte es gleich ändern, aber Ian meinte, dass ich es unbedingt so behalten soll. Ich lass mir ja auch manchmal was sagen. Aber der Song hat dann eigentlich ein 80s/The Style Council Flair bekommen. Passt mir auch bestens! Und find es für mich lustig, dass eigentlich alle E-Gitarren auf dem Song die Gibson SG ist. Weit weg vom Rock!

Als du 2021 erste Ideen zum Album hattest, sollte es ja als Follow-up zu „Riverside Tales“ von 2019 „Riviera Tales“ heißen. Auch gedacht als Hommage an „Exile on Main Street“ der Rolling Stones, welches 1971 an der Cote d Azur aufgenommen wurde. Jetzt sind mit „Sing Me A Lovesong“ und „In The Garden“ nur zwei in Frankreich aufgenommene Songs auf dem Album vertreten. Was ist aus der ursprünglichen Idee der „Riviera Tales“ geworden?

Stootsie: Ja, so genial war das… Die Stones als Steuerflüchtlinge gefangen an der Riviera – „Exile“ ist natürlich grandios, aber auch nicht meine liebstes Stones-Album und vor allem nichts, das ich kopieren wollte.
Aber als Fan von genau solchen pop-historischen Ereignissen, war das im September 2021 eine Spitzengelegenheit ein neues Album zu starten. Ich wollte auch unbedingt wissen , wie sich das anfühlt, wenn ich das gewohnte Setting für das Komponieren und Aufnehmen verlasse. Aber das war dann wirklich in der Sekunde großartig.
Ich wollte ja nur Demos machen. Aber wer selber Songs aufnimmt kennt das Phänomen, dass die Magie des spontanen, aus der Hüfte geschossenen Demos niemals mehr eingefangen werden kann.
Ich mache das schon lang genug, dass ich mir nach zweimal daheim durchhören gesagt habe, das bleibt fix so, da fang ich sicher nicht mit Neuaufnehmen an. Das wäre für mich nur eine völlige Zeit- und Energieverschwendung…

„Meine Arbeitsweise ist sowieso ganz weit weg von straight, aber eher aus Mangel an Routine.“

Beide Songs klingen ja auch gar nicht nach den Stones. „Sing Me A Lovesong“ hat ein Laidback-Feeling, aber ohne Hang-Over-Blues und „In The Garden“ hat ein regelrecht weltentrücktes ozeanisches Feeling. Waren dir da vielleicht andere Bands und Acts näher?

Stootsie: Die Rolling Stones standen bei dem Trip nicht für den „Blues“ – mit den lass ich mir selber fix noch mindestens 20 Jahre Zeit – sondern eher für den California/Laurel Canyon-Lifestyle, den man sich, mit ein bissl Phantasie, auch an der CotedAzur einreden kann. D.h., jeden Tag bei strahlender Sonne ein bis zwei Songs anreißen bevor die erste Flasche Rose aufgerissen wird. Gerade „In The Garden“ hat aber dann durch das Schlagzeug Fio (Fingerlos) ein geniales „Albatross“ (Fleetwood Mac) Feeling bekommen, nur jetzt mit Text und dafür (fast) ohne Gitarren-Solo.

Du nimmst die meisten Songs weiterhin fast im Alleingang auf. Diesmal hast du mit Fritz Pichler (Querflöte) und Fio Fingerlos (Drums) zwei Musiker bei einigen Songs hinzugezogen. Was muss einem Song fehlen, bzw. wann denkst du dir, da brauche ich noch jemand anderen an meiner Seite?

Stootsie: Die zwei Songs aus Frankreich hatten, da sie ja als Demo gedacht waren, kein ordentliches Schlagzeug.
Fio, als riesiger Charlie Watts-Fan, hat mir dann nachträglich noch extrem genial und gefühlvoll mit seinem alten Ludwig Drumset drauf getrommelt.
„Running Out Of Time“  sollte eigentlich eine Pale Fountains-Hommage werden, ist dann aber eher in Richtung Haircut100/OrangeJuice/Prefab Sprout gedriftet. Da ich kein großer Gitarrensolo-Fan bin, fand ich da Querflöte vielleicht passend.
Ich traf die Salzburger Bluebeats Legende Fritz Pichler und hab mich nach einem, maximal zwei Guinness doch getraut ihn zu fragen, ob er nicht mit seiner Querflöte bei einem Song etwas probieren will.
Ich hab geheult, so begeistert war ich von seinem Spiel und Gefühl.

Wie kam es zum Album-Titel „Never A Straight Line“?

Stootsie: Da „Riviera Tales“ gleich einmal als Albumtitel vom Tisch war, brauchte ich einen würdigen Ersatz.
Ich hatte Anfangs schon die Idee in einer italienischen, schnurgeraden Zypressen-Allee ein Video zu drehen oder ein Photo als Plattencover zu verwenden. Da es den Song „Never A Straight Line“ für das Album schon gab, fanden mein genialer Grafiker Wolfgang Littke und ich das schon eine extrem witzige Idee, das Album „Never A Straight Line“ zu nennen. Aus Zeitgründen ist es dann aus Italien die Hellbrunner Allee geworden. War auch billiger!

„Mir schläft bei der heutigen ‚Perfektion’ in Musik Produktion und Performances das Gesicht ein.“

Geht es hier auch um die Zusammenstellung der hier versammelten Songs und deine Arbeitsweise? 

Stootsie: Was soll ich sagen, das passt ja prinzipiell auf das Leben im Allgemeinen und im Besonderen, macht es spannend und schützt einem vor der Bequemlichkeit. Natürlich könnte man auf so manche Kurven und Abzweigungen verzichten, aber das gehört leider auch zum Leben. Meine Arbeitsweise ist sowieso ganz weit weg von straight, aber eher aus Mangel an Routine. Die Songs finde ich einen grandiosen Mix meiner eigenen Vorlieben. Ich muss zugeben, dass ich selten so von mir selber überrascht bin.

Was macht den Reiz aus eher spontan und intuitiv an ein Album heranzugehen? Einige Songs sind First Takes, wurden schnell („in der Früh“) geschrieben und waren dann quasi auch schon „fix und fertig“. Du erzählst in diesem Zusammenhang ja auch immer wieder, wie wichtig es ist gleich neben dem Bett eine Gitarre stehen zu haben. Entwickelt man bei so einer Arbeitsweise nicht auch mal eine Routine? Oder gilt immer dein Motto „No Plan Is A  Good Plan!“?

Stootsie: Ja eben, von Routine bin ich ja ganz weit weg, obwohl ich alle Möglichkeiten der Welt vor der Nase habe.
Ein neues Album braucht bei mir doch einen Zündfunken, einen bestimmten Fokuspunkt, weil da hängt man dann locker drei bis vier Monate am Stück dran. Das war bei mir diesmal untypischer Weise der Hochsommer. Herbst/Winter wäre da viel gescheiter! Sobald das Album dann da ist geht es erst mit Promotion und Konzerten los.
Eine Pet Shop Boys-Doku Anfang Mai war diesmal der Startschuss mit einem sehr elektronischen Song, der jetzt aber nicht auf diesem Album ist.
Zu dem Zeitpunkt hatte ich aber schon ausreichend Songs mit meiner mystischen Schlafzimmer/Songwriter-Gitarre gesammelt, dass ich mir gesagt habe: „AUS! Jetzt werden die morgendliche Songideen vollendet!“

Dann lass uns aber gleich auch über „I’ve Been Blind“ sprechen. Das ist ja durch und durch doch ein Dancetrack wie er zu Zeiten von Rave auch von Gitarrenband gemacht worden ist. Wie bist du nach all den Jahren draufgekommen eine Rave-Track zu machen?

Stootsie: Ich habe diese Zeit, Ende der 80er, geliebt!! Manchester, Raves, Stone Roses, Happy Mondays, New Order und dann die Supergroup Electronic mit den PetShopBoys, Johnny Marr und New Order. Pre-Blur/Oasis Tolle Britsounds…! Das war echt ein wenig meine Religion damals und war eine unglaubliche Auferstehung der E-Gitarre in der Popmusik in der Pre-Blur/Oasis-Zeit
„I’ve Been Blind“ hat alles, was für mich einen grandiosen Song ausmacht. Coole Strophe, Zwischenteil und einen Refrain, der richtig groß ist. Der Beat ist auf all meinen Alben sonst nicht zu finden, knallt aber bei richtiger Lautstärke auch gut. Da hat Ian meisterlich gemastert.

„Spotify darf für kreative Musiker niemals der Maßstab werden.“ 

Ich würde jetzt mal sagen, dass Deine Arbeitsweise(n) und auch die Songs nicht gerade Spotify-Friendly sind. D.h., du suchst zwar immer noch nach dem perfekten Pop-Song, aber es geht dir dabei scheinbar weniger um die Optimierung von (schon) erfolgreich getesteter Pop-Song-Formeln, sondern eher um eine Art Back To The Old School im Sinne nicht total ausproduzierter Pop-Songs, die dann auch schon mal rumpeln können.

Stootsie: Mir schläft bei der heutigen „Perfektion“ in Musik Produktion und Performances das Gesicht ein.
Es ist heute alles so endlos glattgebügelt und ausproduziert, da freu ich mich grad heute, wenn ich die neue Rumpelplatte von Kim Deal höre. Spotify darf für kreative Musiker niemals der Maßstab werden. Es ist ein bequemes Tool anderen deine Musik schnell zu schicken. Es geht mir viel mehr um Menschen, die ein gewisses Grundverständnis von Pop – entweder als Culture oder als Music – behalten haben, die noch ein „Fan“-Gen in sich haben.
Ich pfeif auf den ganzen Playlist-Quatsch. Da geht es ja nur ums Geld verdienen und hat mit Pop nix zu tun.

Was macht dabei für dich dabei den Reiz aus, Songs zwar zu arrangieren, aber ihnen dann doch eine gewisse (ungeschliffene) Skizzenhaftigkeit zu lassen?

Stootsie: Halloooo, Skizzenhaft??? Das ist eine fette Phil Spector Produktion!
Aber ich hab Gott sei Dank sehr bald erkannt, dass ich kein ausgebildeter Tontechniker bin, mir aber trotzdem mit meinem „Learning By Doing“ und einem End-Ergebnis extremen Spaß habe.
Aber ich mach keine Copy/Paste Edits und auch nichts mit Autotune! Ich spiele, wie wir es mit der Tonbandmaschine gelernt haben, von Anfang bis Ende durch und lösche nur die Passagen die mir nicht passen.
Ein höchst effektiver Ansatz!
Absurd ist beim Album wieder die Anzahl der First Takes, die ich behalten konnte, bzw. wo ich zu faul war, sie zumindest noch ein zweites Mal zu spielen.

Einige Songs („Come Back“ und „Carry On“) hast du als Demo-Versionen auf alten Minidiscs (!) bzw. HardDisk Recordern (!) gefunden. Wie kam es eigentlich dazu und was hatten die, damit du sie jetzt wieder ausgegraben und auf das Album getan hast?

Stootsie: Ich musste für Mel (Mayr) ein paar Songs auf dem alten Korg Harddisk Recorder suchen und auf den Computer transferieren. Dabei sind mir zwei eigene Songs („Come Back“ und „Carry On“) untergekommen, an die ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern konnte wann, wie und wo ich die geschrieben hab.
„Carry On“ ist jetzt in der gefunden Version der Abschluss des Albums.
„Come Back“ war im Original einiges langsamer, jetzt hab ich ihn ein bissl schneller neu aufgenommen (inklusive des fehlenden Charmes des originalen Demos!!)

„Ich pfeif auf den ganzen Playlist-Quatsch.“

Wo wird das Album erscheinen und wie hast du dir das ganze eigentlich finanziert?

Stootsie: Es erscheint offiziell als Free Fall Records Katalognummer 50 am eigenen Label am 22.11.2024 auf allen digitalen Kanälen. Weil ich so Freude habe, wird es natürlich CDs und erstmals auch Vinyl geben.
Über die klassischen Vertriebswege habe ich mir keine großen Gedanken gemacht. Es gibt zwei bis drei Hände voll grandioser Plattenläden in Österreich, die fahre ich gern ab, inklusive InStore-Gigs.
Sonst bekommt man alle noch erhältlichen The Seesaw- und Stootsie-Alben auf Bandcamp, das immer noch extrem genial ist!

Wird es eine Tour geben?

Stootsie: Tour ist im Moment noch übertrieben, da wir uns gerade noch im Produktions Endspurt befinden. Die Salzburg Präsentation mache ich dieses Mal am 21.11. im OVAL in Salzburg.
Darauf freu ich mich schon sehr. Aber da verrate ich auch noch keine Details.

Danke für das Interview.

Didi Neidhard

++++

Links:

Stootsie (Facebook)

Stootsie (Bandcamp)

Live:

Stootsie: Riverside, Riviera and other Tales

21.11.2024 – OVAL – Die Bühne im EUROPARK