Wien Modern- Das Tagebuch 4

Gerd Kührs “Movimenti” mit Patricia Kopatchisnkaja Wenn man es sieht, hört man auch anders, ist Gerd Kühr überzeugt. Mit seinen “Movimenti” für Violine und Orchester komponierte er eine aus dem Geist des Musiktheaters geborene Darstellung (und Persiflage) des Konzertrituals mit der quirligen Geigerin Patricia Kopatchinskaja als Hauptdarstellerin: Nicht bloß Verulkung, sondern auch eine tolle musikalische Textur.

Violin-KapriolenDas Orchester stimmt und aus dem Zentralstimmton a’ und minimalen Verschiebungen dieses Tons nach oben und unten entwickelt sich unversehens schon die Musik: Das ist spätestens feststzustellen, als sich offenbart, dass der bereits anwesende Dirigent Stefan Asbury das Geschehen taktschlagend zu koordinieren beginnt. Eine typische Kühr-Werkgeburt, der frühere Kompositionen früher strukturell immer wieder aus einer winzigen Zelle entwickelte.

Aber wo ist die Solistin? Regelwidrig (und doch dem innermusikalischen Bauplan entsprechend) tönen sirenenartige Glissandi von einem hinteren Pult. Dann erst kommt Patricia Kopatchinskaja – barfuss geigend – nach vorn und erobert den Plan. Die leeren Saiten, zuweilen auch unterhalb des Stegs gestrichen, bilden das ganze Stück hindurch das Ausgangsmaterial, garniert jedoch mit fingerbrechenden Kapriolen, Trillern, Pizzicati, Spitzentönenpassagen am ewigen Eis des Griffbretts. Geht´s nicht mehr höher, “hilft” noch höheres Schlagwerk aus – was die Solistin zornig macht und sie zu noch heftigerem, verbissenen Herumwirbeln und -werkeln veranlasst, zu grenzenloser Exaltation, die kompositorisch hinterhältig stets begrenzt bleibt.

Eine komponierte Reflexion über Klischees des Virtuosentums, über die Rollenverteilung zwischen Solist(in) und Orchester: Letzteres fordert im Tutti bald einmal gebieterisch mit rhythmisch köstlich verschrägten ungarischen Rhapsodiebegleitungskaskaden und Nachschlägen das große Solo ein, später, mit Hoteldämpfern geknebelt, die innig-romantische Kantilene.

Gerd Kühr erweist sich in dieser Auftragskomposition des Mozartjahres als großer, hintergründiger Humorist, der das alles mit gar nicht platten, plakativen und mit ureigenen Stilmitteln musikalisch in Szene zu versetzen versteht. Und für die temperamentvolle Geigerin ist das natürlich “ein Fressen”. Der Kreis schließt sich, wenn sie unversehens wieder zu stimmen anfängt und das Stück mit einer Pizzicato-Volte der leeren Saiten abrupt und immens effektvoll endet.

Oder? Applaus, die Türen im Musikverein sind von den stets informierten Saalwärtern bereits geöffnet, Pausenlärm von nebenan dringt herein – da stolziert die Solistin triumphierend noch einmal geigend aufs Podium. Natürlich hat ihr Gerd Kühr auch noch das “Encore” mitkomponiert.

Es war das unbestrittene Highlight im Musikvereins-Konzert des RSO Wien im Rahmen von Wien Modern, das mit György Kurtágs “New Messages” beeindruckend eröffnet worden war. Die Zehnte Sinfonie von Hans Werner Henze, Kührs einstigem Lehrer, bombastisch und mit diesmal ernst gemeinter, zuweilen sehrender,  triefend-pathetischer Attitüde hingegen hätte man liebend gern mit einem zünftigen Originalromantiker – Edward Elgar etwa  – vertauscht.
(hr)
 

Wien Modern

 

Ö1-Interview Gerd Kühr