Transformation des Alltäglichen – Jorge Gómez Elizondo im Porträt

Dieses Porträt von Eva Gesierich entstand im Zuge der Lehrveranstaltung „Ästhetischer Diskurs, Reflexion, Kritik: Schreiben und Sprechen über Neue Musik“ von Monika Voithofer im Wintersemester 2022/23 am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien und wird als Teil einer Kooperation mit mica – music austria hier im Magazin veröffentlicht. Für diese Aufgabenstellung konnten die Studierenden frei eine aufstrebende Persönlichkeit aus dem Bereich der neuen Musik wählen.

Jorge Gómez Elizondo ist jemand, der sich für vieles begeistern kann. Egal, worüber er stolpert, sei es ein Video, ein Gemälde, das er im Internet sieht, ein vorbeifahrender Zug, ein Café voller internationaler Gäste oder seine eigene Waschmaschine. Überall gibt es das Potenzial für neue Inspirationsquellen für seine Musik. Mit einer gewissen Achtsamkeit für seine Umgebung transformiert er diese auf witzige, durchdachte und einzigartige Weise in ein musikalisches Werk. Performance, Installation, Real-Time-Elektronik oder etwa akustische Instrumente mit speziellen Spieltechniken sind nur einige Bestandteile, die seine Arbeit auszeichnen.

Von klassischer Gitarre über Alternative Rock und Heavy Metal zu Neuer Musik

Geboren wurde er am 1986 in Brazos Valley, Texas. Mit zehn Jahren begann seine musikalische Karriere, als er mit seiner Familie nach Monterrey in Mexiko zog und seine ersten Gitarrenstunden von seinem Vater bekam. Zunächst lernte er klassische Stücke sowie mexikanische Lieder. Neben Jorge Gómez Elizondos Vater, welcher kurze Zeit Gitarre studierte, war auch seine Schwester musikalisch tätig und spielte klassische Klavierkonzerte. Jorge Gómez Elizondos Mutter machte den musikalischen Haushalt komplett, indem sie sich selbst Klavier beibrachte. Ihr dabei erlerntes Wissen brachte sie unter anderem auch ihrem Sohn bei. Ein paar Jahre später, in Jorge Gómez Elizondos Jugendzeit, zog es ihn dann zu einer anderen musikalischen Richtung. 

Eines Tages fand er zufällig 40 Dollar auf der Straße, womit er seinen älteren Brüdern zwei CDs abkaufte: „In Utero“ von Nirvana und „Superunknown“ von Soundgarden. Da er zu diesem Zeitpunkt nur diese beiden besaß, hörte er sie auf und ab. Ab diesem Zeitpunkt wuchs sein Interesse für Musik stetig. Er schenkte vor allem Punk, Rock und Heavy Metal die meiste Aufmerksamkeit. Im Alter von dreizehn Jahren begann er, in der Alternative-Rock-Band Prayers of the Naive zu spielen, welche sich unter anderem an den Richtungen Trash Metal und Death Metal orientierte. Während der Highschool-Jahre nahm er seine zweite Band Shival-vah etwas ernster und zog zum ersten Mal in Erwägung, Musik zu studieren. Sein Bachelorstudium „Musik und Komposition“ an der Universidad Autónoma de Nuevo León (UANL) in Monterrey (2003-2009), wo er auch Klavier vertieft lernte und seine erste Komposition für Streichquartett mit nur achtzehn Jahren präsentiere, war der erste Schritt hin zu seiner Komponistenlaufbahn. Studiert hatte er bei Ricardo Martínez Leal. Überdies lernte er im Studium ein Jahr Klarinette und brachte sich etwas später selbst Posaune bei. Das Studium sah er jedoch eher als Nebenbeschäftigung neben seiner Band und wollte sogar aufhören. 

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Doch die Berührung mit der Neuen Musik entfachte neue Begeisterung in ihm und er beschloss, sein Leben der Komposition von Neuer Musik zu widmen. Die Tür dazu hat ihm sein erster Kompositionslehrer geöffnet, als dieser ihn zu einem Konzert mitnahm. Falls das ein Abschreckungsversuch des Lehrers hätte sein sollen, hat es jedenfalls nicht funktioniert, berichtet der Komponist schmunzelnd. Ganz im Gegenteil, die Faszination für die neuartigen Klänge packte ihn unmittelbar. „It’s quite different from anything I’ve heard before […]. I guess I wasn’t trying to make sense of it. It sounds like a huge Pink Floyd intro but I was intrigued and I thought I want to learn some more.“

Die nächste Station war der Abschluss seines Masters in Musiktechnologie bei Roberto Morales Manzanares an der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM) in Mexiko-Stadt (2010-2012), wo er unter anderem verschiedene Programmiersprachen, Synthesetechniken und algorithmisches Komponieren lernte. Anschließend unterrichtete er in Monterrey. 

Ein wichtiges Ereignis markiert das Kennenlernen der Komponistin Carola Bauckholt 2015 bei einem Festival für Neue Musik, als er dort Kurse bei ihr belegte und schlussendlich auch im Rahmen eines Konzertes mit ihr gespielt wurde. Das sollte nicht das Ende seiner Bekanntschaft sein, denn sie machte ihn für das Masterprogramm Komposition an der Anton Bruckner Privatuniversität Linz aufmerksam, woraufhin Jorge Gómez Elizondo und seine Frau nach Österreich zogen und er dort bei Bauckholt ein Studium aufnahm. Elizondo ist seitdem in Wien ansässig. Carola Bauckholt dient Jorge Gómez Elizondo auch als große Inspiration. Nach seinem Abschluss und einem Jahr des freischaffenden Komponierens kehrte er an die Uni zurück und fing mit seinem künstlerisch-wissenschaftliches Doktoratsstudium an der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz an, indem er sich bislang befindet. Auch fing Jorge Gómez Elizondo dort an, EDV-Notation und Kompositionstechniken der Neuen Musik zu unterrichten. Jorge Gómez Elizondos Talent bewies er unter anderem 2014, als er beim XI. Festival Internacional de Música Nueva Monterrey den 1. Platz für sein Stück „Anámensis“ erlangte, oder etwa auch als er 2022 als Finalist der Ö1 Talentebörse den Kompositionspreis gewann.

Komposition als kreativer Prozess

Jorge Gómez Elizondo ist oft auf der Suche nach neuer Inspiration für neue Kompositionen, wie er das macht ist im Prinzip sehr einfach: „I guess its spontaneous. I tend to daydream a bit. When I work on a new piece, I try to be a bit more aware of my environment so every time I try to remember and stay as receptive as possible wherever I am.“ Wenn er schließlich etwas gefunden hat, womit er arbeiten möchte, werden seine Ideen dann etwas konkreter. Der erste Schritt dazu ist, die Dinge genauer zu betrachten und daran zu denken, was er mit dem Werk im Endeffekt ausdrücken möchte: „Immediate experience. So I like to take things from everyday life. I feel that this direct experience with it like really being there, being in the situation, being able to hear, to touch everything and take it somehow and put it into another medium that is related to sound. To take a very small piece that is hidden in everything and every experience and let it transform into something else within a piece.“ Für den Schritt der Umsetzung findet und baut der Hobbygitarrist Bestandteile und Objekte für seine Kompositionen gerne selbst, so wie er auch Elemente wie Video oder Elektronik konzipiert.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Aus Anlass seines Masterabschlusses in Komposition wurde 2018 sein Stück „¡Santos Motores!“, ein Musiktheater für vier Musiker:innen und Klanginstallationen, uraufgeführt. Grundlage und Inspirationsquelle dafür waren drei Gemälde: „Atropos“, „Duelo a Garretazos“ und „Dos Viejos“ von Francisco de Goya. Positionen und Gestiken der Musiker:innen auf der Bühne sollen den Gestiken und Positionen der gemalten Personen nachgeahmt werden. Generell meint der Komponist, dass alle drei Bilder etwas Faszinierendes und Beunruhigendes an sich haben – und genau das hat ihn nicht mehr losgelassen. Obendrein baute Jorge Gómez Elizondo Motoren, die Gegenstände auf einem Seil bewegten, sodass diese gegen die Instrumente streichen und den Lebensfaden darstellen sollten. Er versuchte, im Laufe des Stücks eine Transformation nicht nur von Bild zu Bild erzielen, sondern die Musiker:innen sollten sich auch selbst im Laufe der Aufführung verändern. Beispielsweise nahm er sich eine Inspirationsquelle beim Film „Holy Motors“, wo die Hauptfigur verschiede Menschen trifft und jeweils in eine andere Rolle mit anderen Charakterzügen schlüpft und sich je nach Situation „transformiert“. Jedes Bild der Vorstellung geht in eine andere Situation über. So sollte es auch mit der musikalischen Umsetzung sein. 

2020 bekam Jorge Gómez Elizondo von der Stadt Wien eine Kompositionsförderung für das im selben Jahr entstandene Musiktheater „All is Well (Sisyphus is still happy)“, das als eines seiner erfolgreichsten Stücke gilt und von Albert Camus’ Buch „Der Mythos des Sisyphos“ inspiriert wurde. Das Arbeiten am Stück stellte sich als schwierig heraus, da der Komponist nur ungern mit textlichen Grundlagen arbeitet, denn Wörter sind nicht nur schwierig auszuwählen, sondern geben auch eine gewisse Denkrichtung vor, welche der Komponist lieber jedem selbst offenlassen möchte. Diese Haltung macht sich auch in diesem Stück bemerkbar, denn Text ist nur spärlich vorhanden. Auch die Inszenierung ist hier sehr komplex, da sich zunächst die Musiker:innen hinter einer Wand befinden, welche sich erst im Laufe des Stücks öffnet – erst dann bekommt sie das Publikum zum ersten Mal zu Gesicht. Ein Jahr später, 2021, erhielt er den Förderungspreis für Musik der Stadt Wien und im selben Jahr das Kompositionsstipendium vom Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

40°C bei 800 Umdrehungen (Eco-Modus)

Wenn Jorge Gómez Elizondo nicht gerade dabei ist, seine Erfahrungen in eine abstrakte Kreation umzuwandeln, legt er die Hintergründe seiner Ideen sehr gerne offen. Das ist etwa bei seinem Werk „Sonic Washing/Youth Machine“ (2020) der Fall. Die Inspirationsquelle ist augenscheinlich: Mithilfe von extrem nahe gezoomten Videoaufnahmen der Waschmaschine, den kreisenden Bewegungen der drei Musiker:innen und einer Notation, die einem Filmscore gleicht, schuf er ein Werk, bei dem der Prozess des Waschens vom Schleudern bis zum Trocknen auf mehreren Ebenen erlebbar gemacht wird. Dieses Stück entstand während eines Lockdowns der Covid-19-Pandemie nach einem gewöhnlichen Waschtag, als dieses Haushaltsgerät plötzlich all seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Je näher er and die Glasscheibe heranzoomte, desto abstrakter wurde das Bild und schon entstanden in Jorge Gómez Elizondos Kopf die ersten Ideen. Streicher könnten zum Beispiel mit ihren Bögen und ihrem Körper selbst kreisende Bewegungen machen. Tonhöhen übertrug er in die Notation, nachdem er die verschiedenen Geräusche der Waschmaschine in ein Spektrogramm einfügte und die Werte ablas. Taktangaben beziehungsweise Zeitangaben generell sind ebenfalls der Geschwindigkeit des Waschvorgangs angepasst. Die Musiker:innen spielen von einem Videoscore ab, da sich die beiden Elemente Musik und Video ergänzen sollen (siehe Partitur). Eine große Stütze bei diesem Werk ist seine Frau Natalia Neira Nieto, die Fotografie und bildende Kunst studierte und ihre Erfahrungen und Tipps in diesem Feld mit einbringt. Generell meint Jorge Gómez Elizondo, dass sich Musik, verwendete Materialen und Methoden dabei gegenseitig beeinflussen: „Treat the material somehow as if it was music and therefore compose it as well.“

Worauf kann man sich freuen?

Im März wird eines seiner Stücke beim Festival Leicht über Linz an der Anton Brucker Privatuniversität zu dem Duett „Flugbahn“ uraufgeführt. Und eines ist klar: Es gibt verschiedene Transformationen einzelner Objekte in verschiedensten Medien. Diese Zusammenarbeit zwischen der norwegischen Pianistin Ellen Ugelvik und der Schlagzeugerin Jennifer Torrence liefert ein Gesamtwerk besonderer Art, das einen Abend beschert, den man nicht so schnell vergessen wird. Ein weiteres Stück feiert seine Uraufführung im Mai mit dem Ensemble Platypus im Reaktor in Wien als Teil des Suena Festivals. Weiters arbeitet Jorge Gómez Elizondo an einem Werk für das Ensemble airborne extended

Eva Gesierich

++++

Termine:

Mittwoch, 22. März 2023
Leicht über Linz

Mai 2023
Suena Festival

++++

Links:
Jorge Gómez Elizondo
Jorge Gómez Elizondo (YouTube)
Jorge Gómez Elizondo (SoundCloud)
Jorge Gómez Elizondo (music austria Datenbank)