Puccinis Frühwerk “Edgar” in respektabler, musikalisch exzellenter Umsetzung durch die “Opernwerkstatt Wien”

In der Wiener Roßauer Kaserne fand als Freilichttaufführung das 1889 erstmals an der Scala di Milano uraufgeführte Frühwerk von Giacomo Puccini als österreichische Erstaufführung statt, das heißt, die etwa erste Hälfte bis fast zum Ende des 2. Aktes -Rest leider dann endgültig verregnet. Wiederholungen  ab Mittwoch, heute, insgesamt noch fünf Mal – hoffentlich bei schönerem Wetter. Denn Opernfreunde sollten diese Vorstellung nicht versäumen.

Der große Opernschöpfer selbst war zu späteren Lebzeiten über das etwas abstruse Libretto seines Werks zwar nicht mehr allzu glücklich. Doch: In der Charakterisierungskunst der vier Rollen, Dramatik, Instrumentierung und musikalischer Kraft und Intensität ist dieses Frühwerk -wie man durch die jetzige Umsetzung überprüfen kann – bereits bester Puccini, der sich fünf Jahre nach der wenig ersten erfolgreichen “Edgar”-Vorstellungsreihe in Mailand mit “Manon Lescaut” erst an die Spitze der italienischen Opernkomponisten katapultierte. .

 

Erst in jüngerer Zeit nahm man sich – zu Recht – wieder des Werkes an, auf einer CD sogar mit Plácido Domingo als Sänger des Edgar, der titelgebenden Tenorrolle. Damit braucht die Wiener Aufführung mit exzellenten jungen Sängern und dem tollen Orchester der Opernwerkstatt Wien unter Tiziano Duca (diesmal zu einer Hälfte wieder mit slowakischen Profi-Musikern, zur anderen, bis in erste Bläserpositionen hinein, mit dem allsommerlichen Unternehmen bereits teils seit Jahren verbundenen Musikern aus der Wiener Liebhaberszene, zu gutem Teil auch Mitgliedern der aus Amateuren und Studenten zusammengesetzten Konzertvereinigung, die drei Mal pro Jahr unter Ducas Leitung Konzerte, darunter auch Opernaufführungen, im Konzerhaus gestaltet), den Vergleich nicht zu scheuen. Im Gegenteil. Und die hervorragende Akustik im Carl-Szokoll-Hof ermöglicht und fordert sowohl nuanciertes als auch engagiertes Spielen und Musizieren, ist aber auch sängerfreundlich.

 

Trotz Abbruchs durch Regen, Wind und Kälte trotzte man, solange es nur ging, geradezu heroisch den Wetterunbillen (besonders für das kostbare Holz von Streichinstrumenten sind einsetzende Regentropfen ja besonders bedrohlich). Auch das zahlreich erschienene Publikum gelobte beim erzwungenen Abzug sich bei nächster Gelegenheit die spannende Oper noch einmal bis zum Ende anhören zu wollen. Bei 20 Grad Celsius Nachttemperatur, Sternenblinken usw. würde das ganz bestimmt noch eindrucksvoller zu erleben sein, als es am ersten Abend unter ungünstigsten Bedingungen schon war.

 

Anschauen kann man es sich auch: Regie führte der finnische Regisseur Juha Hemánus auf der Freilichtbühne von Antti Mattila, die teils auch geschickt durch die Mauern und Bauweise des Carl Sokoll-Hofs der Kaserne inspiriert ist, durchaus stimmig. Die  Sänger, die beiden Soprane Angela Rotondo (Fidelia) und Anna Ryan (Tigrana, die am Ende die andere erdolchen muss), Tenor Enrique Ambrosio als liebender, dann verwegener, schließlich reumütiger  Edgar und Bariton  Michele Kalmandi als Frank, sein Konkurrent um Frauengunst, auch Bassist Apostol Milenkov (von Puccini mit einer gar nicht üppigen Partie versehen) bestachen mit sehr guten, durchschlagskräftigen, jungen Stimmen und schauspielerisch überaus rollengerecht (Ryan als Tigrana hat einen zum Morgengebet schreitenden Chor geradezu blasphemisch zu brüskieren) . Sogar noch mehr darbieten  kann bei vollständiger Aufführung dann auch der neben dem regulären, ebenfalls aus der Slowakei kommenden Chor auch der Jugendchor – bestehend teils aus angehenden zukünftigen Mitgliedern aus Familien mitwirkender Musiker, die sich beim nächsten Mal gerne auch im 3. Akt schauspielererisch in Szene setzen möchten.

 

Den Ehrenschutz übernahm diesmal der Enthusiast für gute Musik, Bundespräsident Dr. Heinz Fischer, der mit seiner Frau dann allerdings nach der kundigen und witzigen Werkeinführung durch Tiziano Duca und dem Musikjournalisten bester alter Schule Clemens Höslinger, den Schauplatz noch vor der Aufführung wegen des unabsehbaren Regens aber doch vorzeitig verließ. Mit dem Hinweis, er komme gerne noch ein anderes Mal. In seinem Grußwort vergaß er nicht, Major Carl Szokoll als Namensgeber dieses Hofes in seiner Rolle als Menschen mit Gewissen, der während der NS-Zeit als Kämpfer für die Wiedereinsetzung von Freiheit und Demokratie eingetreten ist, zu würdigen. Dass das Verteidigungsministerium die Roßauer Kaserne nunmehr zum dritten Jahr für die Opernaufführungen der “Opernwerkstatt” öffentlich zugänglich machte und diese großzügig durch Ordner, diesmal auch durch ausgegebene Decken fürs Publikum, und vieles andere Entgegenkommen unterstützt, gereicht ihm durchaus zur Ehre.

 

Sehr wohlwollend auch ein stolz im Programmheft der “Opernwerkstatt” original wiedergegebenes Grußwort von Staatsoperndirektor Ioan Holender, der mit Ressentiments gegen Spektakel bei Publikums-“Events” wie Mörbisch oder St. Margarethen bekanntlich nie  vom Zaum hielt. Die “Attila”-Aufführung der Opernwerkstatt vor zwei Jahren hingegen lobte er bereits damals für ihre Ehrlichkeit und Ungeschminkthei. Im dem handschriftlich selbst geschriebenen und zugeschickten Fax im Vorfeld der “Edgar”-Produktion steht: “Wie erfreulich, wie klug und richtig, daß endlich nicht immer die gleichen allseits bekannten Opernwerke gespielt werden. Jeder, der Tosca oder Bohème gerne hört, sollte unbedingt auch Puccinis Edgar kennenlernen! Es lohnt sich und in der wunderbaren Akustik der Roßauer Kaserne ist es ein besonderes Ereignis.”

 

Dieser Feststellung zumindest darf sich das mica – music austria vollen Herzens anschließen und der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass die “Opernwerkstatt Wien” mit Tiziano Duca und vielen wie er oft weitgehend unentgeltlich mitarbeitenden und/oder mitwirkenden Leuten dieser freien, unerschrockenen Gruppe von Enthusiasten für Musik und Oper nicht Jahr für Jahr mangels mancher ersehnten öffentlichen Unterstützung bei der Finanzierung  darum bangen muss, ob es im nächsten Jahr und beim nächsten Projekt doch noch einmal weitergehen kann.
Heinz Rögl

 

Opernwerkstatt Wien

G. Puccini
Edgar
Dramma lirico in tre atti

Roßauer Kaserne, Carl-Szokoll-Hof – Wien
Premiere 14.,
16., 18., 20., 22., 14. Juli 2008
Beginn. 21.00 Uhr

Dirigent: Tiziano Duca
Regie: Juha Hemanus
Bühnenbild: Antti Mattila

Mit Enrique Ambrosio, Angela Rotondo, Anna Ryan,   Michele Kalmandi, Apostol Milenkov
Orchester, Chor und Jugendchor der Opernwerkstatt Wien

Fotos © HBF/Harald Minich