mica-Interview mit Stefanie Schurich (co legno)

mica-Interview mit Stefanie Schurich (co legno). Ob Bernhard Langs “I Hate Mozart” oder Franui, col legno ist in punkto Produktion und Perspektive derzeit wohl das österreichische Label im Bereich zeitgenössischer Musik. Soeben hat man in Lucca (Toskana) ein viertägiges Festival programmiert. Mit zwei CDs – darunter Wolfgang Mitterer zusammen mit Burgschauspielerin Birgit Minichmayr – will man nun auch das Pop-Segment erobern. Zeit für ein Gespräch mit Geschäftsführerin Stefanie Schurich. Die Freiheit, Kunst zu machen

Col legno hat eine interessante Entstehungsgeschichte…
Auf jeden Fall. “Col legno” heißt auf Deutsch “mit der Holzseite des Bogens und deutet ein bisschen die angestrebte Verfremdung der Musik an. col legno soll anders klingen als in den eingefahrenen Schienen. Das Label selbst gibt es schon 25 Jahre, es wurde in Deutschland von einem Deutschen namens Kurt Weinmann gegründet. Vor eineinhalb Jahren kam es nach Österreich. Christian Köck, bekannt aus Politik und als Eigentümer des gleichnamigen Elektrohandels-Imperiums, erfuhr über einen Komponistenfreund vom Label und kaufte es. Unsere neuen künstlerischen Leiter, Andreas Schett und Christof Kuhn sowie ich als Geschäftsführerin wurden an Bord geholt, ein schlagkräftiges Team wurde formiert. Gemeinsam haben wir das Label schließlich nach Salzburg gebracht.

Wieso Salzburg und nicht Wien? Wien läge doch, was Neue Musik anbelangt, näher?
Wir sind auch in Wien vertreten, haben dort eine Zweigstelle. Als operativen Hauptsitz haben wir uns für dieses Büro hier in Salzburg entschieden, weil wir der Ansicht sind, dass Salzburg in der Klassik mindestens so gut wie Wien ist, weil es international einfach einen so klingenden Namen hat. Wenn man Salzburg in den Mund nimmt, verbinden alle Leute, egal ob aus Amerika, Japan oder Europa, klassische Musik damit.

Wie viele Mitarbeiter beschäftigt col legno?
Wir sind hier zu dritt, manchmal zu viert. In der Außenstelle in Wien sitzen zwei weitere Mitarbeiter, die redaktionell für uns arbeiten.

Redaktionell?
Ja, sie helfen uns Texte für Kataloge und Newsletter zu schreiben.

Musikalisch ist man bei col legno auf zeitgenössische Musik spezialisiert?
Das ist der alte Schwerpunkt. Das Label kommt ursprünglich aus der Hardcore-Ecke der zeitgenössischen Musik. Sehr intellektuell und schwer hörbar. Das Label hat sehr viel aus dem Zeitfluss-Festival raus gebracht, Konzerte von Markus Hinterhäuser vertont. John Cage etwa. Mittlerweile beschreiten wir aber auch andere Wege.

Labels haben es derzeit nicht so leicht. Sind sie auch direkt betroffen von diesen Umsatzrückgängen oder schlägt sich die Rezession in dieser Art von Musik nicht so stark nieder wie im Pop?
Wir können stolz sagen, dass wir in der Zeit, seit unser Team das Label übernommen hat, den Umsatz um 27% steigern konnten. Und das bei einem Gesamteinbruch von 45% im klassischen Musikmarkt.

Und wie schafft man es, in einem insgesamt rückläufigen Markt zu wachsen?
Indem man Spitzenproduktion herausbringt, die spannend sind. Wir legen auch immer sehr viel Wert auf die Graphik. Unsere Grafiker haben unglaublich lange an der Haptik und am Papiermaterial getüftelt. Wir glauben auch ganz fest dran, dass es ebenso, wie es das Buch weiter geben wird, auch die CD in ihrer Praktikabilität die physische Form der Musik bleiben wird.

Ich gehe jetzt einfach davon aus, dass es die Art von Musik, wie sie col legno repräsentiert, nicht unbedingt im Mediamarkt um die Ecke geben wird. Wo ist man vertreten und wo will man hin?
Col legno-CDs findet man im sortierten Einzelhandel. Für uns ist aber auch der Buchhandel interessant und wir streben an, stärker im Lifestyle-Bereich, wo schönes Interieur und Blumen verkauft werden, repräsentiert zu sein. In Salzburg zum Beispiel in der Buchhandlung Doll, im Magazin-Shop oder im Museum der Moderne. Das sind kleine Anfänge, die wir allmählich ausweiten wollen.

Und diese Anfänge funktionieren?
Bei Blumen Doll etwa funktioniert das super. Wenn wir in allen Städten der Welt Dolls hätten, bei denen wir unsere Produkte vertreiben können, wäre das unglaublich.

Ist für diesen Erfolg nicht auch der Wandel der CD vom Kulturgut hin zum Geschenkartikel verantwortlich, indem man aus einem Impuls heraus zum Strauß Blumen noch eine hochwertige CD dazu kauft? Als Geschenk eignen sich die col legno-CDs doch auch besonders gut, weil sich deren Äußeres von jenem herkömmlicher CDs abhebt.
Ohne Zweifel. Col legno-CDs werden besonders gerne verschenkt. Das Äußere soll auch den Sammlertrieb anregen. Für jede Veröffentlichung wird ein eigenes Farbkonzept entwickelt, das zu Künstler und Inhalt passt. Soeben haben wir, indem wir unsere ersten beiden Pop-CDs herausgebracht haben, einen völlig neuen Zweig eröffnet. Soundliberation etwa ist eine Formation, deren Protagonisten den Hip Hop in New York erlebt haben, gleichzeitig aber über klassische Ausbildung verfügen. Viele von ihnen sind jüdischer Herkunft, wodurch sie zusätzlich auch noch den Klezmer im Blut haben. Das alles ergibt eine äußerst explosive Mischung. Für uns barg die Veröffentlichung auch die Idee in sich, Grenzen zu sprengen und verschiedene Stile miteinander in Einklang zu bringen. Daher ist sie vielleicht die CD, die unser Gesamtprogramm, unsere Gesamtausrichtung am besten widerspiegelt. Bei uns stehen Beethoven-Symphonien gleichberechtigt neben dieser oder unserem neusten Projekt Sopop von Birgit Minichmayr und Wolfgang Mitterer.

 

 

Geht das auch in Richtung Pop?
Ja. Wolfgang Mitterer hat sich über zwei Jahre lang mit Pop und den ihm eigenen Strukturen beschäftigt. Mitterer ist überhaupt kein Pop-Komponist, sondern kommt aus der zeitgenössischen Musik, hat sich aber in seiner bisherigen Laufbahn sehr intensiv mit Electronica auseinader gesetzt. Nachdem er eng mit Andreas Schett, einem unserer künstlerischen Leiter, befreundet ist, haben wir ihn gebeten, sich mit Pop zu beschäftigen. Daraufhin hat er zwei Jahre lang herumgetüftelt und sich in einem sehr vielschichtigen Prozess der Materie Pop angenähert. Dass er sich
Birgt Minichmayr als starke Frau und Sängerin dazu geholt hat, war ein wahrer Glücksgriff.

Von Beethoven über Nono bis hin zu Mtterer und Soundliberation. Das col legno-Programm ist doch recht breit. Auf wie viele Veröffentlichungen pro Jahr bringt es das Label denn so im Durchschnitt?
Das sind jährlich so um die 25 Stück.

Eine ganze Menge. Wie schafft man es, die Alben alle zu promoten. Macht man das alles selbst oder lagert man aus?
Wir sind weltweit mit zwölf verschiedenen Vertrieben vertreten. Was die Pressearbeit anlangt, hat mein Vorgänger überhaupt nichts selbst gemacht, wohingegen wir ziemlich viel selbst machen. Soeben haben wir Bernhard Lang “I hate Mozart” raus gebracht. Im Zuge dessen habe ich mir die Liste der Medienvertreter, die wir bestücken, angeschaut. Das ist schon ziemlich beeindruckend. Für “I Hate Mozart” haben wir in Wien auch eine Release-Party veranstaltet. Für Sopop von Mitterer/Minichmayr sind wir gerade am überlegen, wo wir feiern.

Da würde sich das Vestibül im Burgtheater oder die Rote Bar in der Volksoper anbieten. Womit wir beim Thema wären: Promotion kostet Geld und wohl nicht alle Produktionen sind gewinnbringend. Wie finanziert sich das Label?
Wir glauben fest daran, dass wir mit der Auswahl, die wir treffen, einen Hit landen. Oft genug auch haben wir schon Überraschungserfolge landen können: Franui etwa, die mit Sven Eric Bechtold gemeinsam auftreten. Da mussten wir schon das zweite Mal eine Nachpressung veranlassen. 6.000 verkaufte Stück sind in diesem Bereich schon ziemlich viel, das ist schon sehr in Ordnung.

Aber es gibt dann doch sicher auch Platten, von denen man nur hundert Stück verkauft.
Die gibt es natürlich auch, die gab es aber vor allem in der Vergangenheit. Jetzt bei uns eigentlich weniger. Aber insgesamt verfolgen wir ein Mischkonzept: Das heißt, es gibt auch einige Projekte, die will man machen, weil sie für den Künstler enorm wichtig sind und man an den Künstler glaubt, ihn fördern will. In einem solchen Fall trachten wir danach, Förderungen zu bekommen. Für Koglmanns Haydn-Projekt etwa haben wir eine Bank als Sponsor gewonnen.

Gab es auch schon Förderzusagen seitens des Musikfonds?
Ja. Letztes Jahr hatten wir eine Produktion dabei. Auch der SKE-Fonds unterstützt uns immer wieder. Die Musik ist jedenfalls förderungswürdig. Ab und an kann man für das eine oder andere Projekt Sponsoren gewinnen und dann gibt es also noch die Hoffung, dass vielleicht einmal ein Hit dabei ist. Eine weitere Einnahmemöglichkeit sind spezielle Firmeneditionen. Dadurch, dass wir ein sehr breites Rechterepertoire halten und großes künstlerisches Know How bei uns im Haus haben, bietet sich diese Variante geradezu an.

Heißt das, eine spezielle Mix-CD mit Colegno-Repertoire wird für eine spezielle Firma mit einem speziellen Design entwickelt?
Genau. Letztes Jahr haben wir eine Produktion für eine Burn Out-Klinik im Ausseerland gemacht. Die wurde dann an Ärzte, Unternehmen udgl. mehr verschickt. Das ist ein stark ausbaufähiger Bereich, weil die CD ein ideales Giveaway darstellt. Da steckt noch einiges Potential drin.

Aber über die Runden zu kommen ist trotzdem schwierig?
Wir können das alles nur umsetzen, weil wir im Hintergrund starke Partner haben, die diesen Relaunch finanzieren. Derzeit wirtschaften wir noch lange nicht kostendeckend.

Darf man da sagen, wer diese Partner sind?
Christian Köck ist einer davon. Seinem Vater gehörte die Elektro Köck-Linie. Hans Peter Haselsteiner ist ein weiterer Financier. Dann wäre da noch Willi Cernko von der Austria Creditanstalt, der uns sehr gewogen ist. In zwei drei Jahren soll sich das Label dann selbst tragen, so unser Plan. Das Schöne daran ist, dass niemand, auch niemand von den Leuten, die in das Projekt investiert haben, damit rechnet, dass wir jetzt das große Geld machen. Wir haben daher die Freiheit, Kunst zu machen.

Aber wenn man geschickt wirtschaftet, kann es sich doch auch tragen. Gerade durch die Festspiele sollten sich doch auch Synergien ergeben.
Unbedingt. Die Nutzung von Synergien und der Ausbau von Netzwerken zwischen Kultur und Wirtschaft haben oberste Priorität.

 

 

Können Sie etwas über die aktuellen Veröffentlichungspläne erzählen?
Gern. Im ersten Halbjahr 2008 haben wir Bernhard Langs “I Hate Mozart”, Lohengrin und Engel der Geschichte veröffentlicht. Jetzt haben wir Beethovens Missa Solemnis und Soler in Bearbeitung sowie die beiden eher ungewöhnlichen Pop-Projekte Sopop und Soundliberation, die wir bereits besprochen haben.

In den Pop-Markt einzudringen, stelle ich mir nicht so leicht vor, insbesondere, wenn man aus dem zeitgenössischen Bereich kommt.
Für uns ist das ein Testlauf. Wir glauben an beide Künstler und auch an beide Projekte und sind überzeugt davon, dass sich damit etwas erreichen lässt. Nehmen Sie Franui als Beispiel: Unser Vertriebspartner hat sich zunächst gar nicht stark dafür eingesetzt, und dann wurde es plötzlich zum Überraschungserfolg. Ich glaube fest daran, dass sich Qualität durchsetzt, auch wenn nicht die riesige Marketingmaschinerie dahinter steht. Nehmen Sie Sopop, die Mitterer Minichmayr-Geschichte: Wenn ein paar Trendsetter von fm4 die weiter empfehlen, könnte sich das Projekt innerhalb einer gewissen Community schon durchsetzen.

Haben sie eigentlich unterschiedliche Vertriebe, mit denen Sie zusammen arbeiten?
In den USA Allegro, in Japan nimmt uns jetzt der größte dort existierende Vertrieb ins Programm. In Österreich macht das Harmonia Mundi mit Harald Tautscher, der col legno jetzt schon in einem Atemzug mit ECM nennt, die ein großes Vorbild für uns sind, was Inhalt und Design betrifft.

Harald Tautscher versucht, wie er mir neulich in einem Gespräch verriet, ständig neue Verkaufsplätze zu finden. Von der Vinothek bis hin zur Buchhandlung ist er umtriebig, da die klassischen Märkte größtenteils abhanden kamen. Da dürfte er auf der gänzlich gleichen Wellenlänge wie Sie funken.
Wir harmonieren prächtig. Ein immer breiterer Posten geht auch über die Webshops weg. Das machen wir auch über Harmonia Mundi.

Und Downloads?
Kommen demnächst. Damit haben wir gerade erst angefangen.

Ist das col legno-Repertoire überhaupt eine Musik, die sich über Download verkaufen lässt?
Angeblich gibt es in der Klassik die höchste Zuwachsrate an Downloads überhaupt. Das würde man so erst einmal nicht vermuten, weil man Klassik und Zeitgenössische Musik immer mit einer gewissen Altersklasse in Verbindung bringt.

Und mit audiophilen Neigungen, die der qualitativ doch ein wenig minderwertigere Download nicht so optimal unterstützt.
Deshalb verfolgen wir auch die Idee, ein High End-Portal zu errichten, das Downloads bis hin zur Masterqualität anbieten wird. Das ist ja nur eine Frage der Geschwindigkeit in der Datenübertragung. An sich werden unsere Daten fürs Presswerk auf den Server gestellt. Da lässt sich ansetzen.

Tragen Sie sich auch mit Expansionsgedanken?
Schon, das ist durchaus vorstellbar. Wir befinden uns bereits in einem größeren Verbund mit den Tiroler Festspielen, die col legno als Marketing-Partner begreifen. Die Events, die wir organisieren und nutzen, werden ständig mehr. Und eben sind wir auch in den Lifestyle Bereich eingestiegen.

Welcher Art?
Ein Wiener Freund von mir hat eine italienische Desgin-Linie nach Österreich geholt. Bei der feierlichen Eröffnung des Showrooms hat Franz Hackl, der wiederum bei der erwähnten Soundliberation spielt, ein Konzert gegeben, das wirklich ganz toll angekommen ist. Aber wir erfahren auch sonst wirklich tolle Unterstützung von Ö1 und anderen Partnern. Für die Zeit, in der wir das machen, ist es toll, wie viel Beachtung wir bereits auf uns lenken konnten. Bei Preiser Records sagte man neulich, wir seien der heiße Tipp, wenn wir es nur durchstehen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Markus Deisenberger.

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Col Legno