Lost & Found – New Sounds from Slovakia

Ein längst fälliges kräftiges Zeichen setzte das Festival Lost & Found – New Sounds from Slovakia im Juni im Porgy & Bess: Zehn Konzerte mit slowakischer Musik des 20. und 21. Jahrhunderts brachten einen in dieser Quantität auf engem zeitlichen Raum noch nie da gewesenen Querschnitt durch das Schaffen östlich von Wien.

Musikalische terra incognita Slowakei

Slowakische Musik in Österreich? – Dass es sich dabei um eine vollkommene terra incognita handelt, müsste eigentlich beschämen. Die beiden Hauptstädte liegen rund 60 Kilometer voneinander entfernt. Der gemütliche Kaffeeausflug von Wien nach Bratislava ist seit dem Fall des Eisernen Vorhangs vor einem Vierteljahrhundert und dem unübersehbaren Aufblühen der kleineren Donaumetropole durchaus eine realistische Option geworden. Die Musik der östlichen Nachbarn hat es aber nach wie vor nicht zu anhaltender Verankerung in unseren Konzertsälen gebracht.

Umso mehr wird man belohnt, wenn man sich vor Ort in die vielfältige Szene zwischen Slowakischem Nationaltheater, Slowakischer Philharmonie und den zahllosen kleineren Spielstätten stürzt. Nun wurde es den Wiener Musikfreunden noch einfacher gemacht, indem erstklassige slowakische Interpreten – vor allem der jungen Generation – slowakische Musik von klassisch Instrumentalem über Jazziges und Improvisiertes bis zur Elektronik vorstellten. Besonders erfreulich: Es gab keinen Hauch von ästhetisch einseitiger Ausrichtung, sondern eine eindrucksvolle Gesamtschau, somit für jeden Interessenten sicher etwas ihn besonders Ansprechendes und viel zu Entdeckendes.

Kooperation von Hüben mit Drüben

Ausgerichtet und finanziert wurde Lost & Found – New Sounds from Slovakia von den Hauptpartnern Hudobné Centrum Slovakia (Slowakisches Musikzentrum) und dem die Räumlichkeiten zur Verfügung stellenden Porgy & Bess im Rahmen des Europäischen Projekts Minstrel, mit dem auch mica – music austria als Partner verbunden ist. mica-Geschäftsführerin Sabine Reiter war neben Renald Deppe (Porgy & Bess), Oľga Smetanová (Hudobné Centrum Slovakia), Alena Heribanová (Slowakisches Institut Wien), Wolfgang Schlag (Into The City/Wiener Festwochen) und Matthias Naske (Konzerthaus Wien) Teilnehmerin der Eröffnungsdiskussion am 2. Juni, deren Titel „Tun Sie etwas! (XXIX)“ sich auf die vor drei Jahren gehaltene, aufrüttelnde Rede des ungarischen Dirigenten Iván Fischer zum Jahrestag der Reichspogromnacht bezog.

Die nachfolgenden zehn Konzerte folgten keinem spezifischen eng aufeinander abgestimmten dramaturgischen Konzept, sodass man beliebig seine eigene Auswahl aus dem Angebot treffen konnte. Mit einer besonderen artistischen Leistung machte der Geiger und Bratschist Milan Paľa den klingenden Auftakt an gleich drei aufeinanderfolgenden Abenden. Einem Violine-solo-Recital mit u. a. Werken von Matej Haász, Marián Levaja, Jevgenij Iršai und Henrik Strindberg folgte ein Viola-Konzert mit Solo-Piècen u. a. von Iris Szeghy, Adrián Demoč, Vladimír Godár und erneut Marián Levaja.

Werke von Komponisten aus anderen Ländern rundeten die Programme. Am dritten Abend schließlich erschien Paľa als Mitglied des von Ivan Buffa geleiteten Quasars Ensembles und brillierte bei der Aufführung von Buffas eigenem Streichquartett (2001–2006), dem Lieder und Kammermusik von Alexander Albrecht, Alexander Moyzes und Ilja Zelenka vorangegangen waren. 2008 gegründet, stellt das Quasars Ensemble heute eine der wichtigsten slowakischen Formationen für Musik des 20. und 21. Jahrhunderts dar, wobei sich sehr angenehm ausnimmt, dass sowohl die internationale gleichermaßen wie die eigene Musik gepflegt wird und keinerlei Berührungsängste in Richtung Traditionsgebundenheit einerseits oder experimentellen Strömungen andererseits bestehen.

Prädikat: künstlerisch wertvoll  

Dieselbe hohe künstlerische Qualität wie das Quasars Ensemble bietet auch das Melos Ethos Ensemble, 2005 gegründetes Residenzensemble des gleichnamigen, alle zwei Jahre vom Slowakischen Musikzentrum veranstalteten Festivals zeitgenössischer Musik. Unter der Leitung von Chungki Min stellte man Werke von Alexej Shmurak, Viliam Gräffinger, Andrej Slezák und der im Vorjahr im Rahmen der IGNM-Weltmusiktage mit ihrer „Dorian Gray“-Oper reüssierenden Ľubica Čekovská vor. Kontrabassist Anton Jaro brillierte mit seiner „Vaňhal Cadenza“.

Weitere slowakische Gäste in Wien: Geigen-Jungstar Dalibor Karvay und Daniel Buranovský (Klavier) mit Werken des wohl international herausragendsten slowakischen Komponisten Eugen Suchoň, von Ladislav Burlas, Miro Bázlik, Hanuš Domanský und Jevgeni Iršai sowie schließlich Ravels virtuoser „Tzigane“, die zwar nicht auf authentische Musik der Sinti und Roma Bezug nimmt, aber doch eine für einen nicht wirklich politisieren sollenden und wollenden Konzertabend intelligente Assoziation zu der in der Slowakei noch weit mehr als in Österreich relevanten Thematik rund um die soziale Situation dieser Volksgruppen darstellte.

Akkordeonist Boris Lenko gab ein Soloprogramm, das neben Eigenkompositionen u. a. mit Stücken von Peter Machajdík, Peter Zagar, Jevgenij Iršai und Ladislav Kupkovič ein heute zu Recht wieder gängiges Konzertinstrument in den Mittelpunkt stellte.

Jazz, Improvisation und Intergalaktisches

IJEO – Intergalactic Joystick Evergreen Orchestra präsentierte dessen Mitglieder Martin Burlas, Richard Sabo, Lenka Novosedlíkova, Marián Zvarský und Matúš Wiedermann unter der Leitung von Robert Rudolf als Interpreten wie (mit Ausnahme von Novosedlíkova) als Komponisten.
Ein Jazz-Abend durfte im Porgy nicht fehlen, wobei hier die slowakisch-österreichische Freundschaft auch praktisch gepflegt wurde, indem sich der Österreicher Phillip Kienberger (Bass) mit den Slowaken Ľuboš Šrámek (Klavier), Radovan Tariška (Saxophon) und Dávid Hodek (Perkussion) zu einer virtuosen Session traf.

Der in Österreich bereits vielfach als klassischer wie auch als Jazz-Pianist in Erscheinung getretene Miki Skuta brach einerseits in einem Soloabend eine Lanze für Kompositionen von Peter Kolman, Ľubica Čekovská, Mirko Krajči, Marek Piaček und Juraj Beneš, am 30. Juni beschloss er dann gemeinsam mit seinem langjährigen Duo-Partner Marek Piaček (Flöte) mit dem Improvisationsprojekt „Darmstadt Acoustic Breakcore“ das Festival.

Für den reibungslosen, perfekten Ablauf der Veranstaltungen und die umsichtige Betreuung aller Teilnehmenden sorgte Magdalena Tschmuck.

Christian Heindl

Foto 1: Quasars Ensemble, Fotocredit: Pavel Kastl
Foto 2: Milan Pala, Fotocredit: Julian Veverica
Foto 3: Melos Ethos Ensemble, Fotocredit: Peter Brenkus
Foto 4: Boris Lenko, Fotocredit: Pavel Kastl
Foto 5: Skuta&Piacek, Fotocredit: Skuta&Piacek

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