Seit mittlerweile 40 Jahren hat sich der Gitarrist, Komponist, Arrangeur, Bandleader und Sänger Harri Stojka beruflich voll und ganz der Musik verschrieben. Mit Erfolg, denn heute zählt er zweifelsfrei zu den besten und meistbeachtetsten Jazzmusikern Österreichs. Im mica-Interview mit Michael Masen spricht er über die gerade zu Ende gegangene Indien-Tournee, seinen Gypsy Swing und diesbezügliche Zukunftspläne.
Du bist eben erst von einer fünfwöchigen Indien-Konzertreise zurück gekehrt. Warst du zum ersten Mal in Indien?
Harri Stojka: Nein, das war bereits mein zweiter Indien-Besuch. Wir waren auch nicht die ganzen fünf Wochen auf Konzertreise, sondern nur drei. Die anderen beiden Wochen haben wir in Radschastan einen Film gedreht: „Harri Stojka – Back To The Roots“. Dieser Film kommt im September in die Kinos.
Dieses Filmprojekt war also schon länger geplant?
Harri Stojka: Ja, das ist jetzt seit einem dreiviertel Jahr in Arbeit. Die Vorarbeit dazu hat auch irrsinnig lange gedauert, aber nach tausenden Diskussionen haben wir es letztendlich doch hinter uns gebracht.
Wie waren die Reaktionen der Inder auf deine Musik?
Harri Stojka: Wir haben beispielsweise in Chi Long gespielt und die Leute dort haben von Gypsy Swing wirklich gar keine Ahnung gehabt, haben nicht gewusst, was das überhaupt sein soll und was das bedeutet. Die haben dort ja eine ganz andere Musik, die mehr in Richtung Volksmusik und Pop geht; viele Crossover-Sachen. Mit dem Namen Django Reinhardt kann man dort jedenfalls überhaupt nichts anfangen. Trotzdem hat man uns mit Standing Ovations bedacht, weil unsere Musik einfach zu Herzen geht.
Es war aber auch unglaublich, zu sehen, welch Reichtum und welch Elend in Indien nur einen Quadratmillimeter voneinander entfernt existieren. So etwas bekommt man mit, wenn man sich auch abseits der Städte und Touristenzentren bewegt. Bei meiner ersten Indienreise konnte ich so was ja gar nicht erleben, weil wir ständig von Securities abgeschirmt wurden. Diesmal konnten wir aber mehr die Augen aufmachen und das was man da zu sehen bekommt, ist wirklich ein großer Kulturschock.
Haben diese Eindrücke auch im Film Platz gefunden?
Harri Stojka: Nein, darin geht es nur um die Musik. Ich bin aber jedenfalls froh, hier in Europa zu leben, wo es diese unvorstellbar großen Unterschiede zwischen Arm und Reich nicht gibt.
Hat es auch Kollaborationen mit einheimischen indischen Künstlern gegeben?
Harri Stojka: Ja, eben für den Film. Wir sind in viele Gypsy-Dörfer gekommen, wo wir wirkliche Virtuosen kennen gelernt haben. Die spielen Instrumente, die habe ich bis dahin noch niemals gesehen oder gehört. Mit diesen Leuten gab es Kollaborationen, die auch mitgefilmt wurden. Wir holen vier bis fünf dieser Musiker außerdem jetzt auch für eine Art Abschlusskonzert zum Film nach Wien, sozusagen als Endpunkt.
Für die ist es dann ja wahrscheinlich das erste Mal, dass sie außerhalb Indiens auftreten.
Harri Stojka: Die meisten davon sind noch nicht aus Indien raus gekommen. Aber einer dieser Musiker geht regelmäßig auf Europatournee.
Gehen wir von dieser Tour ein Stück weit in die Vergangenheit zurück. Kannst du ein wenig über deine musikalischen Anfänge erzählen?
Harri Stojka: Ich bin durch meinen Vater sehr gepusht worden, Musik zu machen. Er hat gemerkt, dass ich seit meinem sechsten Lebensjahr eine sehr starke Affinität zu Saiteninstrumenten entwickelt habe, woraufhin er mir vom Jahrmarkt so eine kleine Plastikgitarre mitgebracht hat. Darauf habe ich immer begeistert herum gezupft und in Folge hat er mir sukzessive immer größere Gitarren gekauft, je älter ich geworden bin. Er war es auch, der immer wieder gesagt hat, „üben, üben üben – bis die Finger rauchen“. Mein Vater hat mich also immer sehr gefördert. Überhaupt bin ich in einem sehr musikalischen Umfeld aufgewachsen. Meine beiden älteren Schwestern haben schon immer die Popmusik der damaligen Zeit gehört, Beatles, Rolling Stones, usw. und davon wurde ich natürlich ebenfalls beeinflusst.
Hattest du auch Gitarrenunterricht im klassischen Sinn oder hast du dir alles selbst beigebracht?
Harri Stojka: Bis in die Siebziger hinein habe ich rein autodidaktisch Musik gemacht. Später bin ich aber in die Band Gypsy Love meines Cousins Karl Ratzer eingestiegen und im Vorfeld dazu habe ich ein Jahr lang Unterricht bekommen.
Hat dir das viel gebracht?
Harri Stojka: Ja, sicher. Es hat mir eine Basis, ein Fundament gegeben, auf dem ich aufbauen habe können. Er hat mir sehr viele Sachen gezeigt, von denen ich bis dahin überhaupt keine Ahnung hatte. Zum Beispiel, wie man mit dem Plektrum spielt oder wie man auch den kleinen Finger verwenden soll, so dass man das ganze Griffbrett ausspielen kann. Das habe ich alles bei Karl Ratzer gelernt.
Ab wann hast du gewusst, dass du mal vom Musikmachen leben willst, bzw. dass das tatsächlich möglich ist für dich?
Harri Stojka: Diese Frage hat sich für mich überhaupt nie gestellt. Ich wollte niemals etwas anderes machen als Musik. Mein Papa wollte eine Zeit lang, dass ich auch Teppichhändler werde, hat dann aber schnell gemerkt, dass ich dafür überhaupt kein Talent hatte. Es hat also nur den einen Weg gegeben, dass ich eines Tags von der Musik leben muss.
Wie lange komponierst du schon eigene Stücke?
Harri Stojka: Ich habe mein erstes Lied angeblich mit sechs Jahren geschrieben. Angeblich, als ich zum ersten Mal die Gitarre in der Hand hatte. So hat mir das zumindest meine Schwester erzählt. Ich selbst kann mich daran aber nicht mehr erinnern.
Wie kann man sich heute deine Herangehensweise an eine Komposition vorstellen?
Harri Stojka: Das kommt darauf an, ob ich einen Auftragsjob habe, oder einfach so vor mich hin komponiere. Wenn ich einen Auftragsjob habe, ich also ein Lied komponieren muss, beispielsweise für einen Film, dann muss ich mich hinsetzen, mir den Film anschauen, lasse das auf mich wirken und versuche dann, die gewonnenen Eindrücke in Musik umzusetzen.
Wenn ich für meine eigenen Platten Lieder schreibe, so kommen diese einfach aus der Luft und fliegen mir zu. Manchmal fällt mir eine Melodie beim Spazierengehen ein und ich pfeife sie dann so lange, bis ich wieder zu Hause bin und sie aufschreiben und ausarbeiten kann.
Sind die für Auftragskompositionen notwendigen Deadlines in kreativer Hinsicht ein Problem für dich?
Harri Stojka: Nein, ganz im Gegenteil. Ich arbeite am besten, wenn ich Druck habe. Wenn nichts zu tun ist, bin ich eigentlich ein fauler Mensch. Da setze ich mich hin, übe meine vier bis fünf Stunden runter und habe mit Musik ansonsten nichts mehr zu tun. Wenn ich hingegen Druck habe, beschäftige ich mich den ganzen Tag lang mit Musik. Komischerweise fliegen mir aber genau dann die Ideen zu. Gott sei Dank. Fürs Geschäft wäre das ja überhaupt nicht gut, wenn ich einen Auftrag habe und mir dazu nichts einfällt.
Setzt du dir für deine eigenen Sachen also auch Deadlines?
Harri Stojka: Nein. Mit Gypsy Swing spielen wir ja eh die Jazzstandards, die eigentlich jede Gypsy Swing-Band im Repertoire hat. Da geht es ja nur um die eigene Interpretation. Aber nebenbei komponiere ich natürlich auch Musik und bin jetzt bestrebt, für meine Gypsy Swing-Band ein Programm zu machen, das ausschließlich aus Eigenkompositionen besteht. Dafür lasse ich mir aber Zeit und mache mir keinen Druck.
Die aktuellste CD mit deiner Beteiligung ist eine Kollaboration mit Mosa Sisic. Wie ist es zu dieser Zusammenarbeit gekommen?
Harri Stojka: Es war so, dass Mosa mich eines Tages angerufen und gemeint hat, ich solle mal bei ihm in seiner Band als Gast mitspielen. Das habe ich dann gemacht und es hat mir wirklich sehr getaugt. Ich interessiere mich ja auch für Balkan Musik und so habe ich mich gefragt, wie mein Stil zu seiner Musik passen würde. Dann haben wir uns getroffen, ein paar Mal miteinander geprobt und gemerkt, dass das wirklich wunderbar funktioniert. Ich habe ja auch ein Homestudio, das mir den Druck nimmt, irgendwas aufnehmen zu müssen. Wenn ich aufnehmen will, nehme ich auf, wenn nicht, dann lasse ich es einfach. Aber mit Mosa habe ich nicht lange herumprobieren müssen, weil wir sofort wunderbar harmoniert haben. Diese Zusammenarbeit hat mir gezeigt, dass der Gypsy Swing und die Balkanmusik von der Harmonik her sehr verwandt sind und sich daher meine Soli nahtlos an seine Kompositionen gefügt haben. Das Ergebnis kann man eben jetzt auf dieser fantastischen CD hören.
Von dir sind auf dem Album aber keine Kompositionen zu finden?
Harri Stojka: Nein. Mit meinen Kompositionen wäre das Album ja in eine ganz andere Richtung gegangen. Es war aber geplant, eine Platte mit Balkan-Charakter zu machen.
Probst du mit deiner eigenen Band noch viel für Konzerte?
Harri Stojka: Wir proben überhaupt nicht mehr, weil wir das Programm schon perfekt drauf haben. Wenn dann einmal ein neues Lied hinzu kommt, dann reicht es, wenn wir uns das beim Soundcheck anschauen. Es sind ja durchwegs großartige und aufeinander eingespielte Musiker in der Band. Da läuft das alles wie von selbst.
Ist Gypsy Swing momentan die einzige Band, in der du aktiv bist?
Harri Stojka: Nein. Ich spiele auch noch in der Band Stoika und Stojka, gemeinsam mit Melinda Stoika, die sämtliche Stücke komponiert hat. Das ist wieder ein völlig anderer Stil, nämlich Soul Jazz. Und dann gibt es eben noch das Projekt mit Mosa Sisic. Ein viertes Projekt namens Romamusik aus Europa kommt jetzt aber noch dazu. Hierfür arbeiten wir gerade an einer CD, die aber noch nicht fertig ist.
Was wird man darauf zu hören bekommen?
Harri Stojka: Musik aus dem reichhaltigen Fundus der Romamusik. Wir haben für die CD zehn Lieder aus zehn verschiedenen Ländern ausgewählt.
Kommst du eigentlich noch dazu, andere Musik zu hören, wenn du den ganzen Tag mit deiner eigenen beschäftigt bist?
Harri Stojka: Nein, ich höre mir eigentlich nur noch meine beiden Lieblingsacts an, nämlich die Beatles und Django Reinhardt.
Wird das nicht langweilig?
Harri Stojka: Nein, überhaupt nicht. Deren Werk ist so extrem reichhaltig, dass ich aus den Beatles-Songs aus den Sechzigern immer noch neue Sachen raus höre, die ich damals gar nicht wahrgenommen habe. Diese Musik macht mich einfach frisch und sie klingt, als ob sie erst gestern aufgenommen worden wäre. Bei Django Reinhardt wiederum interessiert mich die vielfältige Gitarristik, die ebenfalls niemals langweilig werden kann.
Stehen nach der langen Indien-Tour demnächst wieder irgendwelche Konzerte an?
Harri Stojka: Ja und zwar im Rahmen des Silk Road Projects. Dabei fährt ein musikalisches Ensemble von London die Seidenstraße entlang bis nach Shanghai und in jedem Land wird ein Lokalmatador eingeladen, zu spielen. Für Österreich ist die Wahl auf mich gefallen. Das letzte Konzert dieses Projekts findet wie gesagt in Shanghai statt und da wird auch Sting mitspielen. Daneben habe ich mir für die nähere Zukunft noch vorgenommen, mit dem Mosa Sisic wieder ein wenig durchzustarten.
Wird für dieses Projekt geprobt oder handhabst du das ebenso wie bei deiner eigenen Band?
Harri Stojka: Nein, da proben wir auch nicht mehr. Wir haben das ganze Programm schon drauf. Bei diesem Projekt bin ich aber nur der Gastgitarrist, die Band gehört zu Mosa.
Würdest du dir mehr solcher Projekte wünschen, bei denen du als Gastmusiker mit einbezogen wirst?
Harri Stojka: Ich habe in letzter Zeit viel übers Internet gemacht. So habe ich beispielsweise für Attwenger ein Solo aufgenommen. Und für ein Streichquartett habe ich letztens auch etwas gemacht. Aber jetzt reicht es mir dann auch schon wieder. Ein Projekt, das es allerdings schon länger gibt, habe ich noch vergessen. Dabei handelt es sich um eine Zusammenarbeit mit Michael Köhlmeier. Er liest Roma-Märchen und wir spielen zwischendurch die dazu passende Musik.
Für eine CD mit Roma-Musik, Garuda Apsa, warst du 2005 auch für den World Music Award nominiert. Ist das für dich eine Art Bestätigung oder ist das einfach etwas, das dich nicht weiter besonders kümmert?
Harri Stojka: Wenn du für Roma-Musik eine Nominierung bekommst, so ist das schon eine Bestätigung. Diese Musik ist ja noch lange nicht salonfähig, so dass du die großen Hallen und Galen spielst. Und wenn man dann trotzdem auf diese Art Anerkennung bekommt, ist das schone eine große Bestätigung. Nämlich dahingehend, dass ich die Tür für diese Art von Musik wieder ein Stück weiter aufgemacht habe. Und irgendwann werden wir, also meine Band und auch viele andere Roma-Musiker, ganz durchstarten und auch die ganz großen Galen spielen.
Siehst du deine Musik selbst als politisch an?
Harri Stojka: Natürlich ist sie politisch. Meine Musik wird von jemandem gemacht, dessen Vater im Konzentrationslager war. Deshalb wird es immer politische Musik sein. Ich werde auch immer wieder zu meiner Geschichte und die meiner Familie befragt. Mein Großvater war glaube ich gleich bei der ersten Vergasungswelle mit dabei. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Musik nicht entpolitisieren.
Ist es schwer, in diesem Kontext überhaupt auch fröhliche Musik zu machen?
Harri Stojka: Natürlich. Aber life goes on. Wir versuchen, unsere Geschichte mit trauriger Musik zu verarbeiten, aber eben auch mit freudiger und lustiger Musik. Und mein Vater war ja, auch nach all dem Horror, den er erlebt hat, ein lebenslustiger Mann, ist in Bars gegangen, hat Whisky getrunken, hat Sinatra gesungen und ist immer große Autos gefahren. Er ist also keinesfalls an seiner Geschichte zerbrochen. Natürlich gibt es auch Lieder, die so traurig sind, dass es einem das Herz zerreißt, so was spielen wir auch. Aber generell verarbeitet man solche Dinge eben auf beide Arten – traurig und lustig.
Vielen Dank für das Interview.
Harri Stojka