Man kann bei CLEMENS SAINITZER nicht wirklich von einem Unbekannten reden. Der Wiener Cellist ist in unzählige Projekte – von Jazz über Klassik bis hin zu Pop (u.a. Little Rosies Kindergarten, Sain Mus, Anna Mabo) – involviert und weiß überall, wo er auftritt, seine musikalischen Spuren zu hinterlassen. Was er aber besonders gerne tut, ist zu improvisieren und die Grenzen seines Instruments auszuloten. Und das tut er auf seinem zweiten Soloalbum „Solo#2“ (Sessionwork Records; VÖ: 31.5.) in vollem Maße. Bewegte sich CLEMENS SAINITZER auf seinem 2019er Solodebüt musikalisch noch auf einem eher puristisch-akustischen Pfad, so hat er diesen nun gänzlich verlassen. Der Wiener frönt auf seinem zweiten Soloalbum dem freien Spiel und lässt sein Cello auf aufregende und erfrischend andere Weise in vielen unterschiedlichen Klangsprachen, Stilen und Kontexten sprechen. Partner auf seinem Album waren der Schlagzeuger und Elektroniker Alexander Yannilos und der Vokalkünstler Christian Reiner. Im Interview mit Michael Ternai erzählt der Cellist darüber, dass er dieses Mal etwas machen wollte, was ihn interessiert, welchem Konzept er bei diesem Album gefolgt ist und über seine große Freude, sich zwanglos zwischen den Stilen hin und her zu bewegen.
Dein erstes Solo-Album ist schon vor ein paar Jahren erschienen. Mit „Solo#2“ legts du dem jetzt ein neues nach. Und dieses entpuppt sich musikalisch als der komplette Gegenentwurf zu ersten. Du setzt dieses Mal ganz auf Improvisation.
Clemens Sainitzer: Ich habe schon recht lange überlegt, wohin ich mit einem zweiten Soloalbum gehen soll. Das erste war ja sehr auskomponiert und der musikalische Fokus richtete sich sehr auf die akustische Komponente des Cellos. Irgendwann dachte ich mir dann, dass ich einfach das machen sollte, was mich interessiert. Und das ist eben improvisierte Musik. Ich habe eigentlich ja auch immer schon am Cello improvisiert. Schon von Anfang an. Und das wollte ich eben wieder machen, am besten mit anderen Leuten.Zudem wollte ich dieses Mal die klanglichen Möglichkeiten des Instruments einfangen und ausloten – und das auf verschiedenste Weise, mit Effektpedalen, ohne Effektpedale, akustisch, elektronisch usw.
Du hast dir auch mit dem Schlagzeuger, Elektroniker und Produzenten Alexander Yannilos und dem Vokalkünstler Christian Reiner zwei echte Experten in Sachen Improvisation mit ins Boot geholt.
Clemens Sainitzer: Ich kenne Alex schon recht lange und wollte eigentlich immer schon einmal mit ihm zusammenarbeiten. Er hat unter anderem das erste Little Rosies Kindergarten Album produziert. Christian sah und hörte ich lustigerweise auf einem der ersten Impro-Konzerte, das ich besucht habe. Da war ich so 18 Jahre alt. Er spielte mit zwei Bassisten in irgendeiner Suppenküche im siebenten Bezirk hier in Wien. Ich dachte mir schon damals, dass es cool wäre mit ihm etwas zu machen. Und wie ich jetzt an der Musik für das neue Album gearbeitet habe, ist er mir sofort in den Sinn gekommen. Auch weil ich selber ein wenig mit Texten experimentiert habe und auch diese sprachlich-textliche Ebene, irgendwie hineinbringen wollte.
Welches Konzept hast du dir für das Album zurechtgelegt?
Clemens Sainitzer: Die erste Idee, die ich hatte, war, ein Cello-Mixtape zu machen. Etwas in der Ästhetik eines Mixtapes, wo ich ein Stück eigentlich nur kurz anreiße und dann zum nächsten übergehe. So einen wilden, eklektischen Mix höre ich mir selbst ja auch gerne an. So etwas gefällt mir sehr gut. Und ich wollte eben in diese Richtung gehen, mit akustischen Nummern, Duo-Nummern, Trio-Nummern, Solo-Nummern, mit Effekten, ohne Effekte usw., sodass man das einfach so hinwirft und als Statement in seiner Gesamtheit anhören muss. ich wollte, dass die Leute einfach zuhören. Und ich glaube, dass sie das bei kürzeren Stücken eher tun.
Vom Konzept zur Umsetzung ist es aber dann doch ein breiter Weg. Die Umsetzung ist musikalisch auf jeden Fall sehr vielfältig. Wie behält man bei solch einen Vielfalt den roten Faden?
Clemens Sainitzer: Der Rote Faden ist das Cello, wie ich es spiele und was man alles überhaupt darauf spielen kann. Aber nicht in dem Sinn, dass das Cello jetzt unbedingt immer auch erkennbar sein muss. Für mich steht vor allem die Musik im Vordergrund, und die habe ich versucht, so angenehm und interessant wie möglich klingen zu lassen. Es geht mir darum, zu zeigen, welche Musik man mit dem Cello machen kann.
Du hast ja schon vorher erwähnt, dass Sprache und Text für eine zusätzliche Ebene sorgen. Und es sind ja keine Texte im klassischen Sinn, sondern mehr Experimente mit Sprache. Was war der konkrete Hintergedanke, diese Ebene in die Musik miteinzubeziehen?
Clemens Sainitzer: Ich habe während der Pandemiemit dem Schreiben begonnen bzw. damit angefangen, Notizbücher mit allem zu füllen, was mir gerade in den Sinn gekommen ist. das konnten irgendwelche Kritzeleien, Wortfetzen, Gedichte oder Tagebucheinträge sein. Ich habe die Notizbücher als eine Art Spielwiese dafür benutzt, mich auszudrücken. Das habe ich schon damals in der Schule gemacht. Das hat sich dann eben bis zur Pandemie aufgehört, bis ich dann wieder genug Zeit dafür hatte. Und ich fand das, was dabei herauskam, dieses Dahingeworfene und Improvisatorische, ziemlich cool.Mich begann zu interessieren, was man eigentlich daraus machen könnte und was passiert, wenn man diese Wortfetzen zum Beispiel einem Christian Rainer gibt und ihm sagt, dass er einfach irgendetwas daraus machen soll. Wie sich herausstellt, ist es sehr Cooles daraus geworden. es hat wirklich gut funktioniert.
Gibt es dann eigentlich eine tiefere Bedeutung in den Stücken?
Clemens Sainitzer: Das weiß ich gar nicht. Es kann sich ja die Hörerin oder der Hörer Gedanken darüber machen, ob es da eine bestimmte Aussage gibt oder nicht.
Auf jeden Fall schöpfst du musikalisch wirklich aus dem Vollen. Irgendwelche Fragen nach einer Kategorisierung werden nicht gestellt. Wie sehr hast du deinen beiden Kollegen freie Hand gelassen, in dem was sie tun?
Clemens Sainitzer: Ich habe ihnen vollkommen freie Hand gelassen, auch weil das bei mir auch so eine Sache ist. Ich glaube, jede improvisierende Musikerin und jeder improvisierende Musiker im Jazzbereich befasst sich damit, was Komposition ist. Und da gibt es ganz viele verschiedene Herangehensweisen. Ich habe mich mit dieser Frage immer ein bisschen geplagt. Komponisten sind in meiner Vorstellung dicke Männer mit großen Brillen, die klar an die Sache herangehen und immer sagen, wie die Dinge zu sein haben. Das war bei mir eigentlich nie so. Ich war bei Kompositionen immer extrem unsicher, weil ich mir gedacht habe, dass ich das Ganze gar nicht so gut aufschreiben kann, dass es meine Mitmusikerinnen und Mitmusiker hätten spielen können. Deswegen ist die Wahl jetzt auch auf Christian und Alex gefallen.
Wir sind so an die Sache herangegangen, dass wir einfach geschaut haben, was passiert. Ich habe ihnen gesagt, dass sie einfach nur Spaß haben sollen. Ohne viele Vorgaben, weil mich das auch nicht interessiert. Ich wollte einfach nur ins Spielen kommen und das Tun in den Vordergrund stellen. Auch weil ich in so vielen anderen Projekten aktiv bin, wo man immer Proben und andere Dinge machen muss – das ist auch ur super und sehr wichtig – aber all das wollte ich in meinem eigenen Projekt nicht machen. (lacht)
Diesen Gedanken vermittelt das Album auch sehr gut. Der Sound klingt sehr roh, weit entfernt von allem hochtechnologisiert Aufgenommenen, es knackst, knarrt und knirscht …
Clemens Sainitzer: Ich wollte es genauso roh haben. es war mir sehr wichtig, diese Direktheit zu haben, weil rohes Musikmachen ohne Konzept für mich im Moment das Schönste und Interessanteste ist. Und dieser Ansatz ist für mich auch der natürlichste Zugang zum Instrument. Es geht einfach ums Machen.
Das Beeindruckende an diesem Album ist auch die immense Breite des musikalischen Ausdrucks. Es ist ein wirklich ein wilder bunter Mix. Ihr spielt mit der Rhythmik, mit Sounds, mit Stilen, bei einem Stück schreit sich Christian Rainer in bester Black-Metal-Sänger-Manier die Seele aus dem Leib … da kommt schon ordentlich viel zusammen.
Clemens Sainitzer: Was ich an der freien Improvisation so spannend finde, ist einfach die Möglichkeit, dass das alles vorkommen kann. Neben meiner Tätigkeit als Cellist bin ich einfach nur auch Musikfan. Und ich höre seit immer schon eigentlich alles. Die Auseinandersetzung mit verschiedensten Stilistiken übt einfach einen besonderen Reiz auf mich aus. Und ich finde an diesem Album super, dass wirklich alles zusammenkommen kann, auch wenn manchmal nur kurz etwas aus einem Genre durchflackert. Es ist trotzdem kurz da. Die Möglichkeit, absolut frei mit Musik umgehen zu können, ist wahnsinnig befriedigend.
Wie befreiend war es für dich, neben all den anderen Projekten, in die du involviert bist, wirklich einmal komplett das tun zu können, wozu du Lust hast?
Clemens Sainitzer: Ich merke schon, dass dieses Projekt, das ich jetzt mit „Solo#2“ gemacht habe, mir schon mehr am Herzen liegt, weil es nur auf meiner Idee basiert. Und das ist schon cool, weil ich schon sehr viele Sideman-Sachen mache. Ich komme in anderen Projekten natürlich als individueller Musiker und mit meiner Herangehensweise schon vor, aber es ist dann doch etwas ganz anderes, wenn man etwas Eigenes macht, wozu man sich etwas überlegen bzw auch nicht überlegen muss (lacht).
Habt ihr das Album in einem Take aufgenommen?
Clemens Sainitzer: Es war tatsächlich so, dass wir uns einfach hingesetzt und zu spielen begonnen haben. Dann haben wir uns durchs Material durchgehört und geschaut, was funktioniert und was nicht. Und das, was funktioniert hat, ist aufs Album gekommen. Ganz nach dem Motto, das ich mir für diese Albumproduktion gegeben habe, „es soll kein stress sein“ (lacht). Es soll einfach passieren, was passiert. Und das ist es dann.
Und so vorzugehen, war total produktiv und erfolgreich, weil sich durch die verschiedenen Konstellationen in der Besetzung eh schon verschiedene Sounds ergeben haben.
Und lässt sich das Album auch auf Anhieb auf der Bühne reproduzieren?
Clemens Sainitzer: Ja, schon. Wir haben im Studio 2 für Ö1 schon eine Radio-Session gemacht. Und da hat es schon sehr gut funktioniert.
Und gibt es schon einen Präsentationstermin?
Clemens Sainitzer: Bislang leider noch nicht. Da muss ich noch Termine ausmachen. Das Album erscheint auf jeden Fall am 31. Mai. Dann habe ich ein paar Solokonzert mit anderen Cellist:innen. Sophie Abraham, Marie Spaemann, Lukas Lauermann und ich machen gemeinsam Abende in Wien und in Innsbruck. Zu diesen Konzerten werde ich das Album zum Kaufen dann mitnehmen.
Herzlichen Dank für das Interview.
Michael Ternai
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Clemens Sainitzer live
26. 06. Innsbruck – Konzert für Cello und Philosoph Solo
26. 07. Porgy und Bess, Wien – RELEASE KONZERT
22. 08. Treibhaus, Innsbruck – Abraham/Spaemann/Sainitzer/Lauermann,
26. 09. Stadtsaal, Wien – Abraham/Spaemann/Sainitzer/Lauermann
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Links:
Clemens Sainitzer
Clemens Sainitzer (mica-Datenbank)
Sessionwork Records