Wer sich Spannendes in Neuer Musik erhofft, begegnet entweder der Minimal Music oder wird von einem Schwall an überwältigender Komplexität überhäuft. Nicht so bei Wien Modern und dem Arditti Quartet mit ihrem Programm „A Simple Guide to Complexity“.
Ein Montagabend im Wiener Konzerthaus, der Mozartsaal füllt sich zunehmend, doch sind noch Nachwehen der Pandemie zu spüren: Leere Plätze lichten den Saal. Allerdings werden sie von der außergewöhnlichen Aura des Publikums wettgemacht. Kaum ältere Damen und Herren in kitschig-funkelndem Gewande, nein: künstlerisch sahen die Zuhörenden aus, sich in Szene setzend, aber nicht aufgesetzt; ihrer Natur entsprechend neugierig. Wissbegierige Studierende waren ebenfalls da, ein erfrischender Altersdurchschnitt. Dementsprechend hoffnungsvoller Erwartung sind aller Ohren gespitzt, als die vier Musiker die Bühne betreten.
Auf dem Programm steht eine Liste von Streichquartetten, beginnend mit dem Streichquartett Nr. 5 (2006) Brian Ferneyhoughs, einem Hauptvertreter der Musikströmung der Neuen Musik „New Complexity“, über Gadenstätters dreiteiligen „paramyth“-Zyklus (2010-2016), hin zu Elliott Carters 1971 komponiertem Streichquartett Nr. 3.
Sie beginnen zu spielen. Eine gewaltige Energie trifft wie Amor ins Herz. Von der ersten Minute bis zur letzten zieht das Ensemble breite Bögen, musikalisch, spannend, aktiv im Wettstreit. Manchmal teilen sie sich Obertöne, schwingen gemeinsam, obwohl sie eigentlich dissonant und durch die verschobene Rhythmik zugleich gegensätzlich wirken. Die Musiker kennen einander, wissen (nach 65 Stunden Probenarbeit allein für Ferneyhoughs Werk und jahrelangem gemeinsamen Musizieren) ganz genau, wer wie was musiziert. Sie sind wie aus einem Guss. Gleichzeitig jeder einzigartig in seiner musikalischen Darbietung. Wie sie aufeinander reagieren, (bewusst) gegen- und miteinander spielen, fesselt, versetzt in Staunen, man kann kaum wegschauen. Und doch wird Freiraum geschaffen, genügsam abzuschweifen zu dürfen und sich hie und da wieder von den auf der Bühne alles Gebenden abholen zu lassen.
Als im ersten Teil des Programms ein (ein wenig zu langes) Gespräch mit dem künstlerischen Leiter des Festivals Bernhard Günther angerissen wurde, nahm Arditti selbst Stellung zur Intention des Abends, nämlich dem Publikum bei aller spieltechnischen Komplexität der Werke möglichst viel Genuss und eher wenig Komplexität zu übermitteln. Das ist durchaus gelungen. Ein Konzert voller Gegensätze bis zum Schluss, die Reihen schienen nach der Pause etwas gelichteter, dafür waren die Ausharrenden umso beglückter und im Applaus jubelnd über diesen musikalisch hochkarätig besetzten Abend.
Susanna Hoppe
Diese Kritik über das Konzert mit dem Titel „A Simple Guide to Complexity 2“ mit dem Arditti Quartet im Rahmen von Wien Modern am 28. November 2022 im Wiener Konzerthaus entstand als Teil einer Lehrveranstaltung von Monika Voithofer am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien. Nähere Informationen dazu finden Sie hier.