Ein Leben nach dem Stephansdom: Peter Planyavsky feiert seinen 65er

Ohne Zweifel gilt er als einer der international meistgeschätzten Organisten unserer Zeit, und auch als Komponist ist er eine Fixgröße in der Welt der Kirchen- und Sakralmusik – mit liebevoll gehegter Neigung für humoristische „Ausrutscher“. Am 9. Mai feiert Peter Planyavsky seinen 65. Geburtstag.

Bereits während der Gymnasialzeit Student Anton Heillers an der damaligen Wiener Musikakademie, erkannte der Lehrer natürlich unmittelbar die außergewöhnliche Begabung seines Musterschülers und ließ diesem entsprechende Förderung zuteil werden. Schon als 19-Jähriger absolvierte Planyavsky seine Studien mit Diplomen in Orgel- und Kirchenmusik. Eine anschließende Orgelbauerpraxis ließ ihn „sein“ Instrument so unmittelbar wie nur möglich auch vom Innersten her kennen lernen. Orgelpraxis in Stift Schlägl und zahlreiche Wettbewerbssiege standen vor dem Beginn seiner dauerhaftesten Berufsstation: Mit 22 Jahren wurde er erstmals Domorganist in Wien, von 1983–1990 Domkapellmeister und schließlich noch einmal 13 Jahre Domorganist. Seit mehr als einem halben Jahrhundert kommt eine Orgelprofessur an der Wiener Musikuniversität hinzu. An jenem Institut, an dem er selbst einst die Kunst seines Fachs erlernte, pilgerten seit 1980 junge Menschen aus aller Welt zu ihm, um von ihm die Perfektion des Wirkens an der „Königin der Instrumente“ zu erfahren. Dass mit 30. September dieses Jahres die Emeritierung ansteht, ist ein Faktum, das bedauern zu müssen insofern abgemildert wird, als man davon ausgehen kann, dass er auch weiter in vielfältiger Form seine Erfahrungen und sein Wissen weitergeben wird.

Und vieles gibt es da weiterzugeben: Planyavsky tradiert nicht nur die von Heiller vermittelte Orgelschule – auch als Komponist erhielt er wesentliche Prägung durch den Lehrmeister und väterlichen Kollegen und Freund. Die modale und zwölftönige Mittel verbindende Klangwelt Heillers spricht auch aus vielen seiner eigenen Werke. Sein Leitsatz das „Sinnliche vor das Konstruktivistische“ zu stellen korrespondiert seit jeher auch mit seiner Vorliebe für die Meister der neueren französischen Orgel- und Sakralmusik (Alain, Messiaen u. a.). In jedem Fall ist er bedacht „für“ zu schreiben: für spezifische Interpreten, für deren spezifische Möglichkeiten, aber immer auch für den Hörer. Publikumsschreck im Sinn der klassischen Avantgarde war Planyavsky nie. Dennoch gab und gibt es auch bei ihm stets Neues, das sein Umfeld mit spezifischen Herausforderungen konfrontiert; erwähnt sei etwa nur die sprechgesangliche Gestaltung seiner Markus-Passion (1988). Erwähnt sei – Heillers „Tanz-Toccata“ lässt grüßen – die Bereitschaft, auch einmal mit populärem Ansatz ans hehre Instrument heranzugehen: die Toccata alla Rumba (1971), ein Standard an gewissermaßen unterhaltsamer Orgelmusik erhielt etwa mit Toccata non troppo (2000) und Capriccio Cha-Cha-Cha (2007)  jüngere Geschwister, die dem so erfolgreich Erprobten folgen. Schlüssig dementsprechend die Darstellung seiner Sicht der Dinge vor einigen Jahren im Gespräch mit dem Verfasser: „Es gab eine Art Zwang zur Mitte des 20. Jahrhunderts, unbedingt ‚originell’ und ‚neu’ sein zu müssen […]. Leute, die eigentlich Dreiklänge schreiben wollten, pressten sich in Dissonanzen. Heute ist wieder alles erlaubt. Man kann aller Dinge habhaft werden. Zuletzt waren im Barock ‚E’ und ‚U’ zusammen, dann entfernt, und nun gibt es wieder die Annäherung. Die Beatles waren glaube ich die ersten, die wieder Kirchentonarten verwendeten.“

Vollends Parodist (und auch als solcher deklariert) ist Planyavsky dort, wo er sich von alten Meistern zu neuem musikalischen Scherz inspirieren lässt. Vielleicht war er sogar der erster, der in Österreich das professionell in den Konzertsaal geführt hat, was etwa in Großbritannien durch die Gerard Hoffnung-Konzerte seit den 1950er-Jahren Kultstatus genießt. Vier Stücke für die Trompetenuhr von W. A. Plagiavsky Mozart (1989), die Ankunftssymphonie G-Dur von J. P. Haydn (1987), Eine nicht gerade kleine Nachtmusik für Orchester von W. A. P. Mozart (2004) und natürlich die nun schon seit mehr als zwei Jahrzehnten „Bach-Fans“ in aller Welt begeisternde Kantate LWV 20/85 Der zufrieden gestellte Autobus von P. P. Bach ebenso wie ihr Schwesterwerk Cactus tragicus LWV 19204 (das „L“ steht naheliegender Weise für „Lach-“) hat Peter Planyavsky auf alten Dachböden und in tiefen Klosterkellern – vielleicht unterstützt vom dort lagernden Weinvorrat – ausgegraben und nach hunderten von Jahren zur Erstaufführung gebracht. Und so manchem Musikfreund erscheint die Stilimitation darin so authentisch, dass P. P. tatsächlich oft für den bloßen „Herausgeber“ gehalten wird.

Erfolgsmenschen werden im Allgemeinen bewundert, und dieser Bewunderung kann sich Planyavsky sicher sein. Von außen betrachtet scheint er den üblen Geschmack des Scheiterns ein einziges Mal wirklich in seiner ganzen Breite gekostet zu haben: Auch wenn man ihn wohl noch lange als den Domorganisten von St. Stephan bezeichnen wird – keine andere Persönlichkeit von solchem künstlerischen Rang hat vor ihm je am Wiener Wahrzeichen gewirkt –, so kann man nicht übersehen, dass gerade hier die beglückenden Facetten oft einem starren Betriebssystem mit dem Titel „Kirche“ zum Opfer fallen mussten. Was in den Funktionen als Dommusikdirektor und –organist über Jahrzehnte zugunsten des künstlerischen Gesamtergebnisses erduldet wurde, fand schließlich einen Punkt, an dem er nicht mehr zusehen konnte, ohne sich dadurch mitschuldig an höchst fragwürdigen Entwicklungen zu fühlen. Schließlich blieb Planyavsky nach vielen Versuchen, die Dinge zum vermutlich Besseren zu wenden, nur die Resignation  und daraus folgend der Rückzug von seiner Funktion. Über das Gewesene in der Folge den Mantel des Schweigens zu breiten, wäre Planyavskys Sache freilich nicht, und so erschien 2007 eine Aufarbeitung des Erlebten in Buchform: „Gerettet vom Stephansdom“ heißt das exzellent geschriebene Werk (Edition VA bENE), das dem Leser gleichermaßen anschaulich den Betrieb des kirchlichen Musizierens vor Augen führt, als auch zeigt, wie leicht einige Wenige einem Ganzen unermesslich schaden können. Planyavsky rechnet nicht ab, er beschreibt. Manche der Beschriebenen werden ihm wohl sogar zustimmen müssen, dass er eigentlich nur „die Wahrheit“ aufzeigt. Dass selbige im kirchlichen Umfeld naturgemäß eigenen Gesetzmäßigkeiten unterliegt, steht auf einem anderen Blatt.

Die seinerzeitige Vermutung, dass der Wegfall der administrativen und künstlerischen Dommusikgeschäfte bei einer Persönlichkeit wie Planyavsky den Weg frei für neue umso kreativere Entfaltungen machen würde, hat sich aus heutiger Sicht voll bestätigt. Mag sein, dass zwei aus Sicht des Musikfreundes und Musikwissenschaftlers tatsächlich wichtige Bücher nie geschrieben worden wären: eine erste profunde Monographie über den eigenen Lehrer, „Anton Heiller – Alle Register eines Lebens“ (Edition VA bENE, 2009), die sogar ins Englische übersetzt werden soll, und zum anderen eine Arbeit, die nicht minder das Zeug zum Standardwerk hat: „Katholische Kirchenmusik. Praxis und liturgische Hintergründe“ (Tyrolia, 2010), das innerhalb kürzester Zeit bereits in 2. Auflage gedruckt wurde.
Weil er das Organisieren nicht lassen kann, war er 2010 auch einer der Hauptimpulsgeber für das Jubiläum „100 Jahre Kirchenmusikstudium in Wien“, das mit einer Reihe hochkarätiger Veranstaltungen begangen wurde.

Auch ein Orgelgroßprojekt der jüngsten Zeit durfte nicht ohne Planyavsky ablaufen: Unmittelbar nach Segnung der neuen Orgel des Großen Wiener Musikvereinssaal konnte er diese im März 2011 mit einer Improvisation erstmals der Öffentlichkeit vorstellen. Im Zusammenhang mit diesem Instrument stand stand dann auch die Uraufführung von „KOHELET“, einem Kompositionsauftrag der Gesellschaft der Musikfreunde, bei dem Planyavsky am 16. Mai den Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde dirigierte, an der Orgel spielte Helmut Binder.

Die aktuellste Uraufführung wurde quasi zum Geburtstagsgeschenk: In der Grazer Schutzengelkirche erklang am 22. April unter der Leitung von Erwin Löschberger Leben aus dem leeren Grab – ein Osteroratorium. Dazu die Kritik: „[…] Auch das Werk Planyavskys packte die Zuhörer von Beginn an. Chaos symbolisierende Cluster, eine durchschimmernde Auferstehungsmelodie, komplexe Rhythmen und lyrische Passagen ließen auch dem wohltuend unpathetischen Text Löschbergers Raum.“ (Eva Schulz, Kleine Zeitung, Online 23. April 2012)

Dass Planyavsky, und nennen wir ihn jetzt endlich einmal auch hier so, wie ihn alle nennen: Dass  „Plany“ also auch künftig nicht arbeitsmüde wird, ist vorerst einmal garantiert. Neu entsteht zurzeit ein Proprium Sancti Pauli für zwei Orgeln für das Festival „Pauls Sakral“ in St. Pauls/Eppan (Südtirol) am 8. September 2012. Ganz im Sinne seines steten Anliegens, das vernachlässigte Repertoire für Orgel und Orchester zu fördern wird ein Konzert am 18. Oktober dieses Jahres in der Marienkirche in Wien–Hernals stehen, bei dem das Konzert für Orgel und Orchester op. 52 von Flor Peeters und die Fantaisie symphonique pour orgue et orchestre op. 63 von François-Joseph Fétis – Planyavsky: „der Urahn aller spätromantischen Orgel-Orchester-Konzerte – zum ersten Mal in Österreich!!!“ – unter dem Dirigat von Planyavsky mit Wolfgang Capek an der Orgel auf dem Programm stehen werden. Schon zwei Tage danach gibt es am 20. Oktober in der Mariahilferkirche im sechsten Wiener Gemeindebezirk ein weiteres Konzert dieser Art mit dem Orgelkonzert a-Moll op. 100 von Marco Enrico Bossi und Planyavskys eigenem Concerto Carinthico (2002), ebenfalls dirigiert vom Jubilar mit Martin Nowak an der Orgel.

Ein Blick auf Planys Website www.peterplanyavsky.at zeigt nicht nur, dass auch ein „g’standener“ Kirchenmusiker topaktuell mit der Zeit geht, er zeigt vor allem einen Kalender für 2012, der wie schon angedeutet von gemütlichem Pensionistendasein nicht wirklich zu überzeugen vermag. Bliebe da nicht der Familienmensch Planyavsky, man würde ihm den 65er schlicht nicht abnehmen. Die sensationsheischende Frage nach Urenkerln wird zwar geradezu empört zurückgewiesen, aber auch die aktuelle „Bilanz“ lässt nichts zu wünschen übrig. Plany: „3 Enkel! („Ur-“? – Ich bin ja unter 80!) Sie sind 6 + 2 + 2 (die letzteren witziger Weise von verschiedenen Kindern, aber nur 4 Tage auseinander!“
Bleibt in diesem Sinn zu wünschen: Lieber Plany, ad multos annos!

Christian Heindl

 

 

http://www.peterplanyavsky.at/