mica-Interview mit Karlheinz Essl

Ort: Essl-Museum Klosterneuburg im Studio (Arbeitszimmer). Das Ambiente dort besteht aus Instrumenten, Noten (aktuell einer graphischen Partitur von John Cage 1958). Heinz Rögl kam zu spät zum verabredeten mica-Interview, weil er seinen Schlüssel für das Fahrrad-Schloss verlegt hatte. Sein Aufnahmegerät gab nach 10 Minuten auch den Geist auf, aber Karlheinz Essl schnitt das Gespräch vorsichtshalber auch mit und überreichte mir anschließend eine frisch gebrannte CD davon. Währenddessen lief der Video-Mitschnitt Essl/Heginger vom Konzert kürzlich in Wolkersdorf auf einem schönen großen Computerbildschirm.

Über Bio und derzeitige Projekte findet sich alles auf der mica-Musikdatenbank und besonders auch auf der vorbildlich und umfassend gestalteten Website. Nur so viel: In den letzten Monaten hatte er sehr viel zu tun (Uni, Projekte, Veranstaltungen …)

Heinz Rögl: Lieber Karlheinz, das mica-Interview ist ein wörtlich transkribiertes freies Gespräch über … alles. In deinem Fall: Du bist Komponist, Musiker, Improvisator, Lehrender (in Linz für „Algorithmische Komposition“, in Wien hast du eine Professur für elektroakustische und experimentelle Musik),  Vortragender und Workshop-Leiter von Bochum bis Toronto, Kurator für musikalische Belange im Museum, machst hier eine Veranstaltungsserie, hast eine umfangreiche, ständig wachsende Werkliste. Wir können gerne über deine derzeitigen Projekte sprechen, auch über Biographisches … und über Dinge, die dir wichtig sind. Die letzte Nachricht von dir kam über ein gemeinsames Projekt mit Agnes Heginger. Wie fangen wir an, wo stehst du derzeit?     

Karlheinz Essl:  Das ist natürlich schwer zu beantworten. Denn als Künstler stehe ich ja nie, sondern bewege mich ständig. Was bei mir sicher eine Rolle spielt: als Komponist will ich mich nicht ausschließlich als Schreibtischtäter definieren, ich arbeite viel in anderen Bereichen wie Performance, Improvisation, Installationen und Realtime Composition. Das sieht man sehr schön an dem letzten Projekt mit Agnes Heginger: Wir sind zusammengekommen, ohne uns vorher abgesprochen zu haben und haben miteinander ein Konzert gespielt. Wenn man sich das Video anschaut und die Aufnahme anhört, hat man das Gefühl, dass das richtige ‚Stücke’ sind, weil alles so miteinander verzahnt ist.

Hat Agnes Heginger auch improvisiert?

Ausschließlich! Es gab überhaupt keine Vorgaben oder Absprachen. Wir haben gesagt, wir machen das „out of the blue“: Jeder ist aufgeladen mit seinem eigenen musikalischen Können und Wollen – und dann geben wir’s uns live.

Die Agnes kommt ja ein bisschen vom Jazz, aber auch von der Alten Musik …

… sie ist sehr breit gefächert. Sie kommt vom Jazz, hat aber auch Alte Musik gemacht und im Ensemble Mikado gesungen. Wichtig ist aber, dass wir als Komponisten auf einander zugehen. Das ist ein ganz anderer Zugang zur Musik als bei Nur-Instrumentalist(inn)en, die meist nur vom Instrument ausgehen. Wenn wir zusammen improvisieren – was wir bis jetzt dreimal gemacht haben – dann ist das eigentlich ein Komponieren in Echtzeit, wo wir blind aufeinander eingehen und eine gemeinsame Geschichte erzählen, wobei wir zu Beginn gar nicht wissen, was das eigentlich wird. Eine Spezialität in unserem Duo ist, dass Agnes mit Texten kommt; sie hat immer Gedichte dabei, von Bachmann, Christine Lavant, Ringelnatz. Diese Gedichte hat sie vor sich liegen und entscheidet dann ganz spontan, welches sie als Material für eine Improvisation verwendet.

into the blue – Agnes Heginger (Vocals) & Karlheinz Essl (Electronics)
http://www.essl.at/concerts/2010.html#into-the-blue

Einen Aspekt hast du vielleicht nicht so genau erwähnt. Ich finde das auch auf der mica-Datenbankseite über dich witzig, da steht unter „Instrument(e): Personal Computer“! Das heißt, du bist ja auch ein Pionier der elektronischen und der Computer-Musik. Obschon du ja auch Kontrabass studiert hattest und Gitarre spielen kannst und anderes?

Ja. Das ist vielleicht eine Besonderheit in meinem Schaffen, dass ich den Computer nicht als Ersatz verwende für fehlende instrumentale Fähigkeiten oder Praxis, die habe ich immer gehabt. Sondern: Ich habe mir ein elektronisches Kompositions-Environment gebaut, auf dem ich in Echtzeit komponieren kann. Auf einem Instrument wie dem Kontrabass ist man immer auf dessen Spielmöglichkeiten beschränkt. Aber in meinem Computerinstrument „m@ze°2“, das ich in den letzten fünfzehn Jahren entwickelt habe, ist es mir möglich, quasi „Orchester-Musik“ in Echtzeit zu erfinden oder zu spielen. Dafür gibt es eine Reihe von Kompositionen, die keinem detaillierten Ablaufplan folgen; sie sind eher als eine Art Gartenanlage zu verstehen, in der ich mich frei bewegen kann. Bei jeder Aufführung entsteht dann eine neue Variante des gleichen Ausgangsstücks.

m@ze°2 – Modular Algorithmic Zound Environment
http://www.essl.at/works/maze.html

Hast du völlig damit aufgehört, auch Kompositionen in „herkömmlicher“ Notation zu schreiben?

Nein, überhaupt nicht.

Bekannt geworden bist du für mich ja eigentlich 1990 bei einer sonst ein wenig faden IGNM-„Lange Nacht der Neuen Musik“ mit deiner Komposition „Rudiments“ für vier Trommeln. Da hast du sozusagen „Reveille“ trommeln lassen, das hat mich damals sehr beeindruckt! Das war ja in dem Sinn eine Instrumentalkomposition.

Deine Besprechung in den Salzburger Nachrichten fand ich sehr schön… Die Faszination für komponierte Instrumentalmusik hat mich aber nie verlassen und begleitet mich immer. Allerdings hat sich der Fokus inzwischen verändert. Und in den letzten Jahren habe ich viel für Soloinstrumente und Live-Elektronik komponiert.

Das heißt, es geht da um Klang-Erweiterung?

Es ist ein verbreitetes Missverständnis zu glauben, in der Elektronischen Musik ginge es vor allem um Klangerweiterung. Das ist nur *ein* Aspekt. In dem Zyklus „Sequitur“ geht es kompositorisch um das Verhältnis von Soloinstrumente und Live-Elektronik: Ein Soloinstrument wird über Mikrophon abgenommen und in ein eigens dafür entwickeltes Computerprogramm eingespeist, das daraus einen hochkomplexen elektronischen „Kontrapunkt“ erzeugt. Da gibt es keine vorgefertigte Zuspielungen, sondern das Programm erzeugt einzig aus dem Input des Instruments dessen eigene Begleitung. Das Instrument verliert damit auch seine Solo-Funktion, man erlebt es – vielfach gebrochen, in sich selbst spiegelnd – völlig neu.

Du spielst auch gerne selber Gitarre und setzt sie in einer Reihe von Stücken immer wieder ein. Du hast einmal gestanden, dass dir in der Jugend die Rockmusik gut gefiel. Mir – als Klassik-Freak – auch, nur in dem Augenblick, als die Disco-Musik und Abba aufkam, habe ich Ö3 nicht mehr eingeschaltet …      

Ich auch! Meine musikalische Sozialisation war gleichermaßen Bach und Krautrock, das war eine progressive Musikrichtung innerhalb des Rock-Genres in Deutschland, die nicht aus dem Rock’n’Roll kommt, sondern sich mit Ethno-Musik und Avantgardemusik auseinandergesetzt hat. In den 1970er Jahren gab es die Gruppe CAN, das waren vier oder fünf Musiker unterschiedlicher Herkunft, die mit allen Wassern gewaschen waren: Ein klassisch ausgebildeter Kapellmeister, ein Jazz-Kontrabassist, ein Free Jazz – Schlagzeuger, ein Rockgitarrist und ein völlig abgefahrener japanischer Sänger. Zwei von ihnen haben bei Karlheinz Stockhausen studiert. Die haben aus den unterschiedlichen Kontexten, denen sie entstammen, etwas Neues zusammengebracht, was mit herkömmlicher Rockmusik nichts mehr zu tun hatte. Das hat mich als Jugendlicher sehr beeinflusst. Im Lauf meines Musikstudiums habe ich das Interesse an CAN verloren, aber später wieder für mich entdeckt. – Vor einigen Jahren habe ich wieder begonnen, Gitarre zu spielen. Eigentlich mit der Absicht, für dieses Instrument komponieren zu wollen; das kann man meiner Meinung nur, wenn man die E-Gitarre in- und auswendig kennt.

Du hast ja ursprünglich Kontrabass studiert?

Ich habe Kontrabass im Konzertfach an der damaligen Musikhochschule in Wien studiert, habe das allerdings zugunsten meines Kompositionsstudiums abgebrochen, aber eine Zeitlang extrem viel Kontrabass gespielt: Kammermusik mit Freunden, in einem Studentenorchester, aber auch in verschiedenen Jazzbands.

Gleichzeitig warst du bei Friedrich Cerha und hast Komposition studiert und auch bei Dieter Kaufmann…

Bei Dieter Kaufmann habe ich den Lehrgang für elektro-akustische Musik gemacht …

… an diesem berühmten Institut für Elektroakustik in der Rienößlgasse.

Das gibt es ja immer noch, und heute unterrichte ich selber dort. Damals, in den 1980er Jahren, habe ich noch analog mit Tonband gearbeitet. Einmal in der Woche haben ich mich mit Freunden und StudienkollegInnen zu sogenannten „Hearings“ getroffen und spielten uns gegenseitig Stücke aus dem Repertoire der Neuen und Elektronischen Musik vor, und haben anschließend darüber diskutiert. Zum Beispiel machten wir auch die „Spiegel“ von Cerha, haben Aufnahmen vorgespielt, die Partituren studiert… Da waren auch Musikerinnen aus anderen Fachrichtungen dabei. Es war ein schönes Netzwerk, das sich da gebildet hat, alles außerhalb des Studiums auf rein privater Basis.

Friedrich Cerha war ja nicht darauf erpicht, dass alle so komponieren wie er selbst?

Das war sein Prinzip, er hat nie gesagt was man tun soll, eher was man nicht tun soll (lacht).

Aber da kann es schon manchmal zu Konflikten gekommen sein?

In den ersten zwei Jahren hatten wir beide miteinander keine große Freude, das hat sich dann aber wie durch ein Wunder gelöst. Ich hatte anfänglich eine massive Schreibblockade und im Unterricht stattdessen Musik der Wiener Schule analysiert. Plötzlich ist mir der Knopf aufgegangen, als ich in der Bibliothek die Publikation „die reihe“ entdeckt habe, mit Aufsätzen von Ligeti, Boulez und Stockhausen etc. Dieses neue „synthetische“ Denken in Hinblick auf Komposition konnte ich für mich fruchtbar machen – ich begann mit Algorithmen zu arbeiten. Dem Cerha hat das sehr gefallen, und plötzlich war unser Verhältnis ein ganz anderes. Er gab – was selten war – sogar durchaus positives Feedback!

Du warst ja auch in der Gruppe von Leuten, die damals Anfang der neunziger Jahre die Zeitschrift „ton“ herausgegeben haben? Da ging es um Roman  Haubenstock-Ramati und so weiter …

Dieses Publikationsprojekt entstand aus dem Brennen heraus, sich zu Fragen der aktuellen Musik zu äußern. Wir haben die jungen KomponistInnen – Alexander Stankovski, Clemens Gadenstätter und Olga Neuwirth – an einem Tisch zusammengesetzt und mit ihnen ein Interview geführt, da waren sie noch junge unbekannte StudentInnen. Und aus allen dreien ist dann etwas geworden. Haubenstock hat mir für eine Ausgabe auch graphische Kunstwerke von ihm zur Verfügung gestellt, denn wir wollten Zeitschrift ja nicht nur als Bleiwüste inszenieren, sondern als visuell aufbereitetes Kunstmagazin. Für eine Nummer hat sogar der „Sprayer von Zürich“ Harald Naegeli ein Cover beigesteuert. Den ton habe ich nur wenige Nummern betreut, dann haben wir das Projekt an die IGNM weitergegeben.

Kommen wir zurück ins Heute. Schreibst du eigentlich auch ab und zu richtige Partituren für großes Orchester?

Ja, zum Beispiel voriges Jahr für das RSO Wien – die „Orchesterminiatur“ Detune in Form einer riesigen Orchesterpartitur. Ich habe zuerst geschaut, ob ich dafür etwas  aus einem älteren Orchesterwerk herausnehmen kann, aber es hat von der Besetzung oder aus anderen Gründen nichts gepasst. Ich dachte dann, das wird eh nichts, aber eines Nachts hatte ich einen Traum: Vor dem Einschlafen kreisten meine Gedanken ständig um dieses Orchesterstück, das ich in der Folge dann wirklich geträumt habe. Es beginnt mit dem Einstimmen des Orchesters: Die Oboe intoniert den Kammerton A, der nach und nach von den Streichern in verschiedenen Registern übernommen wird, zu einem komplexen 50-stimmigen Cluster anschwillt, der am Schluss jäh abreißt.

Detune (2009) Fragment für Oboe und großes Orchester
http://www.essl.at/works/detune.html
Deine Werkliste ist sehr lang, du produzierst sehr viel und auch vielschichtig. Kannst du versuchen, einem Laien wie mir einmal zu erklären, was ist m@ze, was ist das für ein Programm, für eine Software, was passiert da?

Naja, ich versuche es einmal von einer ganz anderen Seite aufzuzäumen und zu betrachten: Für mich ist Klang immer ein Gesamtergebnis aus vielen verschiedenen Schichten, die zusammen verschmelzen und etwas Gemeinsames formen. Vielleicht hat das auch etwas mit dem Naturphänomen zu tun, dass aus einfachen chemischen Elementen durch reaktive Prozesse komplexe organische Verbindungen entstehen können. So etwas habe ich versucht elektronisch zu erzeugen mit Hilfe eines eigens entwickelten Computerprogramms, wo ich verschiedenartige Klangprozesse  „alchemistisch“ miteinander in Beziehung treten lassen kann. So gibt es beispielsweise einen Prozesstyp, der einen bestehenden Klang, der als Sample vorliegt, nach bestimmten Regeln neu zusammensetzt. Dies wird von sogenannten Algorithmen bewerkstelligt, die autonom im Hintergrund arbeiten, sodass ich für’s Erste gar nicht eingreifen muss. Sie sind aber so programmiert, dass sie nichts Reproduzierbares generieren, sondern sich selbst ständig verändern. Um diese Variabilität zu erzeugen verwende ich Zufallskeime, die immer wieder neue Varianten erzeugen…

… die du nicht beeinflussen willst –

… nicht muss, aber kann! Ich kann diesen algorithmischen Prozessen freie Hand geben, oder ich schränke sie in bestimmten Bereichen ein – dazwischen sind alle Möglichkeiten offen. Oder ich greife gezielt ins Detail ein.

Und diese Eingriffe oder Nicht-Eingriffe entstehen für dich durch das Zuhören?

Genau! Auf das, was ich höre, kann ich unmittelbar reagieren. Aber der Witz daran ist, dass mein m@ze°2 polyphon aufgebaut ist. Es besteht aus einer Vielzahl individueller Struktur- und Klanggeneratoren, die ihre eigene Funktionsweise und kompositorische Logik besitzen. Diese werden beim Spielen miteinander in Beziehung gesetzt und gegeneinander ausgespielt. Aus den Einzelelementen – das ist wieder eine chemische Allegorie – entstehen dann schließlich höherwertige Verbindungen. Du kannst aus Wasserstoff, Sauerstoff und Kohlenstoff unglaublich komplexe organische Verbindungen synthetisieren. Die Ausgangsmaterialien sind simpel, aber die Art der Vernetzungen und Strukturbildungen sind vielfältig, man kann wie daraus Millionen von unterschiedlichsten Molekülen generieren. Solche organische, lebendige Klänge kann ich mit meinem m@ze°2 erzeugen. Das spüren auch meine Hörerinnen und Hörer, die sich davon berühren lassen.

Es gibt ja Musik, wo man die Augen schließen will, aber auch solche, wo man auch den Raum mit aufnimmt. Ich erinnere mich an das Konzert PERILOUS NIGHT im Essl Museum und die Performance von dir und der Pianistin Tzenka Dianova – „utopische Klaviermusik“ von John Cage, Tzenka Dianova/Charlotte Rose, Karlheinz Stockhausen und Karlheinz Essl mit Karlheinz Essl, Live-Elektronik …, wo man auch gerne schaute – zumal an den Wänden schöne Bilder von Max Weiler hingen!

Um nochmals zu meinem m@ze°2 zurückzukehren: Über die Jahre hat sich das Projekt aus kleinen Modulen und Elementen entwickelt. Und um es zu testen, zu vermitteln und weiterzuentwickeln habe ich mir zur Vorgabe gemacht, mit sehr unterschiedlichen Musikerinnen der verschiedensten Genres zu spielen: Neue Musik-Spezialisten, Jazzern, musikalischen Laien, Elektronikern und Laptop-MusikerInnen, mit allen möglichen Instrumenten, in großteils kleinen Besetzungen.

Auch Vokalstimmen …

Natürlich auch. Und ich habe versucht, mein „Instrumentarium“ so zu verfeinern, dass ich genauso reaktiv und spontan sein kann, wie ein Instrumentalist etwa am Kontrabass, oder auch wie eine menschliche Stimme. Ich setze seit Kurzem auch eine Videokamera ein, die meine Bewegungen analysiert und dann in Klang umsetzt. Weitere Interaktionsmöglichkeiten bieten mir die Tasten des Laptops und die  verschiedenen Controller, die am Computer angeschlossen sind. Dafür habe ich mir im Lauf der Zeit eine eigene Spieltechnik angeeignet, damit ich dieses Instrument auch virtuos spielen kann. Zur Vorbereitung auf ein Konzert muss ich auch richtig üben, damit das Ganze überhaupt zu beherrschen ist – es ist ein kompliziertes Instrument. Es besteht nicht nur aus Saiten und Bogen, sondern aus Dutzenden von Algorithmen, die beherrscht werden müssen. Das muss nicht nur optimal koordiniert werden, sondern auch klingen!

Du bist Lehrer, kannst du das auch an junge Studenten weitergeben und „lehren“?

Ich unterrichte schon relativ lange: Vor Wien war ich 12 Jahre an der Bruckneruni in Linz. Für mich ist Unterrichten immer ein wechselseitiger Dialog. Als Lehrer fülle ich ja nicht bloß mein Wissen in die Köpfe der Studierenden hinein, sondern es ist ein systemischer Zusammenhang, wo ich als Lehrender auch vom Studierenden lerne. Das ist mir ganz wichtig. Ich versuche zu erkennen, welche künstlerische Vision der Student oder die Studentin hat und versuche sie dahin zu bringen, dass sie ihre eigene, individuelle Musiksprache entwickeln. Es geht mir gar nicht darum, dass sie meine Eigenarten und Spezialitäten übernehmen.

Sind die Leute etwa in Toronto oder den USA anders, mit denen du bei Workshops arbeitest? Ich behaupte einmal, dass es in Wien ein Publikum und eine Szene für Neue Musik gibt, die es so in England nicht gibt.

Es ist schon richtig, dass es in den anglo-amerikanischen Ländern anders funktioniert, als bei uns. Weil der geschichtliche Zusammenhang, den wir hier in Wien haben, dass man mit klassischer Musik aufwächst und dann in die Neue Musik hineinwächst, dort weniger gegeben ist. Bei Workshops und Vorträgen mit Leuten, die ich noch nicht kenne, läuft das oft sehr intensiv ab, weil die Studierenden in kürzester Zeit sehr viel aufnehmen wollen. Das ist natürlich anders, als wenn man in eine eigene Kompositionsklasse hat, wo man die Leute schon länger kennt und kontinuierlich mit ihnen arbeitet. Das spielt sich auf einer anderen Ebene ab, mit allen Höhen und Tiefen einer Langzeitbeziehung. Ein Workshop hingegen ist oft ein euphorischer Höhenflug, eine einmalige, kurzfristige Konstellation, aus der alle möglichst viel herausholen wollen. Im kontinuierlichen Unterricht gibt es Zeiten, wo „nichts weitergeht“ – das war auch bei mir so. Als Lehrer bin ich sehr kritisch – das habe ich von Cerha gelernt – aber man darf nicht nur kritisieren, man muss genauso motivieren und Mut machen, gerade in Durststrecken.

Das Problem der heutigen neuen Generation, salopp gesagt: Es war doch alles schon einmal da.

Nein, das würde ich so nicht sagen; solch ein Statement zeugt nur von blanker Phantasielosigkeit. Gerade im elektronischen Bereich gibt es so viele Innovationspotentiale! Daneben müssen meine Studierenden auch Instrumentalmusik komponieren; das Studium der Elektroakustischen Musik ist bei uns in Wien sehr breit aufgefächert, im Unterschied zu anderen Universitäten, wo der Fokus viel enger gefasst wird.

Um langsam zum Schluss zu kommen: Da hast – gratuliere – eine ausgesprochen gute Website, auf der man auch in die Tiefe gehen kann, sehr viel findet. Man kann dort sehr viel abrufen. Ich nehme an, dass das auch mit der intensiven Auseinandersetzung mit Computer-Technologie zu tun hat. Es ist auch graphisch sehr schön. Du hast auch Videos, die man ansehen und –hören kann…

Videoaufnahmen von Musikaufführungen besitzen für mich heutzutage die stärkste Aussagekraft. Anfang der 1990er Jahre, als das Internet begonnen hat, war man schon froh, wenn man einen Text ins Netz stellen konnte. Später kamen Bilder dazu, danach Audio-Files, und schließlich auch Videos: diese können Musik in ihrem Gesamtkontext zeigen. Es gibt zum Beispiel auf der Internetseite meiner vorhin erwähnten Werkreihe „Sequitur“ neben Partituren und Tonaufnahmen auch Videos von Aufführungen der einzelnen Stücke. So können sich weltweit Musikerinnen, die eines der Stücke selber erarbeiten wollen, informieren, wie es gespielt wird. Man sieht am Video, wie es gemacht wird – eine wichtige Ebene der Kommunikation mit Musikern/innen, mit denen ich nicht direkt zusammenarbeiten kann, weil sie über den ganzen Erdball verstreut leben.

Abschließend sprechen wir noch über deine Herkunft: Dein Vater ist ein ganz wichtiger Kunstsammler – schon immer gewesen – er hat das auch toll gelöst hier mit dem Museum. Du bist hier der „Musik-Kurator“, aber ich nehme an, dass du dir hier auch die Ausstellungen sehr gern anschaust … Du warst damit in deiner Kindheit und Jugend wahrscheinlich ständig konfrontiert, das heißt auch die Grenze zwischen Musik und bildender Kunst, E-Musik und U-Musik, Klang und Geräusch, Komposition und Improvisation ist für dich offen geworden. Ich nehme an, dass du das auch mit deinen Eltern oder deiner Frau ständig diskutieren konntest und kannst. Deine Eltern kommen auch in Konzerte und hören sich das neugierig an. Ich gehe von einer sehr inspirierenden Kindheit und Jugend bei dir aus.  Dein Vater ist aber ja auch Baustoffhändler…

In meiner Kindheit bewegte sich das Kunstinteresse meiner Eltern noch in einem kleinen und privaten Rahmen. Mein Vater hat in bescheidenem Ausmaß zuerst österreichische Druckgrafiken gesammelt. Die professionelle Sammlertätigkeit hat zu einer Zeit begonnen, als ich schon studiert habe und nicht mehr zu Hause gelebt habe.

Wann wurde das Schömer-Haus eröffnet?

1987.

Da war ja die Idee, ich will meine Angestellten und Beschäftigten auch mit Kunst konfrontieren.

Das Schömer-Haus ist einerseits das Verwaltungsgebäude der Firma meines Vaters, wurde aber vom Architekten Heinz Tesar so konzipiert, dass man dort auch die Bilder der Sammlung ausstellen kann. In diesem Jahr war ich aber bereits mit meinem Musikstudien fertig und schon als Komponist unterwegs.

Und das Museum gibt es jetzt seit …?

… zehn Jahren. Mein Vater hatte immer schon Künstlerfreundschaften gepflegt. Ich kann mich erinnern, dass wir in meiner Kindheit öfters mit Kurt Moldovan – einem wichtigen österreichischen Aquarellisten und Zeichner – beisammen waren. Das war sein eigentlicher Mentor, der ihm Wege zur Gegenwartskunst geebnet und Kontakte zu Arnulf Rainer und anderen Künstlern vermittelt hat. Dass daraus Jahrzehnte später eine bedeutende Sammlung entsteht, hat man damals noch nicht absehen können.

Lieber Karlheinz, ich danke dir herzlich für das Gespräch.

http://www.essl.at
http://oe1.orf.at/artikel/215729
https://www.musicaustria.at/musicaustria/liste-aller-bei-mica-erschienenen-interviews