Vor 20 Jahren hat Hans Platzgumer mit seiner ersten Platte “Tod der CD” den Grundstein zu einer beeindruckenden Karriere gelegt, in der er die internationale Independent-Musikszene belebt und mitgeprägt hat. Mittlerweile umfasst sein Schaffen über 50 Alben, deren Musik nahezu das gesamte musikalische Spektrum abdeckt, sowie zahlreiche andere Werke, sowohl im musikalischen, als auch im nichtmusikalischen Bereich.
Heute, am 19.10., erscheint offiziell das neue und dritte Convertible-Album. Kannst du ein wenig zur Entstehungsgeschichte erzählen? Wie lange habt ihr an dem Album gearbeitet? Hattest du schon von Beginn an eine Idee, wie das fertige Album schließlich aussehen sollte?
Hans Platzgumer: Es gab eigentlich ein ganz klares Konzept, wie das fertige Album sein, klingen und aussehen sollte. Die Band, wie sie jetzt besteht, hat sich schon während der Arbeiten am letzten Convertible-Album zu formen begonnen. Dieses Album war noch mehr ein mit Elektronik vermischtes, für die zugehörige Live-Tournee jedoch haben wir dann bemerkt, dass es besser funktioniert alles gänzlich ohne Elektronik umzusetzen und einfach als Band zu spielen. Ab diesem Zeitpunkt haben wir dann auch wieder begonnen, als Band, im Proberaum und auch im Studio wieder richtige Songs zu machen und damit auch wieder Lust bekommen, ein echtes Band-Album, ganz ohne Elektronik, zu machen. So wie in alten Tagen haben wir dann alles, auch die Streicher, von Hand eingespielt und so dann über eineinhalb Jahre mit sehr viel Aufwand und in mehreren Studios das Album produziert. In ganz anderer Art und Weise jedenfalls als eine Elektronik-Platte.
Das erste Convertible-Album hast du ja, wie ich gelesen habe, quasi im Alleingang, am Laptop geschaffen. Wenn du jetzt sagst, für das jetzige Album habt ihr als Band zusammen gearbeitet, heißt das, dass auch die letztendliche, künstlerische Entscheidung auf alle gleichmäßig verteilt war, oder hast doch noch du alleine die Fäden in der Hand gehabt?
Hans Platzgumer: Ich habe das Album produziert – in dieser Hinsicht habe ich jedenfalls die Fäden in der Hand gehabt. Aber was jeder einzelne spielt und wie die Songs arrangiert sind, haben wir gemeinsam entschieden, je nachdem, was jeder eben beitragen wollte. Die Songs wurden auch von allen Mitgliedern geschrieben, im Booklet kann man auch nachlesen, wer was gemacht hat. Einen Song hat beispielsweise allein der Schlagzeuger geschrieben. Es ist also wirklich ein Band-Album geworden. Deshalb heißt es auch “3” – also nicht bloß, weil es sich um die dritte Convertible-Veröffentlichung handelt, sondern auch, weil es ein Produkt von drei verschiedenen Personen ist, die extrem gut zusammen passen. Mit diesen Leuten macht das Spielen echt großen Spaß, weil einfach wirklich alles passt.
Woher glaubst du kommt diese neue Leidenschaft an purer Gitarrenmusik?
Hans Platzgumer: Vor ein paar Jahren ist die Elektronik so ein bisschen in eine Sackgasse geraten und auch irgendwie nicht mehr spannend gewesen. Alle haben innerhalb dieser Szene nur noch zurück geschaut und lediglich Achtziger Jahre Retro-Sachen gemacht – da war keine Spur mehr von Innovation, es ist einfach nichts mehr passiert.In so einer Situation schaut man sich dann eben in anderen Richtungen um, wo etwas los ist und so bin ich zum Sechziger Jahre Gitarren-Psychedelic-Rock gekommen. Ein Freund von mir ist totaler Fan und Sammler von so Sechziger Jahre Psychedelic-Platten, der hat ein riesiges Archiv voll mit völlig unbekannten türkischen und indischen Garagen-Bands aus dieser Zeit. In die habe ich mich dann auch hinein gehört und bin völlig fasziniert gewesen von der Art und Weise, wie damals Musik gemacht worden ist.
Ein bis zwei Jahre lang habe ich dann eigentlich nur Musik aus den Sechziger Jahren gehört. Völlig unbekannte Platten, aber auch total bekannte Sachen. Ich habe viel Beatles gehört und ich glaube ein Jahr lang ausschließlich “Strawberry Fields Forever”, weil das wirklich so ein großartiger Song ist. Das war dann auch die Hauptmotivation für das neue Convertible-Album und der Grund, warum das Album genau so produziert ist, wie man es jetzt hören kann, eben sehr stark vom Spirit der Sechziger Jahre durchdrungen. Dieser psychedelische Einschlag prägt auch das Cover der Platte. Es sieht zwar sehr modern aus, die Idee jedoch entspringt den Sechziger Jahren. In dieser Zeit, so kommt es jedenfalls mir vor, gab es so eine Euphorie, eine Wildheit, Energie und Ungezügeltheit, die mich beeindruckt und die haben wir jetzt eben versucht, umzusetzen. Wir haben auch dann, ganz bewusst, irgendwelche kleinen Fehler auf den Aufnahmen belassen, weil wir sie nicht zu Lasten der spürbaren Energie ausbügeln wollten. Es ist also einerseits ein wirkliches Pop-Album geworden, gemessen an gerade aktuellen Sachen aber auch ein ziemlich dreckiges Album.
Mir persönlich kommt es so vor, als wären solche Alben, die Ecken und Kanten aufweisen, letztendlich auch viel beständiger und dauerhafter.
Hans Platzgumer: Ja, es hat zwar in den Achtzigern seinen Reiz gehabt, solche glatten Sachen zu machen, oder wie in den Neunziger, wo versucht wurde, eine extrem perfektionistische Herangehensweise an den Tag zu legen. Da wurde auch gerne mal die Musik auf Band langsamer eingespielt und das ganze dann schneller gedreht, damit die Aufnahme irgendwie tighter klingt und ähnliche Schmähs. Irgendwie hatte das damals zwar auch seinen Reiz, aber jetzt im Moment finde ich das uninteressant Jetzt gerade geht es mir überhaupt nicht um so etwas, sondern viel mehr darum, den jeweiligen Aufnahmen Seele zu verleihen.
Mit Convertible ist also in nächster Zeit kein Stilwechsel angedacht. Gibt es dafür schon weitere Pläne, wie eine ausgedehnte Tour, oder auch Überlegungen für ein neues Album?
Hans Platzgumer: Mit der neuen Platte sind wir natürlich jetzt erst mal auf Tour und haben auch bereits Pläne, wie es weiter gehen soll. Ich habe schon einige Ideen für ein nächstes Album, ich nenne es jetzt einfach einmal “Album”, wobei eine neue Veröffentlichung nicht unbedingt mehr in dieser Form passieren muss. Die CD, in der bekannten Art und Weise, hört einfach auf zu bestehen. So etwas zu machen interessiert mich eigentlich auch gar nicht mehr. Viel eher kommt da eine Veröffentlichung in Form des Download-Albums in Betracht, bei dem ich auch bereits schon weiß, wie es heißen und klingen soll. Ich glaube, dass es noch mehr in eine analoge, so ein bisschen in die Unplugged-Richtung gehen wird. Bei folkigen Sachen bin ich nämlich neuerdings auch auf den Geschmack gekommen, Fingerpicking und akustische Gitarren und all so etwas. Gleichzeitig hat aber auch mein Interesse an elektronischer Musik wieder mehr Antrieb bekommen, weil es da jetzt auch gerade wieder neue Sachen gibt. Elektronische Musik ist einfach immer auch an Technologien gekoppelt und wenn in der Technologie nichts weiter geht, dann bleibt auch die Musik stehen. Das war jetzt längere Zeit der Fall, aber nun gibt es wieder eine neue Generation von Softwares, Pug-Ins und dergleichen, wo ich merke, dass das Klangforschen im elektronischen Bereich zunehmend spannender wird und auch ich in diese Richtung wieder mehr machen möchte.
Welche Künstler sind für dich in der Elektronischen Musik momentan diese Impulsgeber, die dem Ganzen wieder Leben eingehaucht haben?
Hans Platzgumer: Im Underground-Bereich gibt es immer wieder mal Künstler, die sehr beeindruckend sind. Kürzlich war ich in Belgien und habe einen Typen namens Kada Freski gesehen, der wirklich sehr großartig war – da hat es mich geradezu weg gebeamt. Der hat ein reines Laptop-Set, ohne irgendetwas anderes, gemacht, also eigentlich das Langweiligste, was man sich vorstellen kann. Bei ihm allerdings waren das super spannende Sounds und tolle Beats, dass es nur so abgegangen ist und ich auch einfach nur immer mehr in die Musik hinein gezogen worden bin. Das war eines der besten Konzerte, die ich in letzter Zeit gesehen habe.So etwas ist toll, von Zeit zu Zeit immer wieder über irgendwelche Konzerte, Festivals oder auch übers Internet, auf total spannende Sachen zu stoßen. Junge Eigenbrödler, die irgendwo in Kopenhagen, Brüssel oder Memphis Tennessee sitzen und total Spannende Sachen kreieren, die einen komplett neuen Weg einschlagen.
Jimmy Edgar aus Detroit zum Beispiel finde ich auch super. Der gehört zu den Leuten, bei denen ich mir denke “Wahnsinn, die sind weit vorne” und das gibt wiederum mir den Anstoß auch etwas zu machen. Die wirklich spannenden Sachen sind meiner Meinung nach derzeit jedoch wirklich nur im tiefsten Underground zu finden. So ähnlich war es ja auch in den Sechziger Jahren, die ich vorher schon erwähnt habe. Da waren natürlich Bands wie die Beatles oder Pink Floyd auch sehr produktiv und haben sehr tolle Sachen gemacht, zeitgleich sind aber tief unten im Underground wahnsinnig tolle Sachen entstanden, die heute niemand mehr kennt. Und genau so etwas spielt sich im Moment auch wieder ab. Dass unten irgendwo gearbeitet wird und Sachen passieren, die irgendwie niemand mitbekommt, daraus aber irgendwann einmal wieder etwas Großes erwächst, das an die Oberfläche durchdringt. Da zeigt sich dann wieder, dass Musik nie von irgendjemandem erfunden wird, sondern, dass es einfach immer eine Bewegung ist.
Ich finde ja auch interessant, wie sich die Wahrnehmung von Musik im Laufe der Zeit verändert hat. In den Sechzigern haben viele Leute noch Bands wie die Beatles als unhörbar empfunden, während sich heute wirklich niemand mehr, auch Leute, denen die jeweilige Band, aus was für Gründen auch immer, unbekannt ist, an der Musik auch nur irgendwie stoßen würde.
Hans Platzgumer: Ja, diese Wahrnehmung ändert sich natürlich. Die Klang- oder Hörgewohnheiten, die gesamte Klangästhetik, ändern sich ja die ganze Zeit über in ganz vielen Schritten. Das ist quasi eine ständige Bewegung, die sicher auch ganz viel mit der Technik zu tun hat. Als die CD eingeführt wurde, empfand ich das beispielsweise, im Vergleich zum Vinyl, als ziemlich scheiße. Auch wenn die CD in gewissen Bereichen auch Vorteile gehabt hat, war sie jedenfalls ein klanglicher Rückschritt und jetzt, wo die CD vom Markt verdrängt wird, bzw. ausstirbt, ist der nächste Schritt Richtung MP3, was sich ebenfalls zu Lasten der klanglichen Qualität auswirkt. Hier gibt es jetzt aber doch wieder Formate, die besser klingen, als die CD. Damit zusammenhängend, ändern sich natürlich auch sämtliche Hörgewohnheiten, aber ich glaube, das war jetzt gar nicht die Antwort auf deine Frage..
Kein Problem, erzähl einfach, was dir einfällt.
Hans Platzgumer: Jedenfalls finde ich es total witzig, weil ich ja mein erstes Album, das 1987, also vor 20 Jahren, raus gekommen ist, “Tod der CD” genannt habe und jetzt gerade, eben diese Prophezeiung eintritt und die CD endgültig ausstirbt. Ich gebe diesem Medium noch maximal fünf Jahre und dann wird es keine CDs mehr geben. In meiner Karriere, in diesen 20 bis 25 Jahren, habe ich die CD eigentlich immer angefochten und letzten Endes auch dieses Medium sozusagen überlebt. Deshalb bringe ich jetzt, Ende des Jahres, die “Tod der CD” als Download-only Re-Release auf iTunes heraus. Das ist zu diesem Thema genau das richtige Statement.
Der Titel “Tod der CD” hat sich dann aber ja eigentlich hauptsächlich auf die von dir empfundene Unattraktivität dieses Mediums bezogen und weniger auf die klangliche Qualität, denn MP3s als digitale Downloads entsprechen ja jetzt auch nicht gerade der Definition von High Fidelity.
Hans Platzgumer: Ja natürlich. Dem Titel wohnte auch eine sehr starke politische Komponente inne, die sich darauf bezogen hat, dass die CD als Vermarktungsmaschine eingesetzt wurde, um Musik zu verkaufen. Die Hauptintention dahinter, die CD einzuführen, war ja, einen Grund zu haben, die alten Musiksachen wieder neu verkaufen zu können. Jetzt nach 20 Jahren hat sich auch das tot gelaufen. Jedes alte Greatest Hits Album wurde bereits digitally remastered, neu aufgelegt und auf den Markt gebracht – mittlerweile läuft aber gar nichts mehr. Jetzt bräuchten sie ein neues Medium, um wieder alles neu aufzuwärmen und noch einmal aufzutischen. Der Titel war also auch als Statement gegen diese, hinter dem Medium steckenden, Marktmechanismen gedacht, weil mich das einfach total geärgert hat. Darüber hinaus ist die CD als Speichermedium mittlerweile ja auch schon längst überholt und hat ausgedient – DVDs sind ja schon annähernd gleich billig und bieten ein Vielfaches an Speicherkapazität. Von daher war die CD einfach ein völlig sinnloses und temporäres Zeitprodukt, mit dem kurzzeitig extrem viel Geld gescheffelt worden ist und jetzt verlieren halt alle, die darauf gesetzt haben, ihr Geld. Ich finde das auch völlig OK, so wie es ist und trauere der CD keine Sekunde lang nach.
Zum Thema CD habe ich zwei Statements. Das erste ist, wie schon erwähnt, dass ich Ende des Jahres die “Tod der CD” als Download neu raus bringe. Im Laufe der Zeit sind immer wieder Leute und Labels mit dem Wunsch an mich heran getreten, ich solle doch dieses Album wieder veröffentlichen, weil es einfach für viele eine Kultplatte ist und mittlerweile auch für viel Geld gehandelt wird. Also, jetzt nicht wahnsinnig viel, aber so um die 100 Euro muss man für eine Originalplatte schon auf den Tisch legen. Wenn ich den Re-Release aber vor zehn Jahren gemacht hätte, so hätte ich “Tod der CD” auf eben diesem Medium raus bringen müssen, was zwar irgendwie auch zynisch gewesen wäre, aber für mich geht das einfach nicht. Und jetzt, wo die CD als Medium überdauert ist, finde ich den Zeitpunkt genau richtig, das Album als Download neu zu veröffentlichen.Mein zweites Statement zu der Sache ist, dass ich nächsten April meinen letzten CD-Release raus bringen werde.
Dieses Album wird zwar auf CD erscheinen, allerdings mit einem einzigen 71-minütigen Stück darauf. Die Veröffentlichung wird auch sehr weit in den Bereich der bildenden Kunst hinein gehen, da auch sehr viele bildende Künstler, 19 an der Zahl, verschiedene Covers dazu designed haben und das Gesamtwerk schließlich eigentlich Kino für die Ohren sein wird. Ein Soundtrack zu einem fiktiven Film. Ich nehme das jetzt nur mal vorweg, nächstes Jahr wird es dazu dann sicher noch mehr zu hören geben. Das Statement soll hier einfach darin bestehen, dass mit diesem Release noch einmal sämtliche Möglichkeiten, die das Medium CD bietet, völlig ausgenutzt werden soll. Vom Cover bis hin zur Spieldauer werden alle Limits ausgeschöpft werden, die sich bieten. Und damit ist dann von meiner Seite her alles zum Thema CD gesagt und ich kann mich anderen Medien zuwenden.
Willst du dich dann auf digitale Medien konzentrieren bzw. beschränken, oder gehst du auch wieder zurück zu Vinyl-Veröffentlichungen?
Hans Platzgumer: “Tod der CD” wird es jedenfalls nur als Download geben. Vinyl war dafür das Medium in den Achtzigern und heute ist es diese Form. Ich finde es auch Quatsch, dieses Album jetzt noch einmal auf Vinyl zu veröffentlichen. Das mache ich dann lieber mit neuen Alben. In Zukunft, so wie ich mir das vorstelle, werde ich nur noch Downloads veröffentlichen und zusätzlich so Liebhaber-Vinyl-Editionen, wo diejenigen, die auch was richtig tolles, schön Gestaltetes in der Hand haben wollen, zufrieden gestellt werden. Der Großteil, dem es einfach nur um die Musik geht, kann es sich dann einfach irgendwo runter laden.
Heuer ist dann auch noch von einem anderen deiner Projekte eine neue Veröffentlichung erschienen, von HP Stonji, sozusagen der elektronische Gegenpart zu Convertible. Dieses Projekt machst du mit Jens Döring, der in Deutschland sitzt. Kannst du da ein wenig über den Schaffensprozess erzählen? Wie kann man sich das genau vorstellen? Du sitzt an einem Ende der Leitung und Jens am anderen und ihr schickt euch immer die Tracks hin und her?
Hans Platzgumer: HP Stonji machen wir jetzt seit ziemlich genau fünf Jahren und die Zusammenarbeit zwischen Jens und mir, die wirklich extrem intensiv ist, funktioniert extrem gut. Wir stehen eigentlich jeden Tag miteinander in Kontakt und haben auch unseren eigenen Server, auf den wir uns gegenseitig verschiedene Sachen hoch laden. Das ist also quasi unser eigenes, großes, virtuelles Studio, in dem wir die ganze Zeit über miteinander kommunizieren. Sobald ich meinen Computer aufmache, bin ich auch schon wieder beim Jens und wir sind auch immer für den anderen erreichbar. Mit den modernen Kommunikationsmöglichkeiten ist es auch vollkommen egal, ob ich jetzt in Melbourne, Bombay oder irgendwo anders bin. Sobald wir einen Internetanschluss haben, sind wir sozusagen im gleichen Raum und machen unsere Musik. Das funktioniert bei uns so extrem gut, weil auch ein gewisses Grundverständnis das ist, man also genau weiß, was der jeweils andere meint. Internet-Kommunikation ist ja nicht gerade einfach und klappt mit vielen Leuten nicht, mit anderen wiederum jedoch bestens und in unserem Fall ist es so, dass einer zwei oder drei Wörter schreibt und der andere schon genau weiß, was gemeint ist.
Mit HP Stonji läuft das also wirklich sehr super. Wir arbeiten jetzt gerade auch an der Musik zu einem neuen Hörspiel, das ich für den Bayrischen Rundfunk geschrieben habe und das nächstes Jahr raus kommen wird. Das Stück heißt “Etwa 90 Grad” und darin begibt sich der Protagonist auf die Spuren der Nordpol-Entdecker und geht deren Reise nach. An der zugehörigen Musik sind wir momentan eigentlich ständig am Werken.
Wie handhabt ihr etwaige Meinungsverschiedenheiten? Also in der Art, dass jetzt einer sagt, OK, der Track ist fertig, der andere jedoch der Meinung ist, dass daran noch Einiges gemacht und verbessert werden muss?
Hans Platzgumer: Wir sind in dieser Hinsicht eigentlich beide sehr kritisch und es gibt auch keine unnötigen Eitelkeiten. Man muss sich also kein Blatt vor den Mund nehmen und kann kurz und präzise sagen, was einem nicht gefällt – ganz einfach konstruktive Kritik. Da ist dann auch niemand eingeschnappt, sondern versteht sofort, was gemeint ist. Hin und wieder gibt es natürlich auch Momente, wo Sachen etwas schwieriger werden, aber wir treffen uns ja auch alle paar Wochen mal persönlich, wo man noch besser auf Probleme eingehen kann. Jens wohnt in Ulm, das ist nicht so weit weg von mir und wenn ich irgendwo hin nach Deutschland fahre, komme ich eigentlich sowieso immer in seine Gegend, so dass wir uns wirklich regelmäßig treffen. Insgesamt sehen wir uns sicher so ein bis zwei Mal im Monat, was auch wirklich wichtig ist. Wann alles nur ausschließlich auf rein virtueller Basis ablaufen würde, dann würde es wahrscheinlich nicht so gut funktionieren und die Online-Kommunikation bald an ihre Grenzen stoßen.
Tretet ihr mit dem Projekt HP Stonji auch live auf?
Hans Platzgumer: Ja, teilweise sogar recht oft, im Moment aber eher wenig. Das kommt immer sehr darauf an, wie es sich gerade ergibt, wie die Angebote rein kommen und wie es in dem Moment gerade zeitmäßig bei uns aussieht. Live-Konzerte mit HP Stonji machen jedenfalls immer extrem viel Spaß. Live trete ich überhaupt fast nur entweder mit HP Stonji oder mit Convertible auf. Mit Shinto, meiner japanischen Band, machen wir zwar nächste Woche ein Konzert, das passiert aber nur einmal im Jahr, wenn wir in München spielen, oder im Rahmen einer Japan Tournee. Ich habe schon so viele Konzerte gespielt, dass ich mir mittlerweile gerne aussuche, was ich mache und was nicht. Das muss Spaß bringen, für die richtigen Leute sein, gerade gut ins Konzept passen oder richtig gut Kohle bringen, aber ich mache sicher nicht mehr jeden Blödsinn mit.
Wie ich gelesen habe, hast du ja schon über 50 Alben veröffentlicht. Arbeitest du an jedem Release wirklich so lange, bis er wirklich perfekt ist, oder gibt es auch schon mal Momente, wo du dir sagst, dass es jetzt reicht und du das Album einfach so, wie es gerade ist, raus haust?
Hans Platzgumer: Nein, so was gibt es bei mir überhaupt nicht, in dieser Hinsicht bin ich sehr perfektionistisch. Ich veröffentliche nie irgendetwas, mit dem ich nicht vollkommen zufrieden bin. Da hau ich entweder den Hut drauf, oder verzögere es einfach. Eigentlich habe ich auch nie Stress, unbedingt etwas raus bringen zu müssen. Ich bin aber nur in meiner eigenen Welt perfektionistisch, in der alles hundertprozentig passen und alles ganz genau mit meinen Vorstellungen übereinstimmen muss. Das heißt jetzt nicht, dass alle Fehler ausgebügelt werden, oder alles total super perfekt, im technischen Sinn, ist. Auf meinen Alben finden sich immer wieder ein paar Fehler oder Störgeräusche, die ich ganz bewusst darauf gelassen habe, das gehört für mich einfach zum Begriff “Perfektionismus” dazu. Auch, dass man einfach mal die Computer ihr eigenes Leben entwickeln lässt, die dann auch selbständig ihre eigenen Fehler machen.
Das war zum Beispiel bei der Convertible so, für die wir uns sehr viel Zeit genommen haben, so. Ein magischer, fast unheimlicher, Moment im Studio sozusagen. Wir haben alles im Studio live eingespielt, ohne Time Code und so, einfach direkt in den Computer. Dieser war damit aber teilweise überfordert und hat auch von Zeit zu Zeit ausgesetzt. Bei einer Aufnahme schließlich, mit deren Einspielung wir völlig zufrieden waren, hat der Computer im zweiten Refrain genau zwei Takte lang ausgesetzt und ist dann aber wieder gekommen. Und zwar so haargenau auf den Takt, dass wir selber das gar nicht bemerkt haben.
Der Computer hat einfach genau diese 11 1/8 Sekunden oder so raus genommen. Da war so eine kleine Bridge, wo auf einmal alles auf H hochgeht und genau dieses H hat er punktgenau raus geschnitten, wirklich unglaublich. Das haben wir dann einfach so gelassen und als Zeichen höherer Gewalt akzeptiert. Beim Einsingen musste darauf dann natürlich auch geachtet werden, weil ja auf einmal etwas gefehlt hat. Auf der Platte kann man das auch gut selber nachhören und zwar beim Stück “Burning Light”, bei dem der zweite Refrain anders ist als der erste. Ein super Trick eigentlich, den wir selber kompositorisch gar nicht geplant hatten, der Computer da aber ganz einfach von selbst mitgeholfen hat.
In dem Moment, wo du das Album veröffentlichst, bist du also immer vollkommen zufrieden damit. Wie ist es aber, wenn du vom heutigen Standpunkt aus zurück blickst? Gibt es da Sachen, wo du sagst, das hättest du besser anders machen sollen, oder besser überhaupt nicht? Einspielungen also, mit denen du heute nicht mehr zufrieden bist?
Hans Platzgumer: Gute Frage. Natürlich gibt es so etwas. Bei ungefähr 50 Veröffentlichungen bin ich nachträglich auf keinen Fall mit allem richtig zufrieden und habe fast an allen Releases etwas zu bekritteln. Es gibt aber auch so ungefähr fünf Platten, die ich nach wie vor für sehr gelungen halte und über die ich auch vom heutigen Standpunkt aus sagen würde, die hätte ich kaum besser machen können. Dann gibt es aber auch wieder diejenigen Aufnahmen, wo ich sage, scheiße, die hätte ich jetzt gerne noch mal neu gemacht.Teilweise nehme ich mir dazu auch die Freiheit. Auch Stücke, die eigentlich super sind, aber nicht genau und perfekt präsentiert wurden, greife ich dann einfach wieder neu auf. Platzgumer-Kenner wissen schon, dass auf vielen Platten immer wieder Stücke von mir in neuen Versionen auftauchen. So auch auf der neuen Convertible, auf der je ein Stück vom ersten und eines vom zweiten Vorgänger-Album enthalten ist. “Morning” und “Magellan” sind darauf jetzt in völlig neuen Versionen zu hören. So etwas zu machen finde ich sehr wichtig und es gefällt mir, zu beobachten, wie sich Sachen weiter entwickeln.
Gerade “Morning” ist jetzt in einer Gestalt da, die ich wirklich super gut finde – im Moment jedenfalls. Vielleicht bin ich später einmal ganz anderer Meinung, dann nehme ich das Stück auch gerne wieder neu auf. Das ist auch das Gute an Songs im Gegensatz zu Tracks. Anders als bei Elektronischer Musik ist Musik, die auf Songwriting basiert doch irgendwie zeitloser. Ein Song kann altmodisch produziert sein, dann spielt man ihn einfach ein einer neuen Form noch einmal ein. Ein guter Song stirbt einfach nicht so schnell. “Strawberry Fields Forever” ist nach wie vor ein extrem gutes Lied, mit dem eigentlich so gut wie nichts mithalten kann. Das ist auch nach 40 Jahren einer der besten Songs der Musikgeschichte.
Hast du auch selbst, nachdem du einen “Pop-Song” gemacht hast, ein anderes Gefühl, als bei der Fertigstellung eines elektronischen Stücks? Wo du für dich also selber sagst, ja, der Song hat jetzt länger Bestand, den wird man sich in vielen Jahren auch noch anhören können. Gibt es da gefühlsmäßig irgendeinen Unterschied zwischen den verschiedenen Projekten?
Hans Platzgumer: Ja, den gibt es. Elektronische Musik ist doch immer ein Statement zur Zeit, das auch einen gewissen Aktualitätsfaktor aufweist. Man muss einfach immer mit den Produktionsmitteln am Zahn der Zeit sein. Jede elektronische Platte, die raus kommt, muss für mich die aktuellen technischen Möglichkeiten ausschöpfen, sonst ist das irgendwie langweilig. Dieses Retro-Elektrozeug finde ich einfach unspannend. Beim Songwriting hingegen bestehen diese Vorgaben überhaupt nicht, da ist es einfach nur wichtig, einen guten Song zu schreiben. Und ein richtig guter Song nutzt sich so schnell auch nicht ab. Das muss jetzt nicht heißen, dass sich alle elektronischen Platten schnell abnutzen, aber all diesen Platten merkt man das ungefähre Produktionsdatum an. Bei Pop/Rock-Platten zwar auch, aber die darauf enthaltenen Songs sind einfach beständiger. Den ganzen Retro-Sachen, die in letzter Zeit gemacht wurden, merkt man ja auch an, dass sie neu sind. Ich weiß jetzt gar nicht so genau, ob unsere Platte so richtig nach den Sechziger Jahren klingt, oder man auch ihr anmerkt, dass sie 2007 entstanden ist. Für mich ist das aber auch nicht wirklich wichtig.
Kurz weg von der Musik. Nächstes Jahr soll auch dein zweites Buch erscheinen. Gibt es bei dir an die Schreiberei eine andere Herangehensweise als an deine Musikprojekte, oder handhabst du das genau gleich? Bist du da genau so Perfektionist, wie bei der Musik und nimmst dir ebenso viel Zeit oder ist das einfach ein Ventil, um die restliche, angestaute, kreative Energie raus zu lassen?
Hans Platzgumer: Nein, gar nicht eigentlich. In Moment nehme ich mir für das Schreiben sogar mehr Zeit als für die Musik. Generell, je älter ich werde, desto weniger will ich irgendwelche halbgaren Sachen machen. Wenn ich etwas mache, dann möchte ich das auch richtig machen. Deswegen lasse ich gewisse Arbeiten, wo man sagen könnte, die wären eigentlich schnell gemacht, einfach weg, weil ich mir denke, wenn ich mich schon dafür entscheide, etwas zu tun, dann auch richtig – ganz unabhängig von der Größe des Projekts und der Bezahlung. Deshalb steckt auch im neuen Roman “Weiß” wahnsinnig viel Arbeit, mit irrsinnig viel Herz, Energie und Zeitaufwand. Im letzten Jahr habe ich glaube ich mehr geschrieben, als Musik gemacht.
Wahrscheinlich spielt da auch noch viel weniger Routine als beim Musik machen mit, oder?
Hans Platzgumer: Ja, das stimmt auf jeden Fall. Wenn ich beim Musik machen ein Konzept, eine Idee oder eine Vision habe, dann geht mir die Ausführung sehr locker von der Hand, weil ich einfach schon ganz genau weiß, wie es gemacht wird. Beim Roman ist das natürlich, was natürlich auch seine Vorteile hat, noch eine ganz andere Ebene, obwohl ich kein kompletter Anfänger bin. Der Anfangs-Enthusiasmus dahinter ist aber noch ein ganz anderer, als bei der Musik, der mir hier im Laufe der Zeit natürlich schon abhanden gekommen ist.
Ist da auch noch das Interesse gegenüber der Rezeption deines Romans größer, als bei der Musik?
Hans Platzgumer: Ja, das ist für mich spannender. Der Roman ist gerade auch im Endlektorat und es ist für mich äußerst spannend, zu beobachten, wie sich das alles jetzt weiter entwickeln wird. Bei der Musik ist das nicht mehr so ausgeprägt, weil ich das einfach schon sehr lange und auch sehr oft erlebt habe. Da lese ich mir auch gar nicht mehr alle Rezensionen durch. Beim Roman hingegen ist diese Anfangs-Energie und dieser Enthusiasmus allgegenwärtig – ein wirklich total schöner Moment. Ich hoffe jedenfalls, dass das Buch gut ankommen wird. Ich bin dafür ja auch extra in die Arktis auf Recherche-Reise aufgebrochen und habe mir sehr viel angetan. Aber natürlich war das auch eine tolle Reise, die ich schon immer einmal machen wollte.
Wie lange hast du dort verbracht?
Hans Platzgumer: Zwei Wochen, im August. Da ist es dort mit minus 2-3 Grad einigermaßen erträglich, so wie bei uns im Winter. Zur Polarnacht-Zeit, wenn es wirklich lange finster ist, möchte ich aber auf jeden Fall auch noch mal hin. Ich mag ja generell diese Extremzustände und Grenzerfahrungen. Das finde ich wahnsinnig wichtig und reizvoll. Mein größter Wunsch wäre ja eigentlich, in den Weltraum zu fliegen, das würde ich wirklich irrsinnig gerne einmal machen. Leider werde ich in meinem Leben dazu wohl nicht die Gelegenheit bekommen. Einfach so hoch zu schießen und unsere Mutter Erde da unten so klein zu sehen und alles, was ich kenne und mir vorstellen kann, mit einem einzigen Handballen abdecken zu können. Das wäre wirklich eine Horizonterweiterung und alles, was Horizont erweiternd ist, finde ich gut.