“Vielleicht ist das sogar mein einziger Antrieb – etwas zu machen, dass ich so noch nicht gemacht habe.” – WOLFGANG MÖSTL (MILE ME DEAF) im mica-Interview

„Alien Age“ heißt das neue Album von MILE ME DEAF (MMD) und es behandelt nichts Geringeres als die menschliche Kunst, den Planeten auszubeuten und sich dann über die Konsequenzen zu wundern. Oder zumindest könnte man das Konzept in jene Richtung interpretieren. Mastermind hinter der kritischen und musikalisch total einnehmenden Platte ist WOLFGANG MÖSTL, der nicht nur mit seiner Band MILE ME DEAF, sondern auch mit Projekten wie KILLED BY 9V BATTERIES und SEX JAMS auf sich aufmerksam gemacht hat. Mit Anne-Marie Darok sprach er über neue Musikrichtungen, morbide Texte und die unzähligen Soundschnipsel, die auf „Alien Age“ vertreten sind.

Damals, als „Brando“ auf dem Markt war, meinten Sie in einem Interview, dass Sie zwar an neuer Musik arbeiten, aber gerne den 60s-Retro-Drive von „Brando“ beibehalten möchten. Mittlerweile ist die Musik von MMD aber in einer komplett neuen Sphäre – einem neuen Jahrzehnt – angelangt. Wie war die Reise von „Brando“ zu „Alien Age“?

Wolfgang Möstl: Zwischen „Brando” und „Alien Age” liegen ja vier Jahre, zwei Alben, ein paar Singles und EPs – der ganze Weg hierher ist nicht hundertprozentig rekonstruierbar. Ich habe zwar immer gemacht, worauf ich gerade Lust hatte, mir war es aber ab 2012 mit „Eat Skull“ wichtig, dass, egal in welche Richtung sich MMD entwickeln sollte, die Releases zusammen in irgendeiner Form Sinn machen. Dass es irgendein verbindendes Element gibt. Die Platten sollen trotz unterschiedlicher Sounds, Songs, Produktionstechniken oder Instrumentierung nach Mile Me Deaf klingen. Nach einem Projekt, das sich weiterentwickelt. Da war „Eat Skull“ definitiv ein Wendepunkt in der Diskografie, davor war wirklich alles sehr eklektisch zusammengestöpselt. Was ich damals sehr super fand, aber die größere Herausforderung ist es, alles neu und trotzdem vertraut zu machen.

Die Songs auf „Alien Age” fügen sich ziemlich gut in die aktuelle Vaporwave-Bewegung ein, in der sich einerseits die bejahende Jugendkultur und andererseits auch der Überdruss derselben Jugend manifestieren. Ist Ihr Album eine Abhandlung mit der übersättigten Gesellschaft?

Wolfgang Möstl: Ich bin vor zwei Jahren auf Vaporwave gestoßen und hab somit die Hochblüte komplett versäumt. Ich war von der ganzen Ästhetik aber ziemlich begeistert und hab mir während der Produktion ständig die scheinbar unerschöpflichen Playlisten auf SoundCloud, YouTube etc. angehört. Ich fand es ziemlich spannend, dass es das erste Genre war, das komplett im Internet – also ohne Ortsbezug – entstanden war. Das ganze Ding war bestimmt in irgendeiner Form einflussgebend, aber ich würde „Alien Age“ in keine sogenannte Vaporwave-Bewegung einordnen. Dafür ist das Album dann doch zu wenig synthetisch und mit der 90er-Jahre-Ästhetik sind wir auch schon irgendwie durch. Außerdem finde ich solche Hypes zwar immer lustig und kann mich als Konsument dafür begeistern, als Musiker versuche ich aber, mich von so etwas fernzuhalten, und mache mein eigenes Ding.

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„Die Texte von MMD waren ja immer schon leicht morbid.”

 „Alien Age” ist ja ein Konzeptalbum. Welchen Überlegungen folgt der rote Faden?

Wolfgang Möstl: Ich würde es nicht direkt als „Konzeptalbum“ bezeichnen, vielmehr war es unmöglich, die eigenartige Stimmung, die seit einiger Zeit herrscht, nicht in irgendeiner Weise in das Album einfließen zu lassen. Die Texte von MMD waren ja immer schon leicht morbid, aber diesmal stand ich am Ende plötzlich mit einer Platte voller Entfremdung bis Apokalypse da. Das war nichts, was ich von vornherein geplant hätte, es ist einfach passiert und war wohl im Angesicht von Abschottung und Rechtsruck nicht aufzuhalten. Man muss dazusagen, dass die Texte teilweise immer noch recht nebulös gehalten sind und nicht unbedingt so gedeutet werden müssen.

Woher kommen die unglaublich vielen Samples, die Sie für Ihr Album verwendet haben? Sind das Fundstücke aus vielen Jahren des Sammelns oder wurden sie extra für „Alien Age” gesucht?

Wolfgang Möstl: Die meisten Samples kamen von Kassetten oder Platten, die ich in den letzten Jahren zusammengekauft hatte, von Sachen, die ich selbst mal irgendwann aufgenommen hatte, und von Bands, die ich mal produziert hatte. Selten ging es darum, ein bestimmtes Element, das einfach gut klingt, zu verwenden, meistens war die Auswahl vollkommen willkürlich. Oft habe ich nicht einmal vorgehört, was ich auf den Sampler spielte, um dann Soundschnipsel so lange zu bearbeiten, bis sie mir gefielen.

Vielleicht ist die Frage, warum eine Band auf Englisch oder Deutsch singt, nicht mehr salonfähig, wenn man aber die aktuelle österreichische Musiklandschaft betrachtet, dann fällt auf, dass viele der erfolgreichen Bands und Solo-Acts auf Deutsch singen. Könnten Sie sich vorstellen, Texte in Ihrer Muttersprache zu schreiben und diese dann mit dem MMD-Sound zu verknüpfen?

Wolfgang Möstl: Nein. Erstens versuche ich, mich mit MMD, so gut es geht, von Trends fernzuhalten, und zweitens bin ich einfach ein Fan eines universellen Zugangs.
Auf Deutsch zu singen hat mich bisher nicht wirklich interessiert und würde sich irgendwie falsch anfühlen. Auch wenn ich viele deutschsprachige Bands ziemlich gern mag, funktioniere ich als Musiker einfach nicht so.

„Es geht mir eher darum, mir selbst etwas Neues zu bieten.”

Wie beeinflussen die eigenen Werke das Vorwärtskommen als Band? Spürt man einen gewissen Schaffensdruck?

Wolfgang Möstl: Man entwickelt sich weiter, ob man will oder nicht. Es fühlt sich meistens auch nicht richtig an, etwas Eigenes zu wiederholen oder aufzukochen. Zumindest für mich. Vielleicht ist das sogar mein einziger Antrieb – etwas zu machen, was ich so noch nicht gemacht habe, nicht zurückzugehen, to step out of the comfort zone. Wahrscheinlich ist das jetzt nicht unbedingt etwas, was man meinen Alben sofort anhört, aber ich habe tatsächlich mit jedem Album irgendwie bei null angefangen. Es geht mir eher darum, mir selbst etwas Neues zu bieten.
Natürlich habe ich auch ohne jeglichen Erfolgsdruck leicht reden, ich kann ja wirklich machen, was ich will. In dieser Hinsicht tun mir bestimmte Bands dann schon irgendwie leid.

Wie stark haben Sie eigentlich das Publikum im Hinterkopf, wenn Sie Musik machen?

Wolfgang Möstl (c) Tanja Möstl

Wolfgang Möstl: Beim Schreiben denke ich nur bedingt an ein Publikum, da geht es mir in erster Linie darum, eine gute Platte zu machen und den Prozess frisch zu halten. Ich mache natürlich Alben, die ich mir selbst anhören würde, und hoffe, dass es ein paar Leute gibt, die einen ähnlichen Musikgeschmack oder Zugang haben wie ich.
Wenn wir als Band proben und an einem Live-Set basteln, versuchen wir schon, das ganze halbwegs verdaubar zu gestalten. Wobei wir dabei in erster Linie darauf achten, dass uns das Set Spaß macht. Es macht keinen Sinn, Songs, die uns eigentlich schon langweilen, vorzutragen.

Haben Sie Tipps für eine Band, die in den Startlöchern scharrt?

Wolfgang Möstl: Da fallen mir nur abgedroschene Floskeln ein: keinen Trends hinterherlaufen, sich nicht verbiegen lassen und so weiter. Oder vielleicht ein interessantes Element in der eigenen Musik finden und dies in den Mittelpunkt stellen.
Oder einfach: spannende Musik machen [lacht]!

„Dass man sich nicht vor irgendetwas anscheißen soll, hätte ich gerne damals schon gewusst.”

Welche Tipps hätten Sie selbst gerne erhalten und welche Empfehlungen hätte man Ihnen lieber nicht geben sollen?

Wolfgang Möstl: Dass man sich nicht vor irgendetwas anscheißen soll, hätte ich gerne damals schon gewusst. Irgendwie fällt mir keine Empfehlung ein, die ich bekommen hätte, als ich anfing, Musik zu machen, außer vielleicht, dass ich es lieber lassen sollte.

Laut Ihren Überlegungen im Pressetext zu „Alien Age” hat die menschliche Gesellschaft ein Ablaufdatum. Erreichen wir das in nächster Zeit?

Wolfgang Möstl: Ich bin halt mit dieser apocalyptic fiction aufgewachsen, das begleitet mich schon immer und ich spiele gern damit. Einer der ersten Filme, an die ich mich erinnern kann, ist tatsächlich „The Day After“ von 1983. Dieses Endzeit-Faible wurde durch die Ereignisse der letzten Jahre verstärkt, aber ich behaupte auf keinen Fall ernsthaft, die Gesellschaft stehe vor einem Abgrund, das sollten wir den Populisten überlassen. Ich bin mir sicher, dass die Menschheit noch genügend Zeit hat, um den Planeten auszubeuten. Und wenn die Party früher als gedacht endet, werden die Einzigen, die das schlimm finden werden, nur wir selbst sein.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Anne-Marie Darok

Mile Me Deaf live
3.3. Sargfabrik, Wien – Album-Release

Links:
Mile Me Deaf
Mile Me Deaf (Facebook)
Siluh Records