„WIR MÜSSEN ANFANGEN, RESSOURCEN ZU TEILEN.“ – Die Westbahnstudio-Betreiber (Nik Hummer, Peter Kutin, Daniel Riegler) im mica-Interview

Welche Infrastruktur braucht ungewöhnliche Musik? PETER KUTIN, NIK HUMMER und DANIEL RIEGLER haben die WESTBAHNSTUDIOS umgebaut. Gut versteckt im 15. Wiener Gemeindebezirk bieten die drei Künstler, seit kurzem auch Geschäftsführer und Gesellschafter, nun eine „Koproduktionsstätte“: Räumlichkeiten mit High-End-Akustik, die für Proben, Konzerte und zur Vernetzung genutzt werden können. Dank einer Förderung der Stadt Wien können Musiker:innen diese unterhalb von kommerziellen Preisen mieten. Im Interview mit Michael Franz Woels und Michael Zangerl loten PETER KUTIN, NIK HUMMER und DANIEL RIEGLER ihr Verhältnis zum Studio-Business aus, erklären sich solidarisch mit der Freien Szene und fordern langfristige kulturpolitische Strategien.

Ihr seid seit Februar dieses Jahres Mieter der Westbahnstudios. Wie habt ihr drei im Kernteam zueinandergefunden, um dieses Projekt zu starten und durchzuführen?

Peter Kutin: Ich hatte schon länger immer wieder in den Räumlichkeiten gearbeitet. Mathias Lenz und Karl Edlmayer haben mir dann anvertraut, dass sie die Studios nicht mehr als solche betreiben wollen. Dann bin ich auf Nik und Daniel zugegangen, da beide aktiv Räume für Musik suchten und nötigen Fähigkeiten mitbringen, um ein Kulturprojekt tatsächlich zu stemmen / realisieren.

Die Presse diagnostizierte 2011 betreffend der damaligen Westbahnstudios: „Das Geschäft mit der Musik hat schon bessere Zeiten erlebt. Tonstudios konzentrieren sich deshalb auf Werbung und Film – oder analogen Retrosound.“ Warum habt ihr euch – ein Jahrzehnt später und in einem anderen Team – dazu entschieden, die Westbahnstudios zu übernehmen?

Peter Kutin: Wir sehen das gesamte Projekt nicht als klassisches Studio, sondern als hochkarätigen Arbeitsraum für Menschen, die mit Sound und darüber hinaus arbeiten. Das hat im Wesentlichen nichts mit Studio-Business zu tun, sondern ist ein Kulturprojekt, das es Musiker:innen ermöglicht, guten und preislich sehr leistbaren Raum zu nutzen. Dabei geben wir sehr darauf acht, dass wir klassischen Studiobetreiber:innen nicht mit Dumpingpreisen das Wasser abgraben. Wir stellen keinerlei Aufnahmeequipment zur Verfügung.

Nik Hummer: Die Schallisolierung innen und außen war gegeben. Die Vorbesitzer haben eine sehr gute Grundsanierung gemacht und uns diese Räumlichkeiten zu wirklich altruistischen Konditionen übergeben. Wir waren überrascht von diesen perfekten Voraussetzungen: Eine günstige Miete, Hausbesitzer, die dieses Projekt unterstützen. Und man muss dazusagen, wir drei machen dieses Projekt ja neben unseren eigentlichen künstlerischen Arbeiten.

Daniel Riegler: Es geht um optimale Arbeitsbedingungen für Kreative, die mit Klang arbeiten und deshalb eine gute akustische Situation brauchen. Arbeiten mit Klang bringen mit sich, dass man für sein Umfeld hörbar ist. Deshalb ist es nützlich, dass diese Infrastruktur so gebaut ist, dass Anrainer:innen nicht gestört werden.

„DIE SOGENANNTE FREIE SZENE IST IN VIELEN DINGEN DIE VON SACHZWÄNGEN ‚UNFREIESTE‘. DEM WOLLEN WIR ZUMINDEST IN EINEM PUNKT ENTGEGENARBEITEN.“

Man liest über die Westbahnstudios folgende Beschreibung: „Die Westbahnstudios verstehen sich als Kreativ-Werkstätte mit einem ausgeprägt sozialen Ansatz“. Was versteht ihr unter einem ausgeprägten sozialen Ansatz?

Daniel Riegler: Das ist eine Verklausulierung für die Tatsache, dass die Mietkonditionen unschlagbar sind, wenn man bedenkt, was wir dafür bieten. Für Künstler:innen der so genannten Freien Szene scheint es nicht vorgesehen zu sein, dass Arbeitsbedingungen dem entsprechen, was man von der Qualität der künstlerischen Arbeit erwartet. Die sogenannte Freie Szene ist in vielen Dingen die von Sachzwängen „unfreieste“. Dem wollen wir zumindest in einem Punkt entgegenarbeiten. Ein ausgeprägt „sozialer Ansatz“, wenn nicht sogar ein solidarischer Ansatz, wie ich finde.

Peter Kutin: Jeder Mensch, der in Wien aktiv an Klangvorstellungen und Musikformen arbeitet, die den Rahmen des Schlafzimmerstudios sprengen, weiß, dass es schlichtweg keine leistbaren Räume zu mieten gibt, noch dazu mit guter Akustik, guter Anlage, Tageslicht und ohne Lautstärkenprobleme. Und genau das gibt es jetzt. Für 90€ bekommen Interessierte einen knapp 100m2 Raum mit High-End-P.A.-System, Flügel und allen anderen Basics für 24 Stunden.

Nik Hummer: Als sozialer Ort ist dieses Studio schon speziell, in Bezug auf eine Musik- und Kunstszene, die mit Klang arbeitet. Es gibt einen sehr großen Aufenthaltsraum und Parallelbetrieb. Künstler:innen, die dauerhaft da sind ‒ wie die Artists in Residency ‒ sollen auch die Leute, die tageweise kommen, kennenlernen und sich mit ihnen musikalisch vernetzen können. Wir wollen auch internationale Artists in Residence, denn die hier lebenden Artists sind international vernetzt. Wir wollen keine Einschränkung hinsichtlich des Musikstils, aber zeitgenössische, experimentelle Musik besonders unterstützen.

Westbahnstudio (c) Nik Hummer

Die Westbahnstudios verstehen sich als „Koproduktionshaus“. Was sind die Vorteile eines solchen?

Daniel Riegler: Das nicht jede Szenegruppe ein eigenes Haus betreiben muss.

Peter Kutin: Natürlich sind wir bestrebt, in Zukunft künstlerische Projekte umzusetzen. Bis jetzt haben wir erst einmal den Raum umgebaut etc. Das war ein enormer Akt, der uns allen sehr viel Zeit und Energie gekostet hat – zusätzlich zu unseren anderweitigen beruflichen Tätigkeiten. Langfristiges Ziel wäre natürlich, internationalen Austausch und Relevanz zu erlangen, z. B. über Residency Projekte und künstlerischen Austausch. Ein Ort wie das EMS Stockholm hat die Musikkultur in einem ganzen Land nachhaltig geprägt. Das wäre so ein Best-Practice-Beispiel, welche positiven Auswirkungen es haben kann, wenn eine Stadt das Potential von Räumen zum „Langfristig-an-Musik-Arbeiten“ mitdenkt und dabei auf die musikschaffenden Personen hört und deren Anliegen ernst nimmt – die Expertise quasi auslagert.

Nik Hummer: Wir müssen anfangen, Ressourcen zu teilen. Das hat auch Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler sofort verstanden und dieses Projekt unterstützt. Ich komme aus dem Co-Working-Bereich und habe quasi die ersten Co-Working-Spaces in Wien gebaut. Wir überlegen auch, Projekte anzustossen und zu finanzieren, um den Artists bei der Umsetzung zu helfen. Das ist ein mittel- bis langfristige Überlegung. Im Kleinen sorgen wir schon jetzt für offenen Support für die Szene, die Quersubventionierung verschiedener Artists – im kulturellen Neusprech – für geldwerte Leistung.

„ICH DENKE ES IST FÜR WIEN EINE WIRKLICH NEUE DIMENSION, WIE DORT MUSIK GEHÖRT UND ERLEBT WERDEN KANN.“

Ihr habt die Westbahnstudios nun schon öfter für Konzerte genutzt, etwa bei der Eröffnung. Welche Rolle sollen Live-Performances in Zukunft haben?

Peter Kutin: Live-Konzerte funktionieren einfach wunderbar in dieser Location. Pianissimo, Fortissimo klingen beide sehr gut in diesem Raum. Ich denke, es ist für Wien eine wirklich neue Dimension, wie dort Musik gehört und erlebt werden kann.

Daniel Riegler: Konzerte sollen nicht der Fokus unserer Arbeit werden. Vor allem geht es um längerfristiges Arbeiten und Entwickeln von neuen Projekten und Ideen. Wenn am Ende einer solcher Entwicklungsarbeit eine kleine öffentliche Präsentation steht, ist es ein optimales Projekt-Setting. Dass es zwischendurch auch interessante Stand-Alones geben wird, ist aber klar.

Die Sängerin und Musikerin Karolina Preuschl ist die erste SKE-Residencies-Künstlerin der Westbahnstudios. Wie wurde sie ausgewählt? Was wird das Ergebnis der Residency sein?

Daniel Riegler: Unsere Residenzprogramm ist im Aufbau, wir wollen das auch und insbesondere auf internationales Niveau heben. Karolina ist allen in unserem Team sehr vertraut. Abgesehen von ihrer künstlerischen Eignung, war sie insbesondere für die erste Residency sehr geeignet, weil hier unsere Infrastruktur noch nicht fehlerlos funktioniert hat. Sie konnte also einiges Neues erarbeiten. Und wir haben einiges für zukünftige Residencys gelernt.

Peter Kutin: Die Residents können entscheiden, ob sie eine Abschlusspräsentation machen wollen oder nicht. Grundsätzlich stellen wir nur das Wichtigste, nämlich einen guten Raum zum Arbeiten, zur Verfügung. Künstlerischen Druck wollen wir nicht aufbauen. Die Residents werden von einem Gremium ausgewählt und angeschrieben. Es gibt derzeit noch kein Bewerbungsverfahren, da wir auch noch am Ausloten sind und Feedback abwarten. Ziel ist es, wie gesagt, in Zukunft auch internationale Residents hier zu beherbergen.

„DER RAUM IST FÜR ENSEMBLEMUSIK, FÜR AKUSTISCHE INSTRUMENTE GEDACHT UND GEBAUT.“

Der Vormieter hat die Räumlichkeiten einer ehemaligen Kutschenfabrik in diesem Gründerzeitwohngebäude bereits als Studio genutzt. Umbau-Hoheit hatte Nik Hummer, der ja neben Sound-Design auch als Innenarchitekt und Ausstellungsdesigner tätig ist. Welche akustischen Maßnahmen, welche Ausrichtung wurden im Speziellen vorgenommen?

Peter Kutin: Die Aufgabe beim Akustikbau war, eine möglichst vielfältige Nutzung – Proben, Aufnahmen, Konzerte – für alle aktuellen Musikformen zu ermöglichen. Das unter einen Hut zu bekommen, war sehr schwierig.

Nik Hummer: Der Raum ist für Ensemblemusik, also für akustische Instrumente, gedacht und gebaut. Bei Ensemble-Proben kann jeder jeden hören. Die Nachhall-Zeit ist dabei wichtig. In Büroräumen und im öffentlichen Raum ist diese genormt. Im Musikbereich gibt es auch Grundnormen. Aber die lassen sich nicht immer so leicht einhalten, weil Räume wie beispielsweise dieser hier, nicht so gute Raumproportionen hat, da er sehr lange und nicht sehr hoch ist. Es galt, diesen Raum über den gesamten Frequenzbereich linear, mit einer gleichen Nachhallzeit über nahezu alle Frequenzbereiche zu gestalten. Das gelingt auch mit dem Tweaken (Anm. Feinjustieren) durch fahrbare Elemente. Für ein Konzert mit elektronischer Musik stellen wir diese Akustikelement auf, um einen trockeneren Sound und kürzere Nachhallzeiten zu erzielen.

Westbahnstudio (c) Nik Hummer

Ihr selbst habt bisher mit elektronischer Musik, Hip-Hop, Jazz, Neuer Musik und Sound-Installationen gearbeitet. So diverse Genres bringen unterschiedliche Anforderungen – oder zumindest Konventionen – mit. Konnten diese bei der Konzeption und beim Umbau der Studios berücksichtigt werden?

Daniel Riegler: Ja, das war ein sehr sehr großer Vorteil unserer Kooperation. Sehr unterschiedliche Anforderungen wurden berücksichtigt. Das macht uns für viele Anwendungen flexibel.

Peter Kutin: Es wurde auf alle möglichen Situationen geachtet, wobei dem Raumklang die oberste Priorität beigemessen wurde. Aber Dinge wie Multichannel, Videoprojektion, Screenings oder Streaming, das ist alles möglich.

Abschlussfrage: Gab es bezüglich der unterschiedlichen Genre-Ansprüchen und -Konventionen Reibungspunkte oder Situationen, wo ihr schwierige Entscheidungen treffen musstet? Wenn ja, welche?

Peter Kutin: Grundsätzlich versuchen wir mit einem First-Come-First-Serve-Prinzip vorzugehen und niemanden auszugrenzen – außer das Projekt ist politisch auf der dunkeln Seite angesiedelt … Das wäre natürlich ein Ausschlussgrund.

Daniel Riegler: Es gab Reibungspunkte, aber diese lagen nicht in den Fragen der verschiedenen Ansprüche und der Genres, aus denen wir kommen. Die Gruppe kann sehr konstruktiv arbeiten, aber Häuslbauen ist immer ein Kraftakt. Gott sei Dank sind wir nicht verheiratet…

Herzlichen Dank für das Interview!

Michael Franz Woels & Michael Zangerl

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Termin:
9.10. 20 Uhr Twixt, Negativland
Westbahnstudios, Preysinggasse 5, 1150 Wien

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Link:
https://www.westbahnstudios.at/