„GOOGELN AUF INSTAGRAM, GEIL!” – MY UGLY CLEMENTINE IM MICA-INTERVIEW

MY UGLY CLEMENTINE spielen jetzt Champions League. Die neue Platte der erfolgreichsten Gitarrenband Österreichs erscheint bei BMG, das ist die internationale Labelliga, da gehören SOPHIE LINDINGER, MIRA LU KOVACS und NASTASJA RONCK hin. Schließlich können 250.000 monatliche Spotify-Hörer:innen nicht ganz falsch liegen. Außerdem war da ja noch der Preis für Europas bestes Indie-Album des Jahres. Zwei, drei Jahre liegt der zurück. Jetzt kommt die neue Platte, „The Good Life” (VÖ: 11.8.2023) heißt sie. Was es für dieses gute Leben braucht, hat LINDINGER neben ein paar anderen Dingen im Call mit Christoph Benkeser besprochen.

Was ist das eigentlich, eingutes Leben?

Sophie Lindinger: Wo soll ich anfangen? Das gute Leben ist eine Suche. Viele mögen darunter das tolle Leben verstehen, eigentlich meine ich aber nur das gute Leben, also nicht das geilste oder großartigste Leben, weil es das nie sein kann. Wir können nur ein gutes Leben haben, wenn wir immer wieder innehalten und uns fragen, was gerade passt oder nicht. Es geht also um den Ausgangspunkt und wie man ihn verändern kann, dass man das Leben ertragen kann und dass es okay ist. „The Okay Life” klingt leider nicht so toll, deshalb heißt es „The Good Life”.

Was ist falsch am besten Leben?

Sophie Lindinger: Uns geht es eben nicht um das toxische Gerede vom „besten Leben”, sondern um die Anerkennung, dass es Höhen und Tiefen gibt und die auch dazugehören.

Euch geht es also weniger um den Schein, sondern um das – sorry für den Pathos – Sein?

Sophie Lindinger: Genau, es ist die Aussicht auf das gute Leben unter der Reflexion, wie es gerade aussieht. Das inkludiert, dass es nicht immer gut ist, weil: Wenn es immer nur toll wäre, wäre es irgendwann fad.

Kannst du sagen, du hast ein gutes Leben?

Sophie Lindinger: Auf jeden Fall! Auch wenn es manchmal stressig ist, man zu atmen vergisst, oder einfach nur wegwill, weil alles nervt – ich kann mir die Miete leisten, ich kann unterwegs sein und Musik machen, das ist per se ein gutes Leben!

Ist es ein besseres Leben, wenn man überlebensgroß am Times Square aufscheint?

Sophie Lindinger: Es ist schöner Moment in einer Karriere, aber das Leben ändert sich deswegen nicht.

Bild My Ugly Clementine
My Ugly Clementine (c) Mala Kolumna

Das muss doch ein gutes Gefühl sein!

Sophie Lindinger: Ja, sicher, es ist … cool.

Du sagst das so cool.

Sophie Lindinger: Na ja, was soll ich sagen. Es ist eine Ehre. Wir haben uns gefreut. Trotzdem fühlt es sich nicht ganz echt an, weil wir nicht dort sind und es sehen, sondern nur die Bilder aus dem Internet kennen. Das ist so ungreifbar.

Ihr seid jetzt bei BMG gesigned, einem Megakonzern mit entsprechender Finanzkraft.

Sophie Lindinger: Voll, wir arbeiten zwar schon länger dran und haben das alles inzwischen verdaut, aber klar: Das ist ein großer Schritt. Wir haben mehr Möglichkeiten und Reichweite. Jetzt schauen wir mal, was wir draus machen können.

Nummer 1 auf FM4 reicht nicht mehr, es muss schon größer sein?

Sophie Lindinger: Na, das ist nicht so selbstverständlich! FM4 ist ein großer Grundstein von all meinen Projekten. Auch wenn man aus manchen Dingen rauswächst – was auch immer diese Dinge sind – freue ich mich, dass man dort geschätzt wird.

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Das MTV-Ding aus den 90ern ist jetzt euer Vibe. Ich hatte Flashbacks.

Sophie Lindinger: Na ja, wir machen das ja nicht absichtlich, der Sound kommt halt.

Ich mein gar nicht den Sound. Es geht eher um diesen sogenannten Vibe.

Sophie Lindinger: Wir sind 90s-Kids, das war halt so damals und mit diesen Looks spielen wir, weil wir es immer noch cool finden. Es ist doch funny, sichdiese alten Dinge anzueignen. Das hat was Nostalgisches, aber es macht einen happy, weil wir das Gefühl von früher haben.

Das heißt: Ihr sucht zwar in der Vergangenheit, aber das macht euch nicht unglücklich?

Sophie Lindinger: Ja, weil wir das good life von damals nehmen und es in die Gegenwart geben, das geht schon – mit anderen Verantwortungen, weil man jetzt erwachsen ist, klar.

Also war früher alles besser?

Sophie Lindinger: Nein, es geht um das Gefühl. Das ist eine bewusste Entscheidung, sich dem auszusetzen und es zurückholen zu wollen. Man kann ja so schnell verlorengehen in der Gesellschaft, mit allem, was man tut – ob man sich permanent vergleicht oder vorgeschriebenen Konventionen folgt – da braucht es diese bewusste Entscheidung zu sagen: Nein, das will ich nicht und ja, das tut mir gut. Die Frage ist nur, wie bekomme ich das Gute hin, mit den gegebenen Voraussetzungen?

Das ist dann emotionale Arbeit, die selten jemand sieht, oder?

Sophie Lindinger: Ja, die Arbeit an sich selbst. Und wie man sich in der Welt sieht: Wo höre ich auf, wo fangen die anderen an, welche Grenzen ziehe ich? Das ist viel Arbeit, ob in romantischen Beziehungen, unter Freunden oder in der Familie. Deshalb ist es ja so wichtig darüber zu reden, auch mal zu fragen: Wie geht es dir? Und: Wie geht es eigentlich mir damit?

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Wer spielt jetzt eigentlich Schlagzeug bei euch?

Sophie Lindinger: Eine Person, Günther Paulitsch, unterstützt uns live.

Der darf ruhig das Beiwagerl bleiben, oder?

Sophie Lindinger: Genau.

Magst du über die Sache mit Kolleritsch reden?

Sophie Lindinger: Nein, sorry, das ist ein triggerndes Thema.

Gut, dann reden wir über das Internet, du singst ja über deine obsession. Ist das so?

Sophie Lindinger: In dem Song geht es um die Bilder der anderen, das ständige Vergleichen, und den falschen Eindruck. Es geht aber auch um die Frage, warum man das tut und warum man sich dann komisch fühlt und mit Google irgendwelche Diagnosen herbeiführen will, weil man ja alles, was nicht passt, benennen muss. Aber gerade diese Selbstdiagnosen durch Selbsthilfevideos sind richtig schlecht, darin verliert man sich schnell und am schlimmsten ist es, wenn man andere Personen diagnostiziert, weil man mit deren Verhaltensweisen nicht klarkommt.

Bild My Ugly Clementine
My Ugly Clementine (c) Rea von Vi

Das ist die Diagnose zur Gegenwart. Was tust du, damit du dich nicht darin verlierst?

Sophie Lindinger: Ich tu mir ja auch schwer, weil ich kein Allheilmittel gefunden hab bisher. Ich merke aber, je mehr ich da drauf bin, desto weniger interessiert es mich. Es sind immer dieselben Sachen zu sehen, dieselben Scherze, Influencer-Videos und ihre Werbung. Davon werde ich langsam müde. Eben weil ich es alles schon gesehen und sicher auch mal geglaubt habe, dass ich das alles brauch. Dann setzt man sich mal hin und überlegt, warum es so ist und man merkt: Das sind halt Leute, die irgendwas im Internet posten. Diese Erkenntnis macht mich immun gegen den Neid, den ich empfinden könnte, wenn ich etwas sehe, das toll rüberkommt.

Trotzdem möchtest du ja auch toll rüberkommen, nicht?

Sophie Lindinger: Ich muss es so verwenden, leider, weil: Es wird alles übers Internet gefunden. Der Radiosender, der dich spielt und die Hoffnung, dass dann alle Fans von dir sind, das gibt es nicht mehr. Wenn ich einen Song von dir höre und ich find den geil, das heißt: Ich google ich dich auf Instagram – ha, googeln auf Instagram, geil! – aber wenn ich dich dort nicht finde, dann bist du vergessen. Das ist so. Deshalb muss ich es verwenden. Es geht nicht anders.

Kennst du „Eine himmlische Familie”, die Serie?

Sophie Lindinger: Ja, sicher!

Das Cover von eurem Good Life sieht genau so aus.

Sophie Lindinger: Es ist aber keine Anspielung auf die Serie, sondern eher auf das Bild einer perfekten Familie, das es mal gegeben haben soll –  so auf pseudo happy family machen, aber halt nur nach außen, weil es die innere Harmonie gar nicht gibt. Deshalb passt unser Cover auch so gut zum Albumtitel. Wir zeigen uns so auf good life, aber singen dann drüber, welche Dinge erstmal gemacht gehören, damit es überhaupt zu einem good life werden kann.

Albumcover The Good Life
Albumcover “The Good Life”

In der Serie ging es immer um dieses christliche Familienbild, der Vater war ja sogar Priester oder so. Glaubt ihr auch an was, außer vielleicht an Chemie?

Sophie Lindinger: Das ist so ein Thema, über das wir wirklich nie reden, weil es halt für alle klar ist, dass wir nicht religiös sind. Deshalb geh ich jetzt mal nur von mir aus: Ich bin sehr realistisch, man kann alles erklären mit Chemie – I wish it was different.

Warum?

Sophie Lindinger: Weil ich mir manchmal wünschen würde, wenn es eine größere Macht gibt, die leitet – dann kann man hoffen oder darin Kraft schöpfen. Deshalb versteh ich irgendwie auch die Religion, besides all den Regeln und dem Scheiß, den die katholische Kirche gemacht hat. Den Gedanken dahinter kann ich trotzdem verstehen. Man lebt leichter, wenn man an etwas glaubt, das übermächtig ist.

Ja, die Leute sagen, es gibt ihnen Sicherheit.

Sophie Lindinger: Voll, deshalb wünschte ich mir manchmal, ich wäre Agnostikerin, um zu glauben – egal an was. Aber ich kann nicht, eben weil man chemisch alles erklären kann.

Bild My Ugly Clementine
My Ugly Clementine (c) Mala Kolumna

Hast du die ganze Platte wieder selbst produziert?

Sophie Lindinger: Die Produktion und das Mixing, ja. Marco [Kleebauer, Anm.] war außerdem stark daran beteiligt, die Drums so klingen zu lassen, wie ich mir das vorgestellt hab. Ich wusste nämlich, dass ich bei ein paar Songs mehr Härte, bei anderen wiederum mehr Softness will. Es ging mir also mehr um die Extreme als bei der ersten Platte, weil: Das ist mein aktuelles Leben, sowohl meines Produktionsdaseins als auch meines Songwritings. Der Sound ist immer ein Abbild davon. Er wird zu meinem persönlichen Zeitstempel. In drei Jahren mach ich es wahrscheinlich anders, schreibe über andere Themen und so weiter.

Ich hab mir die Texte durchgelesen und das war so, als ob du mir ganz beiläufig von deinem Leben erzählst, so wie man das halt macht, wenn man sich zum Beispiel auf einen Kaffee trifft.

Sophie Lindinger: Das ist mein Zugang zur Musik, genau. Ich verwende keine Metaphern, ich bemühe auch kein schönes Blabla – ich will einfach erzählen von Dingen, die mich beschäftigen, jetzt, im Moment. Das ist dann eine Konversation, durch die ich mich echter fühle, weil ich mich selbst befrage. Auf den allgemeinen Floskel-Scheiß hab ich nämlich keinen Bock mehr. Ich brauch Ehrlichkeit und Verletzlichkeit und die Klarheit, die daraus entsteht.

Deshalb verwenden so viele Leute Floskeln, weil man sich hinter ihnen verstecken kann wie bei einer Fassade.

Sophie Lindinger: Das ist die Essenz von Social Media und seiner Selbstdarstellung. Man sagt dauernd etwas, aber eigentlich sagt man gar nix. Danke, das brauch ich nicht mehr.

Danke dir für das Gespräch!

Christoph Benkeser

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My Ugly Clementine live
29.09.23 Graz, PPC
10.11.23 Wien, Arena

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