Echoraum (is the best location): Portrait Katharina Klement (eine Nachlese)

Man darf nicht müde werden, die Programmgestaltung des Echoraum (Sechshauser Straße 66, Chef: Werner Korn) zu loben. Das ist der spannendste Ort in Wien für neue komponierte improvisierte und experimentelle Musik, auch Theaterprojekte (kürzlich Peter Handke), Forschungs-, Literatur- und bildende Kunstpräsentationen. Am Samstag gab’s dort ein grenzüberschreitendes Portrait von Katharina Klement (Präsentation der neuen CD, die bei der Edition Zeitton/ORF erschienen ist), live daraus das “Trio Sissy X.” sowie einen Ausschnitt aus der DVD “granular” KalK, 09 (musikalische Konzeption und Klavier by Klement & Billy Roisz, Video).

 Im Teil 1 des Abends (unterbrochen in der Pause durch ein Buffet mit einem u. a. von Angelica Castello servierten herrlichen Gulasch, im Eintrittspreis inbegriffen – sie selbst spielt am 2.2. gemeinsam mit Billy Roisz im “Rhiz”) spielten Katharina Klement (Klavier extended – mittels eines Bogenhaarseils wird es mitunter sogar zum Streichinstrument), Josef Novotny (Elektronik) und Burkhard Stangl (Gitarre) als Live-Act die Musik “Sissy X.” Abgemischt von Katharina Klement ist diese in etwas anderer Version bereits 2005 aufgenommen, auch auf der Ö1 CD zu finden.

 

Klement unterscheidet eben zwischen CD-Aufnahme und Live-Aufführung. Auf der CD heißt das Ganze “ho dimenticato chiudere la finestra”. ,”Habe vergessen das Fenster zu schließen” wurde im Echoraum zur “viaggio italiano”. In beiden Fällen ist es eine überwiegend sehr leise, spannende Improvisation dreier Musiker. “Freier Aufenthaltsraum, keine Absprachen, Kommunikation bei geöffnetem Fenster”, schreibt Klement im Booklet.

 

Es hat mir so gut gefallen, dass ich Stangl und Klement eine Kopie der handgeschriebenen Spielanweisung die auf den Notenpulten lag, für die mica-Musiknachrichten abluchsen konnte, nicht nur mit der graphischen Notation der fünf vorgesehenen Teile, sondern auch den verbalen Beschreibungen, was da passieren soll. Eccolo la:

 

 

Sissy X. 31.1.09

 

“Viaggio italiano

 

1 l’ombrello che non sará umido

 

l’ombrello che non sará umido [Der Regenschirm, der nicht nass werden wird] K. beginnt mit Sample, als Atmosphäre, im loop: Regenrauschen + Tropfen, daraus aber musikalisch entwickeln: unterschiedliches Rauschen gegen einzelne Sounds/Cluster.
~ 7 min.

Graphische Darstellung auf drei Linien für J(osef) B(urkhard) und K(atharina, darunter auf einer vierten Linie (Zeitachse) mit Segmentierung von 1-7 (ungefährer Einsatzzeitpunkt in den Minuten 1-7).

 

2 l’ombrello che io non apro

attacca subito: l’ombrello che io non apro [Der Regenschirm den ich nicht öffne] einzelne Tropfen / Knacker (sample K) – > Verdichtung in granularer Textur / Knistern / Feuer -> jede/r von uns 3 pendelt sich auf regelm. Rhythmus oder Metrum ein, aber jede/r unabhängig
~ 6 min

 

Graphische Darstellung und Zeitachse mit Segmentierung von 7-13

 

3 io non so che cos’é il tempo

 

attacca: io non so che cos’é il tempo [Ich weiss nicht was die Zeit ist]

 

lange / kontinuierliche sounds / e-bows / Schnüre / RM, zart, minimale Verstimmungen, Schwebungen, “Bienen-Sound” bei ~ 16.30. _ > immer breitere Akkorde / Cluster, pitch-strifting, gliss
~ 7 min.

 

Graphische Darstellung und Zeitachse mit Segmentierung von 13-20

 

4 io posso fare tutto

 

attacca: io posso fare tutto [ich kann alles machen] frei ~ 8m

 

20-28.00

 

5 sul balcone ci sono fiori per me

 

attacca: sul balcone ci sono fiori per me [Auf dem Balkon sind Blumen für mich]

 

jede/r: Permutation mit 3 gleichbleibenden Elementen
~ 3 min.

 

Graphische Darstellung und Zeitachse mit Segmentierung von 26-31″

 

 

Wenn man das Obige (eigentlich nicht zur Veröffentlichung Vorgesehene, aber Katharina Klement hat es mir ausnahmsweise erlaubt) liest, kann man sich vielleicht eine kleine Vorstellung davon machen, wie sie – solo und auch immer wieder im Verein mit gleich gesinnten MusikerInnen – die starren Grenzen zwischen Konzeption, Komposition, Improvisation, elektronischer und instrumentaler Klangerzeugung transzendiert und aufhebt. Die Werke mit improvisatorischem Freiraum lösen großteils instrumentale Charakteristika auf, integrieren pick-ups, e-bows, Mikrofone, Lautsprecher, selbst die Eigen- und Laufgeräusche von elektronischen Verstärkergeräten und viele andere Devices als Klanggeneratoren bzw. -transformatoren. Heraus kommen dabei anspruchsvolle, sehr spannende Hörerlebnisse.

Lassen wir dazu Burkhard Stangl, er selbst als Musiker ein einfühlsamer Spezialist für beharrliche Leisigkeit und Reduktion, mit seinem klugen und schönen Booklet-Text in der Ö1-CD (eine Auswahl von 6 unterschiedlichen Stücken Klements) zu Wort kommen. Der ist überschrieben mit “Präzision, Stil, Meisterschaft” und auch im Untertitel sehr treffend:

 

Über die Lyrikerin in der Musik Katharina Klement

 

“I. . Dem Klang entlang nähert sich ihre Musik dem nicht zu benennenden Glücksort: ,Komm ins Offene, Freund!’. Katharina Klements Oeuvre stellt sich als organische Einheit von akustischer und elektronischer Musik dar – und erweist sich als ganz persönliche Herzenshandschrift. Vorliegende CD richtet sich an ein Publikum, das sich Zeit zum Hören nimmt und an vorsichtige verletzliche Klänge glaubt.

 

II. . Die elektronische Ära hat die Art und Weise, wie Musik geschaffen, vermittelt und gehört wird, revolutioniert. Mikrophon, Verstärker, Lautsprecher, Klangaufzeichnungs- und Wiedergabemaschinen sind (.) zu Zentralbegriffen geworden. Jahrhundertealte Praktiken der Musikkultur wurden (.) in einen Strudel krisenhafter Umbrüche gezogen, den man grob als Konkurrenz zwischen musikalischer Schriftkultur und neooralen Kompositions- und Musiziertechniken bezeichnen könnte .

 

III. . Das, was bei ihr heute wie ein leichtfüßig komponiertes musikalisches Poem erklingt und ihren Stil bestimmt, ist jedoch Resultat von mühselig klangforschender Kleinarbeit. Über Jahre hat sie das Dreigestirn Komposition, Improvisation und Elektronik sondiert, und solange an der Auflösung der strikten Zuordnungsparameter gearbeitet, bis die drei endlich eins – und so zu ihrem Sternzeichen geworden sind .

 

IV. Ein bedeutender Arbeitsschwerpunkt von Katharina Klement umfasst den Bereich ,Klanginstallation’ und ,Musik im öffentlichem Raum’. Die Folie dafür bildet ihre Auseinandersetzung mit Tanz, Literatur, Film- und Videografie sowie bildende Kunst, insbesondere Plastik und Skulptur. ,Klangtransformation – insbesondere mit elektronischen Mitteln – ist Arbeit mit einem mehrdimensionalen Phänomen und mit plastischer Arbeit vergleichbar’, bemerkte die Komponistin einmal. Ihre Raumklangkompositionen als elektroakustische Skulpturen in Raum und Zeit .

 

V. Klements Wirken ruht im unbeugsamen Willen zum persönlichen künstlerischen Ausdruck. In ihren oft leisen, zurückhaltenden, introvertierten Stücken, die allerdings immer wieder durch unerwartete Eruptionen aufgeraut werden, ist ein starker, aufrüttelnder Zufluchtsort beheimatet (.) Schönheit und Zweifel sind bei Klement perfekt in musikalische Form gegossen: Das ist Meisterschaft. (.) Nichts ist bei Katharina Klement ungewöhnlicher als das Selbstverständliche. Nichts ist bei Katharina Klement selbstverständlicher als das Ungewöhnliche.” (Burkhard Stangl).

 

 
DVD “granular”, KalK 09

Das ist eine Gemeinschaftsarbeit Klements mit der Videokünstlerin Billy Roisz. Die Musik und das Video ergänzen sich ideal, oft wusste man bei dem halbstündigen Ausschnitt nicht, ob man mehr auf die bewegten Bilder schauen oder die perfekt abgemischte Geräuschmusik dazu zwischendurch mit geschlossenen Augen hören sollte (erzeugt am Klavier, weiters mit Wolfgang Reisinger an Perkussion und Schlagzeug). Besonders in dem letzten gezeigten Abschnitt, bei der man mit steigender Geschwindigkeit sich in die Lüfte, in ein anderes Universum zu erheben scheint, sind Bilder und Musik eine frappierende Einheit und doch mit verschiedenen Mitteln erfunden und hergestellt.

Billy Roisz, geboren 1967, lebt und arbeitet in Wien und ist eine der besten Videokünstlerinnen, die wir hierzulande haben. Ihr Steckbrief hier:

“billy roisz / gnu

[analog/digital//video/audio]

specializes in feedback video and video/sound interaction.
using monitors, cameras, video mixingdesks, a selfbuilt videosynth,
computer and turntables for video and sound generating. leidenschaft für comix, animationsfilm, experimentalfilm, sound, performance. beschäftigung mit copy-art, illustration, fotografie, performance, video & sound. mitglied von efzeg..