Die Wahrnehmung schärfen und Neues entdecken – Wolfram Schurigs neuestes Werk „…vom gesang der wasserspeier…“ bei wien modern und weitere Stationen.

In Vorarlberg sind die Kompositionen von Wolfram Schurig leider sehr wenig präsent, jedoch auf namhaften internationalen Festivals sind sie vertreten. Im November spielen im Rahmen von „wien modern“ zwei unterschiedliche Ensembles an zwei aufeinander folgenden Abenden Schurigs neuestes Werk „…vom gesang der wasserspeier…“ für Klavier und Ensemble. Das Österreichische Ensemble für Neue Musik führt im Rahmen des gleichen Festivals Schurigs Werk „blick:verzaubert“ auf, das kürzlich auch bei der Biennale Heidelberg zu hören war. Weiters gibt es Aufführungen in Porto, in der Philharmonie Luxembourg sowie im Wiener Konzerthaus. Lehraufträge für Komposition in Graz und Leipzig haben in den vergangenen Semestern viel Aufmerksamkeit und Zeit in Anspruch genommen, jedoch auch zahlreiche positive Anreize gesetzt. Wolfram Schurig hat 2004 den „Erste-Bank-Kompositionspreis“ sowie das Kompositionsstipendium des Landes Vorarlberg und 2008 den Förderpreis der Siemens-Stiftung erhalten. Im Gespräch mit Silvia Thurner gibt er Einblicke in sein künstlerisches Denken.

Im Rahmen der Gesellschaft für Musik und Ästhetik erscheint im Wolke-Verlag die Buchreihe „New Music and Astehtics in the 21st Century“, die Claus-Steffen Mahnkopf, Frank Cox und du initiiert habt. Ein Hauptziel dieser Gesellschaft ist es, „die Musik und ihre Stellung bzw. Funktion in Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft zu vermitteln beziehungsweise zu diskutieren“. Welche Rolle kann die Musik in einem gesellschaftspolitischen Diskurs deiner Meinung nach spielen?

Ich sehe die Musik nicht als Instrument, mit dem man etwas bewerkstelligen kann. Deshalb sehe keinen politischen Auftrag in der Musik, der sachbezogen wäre oder bezogen auf ein spezielles Ziel hin, um etwas zu verändern und zu gestalten. Die Musik ist viel mehr ein Abbild von dem, was real stattfindet, beziehungsweise eine Reaktion oder eine Gegenreaktion darauf. In dem Sinn ist Musik immer politisch oder soziokulturell relevant, wenn es um eine Schärfung der Wahrnehmung geht. Dahin gehend sehe ich für mich schon einen Auftrag, weil das genau das ist, was mich interessiert. Ich möchte Hör- und Sichtweisen verändern oder erweitern.

Interessieren dich musikphilosophische Fragestellungen?
Mit Philosophie habe ich so meine Not. Die Art zu denken ist mir in den meisten Fällen zu abstrakt. Häufig wird ja auch meiner Arbeit unterstellt, sie wäre abstrakt, theoretisch, „philosophisch“. Das ist ein leider etabliertes Fehlurteil. Es beruht vermutlich darauf, dass mein künstlerisch/ästhetischer sowie musikalisch/technisch hoher Anspruch mit einer gewissen Höhe der Abstraktion in meinem Denken verwechselt wird. Das ist aber nicht so. Da bin ich mehr in den Naturwissenschaften verankert.

Von der Lust des Entdeckens


Dein neuestes Werk … vom gesang der wasserspeier … ist Charles Darwin gewidmet. Inwieweit steckt hinter dieser Widmung ein Interesse an naturwissenschaftlichen Entdeckergeistern?

Ich habe mich im vergangenen Jahr eingehender mit Charles Darwin befasst, weil die Literatur leichter zugänglich war und Neuerscheinungen heraus gekommen sind. Mich interessieren grundsätzlich Entdecker früherer Zeiten. Wie es ihnen auf ihren abenteuerlichen Exkursionen ergangen ist, darüber könnte ich viele Bücher verschlingen. In ihrem Tun sehe ich auch etwas, das mich mit meiner Tätigkeit verbindet. Die Naturwissenschaftler früherer Zeiten haben ja nicht gewusst, was sie finden werden und keine Ahnung gehabt, was auf sie zukommt. Oft hat ihre Phantasie, das was sie real gesehen haben so korrumpiert, dass sie gar nicht akzeptieren konnten, wie beispielsweise ein neu entdecktes Lebewesen tatsächlich aussieht. So zeigen viele Darstellungen aus dieser Pionierszeit der Entdeckungen tatsächlich Zwitterwesen aus Phantasie und Wirklichkeit. Das Entdecken, die Kunst und die Wissenschaft hatten bis ins 18. Jahrhundert viele Berührungspunkte.

Modellsituationen schaffen

Wie zeigen sich diese Zusammenhänge in deinem neuesten Werk „…. vom gesang der wasserspeier…“?
Für mich war der Gedanke spannend, so etwas wie eine stammesgeschichtliche Herkunft von Wesen, die es nur in unserer Phantasie gibt, zu entwickelt. Die Wesen, die unsere Phantasie bevölkern sind nicht unwirklicher wie real Existierende, also müssen sie auch eine Herkunft haben. Wie diese dann tatsächlich ausschaut, muss sich jeder selbst zusammen reimen. Für mich bestand der Reiz darin, diese Beobachtung systematisch anzugehen. In der Musik wollte ich die musikalischen Elemente und Bausteine quasi wie Objekte meiner Phantasie behandeln und daraus eine bestimmte Methodik entwickeln, aus der man ihre Abstammung ihre Phylogenese rekonstruieren kann.

Das geht, trivial gesprochen, weil etwas mit ihnen passiert. Im Verlauf der Zeit, in der etwas mit ihnen passiert, kann man ihre momentane Beschaffenheit mit ihrer ursprünglichen vergleichen, den Grad der Veränderung ermitteln usw.  Diese Modellsituationen kann man auf einzelne Merkmale von Klang oder solche musikalischen „Geschöpfe“ im Ganzen anwenden. Oder mehrere Prozesse gegeneinander ausspielen – die Möglichkeiten sind schier unerschöpflich.

Lebst du während des Komponierens mit deinen musikalischen Phantasiegeschöpfen mit?
Ja, man kann sagen, dass ich mich ganz naiv mit ihnen identifiziere.  Das hat aber eben nichts mit dem Ausmaß an künstlerisch-technischer Komplexität der angewandten Verfahren zu tun. Auch mit diesen entwickelt sich mit der Zeit eine Vertrautheit, sodass ich letztlich doch damit „spiele“. Es bereitet mir große  Freude, mit diesen musikalischen Geschöpfen umzugehen.

Doppelaufführung

„…. vom gesang der wasserspeier…“ wird an zwei aufeinander folgenden Abenden zu hören sein. Die Uraufführung spielt das portugiesische Ensemble „remix“ und am darauf folgenden Abend interpretiert das „Klangforum“ das Werk. Wie hat sich das ergeben und findest du diese Idee gut?
Dass zwei unterschiedliche Ensembles dasselbe Stück an zwei aufeinander folgenden Abenden spielen, ist ein glücklicher Zufall. Das ist von den Ensembles auch sehr mutig. Ich bin schon gespannt, weil am einen Abend das mir bislang unbekannte „Remix Ensemble“ mit meinem Lieblingsdirigenten Emilio Pomárico spielt und am anderen Abend mein Lieblingsensemble, das „Klangforum Wien“, unter der Leitung von Enno Poppe musiziert.

Vom Unterrichten profitieren

Du hast letztes  Jahr in Graz und im vergangenen Semester in Leipzig Komposition unterrichtet. Was gefällt dir am Unterrichten und inwiefern profitierst du davon?
In Graz habe ich im Rahmen des Sonderprojektes „Klangwege“ ein Jahr lang unterrichtet. In Leipzig habe ich die Vertretung für die Hauptfachprofessur gemacht. Ich profitiere selbstverständlich davon. Anhand der Stücke und der Arbeiten der Studenten stellt man die entsprechenden Fragen für sich selbst jedes Mal wieder neu.

Danke für das Gespräch.

Factbox:
16.11.2010, wien modern – Konzerthaus – blick: verzaubert, ENDE. -oenm
17.11.2010, wien modern – Konzerthaus – …vom gesang der wasserspeier..UA – remix ensemble, Porto/Pomárico
18.11.2010, wien modern – Konzerthaus – …vom gesang der wasserspeier..UA – klangforum wien/Poppe
20.11.2010, HS für Musik und Theater Leipzig – MAUERWERK – HS-Ensemble, R. Schmiedel
20./21.11.2010, Casa da Musica, porto – …vom gesang der wasserspeier…- Remix Ensemble/klangforum wien
28.01.2011, Philharmonie Luxembourg – Hommage a Wolfram Schurig –  United Instruments of Lucilin
24.02.2011, Provinzlärm, Eckernförde – Augenmaß
15.03.2011, Wiener Konzerthaus – tintoretto: zweite übung UA – phace, Digby/Thurner

http://www.musikdokumentation-vorarlberg.at
http://www.musikdokumentation-vorarlberg.at/woscmain.htm